Osmanisches Reich, Wienbelagerung, Turkophilie und -phobie

N

Nutzer1337

Gast
Hallo,

ich schreibe in einigen Tagen eine Geschichtsklausur im Geschichtsgrundkurs einer 10. Klasse auf einem Gymnasium in NRW.

Der Lehrer hat uns hierfür folgendes Thema genannt: "der Übergang von der gesellschaftlichen Stimmung gegenüber des Osmanischen Reiches bzw. der Türken vor und nach der endgültigen Niederlage vor Wien."

Hierbei soll es sich dann wohl um die Niederlage bei der Zweiten Wiener Türkenbelagerung 1638 drehen.

Nun kann ich leider sowohl in den Materialien aus dem Unterricht oder aus dem Internet nichts zu dem Wandel der gesellschaftlichen Stimmung gegenüber des osmanischen Reiches finden.

Wäre sehr dankbar für ein paar Denkanstösse oder Ideen bezüglich dieses Themas.

MfG
 
Seltsames Thema für eine Klausur in NRW...

Ich denke da an den Wandel von der Turkophobie (Pfähler, Schlächter, Ungläubige/Heiden, "da faßt er erst sein Schwert mit Macht, | er schwingt es auf des Reiters Kopf, | haut durch bis auf den Sattelknopf, | [...] |zur Rechten sieht man wie zur Linken, |einen halben Türken heruntersinken.") zur Turkophilie (Entführung aus dem Serail, Kaffeekultur...).

Ich nehme ja an, dass 1638 ein Zahlendreher ist. Für den Fall, dass nicht: 1683!

Wichtig dürfte aber vor allen Dingen sein, dass du die Methoden, die ihr im Unterricht eingeübt habt, beherrschst.
 
Ich persönlich halte das auch für ein sehr seltsames Thema.

Vielen Dank zunächst für die Antwort! Und ja, ich meinte selbstverständlich 1683. Kleiner Zahlendreher.
 
Die Keywords »Türkengefahr« und »letzte Heilige Liga« könnten weiterhelfen! Ersteres schwand und europäische Mächte sahen neue Chancen (inkl. Russland).

Paar einfache Infos darüber, dass die Osmanische Kultur nach 1683 für die Europäer nicht mehr so erschreckend, bzw. nun etwas interessanter wurde (»Alla turka«): Harmonie der Herzen(lass Dich vom großartigen Site-Titel nicht irritieren :D )

Viel Spass bei der Vorbereitung!
 
Der Lehrer hat uns hierfür folgendes Thema genannt: "der Übergang von der gesellschaftlichen Stimmung gegenüber des Osmanischen Reiches bzw. der Türken vor und nach der endgültigen Niederlage vor Wien."
Dazu fällt mir noch folgender Aspekt ein:

Wien musste sich nach der entscheidenden Schlacht (unter Führung Sobieskis) - so denke ich - nicht mehr primär um die kostspielige Befestigung der Stadt kümmern, sondern konnte Geld nun für neue (barocke) Bauten, Kultur etc. ausgeben. Dementsprechend wird sich Erleichterung nicht nur wegen der gebannten Gefahr für Leib und Leben breitgemacht haben. Die Lebensqualität dürfte sich generell verändert haben.
 
Dazu fällt mir noch folgender Aspekt ein:

Wien musste sich nach der entscheidenden Schlacht (unter Führung Sobieskis) - so denke ich - nicht mehr primär um die kostspielige Befestigung der Stadt kümmern, sondern konnte Geld nun für neue (barocke) Bauten, Kultur etc. ausgeben. Dementsprechend wird sich Erleichterung nicht nur wegen der gebannten Gefahr für Leib und Leben breitgemacht haben. Die Lebensqualität dürfte sich generell verändert haben.

Die Türken kamen nie mehr bis nach Wien, die Pest aber schon. 1679 raffte die Seuche auch Vertreter der oberen Stände, so dass Kaiser Leopold nach Prag und später nach Linz floh, die Krankheit im Flüchtlingskonvoi mitnahm. Dafür, dass er selbst verschont wurde, ließ Leopold I. am Graben die Pestsäule errichten. Nach 1679 verbesserten sich aber die Hygienevorschriften, und es wurde ein Warn- und Quarantänesystem eingerichtet. Kaiser Karl VI., Sohn Leopolds blieb während der letzten Epidemien in Wien, doch alsman 1713 bei einer Schwangeren aus Ungarn Symptome feststellte, war es für Quarantänemaßnahmen schon zu spät. Während der letzten Epidemie 1713 sollen 6-8000 Bewohner der Seuche zum Opfer gefallen sein. Schulen und die Universität wurden gesperrt und in der Währinger Straße ein Spital für vermögende Kranke errichtet, wo diese gegen 1 Fl Tagesgeld von Pflegern betreut wurden. Die Heilungschancen waren eher begrenzt. Erst im Februar 1714 flachte die Seuche ab.
 
