Nürnberger Prozesse- Siegerjustiz oder Sieg der Gerechtigkeit?

Man muss zwei, bzw. drei Dinge unterscheiden.

1. Strategisch war der Krieg wohl verloren, was ein Kommandeur an der Front nicht beurteilen konnte. Und was die OHL zu verantworten hatte. Siehe Blutpumpe, etc.
2. Moralisch war es kurz vor dem Ende, was die Kommandeure ja auch gemeldet haben sollen. Damit hatte aber auch eine letzte Offensive nach einer Neuordnung keinen Sinn mehr.
3. Die Truppen waren noch nicht geschlagen. Aber die Führung war nicht skrupellos und kannte Clausewitz. Weiterkämpfen bedeutete nur weiteren Schaden für Deutschland. Im nächsten Krieg wollte die Führung dann den Untergang.

Die Einheit meines einen Großvaters, gerade 18 und mit seinen Kameraden frisch an der Front, griff bis zum Schluß an. Mein älterer anderer Großvater schrieb längst nicht mehr positiv nach Hause. 2 Soldaten, 2 Eindrücke, beide nicht repräsentativ. Was repräsentativ war, wurde untersucht und hat thanepower berichtet.
 
Was an dieser Diskussion interessant ist, ist das wieder nur auf das Heer geguckt wird. Von der Kaiserlichen Marine und ihrem strategischen Versagen wird mal wieder hinweg geguckt. Die Flotte hat trotz Skaggerakschlacht und der Beschiessung einiger Küstenstädte in England, es nicht geschafft die Fernblockade der Nordsee aufzubrechen. Folge war die immer schwieriger werdende Versorgung des Militärs, der Wirtschaft und nicht zu letzt der Bevölkerung.
Ö-U hat sich im Krieg schon viel früher verhoben. Deutsche Truppen mussten an die Isonzofront um diese zu stabilisieren. Und ebenso wurde Deutsche Truppen auf dem Balkan benötigt um das KuK-Militär zu unterstützen. Sogar mehr als ursprünglich geplant.
 
Vielleicht sollten wir wieder zurückkehren zum eigentlichen Thema: NS-Kriegsverbrecher-Prozesse. Der Niederlagenstatus der kaiserlichen Armee, individuelle Wahrnehmungen von Kriegsteilnehmern des Ersten Weltkriegs und Dolchstoßlegende sind hier nicht das Thema. Wir können natürlich gerne ein eigenes Thema zum Quellenwert von Kriegserinnerungen Beteiligter aus der OHL aufmachen.
 
Apvar, in diesem Strang geht es ja auch um die IMT - Prozesse. Deshalb beende ich den nicht durch mich angestoßenen Abzweig in den I. WK meinerseits und danke allen Diskursteilnehmern für die ausführlichen und höchst interessanten Informationen. Ich kenne mich nur in der Juristerei aus und bin in der Historie blutige Laiin, möchte die Fachleute hier nicht zu unnötiger Aktivität und Frust verleiten.
 
"die Frage, ob Siegerjustiz hier überhaupt eine denkbare Kategorie ist. Es gab ja keine andere Instanz, die handeln konnte."

Gerade deswegen ist sie die einzig denkbare Kategorie. Es war das "Internationale Militärtribunal" ./. Göring und andere und somit ein Spruchorgan der Alliierten, das nach Sonderrecht, nicht nach dem damals geltenden deutschen Recht entschied, was möglicherweise alle späteren Diskussionen um die Unrechtmäßigkeit der Urteile entbehrlich gemacht hätte. So wurde eine Vielzahl elementarer Rechtsgrundsätze verletzt, so z.B. die Grundsätze "Nulla poena sine lege" und "Tu quoqe" und "ne bis in idem.

Rein aus Neugier: im angelsächsischen Rechtssystem bilden Präzedenzfälle, nicht Gesetze, die Grundlage der Rechtsprechung. "Nulla poena .." kann da doch gar nicht gelten, oder?
 
Präzedenzfälle werden auch auf Gesetzen beruhen und betreffen die Auslegung, zB ähnlich der "ständigen Rechtssprechung" des OGH in Österreich.
 
...wenn man sich nicht ansatzweise die Mühe gemacht hat, wenigstens sich rudimentär mit der Entwicklung des Völkerrechts zu beschäftigen.

weiß ja nicht was der Herr thanepower studiert hat, als Jurist hab ich jedenfalls eine Staatsprüfung in Völkerrecht abgelegt und finde obiges Zitat eine Frechheit einer Juristin gegenüber. Noch so eifriges googlen ersetzt IMO kein Jurastudium.
 
