NS-Wirtschaftspolitik

G

gaios

Gast
einen schönen guten Tag,
kann jemand mir auf menschlich verständlicher Sprache sagen, was ein MEFO Wechsel war, und wie funktionierte es.
ja und vielleicht etwas über die NSWirtschaft vor Kriegsbeginn

im Voraus Danke
 
Kurze Erklärung, was ein Wechsel ist:

Angenommen, Du pumpst von mir 100 Euro, dann hast Du bei mir 100 Euro Schulden. Um die Schulden zurückzuzahlen, können wir eine Vereinbarung treffen, indem wir auf einen Zettel schreiben: "Gaios zahlt am 1. März 2006 dem Überbringer dieses Zettels 100 Euro", und Du unterschreibst mir den Zettel.

Diesen Zettel nennen wir "Wechsel", und dieser Zettel ist nun praktisch 100 Euro wert. Wenn ich nun beispielsweise bei meinem Bruder 100 Euro Schulden habe, kann ich diesen Wechsel meinem Bruder geben - vorausgesetzt, er besteht nicht auf Bargeld und akzeptiert den Wechsel als Zahlungsmittel.


Die Mefo (Abkürzung für "Metallurgische Forschungsgesellschaft m.b.H.") war eine Scheinfirma, deren einziger Zweck es war, Schulden zu haben und Wechsel auszustellen. (Die Bürgschaft übernahm die Nazi-Regierung.)

Mit diesen Wechseln wurde die Aufrüstung finanziert. Hätten die Rüstungsfirmen die Wechsel gleichzeitig einlösen wollen (also von der Mefo die Rückzahlung der Schulden verlangt), hätte die Regierung ein Riesenproblem gehabt.

Näheres siehe oben, Wikipedia-Link.
 
Das heißt also, das 3. Reich hat nur auf Pump gelebt. Wer dieses System durchschauen konnte (und das waren wohl nicht sehr viele), konnte absehen, wann der Staat pleite war, denn an eine Rückzahlung der Wechsel war nicht gedacht.

Wenn Ewiggestrige und sonstige Rechtsgerichtete auch heute noch mit Phrasen daherkommen wie "Hitler hat die Autobahnen gebaut" oder "Unterm Adolf hats keine Arbeitslosen gegeben", dann zeigt das nur, dass sie nicht nur von politischen, sondern auch von wirtschaftlichen Zusammenhängen keine Ahnung haben.

Mein VWL-Prof meinte mal, dass der Krieg unausweichlich war. Nur durch Raub und Beute konnte der deutsche Staat seinen Schuldenberg abbauen und den Staatsbankrott wenn schon nicht abwenden, dann jedenfalls weit hinausschieben.
 
Jacobum schrieb:
Das heißt also, das 3. Reich hat nur auf Pump gelebt. Wer dieses System durchschauen konnte (und das waren wohl nicht sehr viele), konnte absehen, wann der Staat pleite war, denn an eine Rückzahlung der Wechsel war nicht gedacht.

Am besten hat dieses System der Erfinder selbst durchschaut, Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht.

Schacht bemühte sich vergeblich, Hitlers Politik der forcierten Aufrüstung um jeden Preis ohne Rücksicht auf den drohenden Staatsbankrott zu verhindern. Das führte am 26. November 1937 zu seinem Rücktritt als Wirtschaftsminister und am 19./20. Januar 1939 zu seiner Entlassung als Reichsbankpräsident.

http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/SchachtHjalmar/
 
Ein Wechsel ist Bares-Geld!
Vorausgesetzt er ist "LZB-fähig" das heißt die Bundesbank oder damals die Reichsbank nimmt ihn entgegen. Das hängt von verschiedenen Dingen ab, insbesondere entweder der "Aussteller" oder der "Bezogene" muss kreditwürdig sein.
Was in dem gegebenen Fall kein Problem darstellte. Schacht kannte die Wechsel ja. Ein Problem hätte nur entstehen können, wenn die Reichsbank die Wechsel vorzeitig fällig gestellt hätte und Zahlung von der Mefo verlangt hätte. Und keine neuen Wechsel akzeptiert hätte.

