Nazi-Verbrechen gegen die Bevölkerung der UdSSR

Der Literaturwissenschaftler Jörg Drews gab im Suhrkamp-Verlag 1986 die bereits 1946 auf Englisch als Berlin Underground, 1947 auf Deutsch unter dem Titel Der Schattenmann erschienenen Tagebuchaufzeichnungen von Ruth Andreas-Friedrich neu heraus (erstmals mit einer Personenaufschlüsselung der im Tagebuch benutzten Decknamen). Andreas-Friedrich hatte diese in einer Geheimschrift geschrieben und in einer nach Kriegsende angefertigten Maschinenschriftfassung (also wohl auch überarbeitet, was den Tagebuchwert freilich minimiert*) an eine Freundin in New York geschickt. Aber um die Tagebuchaufzeichnungen geht es mir hier nicht, sondern um das Nachwort von Drews, geschrieben 1985, also noch im Kalten Krieg (ich weise darauf hin, weil Drews hier unwissenschaftlich von Russen/Russland spricht und nicht von Sowjets/Sowjetunion, also den westdeutschen Jargon des Kalten Krieges benutzt, einfach weil das 1985 üblich war, dabei positioniert er sich beiden Seiten gegenüber kritisch), er spricht hier über die von ihm nicht mit herausgegebenen Aufzeichnungen bis 1948.

Ruth Andreas-Friedrich hatte ihre Aufzeichnungen nach dem Ende des Krieges fortgesetzt [...] zu einem zweiten Manuskript zusammengestellt, das den Titel »Schauplatz Berlin« trägt. […] Die Notizen der Jahre 1945 bis 1948 sind bewegend und niederschmetternd [...] weil sie […] geprägt sind von der entsetzten Ahnung der Autorin, daß ihre Hoffnungen auf eine Erneuerung Deutschlands aus Vernunft und Scham illusorisch sind.
[…]
Das beginnt damit, daß noch beim Einsichtigsten, beim zum Umdenken Bereitesten der Hunger und also der Schwarzmarkt konkreter war als die »Kollektivschuld«; hinzu kam, daß die Angst vor der Gestapo leider mit guten Gründen leicht auszutauschen war gegen die Angst vor den Russen, die mit den bekannten Begleiterscheinungen ihren Sieg über das Land feierten, das zwischen 1942 und 1945 sie überfallen und 20 Millionen ihrer Landsleute ermordet hatte; daß die Deutschen nach 1945 nicht die Bekanntschaft mit Rußland, sondern mit dem stalinistischen Rußland machten, bereitete auf fatale Weise den Boden für die antirussischen Ressentiments, deren sich die Amerikaner bei ihrer Psychologie des Kalten Krieges bedienen konnten.
[...]
...die Trotzreaktionen hervorrufende These von der »Kollektivschuld«, die moralisch so total war, wie das Regime der Nazis total gewesen war...

*Die Tagebuchaufzeichnungen setzen im September 1938 während der „Sudetenkrise“ ein. Anlass für Ruth Andreas-Friedrich das Tagebuch zu schreiben war ein Treffen mit der Tochter von Carl von Ossietzky in Stockholm. Als diese erfuhr, dass Ruth Andreas-Friedrich nicht als Exilantin in Schweden war, sondern nach Nazi-Deutschland zurückkehren wollte, wandte sie sich von ihr ab. Aus diesem Grund begann Andreas-Friedrich also ihr Tagebuch zu verfassen, um es zu einem Zeitpunkt nach dem Ende des Nazi-Regimes vorlegen zu können, es ist also von vornherein für eine in einer ungenauen Zukunft geplante Veröffentlichung verfasst worden, um Zeugnis bzw. Rechenschaft darüber abzulegen, dass man in Deutschland geblieben war.

Edit: noch ne kurze persönliche Anmerkung zu dem Buch: Mein Geschichts-LK Lehrer - hiermit liebe Grüße an Bernhard S. - hat anlässlich des 9. November einen Auszug aus dem Tagebuch vorgelesen. Das muss 1995 oder 1996 gewesen sein. Ich habe mir das Buch daraufhin gewünscht und meine Mutter hat es mir zu Weihnachten geschenkt. Dieses Buch hat seitdem jeden meiner Umzüge mitgemacht (auch den letzten, bei dem der Großteil meiner Bibliothek in mein Elternhaus gewandert ist, ist es bei mir geblieben), aber erst jetzt, 25/26 Jahre später, habe ich es endlich zu lesen begonnen. Es war immer da, aber es wurde immer # dabei nie unwillig # anderen Büchern gegenüber zurückgestellt.
 
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