Wie schon von anderen festgehalten: Der Stoff war durchaus flexibel.
Der nordischen Völsungen-Sage zufolge ist Budli der Vater der Brynhild und des Atli ("Alsviðr svarar: 'Þú hefir sét Brynhildi Buðladóttur, er mestr skörungr er.'"; "Þar kom Buðli konungr með dóttur sína ok Atli, sonr hans, ok hefir þessi veizla staðit marga daga."). Das passt mit dem Nibelungenlied nun überhaupt nicht zusammen, wo Prunhild die Königin von Island ist, Attila aber der König von Ungarn; in der nordischen Þiðrekssaga wiederumsitzt Brünhild auf einer Burg in einem See im Schwabenland.Will sagen: Alle diese Sagen drehen sich um einen gemeinsamen Kern, sie erzählen die Geschichte aber alle anders und erheben absolut keinen Anspruch auf historische Korrektheit.
Man mag nun darüber streiten, ob sich im Namen Budli/Botelunge der Name des Bleda erhalten hat (linguistisch gesehen hätten wir dann eine Metathese vorliegen). Bleda war der ältere Bruder des Attila und sein Mitregent, den Attila schließlich ermordete. Es mag sein, dass die mündliche Erinnerung aus ihm zunächst den Vorgänger und später dann, der dynastischen Musterfolge entsprechend, den Vater.
Wenn dann noch Bloedelin auftaucht, der Bruder des Etzel, hat man Bleda ein zweites Mal im Nibelungenlied, wenn auch nicht gleichrangig mit Etzel als König: "do kom der herre Bloedel mit drin tvseneden dar | der Ecel bruoder vzer Hvnen lant [...] dabi so stuont vil nahen des kvniges bruoder Blodelin."
Wie ist das zu erklären? Schlicht und einfach so, dass zwei parallele Überlieferungen vorlagen, die zusammengeführt wurden. So etwas findet man im MA häufiger, nicht nur in literarischen, auch in historiographischen Texten. So geben die Quedlinburger Annalen z.B. sowohl Geschichten aus der Dietrichsepik zum Besten, als auch dass sie an die historische Überlieferung angebunden sind: Sie vermischen beides sogar, weil der oder die Verfasser offensichtlich nicht in der Lage waren, historisches von Sagenhaftem zu trennen. Ähnlich ist es in der spanischen Primera Crónica General aus dem 13. Jahrhundert, die im Prinzip eine Kompilation aus vielen älteren Texten ist, die z.T. vom Vers in die Prosa übertragen wurden (ihr Verdanken wir, dass wir einige Texte, die nur teilweise oder gar nicht erhalten sind, rekonstruieren können). Jedenfalls berichtet die Primera Crónica General zweimal die Geschichte von Rodrigo Díaz (el Cid), einmal nimmt sie die Historia Roderici als Grundlage und zum anderen den Epos Poema de Mio Cid. Beide Texte verwendet sie gleichwertig als historische Quellen.
Es liegt also im Bereich des Möglichen, gerade auch aufgrund der Verbreitung des Stoffs, dass Attilas Bruder über zwei Überlieferungsstränge, die im Nibelungenlied wieder zusammengeführt wurden, als sein Vater und als sein Bruder wieder auftauchen.