Organisation der Arisierung im dritten Reich

doktorfreeze

Neues Mitglied
Hallo in die Runde,

ich bin im Forum zum dritten Reich nicht freigeschaltet, darum versuche ich mich hier möglichst kurz und konkret zu fassen.

Mich würde intressieren ob jemand weiß wie die Organisation der Arisierung von statten ging (also die Enteignung von jüdischem Eigentum). Über die Enteignung von Grundstücken und Firmen findet man einiges, was mich intressieren würde sind die kleinen Dinge: Schmuck, Gemälde etc. Gab es Listen in die diese Dinge aufgenommen wurden? Oder wurde einfach "zusammengeschmissen" und zur Reichsbank transportiert? Vielleicht weiß ja sogar jemand etwas über mein konkretes Intressensgebiet: Köln.

Ich danke.
 
Hallo in die Runde,

ich bin im Forum zum dritten Reich nicht freigeschaltet, darum versuche ich mich hier möglichst kurz und konkret zu fassen.

Mich würde intressieren ob jemand weiß wie die Organisation der Arisierung von statten ging (also die Enteignung von jüdischem Eigentum). Über die Enteignung von Grundstücken und Firmen findet man einiges, was mich intressieren würde sind die kleinen Dinge: Schmuck, Gemälde etc. Gab es Listen in die diese Dinge aufgenommen wurden? Oder wurde einfach "zusammengeschmissen" und zur Reichsbank transportiert? Vielleicht weiß ja sogar jemand etwas über mein konkretes Intressensgebiet: Köln.

Ich danke.

@doktorfreeze

Klar, über die "Arisierung" von Immobilien könnte man sich im Grundbuchamt informieren, bei Firmen im Handelsregister. Deine Fragestelung lautet, wenn ich sie richtig verstanden habe, die "Arisierung" von Mobilien. Schau mal hier:

"Arisierung" von Mobilien - Google Bücher

Dorotheum ? Wikipedia

"Arisierungen," beschlagnahmte ... - Google Bücher

http://www.geschichtskultur-ruhr.de/links/dvlaak.pdf

Am Ende des Tages hat der Nachbar sich bereichert und ein Klavier mitgenommen. Das Thema "Kunst" wäre gesondert zu untersuchen, da gibt es aber auch Veröffentlichungen; bitte nicht vergessen, auch die "Beute" der SS in den KZ, war letztlich eine "Arisierung" von Mobilien.


M.
 
Wau, ihr seid spitze, das Buch von Britta Bopf hatte ich mir auch schon aufgeschrieben und wollte es morgen in der Bücherei ausleihen. Dazu vielleicht eine weiterführende Frage:

Wie sie schreibt (S.231) gab es ja scheinbar tatsächlich genaue Aufzeichnungen und Listen, was wann entwendet wurde. Sind diese Listen erhalten? Wurden/ Konnten sie in den 50ern/ 60ern zu Rate gezogen werden wenn es um Besitztümerrückgabe ging?

Ich bin noch nicht mit allem durch, aber die Bücher/ Texte halten mich erstmal ne Weile am laufen. Danke.
 
Schau mal, ob du von Sabine Mecking Verfolgung und Verwaltung - Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und die westfälischen Finanzbehörden beschaffen kannst. Bei ihr findest du neben sehr interessanten Quellenmaterialien auch Informationen über die Probleme der Rückgabe von Eigentum. Ansonsten wende dich mal an die Villa ten Hompel in Münster, die beschäftigt sich nämlich mit derlei Fragen oder in Köln, wobei hier eher GeStaPo-Geschichte betrieben wird, ans El-De-Haus.
 
Das Buch "Verfolgung und Verwaltung" steht auch schon auf der Büchereiliste, allerdings unter anderem Autorenname...danke für die Adressen, beim El-De Haus werde ich mal vorbeigehen und über Münster informier ich mich auch mal. Danke.
 
