NS-Außenpolitik

Hitler hat die "Hess-Karte" mit hoher Sicherheit nicht aktiv gespielt, aber es deutet manches darauf hin, dass Hess im Sinne von Hitler zu einem Abkommen mit England kommen wollte. v.Weizsäcker beschreibt ihn als absoluten Überzeugungstäter, aber nicht als "Durchgeknallten".

Relevant ist vor allem aber, dass dieser Flug das Bedohungsszenario im Kreml noch verstärkte und sich Stalin einer potentiellen Koalition aus Deutschen und Engländern gegenüber sah, so die Berichte der Protagonisten, die einen Einblick in den Mikrokosmos "Kreml" hatten.

Die latente Drohung mit einem Friedensschluss mit England mußte Hitler gar nicht aktiv propagieren, die Gefahren, die aus dieser Lösung für die SU ausgingen waren mehr als evident.

Und sind ausgesprochen wichtig für das Verständnis des "Appeasement" von Stalin bis zur letzten Stunde.

In dieser Richtung einer Dreiekcsbeziehung argumentiert auch sehr stark Hillgruber.
Der Zweite Weltkrieg 1939 - 1945: Kriegsziele und Strategie der großen Mächte: Amazon.de: Andreas Hillgruber, Bernd Martin: Bücher
 
Hitler hat die "Hess-Karte" mit hoher Sicherheit nicht aktiv gespielt, aber es deutet manches darauf hin, dass Hess im Sinne von Hitler zu einem Abkommen mit England kommen wollte. v.Weizsäcker beschreibt ihn als absoluten Überzeugungstäter, aber nicht als "Durchgeknallten".

Hitler hat doch die Wehrmachtsspitze auf den Ostfeldzug beständig mit dem "Argument England" eingeschworen (dessen Substanz mal dahingestellt).

Beim Überzeugungstäter Hess kann sich das durchaus extrem gesetzt haben.

Provokativ könnte man die Frage stellen, ob Hitler ein Friedensschluss mit dem scheinbar geschlagenen England (das außerdem ab April in Nordafrika und dann auf dem Balkan schwere Schlappen eingesteckt hatte) vor Beginn des Ostfeldzuges überhaupt recht gekommen wäre.

Die Sicht Stalins würde ich außen vor lassen. Solche Querverbindungen wurden von Hitler mW nicht antizipiert.
 
1. Hitler hat doch die Wehrmachtsspitze auf den Ostfeldzug beständig mit dem "Argument England" eingeschworen (dessen Substanz mal dahingestellt).
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2. Provokativ könnte man die Frage stellen, ob Hitler ein Friedensschluss mit dem scheinbar geschlagenen England (das außerdem ab April in Nordafrika und dann auf dem Balkan schwere Schlappen eingesteckt hatte) vor Beginn des Ostfeldzuges überhaupt recht gekommen wäre.

3. Die Sicht Stalins würde ich außen vor lassen. Solche Querverbindungen wurden von Hitler mW nicht antizipiert.

zu 1. Ja, das betrifft die interne "Funktionalisierung" und zielt ja im wesentlichen auf den "Festlandsdegen" bzw. der drohenden Gefahr eine latent drohenden Zweifrontenkriegs.

zu 2. Mir geht es bei der Argumentation eher um die psychologische Seite, bei der die Fehlwahrnemung der politischen und militärischen Möglichkeiten und und die Unterstellung von Handlungsoptionen eine zentrale Dimension der realen Politik werden.

Bereits die antizipiert Möglichkeit einer vertraglichen Einigung zwischen England und Deutschland durch Stalin führte zu realen Handlungen im Bereich der Diplomatie zwischen der SU und derm DR. Dass es diese Befürchtungen von Seiten Stalin gab und das Stalin fürchtete erneut isoliert zu werden, dass wird das AA Hitler sicherlich auf die eine oder andere Art mitgeteilt haben.

zu 3. Die Person war aber wichtig für die Ausgangsthese der Instrumentalisierung. Außerdem wird ein derartig talentierter Macchiavellist wie Hitler durchaus erkannt haben, welche Auswirkungen der Flug von Hess auf die deutsch-russischen Beziehungen hatte. Dieser Flug war in seiner politiischen Bedeutung eine indirekte Drohung in Richtung Stalin.

