Nürnberger Prozesse- Siegerjustiz oder Sieg der Gerechtigkeit?

Bei allen berechtigten Kritikpunkten an den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg stellt sich doch letztlich die Frage nach einer Alternative.
Ja, das sehe ich auch so. Irgendwie laufen mir diese Diskussionen auf den Standpunkt hinaus, dass, wenn Kriegsverbrechen der Sieger nicht bestraft werden, auch solche der Besiegten nicht bestraft werden dürfen, und wenn doch, sei das unrechtmäßige Siegerjustiz. Natürlich wäre es wünschenswert, dass Kriegsverbrechen aller Beteiligten in gleicher Weise aufgearbeitet und geahndet werden, aber üblich ist das bis heute nicht. (Insbesondere dem ehemaligen Tribunal für Ruanda wurde auch vorgeworfen, dass es sich auf Verbrechen der Hutu an den Tutsi konzentriere und anschließende der letztlich siegreichen [und bis heute in Gestalt von Präsident Kagame faktisch regierenden] Tutsi-Miliz RPF an den Hutu außer Acht lasse.) Trotzdem ist es schon ein Fortschritt, wenn überhaupt Kriegsverbrechen in einigermaßen transparenter und nachvollziehbarer Weise aufgearbeitet werden, oder, um es noch deutlicher auf den Punkt zu bringen: Jeder Verbrecher, der für seine Verbrechen belangt wird, ist besser als gar nichts. (Zumal auch Verbrechen von Personen begangen werden, nicht von Seiten.)
Im Übrigen hat zumindest in Österreich die Rechtsprechung den Rechtsgrundsatz herausgearbeitet, dass niemand aus dem Umstand, dass in anderen Fällen Behörden oder Gerichte untätig blieben, ein Recht ableiten kann, auch selbst nicht belangt zu werden. Ich vermute einmal, Vergleichbares wird es auch in Deutschland geben.

Im Übrigen ist mir im Laufe dieser Diskussion eine gewisse Begriffsverwirrung aufgefallen. Man muss scharf zwischen dem Internationalen Gerichtshof (International Court of Justice) und dem Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court) unterscheiden. Ersterer war und ist nicht für individuelle Verbrechen zuständig, sondern primär für Streitigkeiten zwischen Staaten (ebenso sein Vorgänger, der Ständige Internationale Gerichtshof).
 
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Von Kelsen (USA) wurden differenzierte und teils kritische Betrachtungen zu den Nürnberger Prozessen beigesteuert. Wie auch von anderen hochrangigen Vertretern der amerikanischen Justiz.

Eine differenzierte Betrachtung zur Verantwortlichkeit von Staaten und von individuellen Akteuren stammt beispielsweise von Kelsen (vgl. Link) bereits aus dem Jahr 1943.

In diesem Beitrag - wie auch in der öffentlichen und pluralistischen Diskussion - kann man erkennen, wie sich ein Rechtsstaat von einem "Unrechtsstaat" unterscheidet.

Und der Unterschied besteht u.a. darin, dass in einem Rechtsstaat divergierende Positionen akzeptiert und nicht unterdrückt werden bzw. die Vertreter abweichender Positionen juristisch verfolgt werden.

Ein Privileg, das u.a. auch die Rolle der Verteidiger in den Prozessen ausgezeichnet hatte und deutlich den Unterschied zur Justiz im 3. Reich kennzeichnete.


vgl. Beitrag von Kelsen:
http://scholarship.law.berkeley.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=3628&context=californialawreview
 
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Noch ein weiterer Verweis auf die Diskussion des Status von Deutschland nach der bedingungslosen Kapitulation.

Und es wird an der zeitgenössischen deutschen Darstellung zu den Rechtspositionen deutlich, die sich stark an Kelsen u.a. orientierte, mit welcher Offenheit über die angebliche "Siegerjustiz" diskutiert werden konnte (vgl. Link 1)

Wobei auch deutlich wird, dass es für die Kritiker leicht war, die Verfahren aus einem juristischen Elfenbeintum zu kritisieren, ohne auch nur ansatzweise eine praktikable Alternative aufzeigen zu können, die politisch realisierbar gewesen wäre.