Wau, ihr seid spitze, das Buch von Britta Bopf hatte ich mir auch schon aufgeschrieben und wollte es morgen in der Bücherei ausleihen. Dazu vielleicht eine weiterführende Frage:

Wie sie schreibt (S.231) gab es ja scheinbar tatsächlich genaue Aufzeichnungen und Listen, was wann entwendet wurde. Sind diese Listen erhalten? Wurden/ Konnten sie in den 50ern/ 60ern zu Rate gezogen werden wenn es um Besitztümerrückgabe ging?

Ich bin noch nicht mit allem durch, aber die Bücher/ Texte halten mich erstmal ne Weile am laufen. Danke.

Hier gibt es etwas, zumindest teilweise, Online.
Interessant die Familie Gidion, für Deine Frage ab Seite 228

dann natürlich noch Götz Aly, Hitlers Volksstaat
 
Das Buch "Verfolgung und Verwaltung" steht auch schon auf der Büchereiliste, allerdings unter anderem Autorenname...danke für die Adressen, beim El-De Haus werde ich mal vorbeigehen und über Münster informier ich mich auch mal. Danke.

Alliterationen sind eben beliebt. Ich habe gerade mal im KVK nachgeschaut, den Titel gibt es häufiger. Kenkmann und Mecking kann ich beide empfehlen, das passt zu deinem Thema. Zu Mecking kannst du auch hier schon mal die Inhalte vorchecken:
Internet-Portal "Westfälische Geschichte"
 
Wau, ihr seid spitze, das Buch von Britta Bopf hatte ich mir auch schon aufgeschrieben und wollte es morgen in der Bücherei ausleihen. Dazu vielleicht eine weiterführende Frage:

Wie sie schreibt (S.231) gab es ja scheinbar tatsächlich genaue Aufzeichnungen und Listen, was wann entwendet wurde. Sind diese Listen erhalten? Wurden/ Konnten sie in den 50ern/ 60ern zu Rate gezogen werden wenn es um Besitztümerrückgabe ging?

Ich bin noch nicht mit allem durch, aber die Bücher/ Texte halten mich erstmal ne Weile am laufen. Danke.

Wenn es um Mobilien jenseits anerkannter Kunst geht, wirst Du es sehr schwierig haben. Du führst Bopf S. 231 an. Aus meiner Sicht müßtest Du in folgender Reihenfolge hierbei recherchieren:

Beschlagnahmeliste => Auktion => Ersteigerer und das auch noch unter Zuhilfenahme von Referenzpreisen ähnlicher Objekte.

Da mußt Du sehr tief in die Archive (Stadt- bzw. Staatsarchive, dort Polizeiakten meist mit der Überschrift "Judenaktion") einsteigen. Die Auktionsakten kannst Du vergessen, wenn es private Auktionshäuser waren, da sind die Firmenarchive meist vernichtet. Wären es städtische Auktionshäuser könntest Du Glück in Stadtarchiven haben, in Deinem Fall in Köln.

Hinzu kommt, das Auktionen anonym sind/waren, wenn jemand den aufgerufenen Barpreis zahlte, dann endeten die Geschäftsbeziehungen mit der Zahlung des Preises und der Auslieferung des Wirtschaftsgutes.

M. :winke:
 
Ich weiß nicht, ob jemand den von mir verlinkten Buch-Auszug gelesen hat.
Das Schicksal der erwähnten Familie Gidion berührt mich aus verschiedenen Gründen persönlich.

Die beiden Söhne der Familie Gidion konnten 1938 nach England ausreisen.

1958 haben sie sich offiziell bemüht Klarheit über das Schicksal der Eltern zu bekommen. Was innerhalb 4 Jahren dann auch gelang.
Über die Wertgegenstände die die Eltern besessen hatten und über den Hausrat gelang dies nur sehr rudimentär.
In Stuttgart sollen keine Unterlagen mehr (1960) über den Verbleib des Vermögens der Deportierten vorhanden sein.
Die vom Gericht eingeschaltene Staatsanwaltschaft konnte in ca. 4 Jahren nichts näheres ermitteln. Die ehemaligen Nachbarn wollten überhaupt nichts gewusst und gesehen haben, eine Frau wollte sogar von der Deportation nichts mitbekommen haben.
Ein Schelm wer dabei nichts schlechtes denkt.

