Nah-Ehen-Problem

tela

Aktives Mitglied
Hallo zusammen,

Angesichts der Frage der Zuordnung Richwaras, der Ehefrau Bertholds I. v. Zähringen, und dem Versuch der Forschung manche Lösungsvorschläge aufgrund zu naher Verwandtschaft abzulehnen, eine Frage.

Grundsätzlich ist das Problem der zu nahen Verwandtschaft von Eheleuten ja durchaus ein Thema mittelalterlicher Quellen. Nur wie muss man sich das praktisch vorstellen? Hat man vor einer Ehe wirklich die Stammbäume durchwühlt, um zu sehen, ob es ein Problem mit zu naher Verwandtschaft gibt oder geben könnte. Oder hat man geheiratet, wie es politisch gerade sinnvoll war und das Problem zu naher Verwandtschaft erst entdeckt, wenn man seine aktuelle Frau wieder legal loswerden wollte?
 
Ich habe mir erlaubt, den korrekten Threadtitel von Nahehenproblem zu Nah-Ehen-Problem zu verändern, denn ich habe mich beim Lesen der Übrschrift gefragt, was den [na'he:ən] wohl sein könnten. Auf [na:'e:ən] kam ich erst beim Lesen des Textes.
 
Hat man vor einer Ehe wirklich die Stammbäume durchwühlt, um zu sehen, ob es ein Problem mit zu naher Verwandtschaft gibt oder geben könnte.
Zumindest gab es bereits im Mittelalter genealogische Darstellungen, auch in bildhafter Form.
Stammbaum-Welfen.JPG

800px-StammtafelOttonen0002-768x1212.jpg
 
Nur wie muss man sich das praktisch vorstellen? Hat man vor einer Ehe wirklich die Stammbäume durchwühlt, um zu sehen, ob es ein Problem mit zu naher Verwandtschaft gibt oder geben könnte. Oder hat man geheiratet, wie es politisch gerade sinnvoll war und das Problem zu naher Verwandtschaft erst entdeckt, wenn man seine aktuelle Frau wieder legal loswerden wollte?
Letzteres könnte in so einem Fall eine willkommene Gelegenheit gewesen sein ;)
Ich vermute, dass Namen, Verwandtschaftsbeziehungen, Besitz und Anteilbesitz, Erbschaftsangelegenheiten etc für die Menschen des Mittelalters viel präsenter waren als für uns heute und dass sie dergleichen sehr genau und detailliert überblickten.
 
Grundsätzlich ist das Problem der zu nahen Verwandtschaft von Eheleuten ja durchaus ein Thema mittelalterlicher Quellen. Nur wie muss man sich das praktisch vorstellen? Hat man vor einer Ehe wirklich die Stammbäume durchwühlt, um zu sehen, ob es ein Problem mit zu naher Verwandtschaft gibt oder geben könnte.
Davon würde ich ausgehen. In Hinblick auf kirchliche Ehehindernisse war es ein Risiko, eine Ehe einzugehen, die gegen kirchliches Recht verstieß. Damit konnte man sich nicht nur eine Menge Ärger (bis zur Exkommunikation und einem damit verbundenen Autoritätsverlust) einhandeln, sondern sie wurde damit angreifbar, ebenso der Status von daraus hervorgehenden Nachkommen. Wer in naher Verwandtschaft heiraten wollte, war also gut beraten, sich wenigstens vorab mit den maßgeblichen kirchlichen Autoritäten gutzustellen und sich abzusichern.
 
Letzteres könnte in so einem Fall eine willkommene Gelegenheit gewesen sein ;)
Ich vermute, dass Namen, Verwandtschaftsbeziehungen, Besitz und Anteilbesitz, Erbschaftsangelegenheiten etc für die Menschen des Mittelalters viel präsenter waren als für uns heute und dass sie dergleichen sehr genau und detailliert überblickten.
Andere Weltgegend, völlig anderes Thema. In Mikronesien gibt es auf einem Atoll das sogenannte Steingeld (Rai). Damit wird z.T. bis heute bezahlt. Dabei wird aber das Steingeld nicht bewegt, denn es handelt sich um große Steinscheiben, die man nur unter sehr großem Aufwand bewegen kann. Es gibt sogar Steinscheiben, die beim Transport verloren gingen und irgendwo in den Riffen vor den Atollen liegen und dennoch genutzt werden. Die Steine wechseln also den Eigentümer, bleiben aber an Ort und Stelle. Dazu gehört eben, dass die Bewohner des Atolls „Besitz und Anteilbesitz, Erbschaftsangelegenheiten etc […] viel präsenter waren [haben] […] und dass sie dergleichen sehr genau und detailliert überblick[t]en“.
Will sagen, in Analogie zum Steingeld halte ich das, was Deku zum Mittelalter annimmt für plausibel.
 