Allerdings zeigt die akademische juristische Diskussion auch, wie realitätsfern und reduziert im inhaltlichen Umfang die Themen abgearbeitet wurden und sich auf abstrakte Rechtsnormen reduzierte, die einen völkerrechtlichen Status vor 1939 widerspiegelte, der durch die politische Realität ad absurdum geführt worden ist.

Und somit ein Völkerrecht von 1939, dass gemessen an den realen Rechtsverletzungen antiquiert war, aus der Sicht einer orthodoxen Auslegung, zu einem effektiven Argument wurde im Rahmen eines m.E. unangemessenen Schutzes der NS-Täter.

Interessant ist zudem, dass die staatliche demokratische Neugestaltung nach der Stunde Null durch die - vor allem - USA und GB und dem damit verbundene Anspruch auch den Opfern eine Genugtuung zu geben, in der rechtspolitischen Diskussion, wie noch bei Schöbener (1991), zu einer leicht zynischen Bewertung führt, die diese Perspektive als "ideologisierend und moralisierend" verwirft und nur den Rechtsfrieden aus der Sicht der Täter beleuchtet.

Die Bewertung der Phase vor der Gründung der BRD wird somit von Teilen der Juristen anhand eines bis dahin (also bis 1939) noch nicht voll entwickelten Völkerrechts beurteilt, während sich Mehrheit der Historiker, Politologen oder Soziologen deutlich positiver zu dem Prozess der Einführung der Demokratie in Deutschland und dem Agieren der Alliierten äußern.

Link 1: Zeitgenössische Bewertung
http://www.zaoerv.de/13_1950_51/13_1950_1_b_173_185.pdf

Link 2: Zur realen Situation zwischen 1945 und 1948 / relativ zeitgenössich (1962)
http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1962_2_5_fromme.pdf


Schöbener, Burkhard (1991):
Die amerikanische Besatzungspolitik und das Völkerrecht.
Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Peter Lang
 
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Bei der Durchsicht von Dokumenten und der Literatur bin ich bei zwei Personen. eher unsystematisch, auf den Befund gestoßen, dass die Angeklagten die Wahrheitsfindung durch Lügen und Falschaussagen behindert haben.

Rechtlich gesehen ist das korrekt und zeigt welche umfassenden Möglichkeiten die Angeklagten zur Verfügung standen.

1. Fall Göring:
Seine Schlußworte vor dem IMT waren u.a. folgende:
Ich habe niemals, an keinem Menschen und zu keinem Zeitpunkt einen Mord befohlen und ebensowenig sonstige Grausamkeiten angeordnet oder geduldet, wo ich die Macht und
das Wissen gehabt hatte, solche zu verhindern. Für die von Herrn Dodd in seinem Schlußplädoyer neu aufgestellte Behauptung, ichhätte Heydrich befohlen, die Juden zu töten, fehlt es an jedem Beweis; sie ist auch nicht wahr...
"

Da ich Buchempfehlungen von Forianern ernst nehme, bin ich bei Cesarani - zufällig - fündig geworden im Kontext der "Wannseekonferenz". Insgesamt war die "Wannseekonferenz" eine unklare Situation, da nicht klar war, wer eigentlich der Hauptakteur sein solle. Folgt man Cesarani, so war es Heydrich als Gastgeber, der sich explizit auf den Auftrag durch Göring zur "Endlösung" berief und daraus die "Federführung" für diesen geheimen und dennoch nicht geheim zuhaltenden Vorgang beanspruchte.

Die angeführten Dokumente habe ich nicht überprüft, aber eine Validierung durch Longerich und Wachsmann wäre sicherlich hilfreich.

Somit kann man vorläufig, basierend auf Cesarini, festhalten, dass Göring an diesem Punkt gelogen hat und somit schuldig war im Sinne der Anklage.

2. Fall: Werner Best
Werner Best hatte als Stellvertreter Heydrich`s hohe Posten bei der Gestapo inne, als Chef der Innenverwaltung im besetzten Frankreich und als Reichsbevollmächtigter im besetzten Dänemark. Er war der Prototyp des weltanschaulich motivierten Planers der Vernichtungspolitik im NS-System.

