NSDAP-Bürgermeister

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Gast

Gast
http://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Lemke

Dieser Mann war Bürgermeister in der Stadt in der ich geboren wurde(was hier aber nicht unbedingt weiter interessiert).

Wenn man nun ein bisschen rechnet, stellt man fest, dass er den Posten des Bürgermeisters im Alter von 25 Jahren bekleidete. Und da er genau im Jahre 1933 Bürgermeister wurde, erscheint für mich plausibel, dass die Nazis ihn einfach in das Amt eingesetzt haben, ohne, dass er gewählt wurde.

Nun stellt sich mir die Frage ob das ein Einzelfall war oder nicht.
Bislang dachte ich, die Nazis hätten die Polizei recht braun durchstrukturiert, in der Presse und Wirtschaft Schlüsselpositionen besetzt und politische Gegenwehr im Keim erstickt. Dass man soweit gehen würde Bürgermeister(die ja eigentlich gewählt werden sollen) einzusetzen, kam mir nicht in den Sinn.

Ist es sehr häufig passiert, dass Bürgermeisterposten nach der Machtergreifung von den Nazis besetzt wurden? Und wenn: hat man das alles im Laufe der ersten 3 Monate gemacht oder über einen Zeitraum von 2 Jahren hinweg? Oder hat man darauf gesetzt, dass ausreichend "Märzgefallene" in den Positionen sitzen?

Und nicht zuletzt: Welchen Einfluß hatte ein Bürgermeister? In einem sehr stark zentralistischen Staat ist der Bürgermeister ja nur noch Ausführer, der selbst kaum Handlungsspielraum hatte. Und nicht zuletzt war die Polizei damals übermächtig, ab 1939 konnte die Wehrmacht in die Industrie reinfunken usw usf.

Danke schonmal für die Antworten.
 
Gast schrieb:
http://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Lemke

Dieser Mann war Bürgermeister in der Stadt in der ich geboren wurde(was hier aber nicht unbedingt weiter interessiert).

Wenn man nun ein bisschen rechnet, stellt man fest, dass er den Posten des Bürgermeisters im Alter von 25 Jahren bekleidete. Und da er genau im Jahre 1933 Bürgermeister wurde, erscheint für mich plausibel, dass die Nazis ihn einfach in das Amt eingesetzt haben, ohne, dass er gewählt wurde.

Nun stellt sich mir die Frage ob das ein Einzelfall war oder nicht.
Bislang dachte ich, die Nazis hätten die Polizei recht braun durchstrukturiert, in der Presse und Wirtschaft Schlüsselpositionen besetzt und politische Gegenwehr im Keim erstickt. Dass man soweit gehen würde Bürgermeister(die ja eigentlich gewählt werden sollen) einzusetzen, kam mir nicht in den Sinn.

Ist es sehr häufig passiert, dass Bürgermeisterposten nach der Machtergreifung von den Nazis besetzt wurden? Und wenn: hat man das alles im Laufe der ersten 3 Monate gemacht oder über einen Zeitraum von 2 Jahren hinweg? Oder hat man darauf gesetzt, dass ausreichend "Märzgefallene" in den Positionen sitzen?

Und nicht zuletzt: Welchen Einfluß hatte ein Bürgermeister? In einem sehr stark zentralistischen Staat ist der Bürgermeister ja nur noch Ausführer, der selbst kaum Handlungsspielraum hatte. Und nicht zuletzt war die Polizei damals übermächtig, ab 1939 konnte die Wehrmacht in die Industrie reinfunken usw usf.

Danke schonmal für die Antworten.

Die Bürgermeister waren mindestens in Württemberg schon vor 1933 Beamte inwiefern das auch auf Preußen zutrifft weiß ich allerdings nicht.

Grüße Repo
 
Also ich kenne auch bei mir in der Region den Fall eines SPD-Bürgermeisters, der aus dem Amt entfernt wurde und danach auch unter polizeilicher Meldepflicht stand. Inwieweit das generell gilt, vermag ich nicht zu sagen; ich denke aber, man hat sehr darauf geachtet, möglichst viele "braune" Bürgermeister einzusetzen. Ich denke, Bürgermeister der alten demokratischen Parteien hätten politisch einen sehr schweren Stand gegenüber Ortsgruppenleitern und Kreisleitern gehabt. Allerdings könnte ich mir auch vereinzelt Kommunen vorstellen (gerade kleinere), die sehr hinter ihren alten Bürgermeistern standen und sie daher stützen konnten.
 
Zum angesprochenen Problemkreis kann hier nur gemutmaßt werden.
Ich kenne eine Reihe von lokalgeschichtlichen Untersuchungen in Baden und Unterfranken. Beide unterscheiden sich allein durch die Magistratsverfassung. Sie unterscheiden sich aber auch durch das jeweilige Wählerpotential.
Zur Person von Helmut Lemke habe ich im Internet keinerlei Informationen gefunden, die z.B. das Wikipedia-Zitat "Wir alle, jeder an seiner Statt, sind dazu aufgerufen, die Hammerschläge des Dritten Reiches auszuführen". rechtfertigten.