Vermutlich hat Hitler diese indirekte Bedrohung nicht unmittelbar zu instrumentalisieren gewußt, aber er konnte die Drohung eines Friedenschlusses nach außen glaubhaft bis 41 !! aufrechterhalten. Unabhängig von der offiziellen Distanzierung zu diesem Flug.
 
Lass es uns zunächst einmal auf Hitlers Strategie beschränken und Stalin außen vor lassen. Richtig ist, dass Stalin die Offerte Hitlers zum Viermächtepakt zunächst engagiert angenommen hat, die diplomatische Reaktion aus Berlin war gleich Null, bis Feb.41. Sodann war die Jugoslawien-Krise im AA beherrschend, hier Stalins Reaktion. Es gibt - von Alleingängen der deutschen Botschaft in Moskau abgesehen - keine diplomatische Reaktion des AA (also von Hitler oder Ribbentrop) in Richtung Moskau, die man ausdeuten könnte.


Wenn Du Deine These weiter verfolgen willst, wäre ein Indiz erforderlich, dass zwei Aspekte umfaßt:

- einen Hinweis bzgl. Hitlers auf Einigung mit GB nach dem Molotow-Besuch in Berlin vom Nov.1940
- einen Hinweis, dass die Operation Barbarossa in letzter Minute unter bestimmten Umständen gestoppt worden wäre, sagen wie ab Januar 1941 (nachdem die sowjetische Note zum Viermächtepakt in Berlin eingegangen war).

Für beide Aspekte fehlt mE jede Grundlage. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass diesem Feldzug neben der rein militärischen Seite ("Eroberung" - im Vorfeld des Anfang 1941 als unvermeidbar angesehenen Eingreifens der USA, siehe zB die Ausführungen bei Salewski) weitere Seiten zukamen ("Vernichtung", "Weltanschaungskrieg"). Schließlich sollte nicht übersehen werden, dass Hitler diesen Angriff bereits für den Herbst 1940 wollte, wie er vor der Kapitulation Frankreichs bereits zum Ausdruck brachte. Das wurde nur aus logistischen Gründen abgeblasen - die Frage des Friedensschlusses mit GB spielte zu keinem Zeitpunkt eine Rolle.

Da der Zug am rollen war, kann man auch so zuspitzen: der Angriff wäre im Juni 1941 erfolgt, selbst wenn GB überraschenderweise im Mai 1941 um Waffenstillstand gebeten hätte.
 
Im Prinzip war mein Ausgangspunkt für die These (Posting vom 23.10.) die Aussage, dass im Rahmen des Dreicksverhältnis zwischen Hitler, Stalin Chamberlain/Churchill der Versuch von allen Seiten vorhanden war, eine numerische Überlegenheit - 2 vs 1 - herzustellen. Entweder als reale Bündniskonstellation oder auch nur als glaubhafte potentielle Bedrohung!

Ein zweiter Punkt: Es gibt sicherlich eine Reihe von diplomatischen Vorgehensweise bzw. Möglchkeiten, die Handlungen anderer Nationen zu beeinflussen. Unterscheiden würde ich (ohne Anspruch auf Systematik):
- zielgerichtete direkte Einflußnahme mit intendiertem Erfolg
- zielgerichtete indirekte Einflussnahme mit intendiertem Erfolg
- nicht intendierte Entwicklungen, aber ersichtliche Auswirkungen
- nicht intendierte Entwicklung und keine ersichtliche Auswirkungen, aber dennoch vorhandene Veränderungen

Die Frage ist, welche Form des Einflusses können wir unterstellen im Verhältnis von Hitler zu Stalin Ende 40 Anfang 41 unter Berücksichtigung der "indirekten" Rolle von GB?

Für die Beantwortung versuche ich nochmal meine These zu spezifizieren. Stalin wurde durch die Außenpolitik der DR sehr stark in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Auswirkungen waren als Erfüllung der Lieferverpflichtungen und der Lämung bei den militärischen für die Verteidung der westlichen Bezirke deutlich zu erkennen. Diese Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten wurde durch den Flug von Hess verstärkt, da er traditionelle Schablonen der Beurteilung von Außenpolitik bei Stalin wieder virulent werden liess.