Im Rahmen der Prozesse gegen ihn konnte er seine reale Rolle gegenüber den Gerichten verschleiern und somit wurde seine Bedeutung im Rahmen der Endlösung nicht voll erkannt.

Dass ihm dabei zahlreiche "Gutachten" durch Ärzte halfen und dass er starke Unterstützung bei Stinnes fand, belegt m.E. wie eng noch die NS-Netzwerke funktionierten und die Wahrheitsfindung und somit eine - angemessene - Bestrafung verhinderte.

An diesen beiden Punkten wird m.E. deutlich, dass die Rechtsprechung im Rahmen des IMT, der NMT und später im Zuge der Prozesse gegen NS-Täter sehr eng mit dem jeweiligen Erkenntnisstand der historischen Forschung zusammen hing.

Umso bemerkenswerter ist es, daß im Zuge der IMT und der NMT umfangreiche Akten - auf deutsch gesichtet - wurden, übersetzt und dann durch die Anklage bzw. durch die Gerichte bewertet worden sind.

Das, was bösartig als "Siegerjustiz" bezeichnet wird, war somit vor allem ein erster wichtiger Schritt, überhaupt eine Schneise in die Verwaltungsvorgänge einer weltanschaulichen Vernichtungspolitik zu schlagen. Und somit eine erste erstaunlich objektive und neutrale Aufbereitung der historischen Ereignisse vorzunehmen.

Zwischen der Anklage gegen Göring und der ihm zu Last gelegten Urheberschaft des Befehls an Heydrich zur "Endlösung" und der erneuten Darstellung durch Cesarini liegen fast 70 Jahre. Und legen die Vermutung nahe, dass die Anklage im Rahmen des IMT berechtigt war.

Aber es war ja nicht das erste Mal, dass sich Göring geirrt hatte ("Wenn auch nur ein feindliches Flugzeug unser Reichsgebiet überfliegt, will ich Meier heißen").

Cesarani, David (2016): "Endlösung". Das Schicksal der Juden 1933 bis 1948. Unter Mitarbeit von Klaus-Dieter Schmidt. Berlin: Propyläen.
Herbert, Ulrich (2016): Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989. München: C.H. Beck.
Longerich, Peter (2016): Wannseekonferenz. Der Weg zur "Endlösung". München: Pantheon.
Wachsmann, Nikolaus (2016): KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. München: Siedler, W J.
 
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Daß das Deutsche Reich mit seiner Verfassung vom 11.8.1919 zumindest partiell lebt, folgt schon aus Art. 140 des Grundgesetzes (GG), wonach die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138,139 und 141 der "Weimarer Reichsverfassung" Bestandteil des GG sind.

Offenbar hatte niemand die Lust, diesen Blödsinn richtig zu stellen. Jedem Juristen mit einem Basiszugriff auf Fachliteratur wird bei dieser Verquirlung hier übel.

Der (an sich) korrekt genannte Bezug des Grundgesetzes auf Artikel der Weimarer Verfassung hat in der Folge nullkommanichts - außer in der Reichsbürger-Phantasie - mit der Frage zu tun, ob zwischen Deutschem Reich und den deutschen Staaten BRD, DDR bzw. der übrig gebliebenen BRD Rechtsträger-Identität, Gesamtrechtsnachfolge/Universalsukzession oder "partielle" Rechtsnachfolge besteht.

Die sinnfreie Verquirlung von Fachfragen selbst ist hier das Problem, das für die Existenz-des-Reiches-Schwafeleien missbraucht wird.

Gar kein Problem und völlig eindeutig ist [1.] die Rechtsprechung der Verfassungsgerichts, die von einer Rechtsträgeridentität ausgeht. Das Wörtchen partiell vor 1990 [2.] bezieht sich dabei auf einen territorialen Aspekt dieser Frage. Ebenso völlig eindeutig [3.] nach einheitlicher Auffassung ist die Interpretation des WRV-Verweises des Artikel 140 GG.

Nur haben Fragen 1 und 2. mit 3. überhaupt nichts zu tun.



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Für den rechtshistorisch Interessierten, den das nicht langweilt: Das soll an einzig vorhandenen Interpretation der Verweisung des Artikel 140 auf §§ der WRV kurz klargestellt werden.