"handelte es sich bei den Urteile von Nürnberg meiner Meinung nach um rechtsstaatliche Verfahren"

Da rechtsstaatliche Verfahren nur dann vorliegen, wenn rechtsstaatliche Grundsätze - welche und in welchem Umfang sowie aus welchem Rechtskreis - erfüllt sind, interessiert mich, wie Sie, Scorpio zu Ihrer Meinung gelangt sind.

Ich jedenfalls als Juristin habe da ganz erhebliche Bedenken, die ich schon angedeutet hatte. Gerne können wir hier die Einzelheiten diskutieren. Das Buch von der Lippes habe ich gerade auch deswegen empfohlen, weil es aus fachmännisch - juristischer Sicht die rechtliche Anfechtbarkeit der Verfahren unter die Lupe nimmt.

Der Internationale Militärgerichtshof und die Verfahren gegen Kriegsverbrecher in Nürnberg hatten sicher einige Mängel.

-Der Hauptangeklagte, Adolf Hitler, hatte sich jeder irdischen Gerichtsbarkeit entzogen.

-Die Tatbestände "Crimes against Peace" und Crimes against Humanity" waren erst nach 1945, ad hoc formuliert worden, was ein Verstoß gegen den Grundsatz Nulla poena sine lege darstellte.

-Die übelsten Verbrechen der Nazis, die fabrikmäßige Tötung von Juden, Sinti und Roma, die Ermordung von Kranken, Homosexuellen u. a. zeichneten sich dadurch aus, dass sie nun gerade keine Kriegsverbrechen waren.

Hauptanklagepunkt war aber der Vorwurf "Crimes against peace"

Verletzungen der Genfer Konvention oder der Haager Landkriegsordnung hatte es aber, in mehr oder weniger krasser Form auch auf Seiten der Alliierten gegeben. Kriege, auch Angriffskriege wurden und werden auch nach 1945 geführt, die Kriegsführung zu kriminalisieren war keine Lösung.

Die Schönheitsfehler der Nürnberger Prozesse, Mängel die von einigen Alliierten selbst eingeräumt wurden, erleichterten eine Aufrechnungsmentalität. Eine Haltung, jedem Vorwurf ein "Tu quoque" (Du etwa nicht?) entgegenzusetzen.

Nach dem 1. Weltkrieg gab es Versuche, Kriegsverbrechen zu ahnden und Kriegsverbrecher zu verfolgen, daraus wurde dann aber nichts, weil man ihrer nicht habhaft wurde.

Internationales Völkerstrafrecht befand sich noch in den Kinderschuhen. Die Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg wurden zum Vorbild für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

-Industriellen Massenmord, bei dem die Opfer wie nach dem Telefonbuch ausgerottet wurden, hatte es bisher noch nicht gegeben, daher konnte es auch keinen Straftatbestand "Crimes against Humanity" Verbrechen gegen die Menschheit geben. Hannah Ahrend hielt die Übersetzung "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" für eine Bagatellisierung, so als hätten es die Nazis lediglich an Menschlichkeit fehlen lassen.

-Der Verteidigung wurden Möglichkeiten gegeben, Akten einzusehen, Zeugen zu benennen, Entlastungsmaterial zu eruieren.

-Entlastende Beweise wurden auch berücksichtigt und flossen in die Urteile ein. Wie ich schon sagte, konnte Dönitz Verteidiger darauf verweisen, dass sein Kollege Chester Nimitz ähnliche Befehle, die die Rettung Schiffbrüchiger untersagten, erlassen.

-Neu und modern an den Nürnberger Prozessen war, dass nach individueller Schuld der Angeklagten verhandelt wurde.

-Es handelte sich eben nicht um Schauprozesse, bei denen die Urteile bereits vorher feststanden. Es gab durchaus auch Freisprüche. So wurde Hans Fritzsche, der Moderator des Reichsrundfunks im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess freigesprochen.

-Einen Rasse- und Vernichtungskrieg wie den gegen die Sowjetunion hatte es zuvor nie gegeben. Der Kommissar-Befehl, das mutwillige Verhungern-lassen von Tausenden von Kriegsgefangenen verstieß gegen die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention.
 
Bei der Fragestellung "Siegerjustiz oder Sieg der Gerechtigkeit" sollte in der Arbeit Argumente für und gegen beide Sichtweisen aufgeführt werden.

Ich kann hier noch eine Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung zum Prozeß empfehlen: "Nürnberg" in Vergangenheit und Gegenwart | bpb


Ergänzend zum Fall Dönitz war es m. W. so, dass der US-Admiral Nimitz eine eidesstattliche Erklärung dem Gericht zukommen ließ, dass die US-U-Boote im Pazifik unter im wesentlichen gleichen Befehlen operierten wie ihre deutschen Widersacher. Genaueres kann man den Protokollen sicherlich entnehmen.
 
als Jurist hab ich jedenfalls eine Staatsprüfung in Völkerrecht abgelegt und finde obiges Zitat eine Frechheit einer Juristin gegenüber. so eifriges googlen ersetzt IMO kein Jurastudium.