Die "unnatürliche" Kooperation von Deutschland und der SU wurde durch die "Friedensangebote" von Hitler, dem Flug von Hess, der der zunehmenden Konfrontation in SW-Europa und dem zunehmenden Aufmarsch deutscher Truppen auch Stalin bewußt.

Eine Bewertung der Vorgehensweise von Hitler kann man also als:

- nicht intendierte Entwicklungen (da er keinen Einfluss auf den Flug von Hess hatte) und ersichtliche Einflußnahme

Das relative Wohlverhalten Stalins und sein Stillhalten konnte verzeichnet werden, trotz der anschwellenden Bedrohungssituation durch den Aufmarsch der Wehrmacht.

Und ja, natürlich wäre Operation Barbarossa durchgeführt worden, bei einem Waffenstillstand noch eher und mit mehr Begeisterung, da Hitler ja genau die "Fronten" dann gehabt hätte, an denen er eigentlich interessiert war.

Und diese potentielle Gefahr war ja der Ansatzpunkt für das Stillhalten von Stalin.

Anderes Beispiel, um den Mechanismus zu verdeutlichen, auf den ich hinaus möchte (manchmal ist es sehr kompliziert alles schriftlich zu fixieren, was mündlich leicht zu klären wäre) ist eine Idee von Weizsäcker (glaube ich, habe im Moment sehr viel parallel gelesen sorry), in der er über eine Friedensordnung nachdenkt und keine Probleme an der Ostgrenze erwartet, sofern Deutschland in Frieden mit seinen westlichen Nachbarn lebt und über eine angemessene militärische Stärke verfügt.

Dieses Argument unterstreicht, dass Stalin immer in seinen Überlegungen von einem Krieg der Syteme ausgehen mußte, die unweigerlich zu einer Isolierung der SU führen würde gegen die "kapitalistischen Staaten".

Stalin als Bündnispartner war für die westlichen Staaten nur so lange attraktiv, wie die unmittelbare Bedrohung durch Hiler aufrecht erhalten wurde. Eine Eleminierung seiner Person oder eine Annäherung des Westens an Deutschland hätte sofort eine unmittelbare Bedrohung für die SU bedeutet.
 
Noch eine Überlegung zu den Handlungsoptionen im Jahr 40/41 für die SU, GB und der SU.

Ausgangspunkt ist erneut die Frage, wieso es aus der Sicht von Stalin realistisch war, von einem potentiellen Vergleich und Friedensschluss zwischen GB und DR auszugehen. Wieso überschätzte er die realen Optionen der NS-Außenpolitik zu einem Friedensabschluss zu kommen, obwohl Maisky als Botschafter in London diese Gefahr nicht dramatisiert hat.

Mitte 40, nach dem Zusammenbruch von Frankreich, hat Churchill konzeptionell im Rahmen seiner "großen Strategie" an einem Bündnis der USA, SU und von GB gefeilt. Kurz nach dem Zusammenbruch Frankreich überbrachte Cripps, als neuer Sonderbotschafter in der SU ein Schreiben Churchills, das als Gesprächsangebot an Stalin zu bewerten ist.

In diesem Brief ging er jedoch von dem Vorkriegsstatus-quo aus und stellte somit die Besetzung der baltischen Staaten und der östlichen Gebiete Polens in Frage (nebenbei: Gebiete, die vor 1918 zum zaristischen Russland gehörten) Interessant an dieser Forderung ist, dass Churchill sich die amerikanische Sichtweise / FDR zu Eigen gemacht hatte, die noch auf einer Konfrontation zur SU hinausliefen.

ZU dieser Position bekannte sich Churchill deswegen, da er zu diesem Zeitpunkt darauf bedacht war, die amerikanischen Vorurteile gegen das Appeasementprogramm von Chamberlain zu zerstreuen. In diesem Sinne war GB Mitte 40 nicht mehr fähig eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben.