1. Der Verweis ist ein (staatspolitischer) Kompromiss in einer staatspolitischen Kontroverse 1948/49:

"Die Kette des Austausches bereits bekannter Argumente gegen Kirchenartikel – es fehle die Zuständigkeit des Bundes für diese zur Kulturhoheit der Länder gehörende Materie, und es gebe keine Notwendigkeit, besondere Rechte gerade der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Verfassung festzulegen – durchbrachen die liberalen Abgeordneten Dr. Heuss und Dr. Höpker-Aschoff mit dem Hinweis, die Tragweite des Antrags der christlichen Parteien lasse sich nicht übersehen; es solle stattdessen erwogen werden, auf die Bestimmungen der Weimarer Verfassung Bezug zu nehmen."

2. Technisch ist die Inkorporation als solche nicht ungewöhnlich, hier ist das lediglich in Bezug auf die Artikelnennung der Fall.

"Die Regelungstechnik, einen Artikelkomplex einer nicht mehr geltenden Verfassung zum Bestandteil des Grundgesetzes zu erklären, findet sich ausschließlich in Art. 140 GG. Geläufiger ist die vor allem im Grundrechtsteil angewendete Vorgehensweise, brauchbare Formulierungen anderer, meist früherer deutscher Verfassungen, organisch in den Text des Grundgesetzes einzuarbeiten.

Die zumeist als „Übernahme“, „Rezeption“ oder „Inkorporation“ bezeichnete Technik des Art. 140 GG bedeutet,* dass die Formulierungen der Weimarer Verfassung, ohne Rücksicht auf eventuelle Wiederholungen oder systematische Brüche, zu Normen des Grundgesetzes werden. Die übernommenen Formulierungen sind ungeachtet des Standortes des Art. 140 GG im Abschnitt XI (Übergangs- und Schlussbestimmungen) vollgültiges Verfassungsrecht, sie haben die gleiche Normqualität wie andere Bestandteile des Grundgesetzes. Dies stellt die apodiktische Formulierung „sind Bestandteile dieses Grundgesetzes“ klar. ...

Die dem Grundgesetz inkorporierten Religionsartikel sind als Teil des Grundgesetzes, nicht als Bestimmungen der Weimarer Verfassung auszulegen. Ihre Interpretation und Bedeutung ist nicht an das Weimarer Verständnis und den – im Übrigen alles andere als eindeutigen – Stand der Weimarer Staatskirchenrechtslehre gebunden, sondern hat sich „von den Wertungen des Grundgesetzes leiten zu lassen.“

Inkorporation bedeutet keine normativ-dogmatische Statik; der systematische Kontext des Art. 140 GG ist nicht der Weimarer, sondern der grundgesetzliche Grundrechtsteil. Ein Bedeutungswandel wegen dieses neuen Zusammenhangs – was Kontroversen über das Ob und Wie eines Wandels nicht ausschließt – ist ausschließlich normativ begründet und bei den Einzelvorschriften zu untersuchen."


So fachlich-sachlich überall zu lesen, zB statt vieler:
Mauz/Düring, GG-Kommentar, Rn 4-9 zu Artikel 140
Sachs, Grundgesetz, Artikel 140 Rn 2-4

sowie zu *:
v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, S. 40
W. Weber in VVDStRL 11 (1954), S. 153, 157.
Morlok in Dreier, GG, Art. 140 Rn. 29;
Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, 1961, S. 127 Hoffmann in FS Obermayer, 1986, S. 33 ff.;
Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Auflage 2012, Rn. 51
 
Hm, das bringt auf Ideen. Der Sachsenspiegel gilt in ganz kleinen Teilen bis heute. Leben wir im HRR? :grübel:
'Schuldigung, ich konnte nicht anders.:red:

Vielleicht dient es wenigstens als Illustration.
 
'Schuldigung, ich konnte nicht anders.:red:
Vielleicht dient es wenigstens als Illustration.

