Normannen... Graf und Baron?

Holger_S

Neues Mitglied
Hallo alle zusammen,

ich habe Fragen bzgl. der Normannen um 1.066 n Chr. hinsichtlich ihres Feudalsystems. Jetzt habe ich ein paar Bücher und ein paar Seiten im www gelesen, aber leider bin ich nun ein wenig verwirrt. Mich interessiert:

- Welche feudalen "Ränge" und Adelstitel hat es bei den Normannen gegeben?
- Welche Rechte und Pflichten hatten sie? Die, wie sie in den anderen "Reichen" Europas üblich waren, oder gibt es starke Unterschiede?
- Wieviele Adelige konnte einem anderen Adeligen als Vasall dienen? Gab es Beschränkungen?
- Wurde das "Heer der Normannen" auch wie anderenorts üblich in "Lanzen und Banner" gegliedert?

Ich bedanke mich und viele Grüße

Holger_S
 
- Welche feudalen "Ränge" und Adelstitel hat es bei den Normannen gegeben?
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Zunächst die Normandie:
Das Feudalsystem des normannischen Herzogtums, von dem aus Wilhelm 1066 zu seiner Eroberung nach England übersetzte, unterschied sich nicht wesentlich von den anderen Regionen Frankreichs.
Das Herzogtum war in mehrere Grafschaften unterteilt. Die Aufgabe eines Grafen (Comte) war vor allem die Rechtsprechung und das Eintreiben der Steuern. Das besondere in der Normandie aber war das der Herzog selbst in Besitz nahezu aller Grafenrechte seines Herrschaftsbereiches war. In anderen Herzogtümern wie Aquitanien oder Burgund war dies nicht der Fall, dort konnten sich mächte Grafendynastien etablieren die ihren Herzögen gelegentlich schwer zu schaffen machen konnten.
Da die normanischen Herzöge aber nicht überall zugleich vor Ort sein konnten setzten sie Vizegrafen (Vicomtes) in den Grafschaften ein, welche als Stellvertretter des abwesenden Grafen (also dem Herzog) für diesen die Aufgaben eines Grafen war nahmen. Diese Vizegrafschaften waren erblich, aus ihnen entwickelten sich einige Familien die später auch in England Fuss fasten wie z.B. die Montgomerys welche die Vizegrafschaft von Hiérmois inne hatten.
Die Macht der normannischen Adelsfamilien basierte aber vor allem auf denn Besitz und Neubau von Burgen den sie durch vorteilhafte Heiraten erweitern konnten. Die Bellême-Familie z.B. besahs bis zu 40 Burgen.

Der Herzog selbst war formal dem König untergeben. Doch diese Vasallität war im 10. und 11. Jahrhundert, wo das franz. Königtum kaum Einfluss besahs, nur eine Formsache. Wilhelm selbst zog mehrfach das Schwert gegen den König.


In England:
Nachdem Wilhelm der Eroberer die Schlacht von Hastings 1066 für sich entschied und so den englischen Thron gewinnen konnte behielt er das bereits bestehende englische Feudalsystem bei um sein neues Königreich zu regieren.
Die Basis dieses Systems wurde von den angelsächsischen Königen Englands geschafen welche des Königreich in 100 Shires gliederten in denen ein Reeve (Sheriff) für Recht und Ordnung sorgte und die Steuern einnahm. Ein Alderman war für die Verteidigung eines Shires verantwortlich und befehligte das Aufgebot seines Shires im Heer des Königs.
Der Dänenkönig Knut der Große, welcher schon einmal England erobert hatte, ernannte zu besseren Kontrolle über England mehrere seiner dänischen Getreuen zu Earls und überantwortete ihnen ein Territorium (Earldom) das mehrere Shires umfasste. Diese Earls beaufsichtigten die meist einheimischen Reeves und hatten Anspruch auf ein Drittel der erbrachten Steuereinnahmen. Auch hatten sie damit eine wesentlich höhere militärische Macht, Earl Siward von Northumbrien z.B. mischte sich aktiv in die Thronfolgekämpfe in Schottland ein (MacBeth).
Nachdem die Angelsachsen wieder auf den Thron kamen behielten sie die Earldoms bei.
Im Gegensatz zu den Grafen in Frankreich war das Amt eines Earls allerdings nur de facto erblich. Das heißt sie regierten nicht aus eigenem (Erb)Recht sondern jeder Earl, auch der der seinem Vater nachfolgte, musste vom König bestättigt werden. Da aber auch das englische Königtum nach Knuts Tod an Macht verlor war auch dies nur eine Formsache. Wilhelms Gegner Harold II. und dessen Vater Godwin waren selber einmal als Earls von Wessex mächtige Männer.

Nachdem jedoch Wilhelm König wurde löste er die meisten Earldoms auf.
Zur Ausübung der königlichen Macht setzten er und seine Nachfolger wieder vor allem auf die Sheriffs die nun mehrheitlich von Normannen gestellt wurden. Auch das Amt eines Sheriffs war nicht erblich. Zudem wurden nur Männer aus wenig bedeutenden Adelsfamilien zu Sheriffs ernannt, so sollte verhindert werden das sich mächtigere Adelsfamilien Kompetenzen wie die Rechtsprechung aneignen.
Denn Titel eines Earls verlieh Wilhelm nun an seine engsten Vertrauten, von denen die meisten z.B. bei Hastings mit gekämpft hatten und die schon in der Normandie zu den hohen Adel zählten. Diese neuen Earltitel hatten aber nicht mehr die gleiche Bedeutung wie vor der Eroberung. Meistens umfaste ein so neu geschafenes County nicht mehr als ein Shire. Er wurde zu einer Art Ehrentitel, lediglich die Earls in den waliser Grenzmarken wie Cloucester, Hereford, Shrewsbury oder Pembroke in Wales behielten noch lange Zeit besondere Privilegien und Kompetenzen bei, bedingt durch ihre Kämpfe gegen die Waliser.
Der Earltitel wurde zwar erblich jedoch konnte der König diesen wieder einziehen sobald der Träger bei ihm in Ungnade fiel.
Die Macht der normannischen Adelsfamilien basierte in England, wie schon in ihrer französischen Heimat, auf den Bau von Burgen. Aus deren Besitz entwickelten sich die Baronien, die in der Familie erblich waren. Je mehr eine Familie davon in ihre Hand bringen konnte um so reicher und mächtiger wurden sie.
 
Hallo,

Danke schön für die ausführliche Antwort. Da sehe ich nun ein bißchen Licht im Dunkel :)

Viele Grüße

Holger_S

... der leider seinen Rechner erst jetzt wieder aus der Reparatur hat.
 
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