Vor diesem Hintergrund hat Stalin die außenpolitischen Vorstellungen Churchills abgelehnt, da sie die Sicherheitsinteressen der SU nicht ausreichend berücksichtigt haben. Und es wird evident, dass Hitler aus der Sicht von Stalin der attraktivere Bündnispartner war, um Win-Win-Positionen aufzubauen.

Dieses "Zerwürfnis" bzw. diese nicht genutzte Chance von beiden Seiten war einer der wichtigen Voraussetzungen, warum Stalin immer mit einer Annäherung zwischen der GB und dem DR gerechnet hat und der Flug von Hess seine schlimmsten Befürchtungen bestätigte.

Es gibt keine Hinweise, und da stimme ich Silesia zu, dass Hitler oder Ribbentrop, bewusst versucht haben, die SU unter Druck zu setzen durch zur Schau gestellte diplomatischen Aktionen in Richtung GB.

Vermutlich konnten beide noch nicht mal wissen, auf welche Weise die ideologisch bedingte Analyse von Kriegen bei Stalin noch eine Rolle für seine praktische Politik spielte. Stalin ist von Mitte 40 bis Mitte 41 an diesem Punkt vermutlich auch das Opfer seiner spezfischen Ausdeutung von kapitalischen Kriegen geworden, die zusätzlich geprägt waren durch die Intervention von amerikanischen, englischen und französichen Truppen am Ende des WW1 in der SU.
 
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Die Frage ist, welche Form des Einflusses können wir unterstellen im Verhältnis von Hitler zu Stalin Ende 40 Anfang 41 unter Berücksichtigung der "indirekten" Rolle von GB? ...Stalin wurde durch die Außenpolitik der DR sehr stark in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Sollte man nicht besser annehmen: durch den Stalin überraschenden Kriegsverlauf? Eine erste - wenig beachtete Konsequenz war der "Rückzieher" in der Bukowina-Frage. Rumänien gewann durch die Anlehnung an Deutschland, dieses wiederum konnte im Juli 1940 Frankreich besiegen. Die SU mußte bzgl. der Annexionsforderungen zurückrudern, was in der Weise noch im April 1940 sicher nicht in Moskau erwartet wurde.

Diese Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten wurde durch den Flug von Hess verstärkt, da er traditionelle Schablonen der Beurteilung von Außenpolitik bei Stalin wieder virulent werden liess.
Hat der Hess-Flug auf beide Aspekte tatsächlich eingewirkt? - die Knebelung der Strategien in den westbezirken ergab sich schon seit Januar, die Lieferungen erfolgten 1941 eigentlich flüssig, nachdem man viele Monate zäh verhandelt hatte.

thanepower;454081 Anderes Beispiel schrieb:
Und das im Dissens zu seinem Chef Ribbentrop, der die Dinge genau anders herum beurteilte (GB=Hauptfeind) und seine "Friedensstrategie" 1940/41 darauf ausrichtete.

Daraus resultiert eine Frage: welche indentierten Auswirkungen gab es denn durch das Verhalten von Ribbentrop ggü. der SU, der hier auch insoweit nicht mit Hitler übereinstimmte? Welche Irritationen/Fehlbeurteilungen hat speziell Ribbentrops Kurs in Moskau hervorgerufen?

Wieso überschätzte er die realen Optionen der NS-Außenpolitik zu einem Friedensabschluss zu kommen, obwohl Maisky als Botschafter in London diese Gefahr nicht dramatisiert hat.
Nochmal zu dieser These: warum sollten wir ein Überschätzung dieses Aspektes unterstellen? Die Handlungen Stalins sind doch auch plausibel, wenn er einen Bedingungsfrieden im Westen unterstellt - in jedem Fall hat er (wie die massive Aufrüstung zeigt) einen Konflikt zu Lande mit dem Deutschen Reich, möglicherweise durch Japan unterstützt, unterstellt.