Im zivilleben nennt man sowas Wechselreiterei und sperrt diejenigen ein, die das machen. (wäre in dem fall auch das beste gewesen)
Die Wechsel wurden s. o. von den Firmen, die sie erhielten, sehr wohl sofort zu Geld gemacht, die mußten Ihre Lieferanten und Arbeiter ja auch bezahlen.

Aber auch diese "kreative" Art der Geldbeschaffung reichte nicht aus. Dann kam im November 1938 die "Sühnemilliarde" usw.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Aber auch diese "kreative" Art der Geldbeschaffung reichte nicht aus.

Sehr richtig, und zwar von Anfang an. Daneben ist auch die ganz normale, unverdeckte Staatsverschuldung zu nennen, die sich unter den Nazis vervielfachte; die Devisen wurden knapp, das Auslandsvermögen wurde verscherbelt, der Geldmenge vervielfacht - und die Geldentwertung durch Preis- und Lohnstopps kaschiert.

Repo schrieb:
Dann kam im November 1938 die "Sühnemilliarde" usw.
Außerdem spülte der "Anschluß" Österreichs "Gold- und Devisenreserven im Wert von über 1,4 Milliarden Reichsmark" in die Kassen, dazu kam wenig später die Plünderung der tschechischen Reserven: http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/wirtschaft/

Siehe auch:

http://www.glasnost.de/autoren/schoen/nswirt.html
 
Ich höre immer wieder die These, Hitler habe sich der Schulden auch entledigt, indem er zunächst Kredite bei jüdischen Bankiers aufgenommen und diese dann umgebracht habe. Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, könnte dies sogar die Triebfeder für den Holocaust gewesen sein.

Das hört sich zwar logisch aber doch naiv an; ich habe es bisher nicht für bare Münze genommen.

Oder könnte da doch was dran sein ?
 
Für die Triebfeder des Holocaust halte ich die Finanzfrage nicht, aber sicherlich sind riesige Werte und Geldmengen durch den Massenmord an die Nazis geflossen. Judenausgrenzung und Verfolgung begann noch vor, zumindest aber gleich mit, der "Machtergreifung" - also nicht erst nach der Verschuldung.
 
Papa_Leo schrieb:
Für die Triebfeder des Holocaust halte ich die Finanzfrage nicht, aber sicherlich sind riesige Werte und Geldmengen durch den Massenmord an die Nazis geflossen. Judenausgrenzung und Verfolgung begann noch vor, zumindest aber gleich mit, der "Machtergreifung" - also nicht erst nach der Verschuldung.

Zustimmung. aber Ausgrenzung und Verfolgung ist noch kein holocaust.

Der Holocaust, der industrielle Massenmord, begann erst 1941/42 und hatte durchaus finanzielle Hintergründe.
Lektüreempfehlung:
Götz Aly, Christian Gerlach.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Der Holocaust, der industrielle Massenmord, begann erst 1941/42 und hatte durchaus finanzielle Hintergründe.
Lektüreempfehlung:
Götz Aly, Christian Gerlach.

Grüße Repo

Lieber Repo,

der Holocaust dürfte erst nach der Wansee-Konferenz gekommen sein. Aber die Entrechtung der Juden war bis dahin schon enorm. Ich erinnere nur an die Nürnberger Rassegesetze.:grübel:
 
Repo schrieb:
Zustimmung. aber Ausgrenzung und Verfolgung ist noch kein Holocaust.

Der Holocaust, der industrielle Massenmord, begann erst 1941/42 und hatte durchaus finanzielle Hintergründe.
Heinz schrieb:
der Holocaust dürfte erst nach der Wansee-Konferenz gekommen sein. Aber die Entrechtung der Juden war bis dahin schon enorm. Ich erinnere nur an die Nürnberger Rassegesetze.:grübel:
Ich widerspreche(!): der industrielle Massenmord begann erst mit der Einrichtung der Gaskammern, dem stimme ich zu. Aber dies ist ja nicht der Beginn des Massenmordes - der Shoa. Die Shoa beginnt ja mit den Massenerschießungen, die sich als wenig praktikabel erwiesen. Die Vernichtungslager sind somit eine Konsequenz der Massenerschießungen, einer Perfektionierung des Völkermords. Damit ist die Datierung, der Holocaust habe nach der Wannseekonferenz begonnen falsch!
 