Dient es. :winke:

Da gewinnen auch die sonstigen "Klöps-chen" gleich an Farbe, obwohl schon drei Wochen ins Land gezogen sind:

...Das Dritte Reich hat nicht kapituliert, sondern seine Streitkräfte, sonst niemand. Das Deutsche Reich besteht bis heute, ist aber handlungsunfähig, obwohl sein Staatsoberhaupt - Dönitz - unter entwürdigenden Umständen verhaftet wurde. .

Blödsinn^3:

Sinnfreie Kapitulationsdiskussion.
Angeblich "derzeit" handlungsunfähiges Deutsches Reich.
"Entwürdigende" Verhaftung des amtierenden Staatsoberhauptes des totalen Kriegsverlierers.

In der Ballung findet man das zb auch so bei der neonazistischen ehemaligen Rechtsanwältin Stolz, der die Zulassung entzogen wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sylvia_Stolz

Dazu passt dann dieser belehrende Hinweis:
Genauso, wie es für Nichthistoriker problematisch ist, sich in historischen Fragen zu weit aus dem Fenster zu hängen, ist es für Historiker problematisch, sich zu dezidiert zu juristischen Fragen zu äußern.
Bei dem sonstigen pseudojuristischen Geschwafel, dass wohl "dezidiert" zwecks Beeindruckung unerfahrener Leserschaft abgesondert wurde, wirkt eine solche Belehrung geradezu albern. Gewissermaßen Amtsanmaßung. Oder jahrelange Vernachlässigung der Fortbildung =)
 
Die Reichbürger leben ja in dem Wahn, dass der Übergang von einer zu einer anderen Verfassung und Staatsform ein deutscher Sonderfall sei, entstanden aus der Niederlage 45.

Aber das stimmt ja nicht.

Die Franzosen leben mittlerweile in der V. Republik und mit der fünften Verfassung (und da ist der Etat Francais noch gar nicht mitgerechnet). Und nur der Übergang von der IV. zur V. Republik war friedlich und freiwillig.

Und in den meisten europäischen Staaten sieht es ähnlich aus: alle osteuropäischen Staaten haben Verfassungsbrüche, aber auch Spanien, Italien ... you name it.

Bei allen Übergängen gibt es zum Teil radikale Neuanfänge aber auch Kontinuitäten, Rechtsnachfolgen etc..

Ein Blick über die Grenzen ist m.E. lohnender als Paragraphenglauberei
 
Oder jahrelange Vernachlässigung der Fortbildung =)

Ich wollte dieses nicht so deutlich sagen, aber es drängt sich leider auf, gemessen an der komplett veralteten Literatur (aus den siebziger Jahren!!), die da als juristische "Lehrmeinung" angeboten wurde.

So wurde - unter anderem - auf einen "Kimminich" - der absolut seriös ist - als Einführung in das Völkerrecht verwiesen, der seit einigen Auflagen durch Hobe, jetzt in der 9. Auflage, herausgegeben wird.

Das sollte man bzw. Frau als Juristin eigentlich wissen, wenn man die juristische Kompetenz Anderer meint kritisieren zu müssen.
 
Die Reichbürger leben ja in dem Wahn, dass der Übergang von einer zu einer anderen Verfassung und Staatsform ein deutscher Sonderfall sei, entstanden aus der Niederlage 45.
Aber das stimmt ja nicht.
...
Bei allen Übergängen gibt es zum Teil radikale Neuanfänge aber auch Kontinuitäten, Rechtsnachfolgen etc..
Ein Blick über die Grenzen ist m.E. lohnender als Paragraphenglauberei

Man muss schon zwei Aspekte unterscheiden:

- solche erwähnten wirren Bezüge zum Deutschen Reich

- die politische, völkerrechtliche und rechtshistorisch-fachliche Diskussion über Deutschland nach 1945, die im Übrigen Konsequenzen hatte. Die zB darüber befindenden Urteile des BVerfG sind ja nicht zum Spaß der Richter ergangen, oder um Rechtshistorikern Anlass für Dissertationen zu liefern, sondern hatten konkrete politische und handfeste juristische Anlässe.

Das eine hat mit den anderen nur soweit zu tun, als der Wirrwahn hier Bröckchen aus dem bestehenden Fachdiskurs aufschnappt und für das eigene politische Süppchen kolportiert.
 