Vermutlich konnten beide noch nicht mal wissen, auf welche Weise die ideologisch bedingte Analyse von Kriegen bei Stalin noch eine Rolle für seine praktische Politik spielte. Stalin ist von Mitte 40 bis Mitte 41 an diesem Punkt vermutlich auch das Opfer seiner spezfischen Ausdeutung von kapitalischen Kriegen geworden, die zusätzlich geprägt waren durch die Intervention von amerikanischen, englischen und französichen Truppen am Ende des WW1 in der SU.
Da stimme ich zu. Diese Sichtweise einer Einkreisungsphobie hatte die SU seit 20 Jahren, in denen man sich - aus Moskauer Sicht - auf die Invasion der kapitalistischen Staaten vorbereitete. Selbst die hektische Industrialisierung kann man (auch) auf diesen Aspekt zurückführen. Stalin hielt das wohl nur für eine Frage des Zeitpunktes.
 
1. Sollte man nicht besser annehmen: durch den Stalin überraschenden Kriegsverlauf? Eine erste - wenig beachtete Konsequenz war der "Rückzieher" in der Bukowina-Frage. Rumänien gewann durch die Anlehnung an Deutschland, dieses wiederum konnte im Juli 1940 Frankreich besiegen. Die SU mußte bzgl. der Annexionsforderungen zurückrudern, was in der Weise noch im April 1940 sicher nicht in Moskau erwartet wurde.


2. Hat der Hess-Flug auf beide Aspekte tatsächlich eingewirkt? - die Knebelung der Strategien in den westbezirken ergab sich schon seit Januar, die Lieferungen erfolgten 1941 eigentlich flüssig, nachdem man viele Monate zäh verhandelt hatte.


3. Und das im Dissens zu seinem Chef Ribbentrop, der die Dinge genau anders herum beurteilte (GB=Hauptfeind) und seine "Friedensstrategie" 1940/41 darauf ausrichtete.

4. Nochmal zu dieser These: warum sollten wir ein Überschätzung dieses Aspektes unterstellen? Die Handlungen Stalins sind doch auch plausibel, wenn er einen Bedingungsfrieden im Westen unterstellt - in jedem Fall hat er (wie die massive Aufrüstung zeigt) einen Konflikt zu Lande mit dem Deutschen Reich, möglicherweise durch Japan unterstützt, unterstellt.


5. Da stimme ich zu. Diese Sichtweise einer Einkreisungsphobie hatte die SU seit 20 Jahren, in denen man sich - aus Moskauer Sicht - auf die Invasion der kapitalistischen Staaten vorbereitete. Selbst die hektische Industrialisierung kann man (auch) auf diesen Aspekt zurückführen. Stalin hielt das wohl nur für eine Frage des Zeitpunktes.

zu 1. als Molotow im November in Berlin war sollte er, laut Vorgabe von Stalin fragen, ob die Information zutreffen würde, dass Hitler via FDR ein Friedensangebot an Churchill geschickt hat. Für Stalin war es eher ein Mosaik, das er sich zusammengebaut hat und jede weitere Information vertiefte sein Mißtrauen gegenüber den Absichten Churchills.

Ja, der überrschende Kriegsverlauf dynamisierte das "außenpolitische Programm" - sprich die Annexionen - vor allem im Baltikum und in Finnland.

Der Balkan war für das Verhältnis von SU und DR komplizierter gelagert, da die Zuordnung der "Interessensphären" nicht so eindeutig war wie im Fall des Baltikums und von Finnland. Stalin agierte hier nicht so "forsch", da die vertagliche Seite ihn nicht legitierte so zu handeln. An dem Punkt war Stalin ein erstaunlicher "Legalist".

Als "Hintertreppenwitz" der Diplomatie muss man wohl in diesem Zusammenhang erwähnen, dass Ribbentrop bei seinem Besuch in Moskau die Zusage von Hitler in der Tasche hatte, Stalin gegenüber das komplette politische - also im Sprachgebrauch Hitlers territoriale - Desinteresse bis zum Bosporus zuzusagen.

zu 2. Das Merkwürdige am Frühsommer 41 ist ja, dass mit der Zunahme der als bedrohlich zu interpretierenden Indikatoren, dem Aufmarsch der Wehrmacht und der deutlichen Zunahme der Luftraumverletzungen durch "Spionageflugzeuge" der Luftwaffe, Stalins Position gegenüber seinen Generälen hart blieb. Es war den Flakbesatzungen der Roten Armee auf das Schärfste untersagt, auf deutsche Flugzeuge zu schießen. Trotz Teilmobilisierung erfolgte keine kriegsmäße Dislozieung der Truppen, keine Dezentralisierung auf die "Kriegsflugplätze etc.