El Quijote schrieb:
Ich widerspreche(!): der industrielle Massenmord begann erst mit der Einrichtung der Gaskammern, dem stimme ich zu. Aber dies ist ja nicht der Beginn des Massenmordes - der Shoa. Die Shoa beginnt ja mit den Massenerschießungen, die sich als wenig praktikabel erwiesen. Die Vernichtungslager sind somit eine Konsequenz der Massenerschießungen, einer Perfektionierung des Völkermords. Damit ist die Datierung, der Holocaust habe nach der Wannseekonferenz begonnen falsch!

El Quijote, du hast völlig recht mit deiner Beurteilung, dass der Massenmord an den Juden vor der Wannseekonferenz stattgefunden hat. Graml hat das in seinem Buch Reichskristallnacht sehr schön erläutert (man bedenke, die Wannseekonferenz war nur eine Konferenz auf Staatssekretärebene.
Nur den industriellen Massenmord mit der Errichtung von Gaskammern gleichzusetzen erachte ich als schwierig. Zum einen gab es auch schon vorher Gaskammern zum massenhaften Töten von Menschen. Im Zuge der Aktion T4 wurden diese benutzt. Es muss also weitere Gründe dafür geben, dass man von einem Industriellen Massenmord sprechen kann. Dort sollte man zum Beispiel die logistischen Rahmenbedingunen erwähnen. (man denke nur an den Transport von Juden aus fast ganz Europa zu den 6 Vernichtungslagern oder den Aufbau der Vernichtungslager als solche). Selbstverständlich gibt es aber auch noch weitere Gründe, die die Charakteristika des Industriellen Massenmords ausmachen.

@Heinz: Verzeih mir bitte, wenn ich das so deutlich sagen muss. Aber von den vielen Halbwahrheiten und veralteten Thesen die du hier des öfteren vorbingts lebt keine Diskussion. Ich würde dir empfehlen, lies doch bitte erstmal noch einige Bücher zu den Themen die du hier ansprichst und diskutiere dann mit. Das würde uns allen dienlich sein.
 
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, sind aber die Opferzahlen der Erschießungen, Gaswagen usw. ganz erheblich.
Und damit fing es ja schon im Sommer 1941 an.

Grüße Repo
 
Die opferzahlen die ich dafür im Kopf habe, also die der Erschießungen in der SU, Polen, usw. betragen ca. 1,5-2 Millionen Menschen.
 
Repo schrieb:
Zustimmung. aber Ausgrenzung und Verfolgung ist noch kein holocaust.

Der Holocaust, der industrielle Massenmord, begann erst 1941/42 und hatte durchaus finanzielle Hintergründe.
Lektüreempfehlung:
Götz Aly, Christian Gerlach.

Grüße Repo

Irgendwie war mir klar, dass der Aly/Gerlach jetzt genannt werden. Ich halte Alys Ansatz für hochinteressant, aber für mich ist da noch nicht alles geklärt.

Die Frage ist nun, wie man finanzielle Hintergründe und Massenmord in Verbindung setzt. Wurde der Massenmord (auch) aus finanziellem Interesse begangen oder sind die finanziellen Gewinne ein "Nebeneffekt" des Massenmordes?

Ich bin immer noch der Ansicht, dass es den Massenmord auch ohne das finanzielle Interesse gegeben hätte, finanzielles Interesse ist somit für mich nicht die "Triebfeder des Holocaust", wie es die These besagt, die Klaus in's Spiel brachte (und die nicht die Seinige ist - damit wir uns nicht missverstehen).
 