Ich wollte dieses nicht so deutlich sagen, aber es drängt sich leider auf, gemessen an der komplett veralteten Literatur (aus den siebziger Jahren!!), die da als juristische "Lehrmeinung" angeboten wurde.

So wurde - unter anderem - auf einen "Kimminich" - der absolut seriös ist - als Einführung in das Völkerrecht verwiesen, der seit einigen Auflagen durch Hobe, jetzt in der 9. Auflage, herausgegeben wird.

Das sollte man bzw. Frau als Juristin eigentlich wissen, wenn man die juristische Kompetenz Anderer meint kritisieren zu müssen.

Höchstens Hobbyjurist.
Der Profil-"Bestandteil" ist ein Fake, wie die kapitalen Schnitzer (#145 als Beispiel) zeigen.
 
Im Forum wurde bisher wenig über die "Stunde Null" nach dem Zusammenbruch des 3. Reich geschrieben.

Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass User wie Adolina auf die "unhistorische" Idee kommen, dass es eine deutsche Juristiktion in den Ruinen des vergangenen 3. Reichs hätte geben können. Zu erinnern wäre auch an das Buch von Müller, "Furchtbare Juristen", in der er gerade die Rolle der Juristen im 3. Reich und aufgrund der Versöhnungspolitik eines Adenauers -die m.E. teilweise richtig war - auch in der Nachkriegs-BRD kritisch beleuchtet. Und zu nennen wäre wohl das prominenteste Beispiel, Filbinger.

Müller, Ingo (1987): Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. München: Kindler.

Zu den Rahmenbedingungen der unmittelbaren Nachkriegsjahre ein interessanter Link, der das Erbe des "Tausendjährigen Reichs" illustriert.

Und deutlich macht, dass auch diese Opfer - es waren Deutsche !!! - auf das Konto von Hitler und seiner nationalsozialistischen Bewegung gehen.

Hungerwinter 1946/47 in Deutschland: Das Überleben nach dem Krieg - SPIEGEL ONLINE
 
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Die Schwierigkeit bzw. auch der bewußte Unwille oder auch mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit einer gerichtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen wird auch an dem Fall Brunner deutlich.

https://de.wikipedia.org/wiki/Alois_Brunner

"Alois Brunner flüchtete von Linz nach München und arbeitete unter falschem Namen als Lkw-Fahrer für die US-Besatzungstruppen.

Ab 1947 arbeitete Brunner in der Zeche Carl Funke in Essen. Als er zum Betriebsrat gewählt werden sollte, drohte seine Identität aufzufliegen. Trotzdem lebte Alois Brunner als „Alois Schmaldienst“ bis 1954 in Essen und war sogar polizeilich gemeldet. Ein Verfahren „wegen falscher Namensführung“ wurde angestrengt.

Der prominenteste Fluchthelfer Brunners wurde Reinhard Gehlen, der ehemalige Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost“ (Ostspionage) der Wehrmacht und spätere Chef des BND."


Und aktuell bei SPON (Bezahldienst)

Warum SS-Verbrecher Alois Brunner nie vor Gericht kam - SPIEGEL ONLINE
 
Der Begriff "Siegerjustiz" suggeriert, dass es sich um politische Prozesse, Schauprozesse gehandelt habe, bei denen die Urteile von vornherein feststanden.

Naja, es war aber schon so, dass in Nürnberg die vier "Sieger" über die "Besiegten" zu Gericht gesessen haben. Von daher ist das ja schon eine Art "Siegerjustiz" gewesen, selbst wenn die Urteile nicht von vornherein feststanden.

Im Fall der sowjetischen Richter wäre ich mir da auch nicht so sicher. Diese "Richter" haben doch in der Sowjetunion auch Stalins Schauprozesse durchgeführt. Quasi die sowjetische Ausgabe von Roland Freisler.

Die ganze Zusammensetzung der Anklagebank sollte offensichtlich auch einen Querschnitt der NS-Führung repräsentieren. Von daher unterstelle ich auch den Westmächten mal eine gewisse absichtsvolle "Inszenierung" des ganzen Prozesses. Damit meine ich nicht, dass die Urteile von vornherein feststanden, sondern dass das besiegte NS-Deutschland vor der Weltöffentlichkeit auf die Anklagebank gesetzt und seine "gerechte Strafe" erhalten sollte.

