wie kommst du darauf? das vertritt SO kein ethnologe/anthropologe...
Ich habe das
schamanistische Weltbild skizziert. Das geht prinzipiell auf Mircea Eliades Forschung zurück (1964) und wird heute z.B. von Prof. Peter Roe, University of Delaware, vertreten, sowohl in puncto Dreistufigkeit als auch in puncto animistische Beseeltheit der Natur, beides gestützt auf seine Forschungen im Amazonasgebiet.
Dass die Animismustheorie, basierend auf Tylor, seit den 1980ern an Boden verloren hat, hängt weniger mit der Beseeltheitsheits-Hypothese zusammen als mit Tylors evolutionärem Paradigma. Im Zuge des sog. postmodernen Paradigmenwandels in den 1970ern hat sich bei vielen Forschern eine Aversion gegen evolutionäre Theorien herausgebildet, denen man Eurozentrismus und eine damit verbundene Abwertung aller nicht-modernen sowie nicht-westlichen Kulturphänomene vorwirft. Tylor hat den Animismus als primitive Kulturstufe dargestellt, deren Mitgliedern es an einer ädaquaten Differenzierung von Subjekt-Objekt-Beziehungen zu ermangeln schien, ähnlich wie der bedeutende Entwicklungspsychologe Piaget in den 1930er Jahren einem Kleinkind die Charakteristika ´egozentrischen´, ´magischen´ und ´animistischen´ Denkens zusprach, den Animismusbegriff dabei bewusst von Tylor übernehmend.
Die Analogisierung der (Piaget´schen) kleinkindlichen Bewusstseinsstufe mit der Bewusstseinsstufe prähistorischer Kulturen, die in der Folge von manchen Wissenschaftlern vorgenommen wurde, ist ein zusätzliches rotes Tuch für postmoderne Theoretiker. Warum? Weil postmodernes Denken keine Wertehierarchien anerkennt (was charakteristisch für ´modernes´ Denken ist), sondern, dem Prinzip des Kultur-Relativismus folgend, jedem Weltbild eine Bedeutung zuspricht, die durch andere Weltbilder nicht entwertet werden kann. Entsprechend wird keine Theorie anerkannt, die einem Weltbild das Charakteristikum des Irrationalen und Infantilen zuspricht, wie das bei Tylors Theorie mehr oder weniger der Fall ist.
Um diese Theorie zu entkräften, muss der Animimusbegriff Tylors in Frage gestellt werden. Das postmoderne Denken stellt ihm im Rahmen des sog. "Neuen Animismus" das Konzept der "relationalen Epistemologie" entgegen, die in ihrer anthropologischen Variante in den 1990ern vor allem von Frau Prof.
Nurit Bird-David, University of Haifa, ausgearbeitet wurde. Im Prinzip läuft die Unterschied dieses Konzepts zum Animismus Tylor´scher Prägung darauf hinaus, dass Animismus (ein beibehaltener Begriff) nicht wie bei Tylor ein irrtümlicher kognitiver Akt ist, der unter der Bedingung mangelhafter Subjekt-Objekt-Differenzierung Naturobjekte mit personhaften Züge projektiv ausstattet und sie auf diese Weise ´beseelt´ (animiert), vielmehr sind animistische Beziehungen zu Naturobjekten dadurch gekennzeichnet, dass zunächst eine soziale Beziehung zu ihnen hergestellt wird und dann erst, auf dieser Basis, ihnen personale Züge zugesprochen werden, die allerdings keine Projektion eigener Personalität darstellen, da die Personalität bzw. Subjektivität des Menschen durch die Objektbeziehung erst
entsteht. Subjektivität ist in dieser Sicht also das
Resultat der animistischen Objektbeziehung und nicht - wie bei Tylor, der einen modernistischen Subjektbegriff à la Descartes vertritt - der
Ausgangspunkt. Auf eine einfache Formel gebracht:
Tylor:
Der Mensch animiert Naturobjekte, indem er die eigene Subjektivität auf sie projiziert. Auf dieser Basis stellt er soziale Beziehungen zu ihnen her.
Bird-David:
Der Mensch stellt soziale Beziehungen zu Naturobjekten her. Auf dieser Basis bildet er seine Subjektivität heraus und animiert die Objekte zu Personen.
Theoretiker wie Bird-David distanzieren sich also vom Descartes´schen Subjekt-Objekt-Dualismus und folgen der Hegel´schen Dialektik (auf die sich Bird-David explizit bezieht), der zufolge Subjektivität Objektbeziehungen nicht vorausgeht, sondern aus ihnen resultiert, was auch der Standpunkt Piagets (in diesem Punkt un-Tylorisch), der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie und diverser postmoderner Theoretiker wie Lacan, Derrida und Foucault ist. Aus Bird-Davids Ansatz folgt ihr absoluter Kulturrelativismus, d.h., wie oben schon angedeutet, eine prinzipielle Gleichbewertung der Weltbilder und Wertordnung von Kulturen.
Ich habe dagegen zwei Einwände. Erstens: Der postmoderne Kulturrelativismus ist abzulehnen, weil er nihilistisch und darüber hinaus unlogisch ist. Zweitens: Die archaische Religiosität wird durch das Konzept der "relationalen Epistomologie" in einer Weise rationalisiert, die ihren eigentlichen Natur - über die man freilich nur theoretisieren kann - nicht gerecht wird. Archaische SchamanInnen dürften während ihrer ekstatischen Zustände direkte Erfahrungen mit einer die Natur durchdringenden ´Geistigkeit´ gemacht haben (wie dies bei historischen SchamanInnen der Fall ist). Das schamanische Weltbild beruht ja auf solchen ´übersinnlichen´ Erfahrungen, wobei es hier irrelevant ist, ob oder in welchem Maße diese Erfahrungen als realistisch bzw. illusionär einzuschätzen sind (ich schlage ein Sowohl-als-auch vor).
Theoretiker wie Bird-David scheinen diesem Sachverhalt nicht gerecht zu werden. Nehmen wir als Beispiel eine schamanistische ´Seelenreise´, welche die Existenz von ´Geistern´ und einer transzendenten Oberwelt und der ´Beseeltheit´ der Natur im ganzen impliziert. Wie soll ein solches Szenario auf der Basis der Bird-David´schen relationalen Epistemologie funktionieren? Haben SchamanInnen zunächst soziale Beziehungen zur Geisterwelt hergestellt und dann in einem zweiten Schritt personale Charakteristika auf Geistwesen (z.B. Seelen von Tieren) projiziert? Das wäre unlogisch, weil die Wahrnehmung einer Geisterwelt nicht das Resultat sozialer Beziehungen zu Geistern sein kann, sondern es ist genau umgekehrt: Zunächst erfolgt eine Wahrnehmung von Geistern, dann erst die Herstellung einer Beziehung zu ihnen. (Es geht hier nur um die Logik, nicht um die Realitätsfrage, wohlgemerkt.)