Ich kann nur immer wieder diesse Buch empfehlen:
Die Entfesselung der Endlösung


Rezension von der NZZ

nzz schrieb:
Das historische Buch: Dreissig Monate im Krieg - Christopher Browning rekonstruiert den Weg in den Holocaust Norbert Frei Zu den Eigentümlichkeiten der hohen medialen Präsenz, zu welcher der Holocaust in den letzten etwa eineinhalb Jahrzehnten aufgestiegen ist, gehört eine wachsende Kluft zwischen seiner populären Vergegenwärtigung und seiner wissenschaftlichen Erforschung. Mitunter erscheint dieses Auseinanderdriften von frustrierender Unaufhaltsamkeit. Doch dann greift man zu einem Werk, wie es jetzt der amerikanische Historiker Christopher Browning vorgelegt hat – und gewinnt die Zuversicht zurück, dass es gelingen könnte, Forschung und Vermittlung wieder näher zusammenzubringen. «Die Entfesselung der ‹Endlösung›» ist Brownings siebtes Buch über Hitler, die nationalsozialistische Führung und den Holocaust. Mehrere seiner Bücher sind ins Deutsche übersetzt, so auch «Ordinary Men», seine berühmte Studie über den Einsatz des Hamburger Polizei-Reservebataillons 101 im Vernichtungskrieg gegen die Juden; ihr deutscher Titel «Ganz normale Männer» ist für den Gang der Holocaust-Forschung geradezu paradigmatisch geworden. Mit dieser meisterhaften Untersuchung hat Browning Anfang der neunziger Jahre, längst vor Goldhagen, auch den Kontakt zu einem breiteren Publikum gefunden. In Fachkreisen allerdings begann er sich schon vor mehr als zwanzig Jahren einen Namen zu machen: zunächst mit seiner Dissertation über «The Final Solution and the German Foreign Office» (1978), mehr noch aber 1981 mit einem Aufsatz in den «Vierteljahresheften für Zeitgeschichte», in dem er Martin Broszats Überlegungen zur «Genesis der ‹Endlösung›» widersprach. Im Grunde lieferte Browning damit den Text, der die schon länger schwelende Auseinandersetzung zwischen den schliesslich so genannten Strukturalisten und den Intentionalisten auch auf den Mord an den europäischen Juden ausdehnte. Anders als seine streitenden deutschen Kollegen verfiel Browning jedoch schon damals nicht in ein schroffes Entweder-oder; ihn überzeugte weder die Vorstellung, man könne den Holocaust aus einem in Hitlers Hirn seit langem feststehenden Masterplan erklären, noch die zunächst von Broszat und weiter zugespitzt dann von Hans Mommsen vorgetragene Erklärung, die den Holocaust als das im Kern improvisierte Ergebnis einer Dynamik selbst geschaffener «Sachzwänge» beschrieb. Fragen der Datierung Browning ging es schon seinerzeit ganz wesentlich um die Frage der Datierung, und es ist interessant zu sehen, dass er seine Überlegungen in diesem Punkt nur wenig verändern musste: Im Oktober oder November 1941, so Browning 1981, habe Hitler die auf seinem «Vernichtungsbefehl vom Sommer basierenden Grundzüge des Plans . . . gebilligt». In seinem neuen Buch ist nun zwar nicht mehr von einem einzelnen, definitiv terminierten Grundentscheid des «Führers» die Rede, aber als die «fateful months» identifiziert Browning nach wie vor den Sommer und Spätsommer 1941. Die vor allem von Christian Gerlach verfochtene These, Hitler habe seine «Grundsatzentscheidung» für den Genozid erst in einer Ansprache vor hohen Parteiführern am 12. Dezember 1941 bekanntgegeben, hält er für falsch. Wesentlich stärkere Bedeutung als in früheren Texten misst Browning nun dem Zusammenhang zwischen dem Beginn der «Endlösung» und dem Krieg gegen die Sowjetunion bei. Doch damit ist er den Strukturalisten nur scheinbar näher gerückt, denn in scharfem Kontrast zu Broszat und Mommsen sieht Browning den Zusammenhang nicht im stockenden deutschen Vormarsch oder gar erst in der sich abzeichnenden Niederlage, sondern in der im Sommer 1941 sich breit machenden Euphorie des vermeintlich bevorstehenden Sieges – und der damit verbundenen Planung für die Nachkriegsordnung eines «Grossgermanischen Reiches». In dem Moment, in dem die Einsatzgruppen «vom selektiven zum totalen Massenmord» an den sowjetischen Juden übergingen, habe Hitler «offenbar» das Signal für die «Ausarbeitung eines nach dem Ende des Russlandfeldzuges umzusetzenden Programms für die Ermordung der europäischen Juden» erteilt. Browning weist darauf hin, dass er an diesem Punkt spekuliert, aber seine Deutung des berüchtigten Auftragsschreibens, das sich Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamts, am 31. Juli 1941 von Hermann Göring geben liess, ist gut begründet: Es muss damals um etwas qualitativ anderes gegangen sein als um die vollständige «Umsiedlung» der europäischen Juden auf sowjetisches Territorium, denn die hatte Heydrich ja bereits im März 1941 geplant. Worum also ging es in dem Moment, da die deutschen Truppen in phantastischem Tempo auf Moskau zumarschierten? Browning: «Im Grunde hatte Göring eine ‹Machbarkeitsstudie› über einen Massenmord von noch nie da gewesenem Ausmass bei ihm bestellt.» Eindrucksvolle Synthese Christopher Brownings neue Darstellung, in der ein Beitrag von Jürgen Matthäus die Bedeutung des Russlandkrieges für den Beginn der Judenvernichtung noch einmal gesondert unterstreicht, liefert für die dreissig Monate zwischen dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 und dem Beginn der systematischen Vergasungsaktionen in den auf polnischem Boden errichteten Tötungszentren eine Fülle wichtiger Einsichten. Hervorzuheben ist nicht zuletzt seine konzentrierte Analyse des mörderischen Terrors, mit dem die Einsatzgruppen der SS und der «Volksdeutsche Selbstschutz» bereits im Herbst 1939 Tausende von Angehörigen der polnischen Intelligenz, von Geistlichen und Juden überzogen. Die rassenideologische Vernichtungswut äusserte sich schon damals in Erklärungen wie jener eines Selbstschutzkommandeurs, der seine Männer zur Zurückhaltung beim Aufbau von Lagern anhielt: Er habe nicht die Absicht, Gefangene «durchzufüttern», vielmehr sei es «eine Ehre für jeden Polen, mit seinem Kadaver die deutsche Erde zu düngen». – Eindrucksvoll ist auch die Syntheseleistung, die Browning hinsichtlich der Phase der Ghettobildung im sogenannten Generalgouvernement erbringt: Hier wird deutlich, dass die Vorstellung eines von den Zuständen an der «Peripherie» zum Handeln gezwungenen «Zentrums» (sprich: Berlins) so wenig greift wie die These, die Einrichtung jüdischer Ghettos sei lediglich ein Schritt auf dem längst vorgeplanten Weg in die Vernichtung gewesen. Christopher Brownings Buch erscheint im Rahmen einer gross angelegten «Comprehensive History of the Holocaust», die das Forschungsinstitut von Yad Vashem (Jerusalem) herausgibt. Allein der nationalsozialistischen Judenpolitik, mithin der Perspektive der Täter, widmet die Reihe drei Einzelbände. Brownings Arbeit ist gleichsam das Mittelstück, das freilich die Kernfragen adressiert, mit denen die internationale Holocaust-Forschung seit Jahrzehnten ringt. Mit seiner mustergültigen Verbindung von eigenen Quellenstudien und vorbildlicher Literaturverarbeitung hat Christopher Browning dieser Community einen grossen Dienst getan – und dem lesenden Publikum hat er mit seinem jüngsten Werk eine eindrucksvolle Summe seines bisherigen Schaffens geschenkt.
 