Ich denke da an den Wandel von der Turkophobie
(...)
zur Turkophilie (Entführung aus dem Serail, Kaffeekultur...).
Nicht nur säckeweise Kaffeebohnen haben die Türken vor Wien zurückgelassen ( was bis heute in Wien mit vielen verschiedenen Kaffezubereitungsarten in ihren zahlreichen Kaffeehäusern wirksam zu sein scheint :) ), sondern auch Rosskastanien - Rosskastanie – Zitat:
Der deutsche Name Rosskastanien bezieht sich eigentlich auf die Gewöhnliche Rosskastanie. Er beruht auf der Edelkastanie optisch ähnlichen Samen, die von den Osmanen als Pferdefutter und als Heilmittel gegen Pferdehusten mitgeführt wurden und so nach Mitteleuropa gelangten. Dies diente zur Unterscheidung dieser für den Menschen ungenießbaren Samen von den schon länger bekannten, essbaren Edelkastanien.
 
Der größte Wandel trat ,nach der Belagerung Wiens in der Sicht auf die Türken ein. Die über 2 Jahrhunderte vorherrschende Türkenangst verschwand allmählich aus dem Bewusstsein und wandelte sich zu einer gewissen Bewunderung orientalischer Exotik . Es entstand sogar eine gewisse Türkenmode in den herrschenden Kreisen. Man feierte an den Fürstenhöfen Feste "alla turca". Ein Beispiel dafür ist das große Türkenzelt der dresdner Sammlung ,in dem August der Starke orientalische Feste feierte. Staatliche Kunstsammlungen Dresden-Türckische Cammer Einige Höfe hielten sich sogar türkische Misikkapellen .
 
Auf meiner Suche nach Informationen über "Mondsichelmadonnen"
kam ich auf die Seite von tuerkengedaechtnis.at

Vielleicht kannst du hier weitere Ideen finden.

Ein wichtiger Einfluss der alla turca - Mode ist auch in der Architektur zu finden. Sanspareil bei Bayreuth zum Beispiel.
 
Seltsames Thema für eine Klausur in NRW...

Ich denke da an den Wandel von der Turkophobie (Pfähler, Schlächter, Ungläubige/Heiden, "da faßt er erst sein Schwert mit Macht, | er schwingt es auf des Reiters Kopf, | haut durch bis auf den Sattelknopf, | [...] |zur Rechten sieht man wie zur Linken, |einen halben Türken heruntersinken.") zur Turkophilie (Entführung aus dem Serail, Kaffeekultur...).

Ich nehme ja an, dass 1638 ein Zahlendreher ist. Für den Fall, dass nicht: 1683!

Wichtig dürfte aber vor allen Dingen sein, dass du die Methoden, die ihr im Unterricht eingeübt habt, beherrschst.

Stammt der zitierte Text nicht aus einer Ballade von Ludwig Uhland? Dann müsste er zu einer Zeit entstanden sein, als die Türken kaum noch als "der altböse Feind" wahrgenommen wurden und auch die "Alla turca- Faszination des ausgehenden 18. Jhds schon der Vergangenheit angehörte und das Osmanische Reich schon bald zum Spielball der europäischen Großmächte wurde und man schon bald vom "kranken Mann am Bosporos" sprach. Die Orientfaszination des ausgehenden 18. Jhds setzte sich freilich im 19. Jhd fort. Mit dem Freiheitskampf der Griechen in den 1820er Jahren wurden zwar wieder die "Türkengreuel" heraufbeschworen, der Orient als exotische Kulisse verlor dadurch aber kaum an Faszination. Herren- und Raucherzimmer gutbürgerlicher Salons wurden häufig mit orientalischen Assecoires geschmückt, und Reiseberichte aus dem osmanischen Reich erfreuten sich großer Beliebheit. Als einer der ersten Europäer bereiste (außer Old Shatterhand) der Brite Richard Burton inkognito Mekka, und er war es auch, der die Märchen von 1001 Nacht ins Englische übersetzte. Die "Arabian Nights" wurden häufig auch mit erotischen Illustrationen herausgegeben, und die Deutschen Heinrich Barth und Gerhard Rohlfs bereisten und kartographierten Nordafrika und die Sahara. Rohlfs war Arzt im Dienste der Fremdenlegion gewesen, bevor er als angeblich konvertierter Muslim unter dem Namen "Mustafa el Tobib" die Sahara bereiste. Rohlfs hatte als Arzt Gelegenheit, die Haremsdamen eines nordafrikanischen Potentaten zu untersuchen. Was in Europa Stoff für Männerphantasien bot, war vor Ort weit weniger romantisch. Rohlfs musste Medikamente, die er seiner Exzellenz und deren Odalisken verabreichte, vorher selbst ausprobieren, und seine Patientinnen waren recht bedauernswerte Geschöpfe, die in frühester Jugend zwangsverheiratet wurden und sich zu Tode langweilten.