Auch in den Informationen zur schleswig-holsteinischen Zeitgeschichte (ISHZ) finden sich keine Hinweise über die kommunalen Machtstrukturen 1933ff.

http://www.akens.org/akens/texte/
 
Entlassung von Bürgermeisters Bosler in Bernhausen

Während die Nationalsozialisten in den meisten größeren Städten neue Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister einsetzten, konnten in Württemberg rund 90% der Dorfbürgermeister ihr Amt behalten. Die Absetzung des Bürgermeisters der 2500 Einwohner zählenden Gemeinde Bernhausen war also die Ausnahme. Er war der einzige Bürgermeister der fünf Dörfer, der sein Amt verlor. Wie kam es dazu ?

http://www.mahnung-gegen-rechts.de/pages/staedte/Filderstadt/pages/machtergreifung.htm
 
Gehört zwar nicht unbedingt hierher, aber das Prinzip ist es das gleiche.
In der DDR wurde auch kein Bürgermeister gewählt. Sie wurden eingesetzt.
Und so war es sicher auch im besagtem Zeitraum.
 
Gast schrieb:
Entlassung von Bürgermeisters Bosler in Bernhausen

Während die Nationalsozialisten in den meisten größeren Städten neue Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister einsetzten, konnten in Württemberg rund 90% der Dorfbürgermeister ihr Amt behalten. Die Absetzung des Bürgermeisters der 2500 Einwohner zählenden Gemeinde Bernhausen war also die Ausnahme. Er war der einzige Bürgermeister der fünf Dörfer, der sein Amt verlor. Wie kam es dazu ?

Gemeindliche Selbstverwaltungskörper
§ 12
(1) Die gemeindlichen Selbstverwaltungskörper (Kreistage, Bezirkstage, Bezirksräte, Amtsversammlungen, Stadträte, Stadtverordnetenversammlungen, Gemeinderäte usw.), auf welche die Grundsätze nach Artikel 17 Abs. 2 der Reichsverfassung Anwendung finden, werden hiermit aufgelöst.
(2) Sie werden neu gebildet nach der Zahl der gültigen Stimmen, die bei der Wahl zum Deutschen Reichstag am 5. März 1933 im Gebiet der Wahlkörperschaft abgegeben worden sind. Dabei bleiben Stimmen unberücksichtigt, die auf Wahlvorschläge der Kommunistischen Partei oder solche entfallen sind, die als Ersatz von Wahlvorschlägen der Kommunistischen Partei anzusehen sind.
§ 13
(1) Bei den Vertretungskörperschaften in der unteren Selbstverwaltung (Gemeinde-, Stadträte usw.) darf die Zahl der Mitglieder die folgenden Höchstziffern nicht überschreiten:

http://www.documentarchiv.de/ns/lndrgleich01.html
 
Mercy schrieb:
Zur Person von Helmut Lemke habe ich im Internet keinerlei Informationen gefunden, die z.B. das Wikipedia-Zitat "Wir alle, jeder an seiner Statt, sind dazu aufgerufen, die Hammerschläge des Dritten Reiches auszuführen". rechtfertigten.
Bei Ernst Klee - den Du lieber Mercy schon mal an anderer Stelle kritisiert hast - steht das gleiche Zitat, eigentlich sogar ein bisschen länger:
Wir Nationalsozialisten stehen auf dem Boden des Führerprinzips. Wir alle, jeder an seiner Statt, sind dazu aufgerufen, die Hammerschläge des Dritten Reiches auszuführen.
Ab 1937 (bei Wikipedia steht kein Datum) war er dann Bürgermeister in Schleswig und im Krieg war er Oberleutnant zur See (bei Wikipedia weniger präzise).
Was m.E. im Wikipedia-Artikel gänzlich fehlt, ist sein Austritt bei der CDU und Eintritt in die FDP, in deren Bundesvorstand er immerhin von 63 - 73 gewesen sein soll. Wobei dem widersprechend auf der offiziellen Seite der Landesregierung Schleswig-Holstein für den gleichen Zeitraum steht, dass er Ministerpräsiden S-Hs für die CDU war, wenn auch in Koalition mit der FDP... http://landesregierung.schleswig-holstein.de/coremedia/generator/Aktueller_20Bestand/StK/Information/land__und__leute/LuL__Politik__2.html
 
El Quijote schrieb:
Bei Ernst Klee - den Du lieber Mercy schon mal an anderer Stelle kritisiert hast - steht das gleiche Zitat, eigentlich sogar ein bisschen länger:

Ab 1937 (bei Wikipedia steht kein Datum) war er dann Bürgermeister in Schleswig und im Krieg war er Oberleutnant zur See (bei Wikipedia weniger präzise).

Da gilt es dann zu prüfen.