In diesem Sinne wirkte der Hess-Flug stimulierend auf die harte Haltung Stalins, sein Appeasement-Programm für das Jahr 41 konsequent durchzuziehen. Wobei er eigentlich "nur" den August erreichen wollte, ohne Kriegszustand, da ein späterer Angriffstermin durch die Wehrmacht als unwahrscheinlich für ihn galt Winter etc.)

zu 3. ja schon. v.Weizsäcker wurde am Vorabend der Entscheidung zu Barbarossa gebeten, seine Position zu verdeutlichen. v. Weizsäcker hat ein Memorandum erstellt, in dem er sich eindeutig gegen den Angriff aussprach und somit voll auf der Linie v. Schulenburg und Köstrins lag. Erst später hat er per Akteneinsicht nach dem Krieg gesehen, dass sich Ribbentrop voll hinter den Angriff auf die SU gestellt hat.

zu 4. Hätte Stalin dem kategorischen "Nein" von Chruchill zu einem Frieden unter Akzeptanz des Status quo auf dem Kontinent getraut, wäre er ja aus seiner "Einkreisungsangst" und der projizierten Gefahr eines "Mehrfrontenkriegs" entkommen. "Lediglich" Deutschland als einziger Gegner war schon eine tödliche Bedrohung für Stalin, aber eine Koalition der kapitalistischen Staaten, GB und DR unter Einschluss der Satelliten und Verbündeten wären für Stalin der außenpolitische Mega-Gau gewesen.

Vor diesem Hintergrund kann man diese Gefahr aus der Sicht Stalins nicht hoch genug bewerten.

zu 5. ja, er ergibt sich ein direkter Bezug zwischen der "traumatischen" Erfahrung der Besetzung Russlands 1918 folgende Jahre und seinem harten Kurs der Industriealisierung. Auf einer Rede im Jahr 31 hat er der SU 10 jahre gegeben, ihren industriellen Rückstand aufzuholen und zu einer Wirtschaftsmacht zu werden, die über ein angemessenes rüstungswirtschaftliches Potential verfügt (hartgesottene Revisionisten haben diese Zitat noch nicht erkannt, da sie sofort in dieser Einschätzung eine direkte Angriffsplanung für das jahr 41 erkennen würden:autsch:).

Diese Einschätzung hat ja dazu geführt, dass die SU, im Gegensatz zum DR, über eine veritable "Tiefenrüstung" verfügte, bei der man die Gleichung "Wirtschaftskraft = Rüstungspotential" durchaus vornehmen konnte.
 
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zu 1. als Molotow im November in Berlin war sollte er, laut Vorgabe von Stalin fragen, ob die Information zutreffen würde, dass Hitler via FDR ein Friedensangebot an Churchill geschickt hat. Für Stalin war es eher ein Mosaik, das er sich zusammengebaut hat und jede weitere Information vertiefte sein Mißtrauen gegenüber den Absichten Churchills.

Eigentlich war das ja überflüssig, da Hitler diese Interessenregelung mit GB schon im Juli 1940 vorgebracht hatte. Es kann also nur um ein update gegangen sein (nach der Luftschlacht und der abgesagten Landung).


zu 5. ja, er ergibt sich ein direkter Bezug zwischen der "traumatischen" Erfahrung der Besetzung Russlands 1918 folgende Jahre und seinem harten Kurs der Industriealisierung. Auf einer Rede im Jahr 31 hat er der SU 10 jahre gegeben, ihren industriellen Rückstand aufzuholen und zu einer Wirtschaftsmacht zu werden, die über ein angemessenes rüstungswirtschaftliches Potential verfügt (hartgesottene Revisionisten haben diese Zitat noch nicht erkannt, da sie sofort in dieser Einschätzung eine direkte Angriffsplanung für das jahr 41 erkennen würden:autsch:). Diese Einschätzung hat ja dazu geführt, dass die SU, im Gegensatz zum DR, über eine veritable "Tiefenrüstung" verfügte, bei der man die Gleichung "Wirtschaftskraft = Rüstungspotential" durchaus vornehmen konnte.