Henri Duveyrier, den Rohlfs persönlich kennenlernte, hatte anscheinend in Ghadames auch erotische Abenteuer erlebt. Der Franzose hatte mehrere Jahre bei den Tuareg des Hoggar verbracht und richtete Rohlfs aus, er sollte die Schönen von Ghadames grüßen. Die Ehemänner und Patriarchen der Stadt trugen als Zeichen ihrer Würde riesige hozgeschnitzte Schlüssel mit sich herum, die noch in den 60er Jahren des 20. Jhds getragen wurden, doch die verheirateten Frauen von Ghadames erfuhren alles und bewegten sich über die Dächer der Stadt. Rohlfs begnete mehrmals als Tuareg verkleideten Damen, die ihm Koransprüche und silberne Amulette zusteckten, die er Duveyrier übergeben sollte.

Allerdings etwas OT diese Ausführungen.
 
Zumindest in der Geschichte vieler Wiener Vororte* stellt die Zweite Wiener Türkenbelagerung den wesentlichen Wendepunkt da. Während bei beiden Türkenbelagerung das damalige Wien (umfasst in etwa heute den 1. Wiener Bezirk innerhalb der Ringstraße) nicht eingenommen wurde, wurde das Umland von Wien damals verwüstet, geplündert und Siedlungen weitgehend zerstört; dies übrigens nicht nur von den Osmanen, sondern auch von den Verteidigern der Stadt Wien im Rahmen von Abwehrmaßnahmen. Nur wenige der Siedlungen (Vororte) konnten sich aus der Zeit vor der Zeit der Zweiten Wiener Türkenbelagerung erhalten. (Das waren vor allem jene Vororte, die seit dem Mittelalter als Sitz einer eigenen Pfarre nachgewiesen sind.) Daher sind die meisten Siedlungen (Vororte) erst in der Zeit nach der Zweiten Wiener Türkenbelagerung entstanden. (Nach 1683 verlagerte sich der Krieg allmählich weg von Wien und der Wiener Umgebung.)

Eine Veränderung ist in den österreichischen "Türkensagen" zu finden. Erst nach der Zweiten Wiener Türkenbelagerung entwickelt sich sozusagen ein weiterer Sagentyp "Willkommen in Österreich", der vielleicht nicht unserem heutigen Verständnis von politischer Korrektness entspricht, aber eine andere Sichtweise auf den früheren Feind zulässt: der Osmane, der sich z. B. in einem Schornstein versteckt, sorgt zwar, als er aus diesem hervorkommen muss, für einige Panik, aber er letztlich nicht umgebracht, sondern z. B. Knecht bei einem Bauern, also sozusagen in die Gemeinschaft aufgenommen.

Dass das Osmanische Heer eine Unmenge von Kaffeebohnen zurückgelassen hat, gilt heute übrigens als Legende, ebenso, dass als Folge der Zweiten Wiener Türkenbelagerung in Wien das erste Kaffeehaus eröffnet wurde.

Aus historischer Sicht dürfte die Zweite Wiener Türkenbelagerung später insofern als Wendepunkt gesehen worden sein, als damit sozusagen die "Osmanische Gefahr" für Europa ihren Abschluss fand. Es gab zwar weitere "Türkenkriege", aber die beschränkten sich in der Folge auf jene östlichen Teile von Europa, die eben nicht im Blickfeld der meisten europäischen damaligen europäischen Länder lagen.

-------------------
*Wiener Vororte: jene Dörfer und Orte, die heute Teil von Wien sind und sich außerhalb der Gürtelstraße befinden.
 
