Neues Buch: Russlands Weg in den Ersten Weltkrieg

Turgot

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Von Sean McMeekin ist vor wenigen Wochen "Russlands Weg in den Ersten Weltkrieg auf deutsch erschienen. Das ist potenziell ein sehr interessanter Titel. Meine Frage ist, ob jemand das Buch schon gelesen hat und dazu etwas erzählen kann?
 
Von Sean McMeekin ist vor wenigen Wochen "Russlands Weg in den Ersten Weltkrieg auf deutsch erschienen. Das ist potenziell ein sehr interessanter Titel. Meine Frage ist, ob jemand das Buch schon gelesen hat und dazu etwas erzählen kann?

Ja, ich habe es gelesen und habe es schon im Forum zitiert. Must Du wohl übersehen haben, vielleicht weil es ja die englische Fassung war, die zitiert wurde.

Ansonsten hatte ich eine kurze Charakterisierung letztens gelesen und da schrieb ein Historiker, dass es die "türkische Sicht der russischen Geschichte" dieser Phase bieten würde.
 
Ja, ich habe es gelesen und habe es schon im Forum zitiert. Must Du wohl übersehen haben, vielleicht weil es ja die englische Fassung war, die zitiert wurde.

Ansonsten hatte ich eine kurze Charakterisierung letztens gelesen und da schrieb ein Historiker, dass es die "türkische Sicht der russischen Geschichte" dieser Phase bieten würde.

Danke. Welcher Historiker schrieb denn das?
 
Danke. Welcher Historiker schrieb denn das?

Das kann ich Dir leider nicht mehr präzise sagen. ich fand nur die Ausrichtung der Bewertung interessant, da ich vorher eine ähnliche Beurteilung gelesen hatte und diese begründete die Kritik durch den nicht unerheblich patriotisch aufgeladenen Ort seiner Lehrtätigkeit.

Unabhängig von solchen oberflächlichen Sichten halte ich persönlich seine Darstellung für verkehrt und habe es auch ausführlich - literaturgestützt - bereits dargestellt.

Und meine persönliche Wahrnehmung ist, aber die kann natürlich falsch sein, dass er zwar in neueren Publikationen erwähnt wird, ähnlich wie beispielsweise ein "Zuber" zum Schlieffenplan, aber eher aus dem Grunde der Vollständigkeit der Darstellung und nicht, weil man seine Sicht teilt.
 
Orlando Figes hat in Sunday Times das Folgende geschrieben:

"Sean McMeekin argumentiert in dieser mutigen und brillanten Studie, dass Russland ebenso verantwortlich für den Ausbruch war wie Deutschland. Mit einer Vielzahl von Quellen (...) belegt er, dass die Russen ihre eigenen Ziele hatten die Zerschlagung des österreichisch-ungarischen und des Osmanischen Reichs."

Kann vielleicht noch jemand etwas zu diesem Buch berichten. Dankeschön schon im voraus.
 
Also ist die Darstellung zu einseitig? Das Buch nicht lesenswert?

Doch es ist durchaus lesenswert. Es ist EIN Standpunkt. Diese Sicht steht allerdings "quer" zu wichigen anderen Büchern zum Thema. Wie von Lieven ( Russia and the Origins of the First World War) oder Fuller (Strategy and Power in Russia). Ebenso die speziellen Bücher zur "Bosporus-Frage" und dem WW 1 von Bobroff (Road to Glory) oder von Reynolds (Shattering Empire). Das sind m.E. gewichtige Gegenpositionen.

Viel gravierender ist jedoch, dass Clark, obwohl er genau diesen integrierenden Überblick in seinen "Schlafwandlern" hat geben wollen, gerade diese Synthese nicht geleistet hat, sondern sich auf die "neue" revisionistische Position von McMeekin festgelegt hat. Wie für mich speziell die Darstellung der russischen Position in 1914 mit der "schwächste Teil" des Buches ist.

Es wird nicht ersichtlich, warum die anderen Sichten plötzlich nicht mehr angemessen sein sollen. Zumal McMeekin, wie auch häufiger durch Silesia gezeigt, zu Urteilen kommt, die man glauben kann oder auch nicht.

Der primäre Bezug von Clark zu McMeekin, bezogen auch auf die Kriegszielpolitik als Motivation für den Eintrit in den WW1, stellt ihre Position zu Russland auf ein m.E. schmales Fundament.

Der harte und beste Weg ist, alles zu lesen und ein eigenes Urteil sich zu bilden. Aber die alleinige Sicht als Interpretation der russischen Politik von McMeekin ist sicherlich einseitig.
 