Da würde ich noch einen Schritt weiter gehen: die Industrialisierung hatte mittelbar, aber kurzfristig zur Folge, dass von der alten Kriegsführung im weiten Hinterland mit großen Rückzugsräumen (ein Aspekt bei Lenin: Schlachten durch Abstimmung mit Füßen, was nicht nur quantitativ gemeint gewesen ist) abgegangen werden mußte: die tiefe Angriffsoperation setzte sich nun durch, da man im Zuge der Industrialisierung keine aufzugebenden Räume mehr besaß (zu besitzen glaubte). Den Aspekt findet man bei Shukow und Stalin in den Grenzschlachten 1941 wieder.
 
nagut OT: Diese Form der Diskussion war auch eine der zentralen Unterschiede zwischen Swetschin und Tuchatschewski. Swetschin argumentierte für die Defensive und begründete es zu großen Stücken mit der rüstungswirtschaftlichen Unterlegenheit Russlands in den 20 und 30er Jahren.

Tuchat. vertrat eine konträre Position und begründetete sie teilweise auch mit der ideologisch untermauerten offensiven Haltung der Bolshewiki. Vor diesem Hintergrund ist es evident, dass Swet. schnell als Verräter am russischen Volk gebrandmarkt wurde und seine sinnvollen Überlegungen für die strategische Diskussion keine Rolle in den 30er Jahren mehr gespielt hat.

Sally. W. Stöcker weist in einem Buch über Tuchat. als militärischen Innovator allerdings darauf hin, dass Tuchat. in einer "Geheimstudie", kurz vor seiner Exekution, sich gedanklich an die Vorstellungen von Swet. angenähert hat und die militärpolitische Konzeption der SU von der Vorwärtsverteidigung auf eine defensive Haltung umstellen wollte.

Unklar ist, ob es sich dabei lediglich um eine typische "Was wäre Wenn"-Studie handelt, oder es sich wirklich um die Blaupause für eine Neuausrichtung der Militärdoktrin handelte.

Wieder ein wenig ON-Topic: Noch ein kurzes Wort zur Ausgangsthese. Ich wollte einfach meine Beobachtung systematisieren, dass es wohl noch nie eine Zeit - um das Jahr 1940 - gab, in der soviele Akteure so weitreichende Entscheidungen in Unkenntnis der realen Positionen der Gegenspieler durchgeführt haben.

Das Prelude zu dieser komplexen Situation war vielleicht am ehesten die "unübersichtliche Situation" am Vorabend zum WW1.

Und sie (Hitler, Stalin, Churchchill, Mussolini, Hirohito und FDR) waren eigentlich alle zusammen eher "Zauberlehrlinge", die das System durchaus beeinflussen konnten, aber das System der globalen Politik hat durch die Reaktionen der Gegenseite jeweils eine so hohe Eigendynamik entfaltet, dass von einer wirklichen Kontrolle nicht gesprochen werde kann und intendierte Effekte sich nicht selten anders oder kontraproduktiv auswirkten.

Und auch die Idee einer Funktionalisierung von "Dritten" für die eigene Zwecke hat punktuell funktioniert, aber nicht kontinuierlich und nicht immer in die gleiche Richtung.

Vielleicht bleibt als Resümee nur die leicht philosophische Erkenntnis, dass die Aufrechterhaltung von Frieden eine viel zu komplizierte Angelegenheit ist, als dass Menschen an den Schaltern zum Kriegseintritt sitzen sollten. Sie irren sich einfach zu häufig oder überschätzen sich maßlos oder in ganz schlimmen Fällen tun sie beides.

Erst die perverse Übersteigerung der militärischen Drohung im Rahmen "mutual assured destruction" (Atomwaffenoverkill) scheint das Problem der Rationalität in den Zwischenstaatlichen Beziehungen ausreichend wieder verankert zu haben. Und das Primat der ideologisch begründeten Angriffskriege in den Bereich der Undurchführbarkeit verwiesen.
 
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