Wer es genauer wissen will,
die Angaben im Buchauszug sind meiner Kenntnis nach zutreffend.
 
zum Thema noch Buchtipps:


Koldehoff Stefan: "die Bilder sind unter uns"
Verlag Eichborn

  • ISBN-10: 3821858443
  • ISBN-13: 978-3821858449
Kurzbeschreibung von Amazon:
»Es ist, als ob die Bilder ein zweites Mal gestohlen würden!« Stefan Koldehoff Gemälde von Picasso, Kirchner, Rembrandt, van Gogh oder Tizian - die Liste der zwischen 1933 und 1945 den Juden gestohlenen oder weit unter Wert gekauften Bilder ist lang. Unzählige Galeristen, Händler, Auktionshäuser und Kuratoren waren an diesem Unrecht beteiligt - und zwar so systematisch und gründlich, dass sie über dieses Netzwerk bis heute Museen und Sammler ohne Probleme mit Raubkunst versorgen können. Die direkt Verantwortlichen wurden nicht zur Rechenschaft gezogen und verdienten mit den gestohlenen Bildern ein Vermögen - und die heute involvierten Museen und privaten Sammler fordern unverhohlen einen Schlusstrich und weigern sich, den überlebenden Erben die Bilder ihrer ermordeten Familien zurückzugeben. Stefan Koldehoff zeigt erstmals in seinem Buch, wie das Kartell der Kunsthändler funktioniert und warum die Politik auf höchster Ebene darüber kein Wort verliert.


Melissa Müller und Monika Tatzkow: "verlorene Bilder, verlorene Leben"
Elisabeth Sandmann Verlag

  • ISBN-10: 3938045302
  • ISBN-13: 978-3938045305


Inka Bertz und Michael Dorrmann: "Raub und Restitution: Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute"

Wallstein Verlag

  • ISBN-10: 3835303619
  • ISBN-13: 978-3835303614




Landesstelle f. d. nichtstaatlichen Museen in Bayern: "Kulturgutverluste, Provenienzforschung und Restitution: Sammlungsgut mit belasteter Herkunft in Museen, Bibliotheken und Archiven"

Deutscher Kunstverlag


  • ISBN-10: 342206575X
  • ISBN-13: 978-3422065758
Kurzbeschreibung bei Amazon:

Museen, Bibliotheken und Archive sind aufgefordert, neben der Erfassung von Bestandsverlusten auch ihre Sammlungen auf Bestände von unrechtmäßig entzogenem Kulturgut zu überprüfen. Die Publikation gibt die Inhalte einer Tagung wieder, die die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern und die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg in Zusammenarbeit mit den Museen der Stadt Nürnberg im Frühjahr 2005 in Nürnberg durchführten. Fachleute aus Archiv-, Bibliotheks- und Museumswesen widmen sich darin vorwiegend in Erfahrungsberichten aus dem bayerischen Raum den geschichtlichen Abläufen ebenso wie der Frage nach Möglichkeiten und Wegen der Provenienzforschung. Der Bogen spannt sich von der Geschichte des Central Collecting Point in München über Archivbestände, welche die Provenienzforschung erleichtern, bis hin zu dem Umgang mit der sogenannten »Streicher-Bibliothek« in Nürnberg oder der Provenienzrecherche an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Daneben präsentiert sich die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg als Anlaufstelle für Ratsuchende, betroffene Einrichtungen und Provenienzforscher.
 
zum Thema noch Buchtipps:


Koldehoff Stefan: "die Bilder sind unter uns"
Verlag Eichborn

  • ISBN-10: 3821858443.

Dies steht im Rampenlicht.