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Thane hat es schon ausgeführt: natürlich ist das Buch lesenswert, wie die anderen zum Thema. Daran ändert auch Kritik nichts, oder was man bzgl. Einseitigkeit oder zu simplen oder fehlerhaften Erklärungen von McMeekin hält.


Zum Verständnis, warum Kritik angebracht wird, hier einmal die pointierte, auch zynische Rezension über Stärken und Schwächen von McMeekins Werk in dem renommierten JoMH:

"Sergei Sazonov, it seems, was the evil genius behind the First World War. He duped the tsar and his general staff into an early full mobilization, thus forcing the Germans to declare war prematurely. Sazonov next tricked the British into entering the war “simply by not telling them” (p. 69) what he had done; then, “by a mysterious process of diplomatic osmosis,” (p. 122), Sazonov convinced the British to designate Constantinople and the Straits as Russia’s eventual war indemnity. This, of course, and neither the honor of Serbia nor the French alliance, was why the Russian foreign minister had precipitated the war in the first place. Not content with that, however, Sazonov maneuvered Armenian guerillas within the Ottoman Empire into staging a premature uprising that triggered “the Armenian tragedy of 1915” (pp. 160-161), and fooled the British (clearly the world’s stupidest diplomats) into not only demanding that Russia occupy Persia but also offering them large chunks of Turkish Armenia, Kurdistan, and Persian Azerbaijan when the war as over—and doing much of the fighting for them. Sazonov would have saved Russia from the Bolsheviks, too, had he not been forced from office earlier. So, at least, Sean McMeekin would have it.

How could scholars have missed this for so long? According to McMeekin, they simply have not engaged with the documents on Russian foreign policy, choosing instead simply to accept the “myths” offered by Winston Churchill (pp. 237-238) or the “extreme” account of Fritz Fischer (pp. 1-3). This is somewhat of an overstatement, as McMeekin admits in extensive footnotes (nn. 1-8, pp. 245-249); however, he clearly has done some of the most extensive archival research to date into Russia’s foreign policy during this period, and he draws from it some stimulating insights. McMeekin demonstrates convincingly, for instance, that Russia did indeed mobilize fully—and secretly—much earlier than is generally recognized. Likewise his discussion of Russia’s motivation for war—Constantinople and the Straits, not Pan-Slavism or honor—is sensible and well-grounded.

McMeekin also makes some controversial assertions, such as that Russia desired and actively worked for war from 1912 on, but these usually have at least some foundation in the documentation. There are occasions, however, where McMeekin goes well beyond the documents into assumption and speculation. His discussion of Russian behavior during the July crisis, for example, begins with the admission that documentation is almost completely lacking. McMeekin notes particularly that “not a single scrap” regarding a summit of the tsar and his ministers from 20 to 23 July 1914 has ever surfaced. He nevertheless reconstructs “a basic narrative of Russian intentions during the July crisis” (p. 47).

McMeekin also surmises that French and Russian diplomats “must obviously have discussed the impending Austrian ultimatum in detail and prepared a joint response”, “bland official communiqués not- withstanding” (p. 51) When Maurice Paléologue, France’s ambassador to Russia in 1914, records in his diary that Grand Duke Nicholas’s wife told him at a banquet that there would be war, moreover, McMeekin concludes that she was “the wife of the man who would soon take over as commander-in-chief of Russia’s armies. He must himself have said something similar”(p. 54). A note from Yanushkevich to Sazonov on negotiations to keep Turkey out of the war in August 1914 is presented as “a precious glimpse into Russia’s real war aims”(p. 107).

Such provocation and hyperbole are undoubtedly intentional. The aim likely is to force scholars to re-examine Russia’s aims and role in 1914.

McMeekin surely knows he cannot “prove” that Russia was responsible for starting the First World War; he admits as much in a footnote which, however, ends with a plea: “Surely we should at least consider the German point of view regarding whether or not a Russian mobilization directed against Berlin ‘meant war’”(260n78). Had McMeekin written a “scholarly” tome ["Schinken"!] in a “normal” tone, this plea might well go unnoted, and McMeekin’s scholarship truly deserves notice. His work on Russian aims in the Middle East is unmatched and enlightening, if also framed in a somewhat confrontational manner. Like A. J. P. Taylor and (more recently) his fellow ex-pat in Turkey Norman Stone, McMeekin has authored a polemic that will provide careful readers with debating material for years to come.

(Timothy C. Dowling, in: JoMH 2012, S. 582-583).