El Quijote schrieb:
Ich widerspreche(!): der industrielle Massenmord begann erst mit der Einrichtung der Gaskammern, dem stimme ich zu. Aber dies ist ja nicht der Beginn des Massenmordes - der Shoa. Die Shoa beginnt ja mit den Massenerschießungen, die sich als wenig praktikabel erwiesen. Die Vernichtungslager sind somit eine Konsequenz der Massenerschießungen, einer Perfektionierung des Völkermords. Damit ist die Datierung, der Holocaust habe nach der Wannseekonferenz begonnen falsch!

Lieber Quijote,

Du hast recht. Die Erschießungen waren schon vorher.:grübel:
 
Papa_Leo schrieb:

Die Frage ist nun, wie man finanzielle Hintergründe und Massenmord in Verbindung setzt. Wurde der Massenmord (auch) aus finanziellem Interesse begangen oder sind die finanziellen Gewinne ein "Nebeneffekt" des Massenmordes?

Ich bin immer noch der Ansicht, dass es den Massenmord auch ohne das finanzielle Interesse gegeben hätte, finanzielles Interesse ist somit für mich nicht die "Triebfeder des Holocaust", wie es die These besagt, die Klaus in's Spiel brachte (und die nicht die Seinige ist - damit wir uns nicht missverstehen).