Gibt aber meiner Ansicht nach ein unzutreffendes Bild der Vorgänge. 99,9% der deutschen Juden hatten keine Kunstschätze. Die hatten ihre Wohnungseinrichtung, evt. etwas Schmuck und das war es dann auch. Um den Schmuck wurden sie ab 1938 von Staats wegen gebracht. Das Mobiliar wurde offensichtlich sofort nach erfolgter Deportation von den Nachbarn geplündert.

Es ist alles viel profaner und dadurch viel demoralisierender.
 
Das Mobiliar wurde offensichtlich sofort nach erfolgter Deportation von den Nachbarn geplündert.

Bei dem, was ansonsten über die Finanzverwaltung eingezogen bzw. beschlagnahmt wurde, sind die Nachweise ebenfalls schwierig. Die in den 40er Jahren in den Innenstädten liegenden Ämter waren häufig ausgebomt, unter Aktenverlust.
 
Bei dem, was ansonsten über die Finanzverwaltung eingezogen bzw. beschlagnahmt wurde, sind die Nachweise ebenfalls schwierig. Die in den 40er Jahren in den Innenstädten liegenden Ämter waren häufig ausgebombt, unter Aktenverlust.

Und die überlebenden, teilweise unter dramatischen Umständen geflüchteten, teilweise aus den Lagern wiederkehrenden Opfer wurden in den Wiedergutmachungsämtern - wo zum Teil dieselben(!) Leute saßen, die sie einige Jahre zuvor von Staats wegen enteignet hatten - nach Quittungen für die Enteignungen gefragt.
 
Ich habe mittlerweile fast alle von euch genannten Bücher zumindest insoweit gelesen als sie für diese Frage wichtig wären (und neben mir liegen noch drei weitere).
Ein häufiger Fall scheint weniger der direkte Diebstahl als viel mehr das Verkaufen unter Druck. Entweder weil man emigrieren wollte oder deportiert wurde. Das schlimme daran, und das ist für mich der wirklich intressante Punkt, da es mir eigentlich um die 50er Jahre geht, ist, dass die Menschen, die 40/41 günstig in den Besitz von Wohnung und Mobilar kamen kaum ein Unrechtsbewusstsein besaßen, sich im gegenteil in der Opferrolle sahen, da sie jetzt nach dem Krieg Wiederaufbau leissten mussten, Reperationszahlungen tätigten und dann auch noch Wohnung und Eigentum, dass sie von vermeintlich abwanderungswillige Juden doch ehrlich gekauft hatten, zurückgeben sollten. Ich glaube nach etlichen Zeitzeugen (unter anderem sehr intressante Videos im EL DE Haus) dass die Menschen Ohren und Augen so zugemacht haben, dass sie guten Gewissens die Dinge so günstig erwerben konnten.

Ich danke erstmal riesig für eure Hilfe, habe auch direkt weitere Fragen, die ich die Tage auf euch los lasse.
 
...als viel mehr das Verkaufen unter Druck. Entweder weil man emigrieren wollte oder deportiert wurde. Das schlimme daran, und das ist für mich der wirklich intressante Punkt, da es mir eigentlich um die 50er Jahre geht, ist, dass die Menschen, die 40/41 günstig in den Besitz von Wohnung und Mobilar kamen kaum ein Unrechtsbewusstsein besaßen, sich im gegenteil in der Opferrolle sahen, ...

Ich danke erstmal riesig für eure Hilfe, habe auch direkt weitere Fragen, die ich die Tage auf euch los lasse.

@doktorfreeze

und damit bist Du auf ganz "dünnem Eis". Rezeptionsgeschichte ist ungewöhnlich schwierig. In den 1950'er Jahren empfanden viele Deutsche die Nürnberger Urteile als falsch (in Bezug auf die Vollstreckung der Todesstrafe empfinde ich das auch heute noch so).

Schau mal, ob Du eine Familiengeschichte eruieren kannst? Wer hat die Wohnung bekommen, wer das Mobilar? Vllt. kannst Du über diese Personalisirung Dein Ziel erreichen.


M. :winke:
 
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