Das Problem beim Lesen von McMeekin ist vielmehr, dass man bei seinen Querverweisen, Schlussfolgerungen und Auslassungen [!] exzessiv Kontext und zitierte Literatur benötigt, um sich über Kontroversen oder untergeschobene Unterstellungen klar zu sein. Ansonsten gerät das Buch zu einem Plädoyer, ohne Zorn, aber mit viel Eifer. McMeekin hat die Rolle des Anklägers gewählt, das sollte man beachten. Das macht das Buch zugleich interessant und umstritten und lesenswert.
 
Vielleicht noch erwähnenswert, dass Fesser in seiner explizit linken Sicht auf WW 1 ebenfalls neben Dtld und ÖU den russischen Zarismus für wesentlich verantwortlich hält - natürlich wegen der linken imperialismuskritischen Sicht, solche anachronistischen Monarchien würden ihre internen Krisen externalisieren wollen. Fesser, Gerd, Deutschland und der Erste Weltkrieg, Köln 2013 (Papyrossa verlag), p. 26 ff. Fesser fokussiert sich, was russische Verantwortlichkeiten betrifft, auf den russischen Kronrat am 25., den er als Entschluß zum Krieg deutet. Allerdings geht auch Fesser davon aus, dass ursprünglich die Mittelmächte den Fehdehandschuh (vielleicht sogar zweie) hingeworfen haben. Aber selbst in England habe sich eben dann die Kriegspartei durchgesetzt. Man kann Fesser vielleicht ein bißchen als "Clark, unterfüttert mit linker Imperialismuskritik" verstehen... Dies anbei. Das besprochene Buch werde ich mir auch zu gemüte führen.
 
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Vielleicht noch erwähnenswert, dass Fesser in seiner explizit linken Sicht auf WW 1 ebenfalls neben Dtld und ÖU den russischen Zarismus für wesentlich verantwortlich hält - natürlich wegen der linken imperialismuskritischen Sicht, solche anachronistischen Monarchien würden ihre internen Krisen externalisieren wollen.

Das ist in der Tat richtig und auch nicht verwunderlich, da die Bolschewiken die ersten waren, die relativ früh umfangreiche Dokumente zur realen oder angeblichen Schuld des Zarentums am Ausbruch des WW 1 veröffentlich hatten.

Man muss jedoch fairer Weise zugestehen, dass die Bolschewiken und insbesondere auch Stalin, die politischen Wirkungen der Mobilisierung, wie die des Jahres 1914, als extrem gefährlich erachteten. Ob sie nun wirklich von der Rolle des Zaren beim Ausbruch überzeugt waren, sei dahingestellt, aber die Bedeutung von Mobilisierungen für die Dynamisierung von Kriegen haben sie deutlich erkannt.

Den Stellenwert des Themas kann man beispielsweise bei Schaposchnikow (Das Hirn der Arme, S. 519 "Die Mobilmachung - das Odium - des Krieges") sehen. Und die Auswirkunge kann man an der passiven Haltung im Jahr 1941 erkennen, in der Stalin offensichtliche Maßnahmen der Mobilisierung und der Konzentration von Truppen strikt abgelehnt hatte. Und so - auch - den "Blitzkrieg" erst möglich gemacht hatte.
 
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Doch es ist durchaus lesenswert. Es ist EIN Standpunkt. Diese Sicht steht allerdings "quer" zu wichigen anderen Büchern zum Thema. Wie von Lieven ( Russia and the Origins of the First World War) oder Fuller (Strategy and Power in Russia). Ebenso die speziellen Bücher zur "Bosporus-Frage" und dem WW 1 von Bobroff (Road to Glory) oder von Reynolds (Shattering Empire). Das sind m.E. gewichtige Gegenpositionen.
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Ergänzend dazu ein Hinweis:

Dominic Lieven hat nun seine aktualisierte Sicht auf Russland, die Vorgeschichte der Julikrise und den Kriegsausbruch 1914 herausgebracht.

In Großbritannien/Europa erschienen unter dem Titel:
Towards the Flame - Empire, War and the End of Tzarist Russia (Mai 2015)

und USA:
The End of Tsarist Russia: The March to World War I and Revolution (August 2015)

Ich habe es bislang nur überflogen, insbesondere die erneute Darstellung zu den Mobilisierungsereignissen 1908, 1912 und 1914. Seine Positionierung insbesondere zu Bobroff ("balanced account") und McMeekin ("more polemical work") überrascht nicht.
 
Ergänzend dazu ein Hinweis:

Dominic Lieven hat nun seine aktualisierte Sicht auf Russland, die Vorgeschichte der Julikrise und den Kriegsausbruch 1914 herausgebracht.

