1. Sollte man nicht besser annehmen: durch den Stalin überraschenden Kriegsverlauf? Eine erste - wenig beachtete Konsequenz war der "Rückzieher" in der Bukowina-Frage. Rumänien gewann durch die Anlehnung an Deutschland, dieses wiederum konnte im Juli 1940 Frankreich besiegen. Die SU mußte bzgl. der Annexionsforderungen zurückrudern, was in der Weise noch im April 1940 sicher nicht in Moskau erwartet wurde.
2. Hat der Hess-Flug auf beide Aspekte tatsächlich eingewirkt? - die Knebelung der Strategien in den westbezirken ergab sich schon seit Januar, die Lieferungen erfolgten 1941 eigentlich flüssig, nachdem man viele Monate zäh verhandelt hatte.
3. Und das im Dissens zu seinem Chef Ribbentrop, der die Dinge genau anders herum beurteilte (GB=Hauptfeind) und seine "Friedensstrategie" 1940/41 darauf ausrichtete.
4. Nochmal zu dieser These: warum sollten wir ein Überschätzung dieses Aspektes unterstellen? Die Handlungen Stalins sind doch auch plausibel, wenn er einen Bedingungsfrieden im Westen unterstellt - in jedem Fall hat er (wie die massive Aufrüstung zeigt) einen Konflikt zu Lande mit dem Deutschen Reich, möglicherweise durch Japan unterstützt, unterstellt.
5. Da stimme ich zu. Diese Sichtweise einer Einkreisungsphobie hatte die SU seit 20 Jahren, in denen man sich - aus Moskauer Sicht - auf die Invasion der kapitalistischen Staaten vorbereitete. Selbst die hektische Industrialisierung kann man (auch) auf diesen Aspekt zurückführen. Stalin hielt das wohl nur für eine Frage des Zeitpunktes.
zu 1. als Molotow im November in Berlin war sollte er, laut Vorgabe von Stalin fragen, ob die Information zutreffen würde, dass Hitler via FDR ein Friedensangebot an Churchill geschickt hat. Für Stalin war es eher ein Mosaik, das er sich zusammengebaut hat und jede weitere Information vertiefte sein Mißtrauen gegenüber den Absichten Churchills.
Ja, der überrschende Kriegsverlauf dynamisierte das "außenpolitische Programm" - sprich die Annexionen - vor allem im Baltikum und in Finnland.
Der Balkan war für das Verhältnis von SU und DR komplizierter gelagert, da die Zuordnung der "Interessensphären" nicht so eindeutig war wie im Fall des Baltikums und von Finnland. Stalin agierte hier nicht so "forsch", da die vertagliche Seite ihn nicht legitierte so zu handeln. An dem Punkt war Stalin ein erstaunlicher "Legalist".
Als "Hintertreppenwitz" der Diplomatie muss man wohl in diesem Zusammenhang erwähnen, dass Ribbentrop bei seinem Besuch in Moskau die Zusage von Hitler in der Tasche hatte, Stalin gegenüber das komplette politische - also im Sprachgebrauch Hitlers territoriale - Desinteresse bis zum Bosporus zuzusagen.
zu 2. Das Merkwürdige am Frühsommer 41 ist ja, dass mit der Zunahme der als bedrohlich zu interpretierenden Indikatoren, dem Aufmarsch der Wehrmacht und der deutlichen Zunahme der Luftraumverletzungen durch "Spionageflugzeuge" der Luftwaffe, Stalins Position gegenüber seinen Generälen hart blieb. Es war den Flakbesatzungen der Roten Armee auf das Schärfste untersagt, auf deutsche Flugzeuge zu schießen. Trotz Teilmobilisierung erfolgte keine kriegsmäße Dislozieung der Truppen, keine Dezentralisierung auf die "Kriegsflugplätze etc.
In diesem Sinne wirkte der Hess-Flug stimulierend auf die harte Haltung Stalins, sein Appeasement-Programm für das Jahr 41 konsequent durchzuziehen. Wobei er eigentlich "nur" den August erreichen wollte, ohne Kriegszustand, da ein späterer Angriffstermin durch die Wehrmacht als unwahrscheinlich für ihn galt Winter etc.)
zu 3. ja schon. v.Weizsäcker wurde am Vorabend der Entscheidung zu Barbarossa gebeten, seine Position zu verdeutlichen. v. Weizsäcker hat ein Memorandum erstellt, in dem er sich eindeutig gegen den Angriff aussprach und somit voll auf der Linie v. Schulenburg und Köstrins lag. Erst später hat er per Akteneinsicht nach dem Krieg gesehen, dass sich Ribbentrop voll hinter den Angriff auf die SU gestellt hat.
zu 4. Hätte Stalin dem kategorischen "Nein" von Chruchill zu einem Frieden unter Akzeptanz des Status quo auf dem Kontinent getraut, wäre er ja aus seiner "Einkreisungsangst" und der projizierten Gefahr eines "Mehrfrontenkriegs" entkommen. "Lediglich" Deutschland als einziger Gegner war schon eine tödliche Bedrohung für Stalin, aber eine Koalition der kapitalistischen Staaten, GB und DR unter Einschluss der Satelliten und Verbündeten wären für Stalin der außenpolitische Mega-Gau gewesen.
Vor diesem Hintergrund kann man diese Gefahr aus der Sicht Stalins nicht hoch genug bewerten.
zu 5. ja, er ergibt sich ein direkter Bezug zwischen der "traumatischen" Erfahrung der Besetzung Russlands 1918 folgende Jahre und seinem harten Kurs der Industriealisierung. Auf einer Rede im Jahr 31 hat er der SU 10 jahre gegeben, ihren industriellen Rückstand aufzuholen und zu einer Wirtschaftsmacht zu werden, die über ein angemessenes rüstungswirtschaftliches Potential verfügt (hartgesottene Revisionisten haben diese Zitat noch nicht erkannt, da sie sofort in dieser Einschätzung eine direkte Angriffsplanung für das jahr 41 erkennen würden:autsch
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Diese Einschätzung hat ja dazu geführt, dass die SU, im Gegensatz zum DR, über eine veritable "Tiefenrüstung" verfügte, bei der man die Gleichung "Wirtschaftskraft = Rüstungspotential" durchaus vornehmen konnte.