Wir heute mit Internet, Genanalyse (Vaterschaftstests => Verwandtschaftsnachweis etc), Google maps, geodätischer Landvermessung, Fotografie, Baugenehmigungen, Grundsteuer, Katasteramt etc orientieren uns ganz anders, d.h. mit ganz anderen Mitteln als die Menschen im 11. Jh. und wir sind überwiegend kleinteiliger organisiert (Kleinfamilie) und z.B. gesplitterter Landbesitz ist nicht an "Sippen/Großfamilien" sondern an eingetragene Eigentümer gebunden. Derart umfassend administrativ durchorganisiert auf so hohem technischen Niveau mit exakten stets aktualisierten Daten war das im Mittelalter nicht so sehr, d.h. man hatte nicht so leicht, so schnell Zugriff auf die Daten (und das umso weniger, je geringer der soziale Stand war: der Bauer hatte keine Skriptorien, Notare usw) Zudem waren Besitzgrenzen im Mittelalter ganz anders, man denke an die teils wunderlich zu lesenden Grenzen eines Burgfriedens. Kurzum die Menschen im Mittelalter waren darauf angewiesen, ihre Besitz- und Anteilbesitzgrenzen, ihre Verwandtschaftsgrade etc stets aktuell zu wissen, denn flugs auf dem zuständigen Amt Auskunft einzuholen war meist nicht möglich (außer für "hohe Herren", denen die zuständigen "Ämter" unterstanden. @El Quijote schönen Dank für die Analogie mit dem Steingeld!
Was die Frage von @tela betrifft: Berthold I von Zähringen stieg zum "Hochadel" auf, wurde einer der Mächtigen in seiner Zeit (11. Jh.) und seine rechtlichen, verwandtschaftlichen und besitzmäßigen Angelegenheiten waren sicher urkundlich vermerkt, seine Belehnungen auch - es dürfte hier am Verlust von Quellen liegen, dass nicht alles en Detail nachprüfbar ist.
 
Grundsätzlich ist das Problem der zu nahen Verwandtschaft von Eheleuten ja durchaus ein Thema mittelalterlicher Quellen. Nur wie muss man sich das praktisch vorstellen? Hat man vor einer Ehe wirklich die Stammbäume durchwühlt, um zu sehen, ob es ein Problem mit zu naher Verwandtschaft gibt oder geben könnte. Oder hat man geheiratet, wie es politisch gerade sinnvoll war und das Problem zu naher Verwandtschaft erst entdeckt, wenn man seine aktuelle Frau wieder legal loswerden wollte?

Ich mußte da in dem Zusammenhang an Wilhelm den Eroberer denken:

Um 1049 wurde zwischen Wilhelm und Mathilde, der Tochter Baldwins V., Graf von Flandern, und Enkelin Roberts II. von Frankreich, eine Heirat geplant. Diese Verbindung untersagte Leo IX. auf dem Konzil zu Reims im Oktober 1049, vermutlich wegen des zu nahen Verwandtschaftsgrades. Wilhelm und Mathilde waren Vetter und Base 4. Grades, da beide in direkter Linie von Rollo dem Wikinger abstammten. Die Heirat fand aber 1051 in Eu dennoch statt. Wilhelm brachte seine Frau sofort nach Rouen. Zunächst führte die Ehe jedoch zum Kirchenbann. Genehmigt wurde die Verbindung schließlich erst 1059 durch Papst Nikolaus II., nachdem dieser ein Bündnis mit Wilhelms Verwandten, den süditalienischen Normannenführern Richard von Capua und Robert Guiskard geschlossen hatte. Aus Dankbarkeit oder auch um den Papst günstig zu stimmen, stifteten die Eheleute je ein Kloster östlich und westlich der Burg in Caen: die Damen-Abtei (Abbaye-aux-Dames) und die Herren-Abtei (Abbaye-aux-hommes). Baubeginn für beide Abteien war 1066. Mathilde wurde in St.-Trinité in der Abbaye-aux-Dames bestattet.​

Wilhelm I. (England) – Wikipedia

Jetzt kann ich mir zwar nicht vorstellen, dass bei jedem kleinen Landedelmann der Papst sein Placet geben mußte. Andererseits ist in dem Falle zumindest vor der Heirat das Verwandtschaftsverhältnis geprüft worden.
 
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