In Großbritannien/Europa erschienen unter dem Titel:
Towards the Flame - Empire, War and the End of Tzarist Russia (Mai 2015)

und USA:
The End of Tsarist Russia: The March to World War I and Revolution (August 2015)

Ich habe es bislang nur überflogen, insbesondere die erneute Darstellung zu den Mobilisierungsereignissen 1908, 1912 und 1914. Seine Positionierung insbesondere zu Bobroff ("balanced account") und McMeekin ("more polemical work") überrascht nicht.

Es sind eine Reihe von Punkten, eher Nebenaspekte, die mir in dem neuen Buch von Lieven aufgefallen waren, neben der zu erwartenden eher kritischen Sicht auf McMeekin.

1. Entsprechend den Aufzeichnungen von Bark die Einschätzung von "Nikolaus" am 24.07. nach der Information durch Sazonow, dass er nicht an aggressive Absichten von KW II glauben konnte. Als Begründung wird angeführt, dass nach dem verlorenen Krieg 1905 und der Revolution die Chancen für einen erfolgreichen Krieg gegen Russland bei ca. 100 Prozent bewertet worden sind.

Vor diesem niedrigen Ausgangsniveau wird die enorme Dramatik deutlich, die dann zur Beschleunigung der Ereignisse führte. Diese Aspekte muss man nicht noch einmal ausführen.

2. Und Lieven weist zu Recht auf den enormen Nationalismus, vor allem der Serben, hin als zentrale Größe für das Verständnis der scheinbaren Zwangsläufigkeit der Ereignisse. Ist bei Clark eigentlich wenig Verständnis für diesen Aspekt erkennbar wird bei anderen deutlich, wie stark gerade die Serben sich an dem deutschen nationalen Einigungsprojekt orientiert haben. Und gerade diese zielorientierte Determinierung der Bildung einer serbischen Nation in einem "Groß-Serbien" dem deutschen "Erfolgsmodell" nachzueifern suchte.

Eigentlich erstaunlich, dass man in Berlin die enormen Kräfte des serbischen Nationalismus nicht korrekt eingeschätzt hatte und zu einer kooperativen Lösung für Wien geraten hat. Hinterher ist man immer klüger.

Insgesamt finde ich es, so mein bisheriger Eindruck, "solide" und aktualisiert nochmal die russische Sicht.
 
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Es sind eine Reihe von Punkten, eher Nebenaspekte, die mir in dem neuen Buch von Lieven aufgefallen waren, neben der zu erwartenden eher kritischen Sicht auf McMeekin.

Ja, es sind die feinen Veränderungen, auf die bei der "Auffrischung" seiner Forschung zur russischen Rolle im Kriegsausbruch 1914 zu achten ist.

Zusätzlich zur den geschilderten Details der Mobilisierungsvorgänge, insbesondere 1912, sind mir aufgefallen.

- die russischen Motive in der Liman-Krise
- der fehlende Bezug zum Great Game und zu den Marinekonvention-Gesprächen mit Großbritannien, dafür aber "kompensatorisch" der Ansatz, russische strategische Überzeugungen 1912/14 in Richtung auf eine kommende deutsch-britische Entente darzulegen, die aufgrund des maritimen Rüstungswettlaufes nahezu unvermeidbar sei.

Sind alles Aspekte, die in "Langthemen" auch hier im Forum schon eingehend diskutiert worden sind.
 
1. Entsprechend den Aufzeichnungen von Bark die Einschätzung von "Nikolaus" am 24.07. nach der Information durch Sazonow, dass er nicht an aggressive Absichten von KW II glauben konnte. Als Begründung wird angeführt, dass nach dem verlorenen Krieg 1905 und der Revolution die Chancen für einen erfolgreichen Krieg gegen Russland bei ca. 100 Prozent bewertet worden sind.

Vor diesem niedrigen Ausgangsniveau wird die enorme Dramatik deutlich, die dann zur Beschleunigung der Ereignisse führte. Diese Aspekte muss man nicht noch einmal ausführen.

Ich habe vermutlich gerade ein Verständnisproblem, daher bitte ich es gleich zu entschuldigen, falls ich etwas falsch verstanden habe. Aber wie kann Sazonow als Grund für das nicht aggressive Verhalten von Kaiser Wilhelm II. mit der 100%tigen Chance eines erfolgreichen Krieges gegen Russland argumentieren? Gerade wenn er von einer Niederlage Russlands ausgeht, müsste man doch gerade von einem eher aggressiven Verhalten ausgehen.
 