Ist wohl ein wiederholtes Mal, dass viel Empörung kommt und wenig inhaltliche Darstellungen. Und wenn eine Prüfung zu diesem Thema abgelegt wurde und es kommt nichts inhaltliches, dann ist es wohl der Hinweis auf schnell gelerntes und schnell vergessenes Wissen.

Gerade wenn Du Jurist bist, dann sollte man nicht dem Anschein oder schnellen Urteilen oder Meinungen zuneigen, sondern ein ausgeprägtes Interesse haben, den Dingen auf den Grund zu gehen. Und das macht man nicht durch googlen, sondern, indem man sich erneut die entsprechenden Fachbücher zu dem Thema ansieht.

In der Regel kam bisher von Silesia die meisten zielführenden juristischen Hinweise zu dem Thema und in diesem Thread vor allem von Scorpio - früher auch von Ursi - die inhaltlichen.

Das passt dann auch zu folgenden Aussagen:

Ich kenne mich nur in der Juristerei aus

Und dann wird als "bestes Werk" von einem "Juristen" auf ein in seinen politischen Bezügen höchst problematisches Werk verwiesen.

Das beste Werk zum IMT und seinen "Nürnberger Prozessen" ist bei amazon antiquarisch für 14.- E zu bekommen: Frh. von der Lippe, Dr. Viktor, Nürnberger Tagebuchnotizen November 1945 bis Oktober 1946, Verlag Fritz knapp, Frankfurt am Main, 1951. Ideal zum Einlesen in die Materie

Dieses Buch als "bestes Werk" zu preisen ist angesichts der Forderung nach einer kritischen Geschichtswissenschaft schlichtweg abwegig.

Und jetzt darf sich der "balkanese" wieder empören, wenn ich kritisch bin und nicht alles im Forum akzeptiere und problematische apologetische Aussagen auch als solchen bezeichne.

Und wenn schon ein Hinweis auf einführende Literatur erfolgen soll, dann ist derzeit wohl beispielsweise Schabas, Unimaginable atrocities, die zentrale Autorität zu dem Thema und das sollte man als Jurist auch eigentlich wissen.

https://books.google.de/books?id=Q2-mupkKASQC&printsec=frontcover&dq=unimaginable+atrocities&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=unimaginable%20atrocities&f=false
 
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Wow, Danke für die ausführlichen Antworten!! :)

Da ich ja einen analytischen Anteil erbringen muss hab ich mir gedacht zu aller erst die Nürnberger Prozesse vorzustellen, also fragen zu beantworten wie: Wer wurde angeklagt? Welche Anklagepunkte? Und welche Urteilssprechung? Und mich dann im zweiten Teil auf analytisch Teil zu beziehen mit Hilfe von Zeitungsartikel aus aller Welt (natürlich übersetzt). Ich analysiere sie und erarbeite daran Aspekte der Siegerjustiz und Aspekte für den Sieg der Gerechtigkeit heraus. Falls ich keine Zeitungsartikel finde dann würde vielleicht eine Seminararbeit von Stefan Rudolph
helfen, in welche er sich ebenfalls mit dem Thema Nürnberger Prozesse- Siegerjustiz oder objektive Urteilsfindung beschäftigt. Was haltet ihr davon ? Denn wir sollen eine Quelle sei es Film oder Text analysieren. Oder findet ihr ein Ausschnitt aus einem Film, würde besser passen ?

https://m.hausarbeiten.de/document/180834
 
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Da ich ja einen analytischen Anteil erbringen muss hab ich mir gedacht zu aller erst die Nürnberger Prozesse vorzustellen, also fragen zu beantworten wie: Wer wurde abgklargt? Welche Anklagepunkte? Und welche Urteilssprechung? Und mich dann im zweiten Teil darauf analytisch Zeitungsartikel aus aller Welt (natürlich übersetzt) zu analysieren und daran Aspekte der Siegerjustiz und Aspekte für den Sieg der Gerechtigkeit herauszuarbeiten.

Die Rechtsprechung des IMT stand in einer historischen Kontinuität, die durch Vorstellungen von realer "Siegerjustiz" während des WW2 unterhöhlt worden ist.

Die Kontinuität ergab sich aus der Sicht auf den VV, den Völkerbund und entsprechende Verträge wie Briand-Kellog -Pakt.

