Nürnberger Steuerrecht: Losungen?

muck

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Précis | Steuerpflichtige Bürger der Reichsstadt Nürnberg hatten ab dem 14. Jahrhundert bis zum Ende des Alten Reiches eine "Losung" genannte Einkommenssteuer an die Stadt abzuführen. Eine Besonderheit bestand darin, dass die Bürger ihr Einkommen nicht offenlegen mussten, sondern vielmehr einen Eid darauf ablegten, ihre eigene Steuerschuld gewissenhaft selbst berechnen zu wollen.
Das Steuergeheimnis reichte so weit, dass der Steuerpflichtige seine Steuerschuld verdeckt einzahlte, die eingezahlte Summe also nicht mit ihm in Verbindung zu bringen war.

Frage
| Weiß jemand, warum das System auf diese bemerkenswerte Weise eingerichtet war und wieso es funktionierte? Letzteres darf man angesichts des Reichtums der Stadt, der sich etwa in Gebietserwerbungen oder dem Unterhalt von Söldnern niederschlug, getrost unterstellen.

Gewiss hatte ein Eid vor Gott für frühere Generationen einen ganz anderen Stellenwert, der so manchen auch ohne Androhung von (weltlichem) Zwang zur Beachtung der Gesetze anzuhalten vermochte. Auch hatten die Bürger gemeinsame Interessen, etwa was ihre Verteidigung anbelangte.
Trotzdem hat es seinen Grund, dass Beispiele für eine freiwillige Abgabenordnung in der Weltgeschichte dünn gesät sind. War das Steueraufkommen denn hoch genug, dass es dem Fiskus gleichgültig sein konnte, ob jemand hin und wieder trickste?

MfG
muck
 
Es handelte sich genau genommen um eine Vermögenssteuer. Ursprünglich wohl als Umlage zur Finanzierung besonderer Aufgaben gedacht, entwickelte sie sich - jedenfalls nach dem Dreißigjährigen Krieg - zu einer jährlichen Steuer, die in ihrem letzten Stadium noch verdoppelt wurde:

"Die ordentliche Vermögenssteuer zu Nürnberg heißt Losung. Sie scheint zwar als freywilliger Beytrag sehr alt zu sein. Doch hat sie ihre spätere Form erst in der letztern Hälfte des XIV. Jahrhundert allmählig erhalten. Demohngeachtet wurde sie noch bis ins XVII. Jahrhundert nicht alle Jahre gereicht. Es vergiengen oft 1, 2, bis 3 Jahre ohne Losung. Nach dem 30 jährigen Krieg kommen wenig Jahre mehr ohne Losung vor, und sie verwandelt sich, als einfache Losung betrachtet, in eine beständige Jährliche Abgabe. Seit dem 7 jährigen Krieg und vor ohngefähr 28 Jahren, als Nürnberg von einigen Preußischen Freycorps in Contribution gesetzt wurde, ist die einfache Losung zu einer doppelten erhöht, und in dieser enormen Quantität bishero gereicht worden, unerachtet der Grund der Erhöhung längst aufgehöret hat. Es ist aber diese doppelte Losung gewiß die härteste und drückendste aller in Deutschland bekannten Steuern."
Gedanken über die Steuer- und Rechnungsverfassung zu Nürnberg

Siehe auch:
Nachricht von der Losung in Nürnberg
Dort wird auch die Problematik des Eides angesprochen:
"Gegen den Losungeid, den jeder Bürger jährlich schwören muß, sind zu wiederhohlten mahlen dem Rath Vorstellungen gemacht worden. Dieß geschah unter andern 1764 von der Kaufmannschaft und von der Geistlichkeit. Die Kaufleute führten an: daß dieser Eid von einer großen Anzahl von Bürgern nicht gehalten werde, und auch nicht gehalten werden könne. [...] Um solcher meineidigen Bürger willen, müßten die Abgaben immer erhöht werden, und der Redliche unter der Last erliegen. [...] Durch die so oft wiederhohlten Eide und Meineide stände Nürnberg in ganz Deutschland in einem übeln Ruf, und möge daher auch kein einziger Capitalist dahin ziehen."

Angeblich fand eine postume Kontrolle statt:
"Herr von der Lith in seinen politischen Betrachtungen über die verschiedenen Arten der Steuern §. 74 sagt: daß, wenn nach des Bürgers Tod die Zettel über die jährliche Losungberechnung nicht angetroffen würden, dessen Erben bestraft würden, ohngeachtet es bey der alsdann erfolgenden Untersuchung seines zurückgelassenen Vermögens sich zeige, daß die von ihm bezahlte Losung genau nach solchen eingerichtet gewesen. [...] Vor einigen Jahren erst ist die Wittwe eines Gastwirths, deren Mann seine Losung zwar richtig gegeben, aber keine Losungrechnung hinterlassen hatte, um mehr als tausend Thaler gestraft worden."
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für die interessanten Ausführungen! :) Was ist aber gemeint mit folgender Formulierung:

Die Kaufleute führten [1764] an: daß dieser Eid von einer großen Anzahl von Bürgern […] nicht gehalten werden könne.

Bezieht sich diese Beschwerde auf eine Bildungs- bzw. Fähigkeitslücke seitens der Steuerpflichtigen?
 
Der Hinweis auf die Fähigkeitslücke, "nicht gehalten werden könne", wäre jedenfalls plausibel für die Mechanik einer Sollertragsteuer.
 
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