Lieven bezieht sich hier auf die "Bark Collection", in denen die Memoiren enthalten sind.

Die Einschätzung von Nikolaus II. bezog sich auf deutsche Erfolgsaussichten nach dem Ausgang des russ.-japan. Krieges 1905 und der Revolution, infolge derer der Zar Russland als nicht verteidigungsbereit gegen einen deutschen Angriffskrieg und in aussichtsloser Position befindlich angesehen habe.

Das Deutsche Reich habe damals nicht die "Chance" genutzt, deshalb könne er nun nicht daran glauben, dass man nunmehr einen Europäischen Krieg in Folge eines österreichischen Angriffs auf Serbien riskieren würde.

Bark ergänzte, Deutschland werde seine erreichten ökonomischen Erfolge und seine weltweiten Interessen nun nicht wegen der Julikrise aufs Spiel setzen.
Damit lagen beide konträr zur Auffassung Sazonovs, der die Risikopolitik hinsichtlich des Ultimatums eben so einschätzte, dass die Mittelmächte den Balkankrieg riskieren, wenn sie nicht durch feste Haltung abgeschreckt würden. Im Fall des Angriffs sah S. den Europäischen Krieg als unvermeidlich an.
 
Noch eine Info zu McMeekins Titel "Russlands Weg...". Dieser Titel war im Englischen ursprünglich zwei Jahre vor McMeekins Werk "Juli 2014" erschienen, 2011, während das Juli-Buch 2013 erschienen war.

"Juli 2014" ist sozusagen die Weiterentwicklung von "Russlands Weg...", dessen zugespitzte Thesen - wohl berechtigt - wenig Akzeptanz in der Fachkritik gefunden hatten.
Selber hatte ich zunächst McMeekins "Juli 2014" gelesen, dann allerdings auf die Lektüre von "Russlands Weg...." verzichtet aufgrund der schon auf der Rückseite des Titel angeführten überspitzten Thesen & Perspektiven, die so mit "Juli 2014" nicht mehr gleichermassen vertreten wurden, und der Erkenntnis, dass "Russlands Weg..." das ältere, eigentlich schon überholte Werk des Historikers war.

Sehr schade, dass der hiesige Europa-Verlag die deutschsprachige Ausgabe von "Russlands Weg" als neueren Titel und leicht sensationelle Arbeit auf den Markt gebracht hat, wenn auch aus Absatzgründen verständlich, nachdem sich "Juli 2014" zum kleinen Bestseller entwickelt hatte.
 
Im Falle eines Angriffs von Ö-U auf Serbien, mit unvermeidlich vorhandener Deckung des DR?

Ja, für den Fall.

Sazonow ging zunächst einmal wie sein Umfeld (zutreffend) davon aus, dass das DR hinter dem Ultimatum stecken würde und ÖU kalkulierte Rückendeckung gegen ein Eingreifen anderer Großmächte geben würde.

Seine Auffassung, dass der "Europäische Krieg" unvermeidlich würde, wenn ÖU Serbien angreift, stammt aus dem legendären Telefonat Sazonow-Nikolaus II. Er ergänzte, dass ÖU/DR den Balkankrieg beabsichtigten, um ihre gegenwärtige militärische Stärke auszunutzen. Der Zar hatte die etwas andere Einschätzung, hier gerade diskutiert, http://www.geschichtsforum.de/f62/r...intritt-den-ww1-48326/index11.html#post751561
nach der er für unwahrscheinlich hielt, dass man einen Europäischen Krieg provozieren würde.

Das steckt den Rahmen ab, in dem dann über die "feste Haltung" Russlands durch diplomatische Festlegung auf serbische Unterstützung (was nur die vorher - vor dem Ultimatum - an ÖU klar ausgesandten Signale bekräftigte) und die Teil-Mob. Russlands im Kreis der maßgebenden russischen Militärs und Minister gesprochen wurde. Man entschied sich zur Eskalation mit dem Kalkül der Abschreckung.

Interessant ist nun, welche neuen Erkenntnisse Lieven über die russische interne Einschätzung einer Teil-Mob. abgibt. Die stützt er nämlich wesentlich auf die frühere Erfahrung 1908/1912. Daraus erhellt, was man eigentlich mit der Idee und der Drohung verbunden hat, und wie man Eskalation unterschätzte. Das ist aber ein anderer Aspekt. Hier war der Faktor wichtig, dass man davon ausging, die Mittelmächte würden keinen "Europäischen Krieg" wegen Serbien riskieren, sondern von der Risikostrategie zurückzucken.
 
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