Die Disruption ergab sich als emotionale Reaktion bei Stalin und Churchill, die im Sinne von Standgerichten summarische Todesurteile aussprechen wollten.

Was durch die Verfassung der USA verhindert wurde.

Vor diesem Hintergrund wurden in einem extrem schwierigen Kontext sehr unterschiedlicher politischer Interessen in Nürnberg versucht, die bisherige Sicht auf Kriege und Kriegsverbrechen in Anwendung zu bringen.

Bis hin zu der Frage der Bestrafung der politischen Verantwortlichen. Es war zudem die moralische Verantwortung - im Sinne der Bedeutung des überpositiven Rechts - die Taylor (The Anatomy of the Nuremberg Trials) formuliert, dass die zivilisierte Menschheit die Barbarei der Nationalsozialisten nicht ungesühnt hätte zur Kenntnis nehmen können.

Friede und Aussöhnung war einerseits mit den Besiegten zu machen, aber vor allem auch auf den Gräbern der durch das 3. Reich getöteten und der Erfüllung der Forderung nach Sühne und Gerechtigkeit.

Und deswegen gab es auch keine politische Alternative zu dem IMT.
 
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Die Seminararbeit eines Studierenden des Jahres 2011 im Hauptstudium ist weder eine geeignete Quelle noch (im Normalfall) geeignete Literatur.
 
Was wäre denn dann eine geeignete Quelle? El Quijote, haben sie vielleicht ein besseres Beispiel für mich ?:)
 
Ginge das Rechtsverständnis des Herrn thanepower über readers digest Niveau hinaus würde er verstehen dass positives Recht das einzig anwendbare Recht ist und überpositives "Recht" nicht Grundlage eines Verfahrens sein kann.

Abgesehen von allem anderen seh ich in einem Jurastudium mehr als die Summe von schnell gelerntem und schnell vergessenem Wissen.
 
"Die Rechtsprechung des IMT stand in einer historischen Kontinuität, die durch Vorstellungen von realer "Siegerjustiz" während des WW2 unterhöhlt worden ist. "

Könntest du das bitte verständlicher und etwas ausführlicher nochmal erklären, thanepower ?:)
 
"Die Rechtsprechung des IMT stand in einer historischen Kontinuität, die durch Vorstellungen von realer "Siegerjustiz" während des WW2 unterhöhlt worden ist. "

Könntest du das bitte verständlicher und etwas ausführlicher nochmal erklären, thanepower ?:)

Dieser Bitte, Miame, schließe ich mich an und frage thanepower, was genau er damit meint, insbesondere, wie der Beginn dieser historischen Kontinuität zu datieren ist.
 
"Es wurden somit eine Vielzahl von Gewaltverbrechen, beispielsweise gegen die deutsche Opposition, nicht beachtet, weil es eine "Einmischung" in die inneren Angelegenheiten des Staates gewesen wäre."

@thanepower: hierzu US Hauptankläger Jackson: "Sie ( die Nationalsozialisten, Adolina) knüppelten jeden demokratischen Widerstand nieder und brachten ihre Gegner zum Schweigen. Am Ende glückte ihnen das Bündnis mit Opportunisten, Militaristen, Industriellen, Monarchisten und politischen Reaktionären."...Das deutsche Volk war in den Händen der Polizei, die Polizei in den Händen der Nazipartei und die Partei in den Händen einer Gruppe von Übeltätern, als deren überlebende und maßgebende Führer die Angeklagten hier vor Ihnen stehen."

Einen Beleg nenne ich nicht, weil er mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewertet wird.

Kein Bezug auf innere deutsche Staatlichkeit?
 
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Was wäre denn dann eine geeignete Quelle? El Quijote, haben sie vielleicht ein besseres Beispiel für mich ?:)

Zunächst einmal solltest du Quellen und Literatur unterscheiden. Quellen sind z.B. Anklageschriften, Verhör- und Gerichtsprotokolle sowie sonstige Mitschriften, zeitgenöss. Filmaufnahmen, Zeitungsartikel, ja und auch zeitgenöss. juristische Darstellungen Viktor v. d. Lippe ist also eher Quelle als Literatur. Literatur sind Darstellungen von Historikern und Juristen auf Basis der Quellenauswertung. Also die Seminararbeit die du dir da ergoogelt hast, wäre bestenfalls Literatur. Da ich sie nicht gelesen habe, kann ich sie nicht beurteilen. Die meisten Seminararbeiten (Ausnahmen gibt es freilich immer) haben aber (notenunabhängig) i.d.R. nicht die notwendige Tiefe, um als Literatur Verwendung zu finden. Das gilt im Übrigen auch für Forenbeiträge.
 
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