Lieber Papa_Leo,

dieses Thema ist ein sehr spannendes und es ist eins mit dem ich in meiner weiteren akademischen Laufbahn noch weiter auseinandersetzen werde. Also meine Überlegungen zu dem Thema sind folgende:

Ich gehe von der Grundprämisse aus, dass für die Dimension und für die Umsetzung des Holocausts finanzpolitische Maßnahmen im Vordergrund standen. Ich halte den Begriff "Triebfeder" aber für sinnentstellend, denn er verdreht das historische Bild dieser Zeit. Bei einer Triebfeder würde es bedeuten die Finanzpolitik hätte die Art des Holocaust verschärft, was aber nicht der Fall war. Es ist eher gegenteiliges der Fall.

Man kann zum Beispiel feststellen, dass sich ab dem Jahr 1942 eine Veränderung in der Judenvernichtung festzustellen ist. Es stehen nicht mehr die rassistischen, ideologischen Verfolgungsmuster im Vordergrund, sondern Finanz- und Rüstungspoltische. Exemplarisch sei nur mal die Umstrukturierung von Auschwitz erwähnt (es gesellt sich nun Auschwitz III Monowitz dazu) oder die Instruktionen des RSHA welches versucht so viel wie mögliche Arbeitsfähige Juden an die Rüstungsindustrie zu verkaufen.

In der Forschung wird meines Erachtens relativ wenig der Holocaust an sich unterschieden. Während es für die Zeit bis 1939-1940 Phasenmodelle vorliegen, wird selten ab 1941 noch ein spezifiziert. Aus diesem Grund will ich jetzt nur kurz auf einzelne Probleme eingehen. Ein Untersuchungsschwerpunkt der eigentlich, so weit ich weiß, fehlt, ist die Sozialstruktur der getöteten Juden. Wenn wir uns die Erschießungen in Russland angucken, scheinen die relativ wahllos, mit einer Ausnahme, die der Eliten. Es gibt wenig verlässliche Quellen dazu, aber es ist an zudenken, dass dort ein Großteil männlichen Geschlechts sind. Das hängt zum einem damit zusammen, dass eher Männer im Militär gedient haben und im zivilen Sektor eher damit, dass in den östlichen Staaten Europas eine geringe Emanzipation vorherrschte. Man könnte zum Schluss kommen, dass mehr Männer als Frauen in dieser ersten Phase des Holocaust umkamen als Frauen. Dieses Bild kehrt sich aber in den folgenden Kriegsjahren um. Durch die Umstrukturierung der wirtschaftspolitischen Führungskader (Tod von Todt, Goering wird Einflussloser) wird die Macht und die Entscheidungskompetenz in der Hand von Speer zentralisiert und akkumuliert. Die Verzahnung zum RSHA und die schlechtere Kriegslage forderten, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitischen Probleme in den Vordergrund rückten und den rassistisch- ideologischen Charakter zurückdrängten.
Man wird sehen können, dass in dieser Zeit mehr Frauen und Kinder in den Gaskammern starben als Männer, denn die qualifizierten und „stärkeren“ Männer wurden in der Rüstungsindustrie gebraucht.

Weitere Punkte die ich nur erwähnen will, aber leider im Moment aus zeitlichen Gründen nicht ausführen kann, sind zum Beispiel die Rolle der Großbanken (einzelne Studien gibt’s dazu), die Verschärfung der finanzpolitischen Überlegungen in der Zeit vor dem Holocaust (man denke nur an die 1 Milliarde Reichmark im Zuge der Reichskristallnacht, usw.)
 
Brecht schrieb:
Es gibt wenig verlässliche Quellen dazu, aber es ist an zudenken, dass dort ein Großteil männlichen Geschlechts sind. Das hängt zum einem damit zusammen, dass eher Männer im Militär gedient haben und im zivilen Sektor eher damit, dass in den östlichen Staaten Europas eine geringe Emanzipation vorherrschte. Man könnte zum Schluss kommen, dass mehr Männer als Frauen in dieser ersten Phase des Holocaust umkamen als Frauen.
Dies ändert sich von Massenerschießung zu Massenerschießung. Die Opfergruppe wird sukzessive ausgeweitet:
http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=141488&postcount=47
 
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