El Quijote schrieb:
Was m.E. im Wikipedia-Artikel gänzlich fehlt, ist sein Austritt bei der CDU und Eintritt in die FDP, in deren Bundesvorstand er immerhin von 63 - 73 gewesen sein soll. Wobei dem widersprechend auf der offiziellen Seite der Landesregierung Schleswig-Holstein für den gleichen Zeitraum steht, dass er Ministerpräsiden S-Hs für die CDU war, wenn auch in Koalition mit der FDP... http://landesregierung.schleswig-holstein.de/coremedia/generator/Aktueller_20Bestand/StK/Information/land__und__leute/LuL__Politik__2.html

Und was schließt du daraus?
 
Mercy schrieb:
Und was schließt du daraus?

Gestern Abend erst mal nur, dass irgendwo etwas falsch ist. Heute habe ich ein wenig weiter recherchiert und stelle fest (ein Unsicherheit bleibt noch), dass die FDP-Bundesvorstandsmitgliedschaft, die Klee konstatiert, wohl ein redaktioneller Fehler ist.
 
Also in meinem Dorf hatte die SPD bis zu den wahlen 1932 die absolute mehrheit. erst bei diesen beiden Wahlen verlor sie dies. Bei der letzten "freien" Wahl hatte die NSDAP dann sogar die relative Mehrheit. Erst 1934 wurde aber der SPD Bürgermeister abgelöst. Von 1939-1940 amtierte dieser SPD-Bürgermeister sogar erneut als Bürgermeister, da der NSDAP-Bürgermeister mit dem NSDAP-Kreisdirektor nicht konnte.
 
Interessant was ich hier so lese :)

Wie sah es denn in den Großstädten ab 100.000 Einwohner aus? In nem kleinen Orf darf man wohl schon ein Auge zudrücken, aber im Ruhrgebiet wird ein SPD-Bürgermeister wohl eher hinderlich gewesen sein, wenn man versucht hat die Indsutrie in Richtung Aufrüstung umzupolen.

Bedeutet dieser SPD-Bürgermeister, dass die SPD nur auf Reichsebene, nicht aber auf Kommunalebene verboten war?
 
Gast schrieb:
Wie sah es denn in den Großstädten ab 100.000 Einwohner aus? In nem kleinen Orf darf man wohl schon ein Auge zudrücken, aber im Ruhrgebiet wird ein SPD-Bürgermeister wohl eher hinderlich gewesen sein, wenn man versucht hat die Indsutrie in Richtung Aufrüstung umzupolen.
Adenauers Schicksal anno 33 dürfte dir ja bekannt sein, ähnlich sah es vielen Großstädten aus.
Gast schrieb:
Bedeutet dieser SPD-Bürgermeister, dass die SPD nur auf Reichsebene, nicht aber auf Kommunalebene verboten war?

Es ist differenzierter:
Während in den 51 Großstädten des Reichens über 100.000 Einwohnern nur acht Oberbürgermeister die Machtübernahme politisch überlebten, läßt sich für kleinere Gemeinden allgemein feststellen, daß die Nationalsozialisten dort, wo sie nicht die absolute Mehrheit erringen konnten, aus psychologischen und taktischen Gründen sich häufig damit begnügten, "nationale", "bürgerliche" oder zumindest "unpolitische" Gemeindeleiter im Amt zu belassen. In den preußischen Gemeinden mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern blieben von 92 (Ober-)Bürgermeistern immerhin 53 im Amt, also 57,8 %. (19)
Celles Oberbürgermeister Ernst Meyer gehörte zu jenen, die im Amt verblieben. Er genoß die unumstrittene Unterstützung des Bürgertums und besaß für die Nazis zunächst wohl unverzichtbare Qualitäten als Verwaltungsfachmann. Da er sich zudem ihren Maßnahmen, wie z.B. der Flaggenhissung oder der Amtsenthebung Schädlichs nicht widersetzte, verzichteten die Nazis auf seine Ablösung.


http://www.celle-im-nationalsozialismus.de/Texte/Rohde_Machtuebernahme.html
 
Gast schrieb:
Interessant was ich hier so lese :)

Wie sah es denn in den Großstädten ab 100.000 Einwohner aus? In nem kleinen Orf darf man wohl schon ein Auge zudrücken, aber im Ruhrgebiet wird ein SPD-Bürgermeister wohl eher hinderlich gewesen sein, wenn man versucht hat die Indsutrie in Richtung Aufrüstung umzupolen.

Bedeutet dieser SPD-Bürgermeister, dass die SPD nur auf Reichsebene, nicht aber auf Kommunalebene verboten war?

Um das zu präzisieren, er amtierte nicht als SPD-Bürgermeister. Er übernahm das Amt quasi ohne Parteizugehörigkeit, viel mehr als allseits respektierte Persönlichkeit. Wie erwähnt, in meinem Ort hatten SPD und KPD teilweise noch 1931 bis zu 70% Stimmenanteil.
 
Der SPD-Bürgermeister oder auch der Demokrat wurden rausgeschmissen entsprechend dem "Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums"
Link:
Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (07.04.1933), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/ns/beamtenges.html, Stand: 02.06.2004

Das extra zu diesem Zweck erlassen wurde.

Grüße
Repo
 
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