Auch wenn die Urteile nicht vorher feststanden, wird den Westalliierten wohl vor dem Prozess schon klar gewesen sein, dass fast alle dort Angeklagten auch verurteilt werden würde, die meisten von ihnen zum Tode.

Also ja, ich persönlich würde es schon als "Siegerjustiz" bezeichnen.

Eine davon völlig unabhängige Frage wäre, ob die vollstreckten Strafen letztlich "gerecht" waren angesichts der von den angeklagten Personen begangenen Verbrechen. Ohne selbst Jurist zu sein, denke ich in den meisten Fällen wohl schon.

Einige Urteile finde ich schwer verständlich, z.B. warum Sauckel hingerichtet wurde und Speer nur 25 Jahre Haft bekam.

Mehr als fragwürdig finde ich das Todesurteil gegen Julius Streicher.
 
Also ja, ich persönlich würde es schon als "Siegerjustiz" bezeichnen.

Gemessen an der schwer nachvollziehbaren Dimension an menschenverachtender Grausamkeit und Perversion, die im Namen und durch die Akteure des NS-Regimes an Deutschen und anderen Menschen verübt wurden, ist eine derartige "Meinung" schon ziemlich daneben oder einfach aus Unkenntnis nur dumm. Alternativ eine politische Provokation.

Selbst wenn man "lediglich" den Vorgang beschreiben möchte, dass die Sieger über den Besiegten zu Gericht gesessen haben, dennoch ist der Begriff der "Siegerjustiz" eindeutig durch das rechtsextreme, revisionistische Spektrum semantisch belegt und aufgeladen. Und man ist entweder naiv oder ein Provokateur, sofern man sich der Sprache von ewig gestrigen NS-Verherrlichern benutzt.

Man kann auch anders differenziert und kritisch über das Thema sich äußern ohne den Verdacht der Relativierung zu erzeugen, indem man auf die sowjetischen Richter verweist und ihre Verfehlungen gegen die universellen Menschrechte während der Moskauer Schauprozesse.

Und nein, es war keine "Siegerjustiz", obwohl die "Sieger" den Prozess organisiert haben, sondern der Versuch, eine gerechte Rechtsprechung gegen die Angeklagten durchzuführen und den gerechtfertigten Erwartungen der Millionen von Opfern und ihren Angehörigen gerecht zu werden. Es war der einzige Weg für Deutschland und seine Bürger in eine gewisse "Normalität" mit seinen Nachbarn.
 
Mehr als fragwürdig finde ich das Todesurteil gegen Julius Streicher.
Ich lese aus der Aussage und ihrem Kontext, dass du nicht generell gegen die Todesstrafe bist. (Ich schon, aber das tut nix zur Sache.) Ich bin, weil du offenbar nicht generell gegen die Todesstrafe bist, daher über deinen Satz zu J. Streicher irritiert, denn als Herausgeber des Hetzblattes Der Stürmer hat dieser maßgeblich den Boden für die Judenvernichtung mit vorbereitet, u.a. mit Äußerungen wie, dass die Judenfrage "nur auf blutigem Wege" gelöst werden könne.
 
Siegerjustiz? Selbstverständlich hätte die Justiz des Deutschen Reichs noch vor der Niederlage 1945 die Verbrechen ahnden können. Hat sie aber nicht.
Selbstverständlich genauso dass die Beteiligung am Mord mit einem Todesurteil enden konnte. Und die aktive Beteiligung am mordenden Unrechtssystem, der willentlich gemeinsam begangenen Tat, auch.
"Siegerjustiz" ist ein seltsamer Begriff. Er stammt von den Apologeten des Verbrechens und der Verbrecher. Wer diesen Begriff verwendet steht auf deren Seite.

Im übrigen: auch die Rechtsprechung vor 1933 hätte, bei folgerichtiger Anwendung, zur Verurteilung der Täter wegen gemeinsamen Mordes führen müssen.

Ich erwarte eine sofortige Distanzierung vom Begriff "Siegerjustiz".
 
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