Aus historischer Sicht dürfte die Zweite Wiener Türkenbelagerung später insofern als Wendepunkt gesehen worden sein, als damit sozusagen die "Osmanische Gefahr" für Europa ihren Abschluss fand. .

... und die nun einsetzende Rückeroberung Südosteuropas durch habsburgische Armeen, verbunden mit der Souveränität der vormals osmanisch beherrschten Balkanstaaten Ende des 19. Jh.

Mit der gescheiterten zweiten Belagerung Wiens begann der langsame aber unaufhaltsame militärische, politische und wirtschaftliche Abstieg der osmanischen Großmacht, bis hin zum "kranken Mann am Bosporus".
 
Zuletzt bearbeitet:
... und die nun einsetzende Rückeroberung Südosteuropas durch habsburgische Armeen, verbunden mit der Souveränität der vormals osmanisch beherrschten Balkanstaaten Ende des 19. Jh.

Mit der gescheiterten zweiten Belagerung Wiens begann der langsame aber unaufhaltsame militärische, politische und wirtschaftliche Abstieg der osmanischen Großmacht, bis hin zum "kranken Mann am Bosporus".

Diese Darstellung zur - alleinigen - Rolle der habsburger Armeen ist so nicht korrekt. Und das ist keine Spitzfindigkeit, da sie übersieht, wie Russland zur Schutzmacht der Süd-Slawen (Serben) wurde. Und somit ein zentrales historisches Ereignis ignoriert, dass als eines der ideologischen Begründungen für die russische Motivation für den Ausbruch des WW1 eine relevante Rolle gespielt hat.

Es waren vor allem russische Armeen, die die osmanischen Armeen zurückdrängten und vor allem sie entrichteten den höchsten "Blutzoll" im Kampf gegen das osmanische Reich, hauptsächlich im 19. Jahrhundert (vgl. beispielsweise: B. Menning: Bayonets before Bullets. The imperial Russian Army 1861-1914.Indiana, 1992, S. 6-86)

Dass Südosteuropa überhaupt zum zentralen - peripheren - Schauplatz der Großmachtinteressen im langen 19. Jahrhundert - bis 1914 - wurde, ist im wesentlichen durch den vorhergehenden Erfolg der russischen Armeen und der imperialen Ausdehnung des zaristischen Russlands zu erklären (vgl. beispielsweise D. Lieven: Empire. The Russian Empire and ist Rivals. Yale, 2000, S. 128-200).

Türkenkriege ? Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehe ich auch so. Es gibt neuere, sehr gute Darstellungen zum Osmanischen Reich 1683/1914, die hervorheben:

Auch schon vor dem langen 19. Jahrhundert war ausschlaggebend, dass die Kapazitäten des Osmanischen Reiches durch die umgebenden Mächte schlicht überfordert waren. Dabei kann man nicht nur die Kriege gegen ÖU betrachten, sondern eben auch den gewaltigen Machtzuwachs Russlands, die Ost- und Südgrenzen. Die Bedrohungen ringsrum sind kumuliert zu sehen. Ein weiterer Faktor sind auch unterschiedliche Entwicklungen in den Populationen des 18. und 19. Jahrhunderts - sozusagen als Ausgangsbasis zentralisierter Macht -, bei denen das OR "abgehängt" wurde.
 
Diese Darstellung zur - alleinigen - Rolle der habsburger Armeen ist so nicht korrekt.

Ungarn, Siebenbürgen, Slawonien, Kroatien und das Banat wurden allein von habsburgischen Heeren erobert.

Dass das osmanische Reich an mehreren Fronten in Kriege verwickelt war, ist eine ganz andere Frage.
 
Dazu fällt mir noch folgender Aspekt ein:

Wien musste sich nach der entscheidenden Schlacht (unter Führung Sobieskis) - so denke ich - nicht mehr primär um die kostspielige Befestigung der Stadt kümmern, sondern konnte Geld nun für neue (barocke) Bauten, Kultur etc. ausgeben. Dementsprechend wird sich Erleichterung nicht nur wegen der gebannten Gefahr für Leib und Leben breitgemacht haben. Die Lebensqualität dürfte sich generell verändert haben.
Die Befestigungen scheinen aber noch unter Karl VI. recht bedeutend gewesen zu sein, wenn ich an einige Ansichten aus den 1720ern denke.
Deutlich nach der Belagerung von 1683 wurde Wien erneut bedroht, was während des Spanischen Erbfolgekrieges im Zuge der Kuruzenerhebung zum Bau der sogenannten "Linie" führte. Linienwall ? Wikipedia


Der größte Wandel trat ,nach der Belagerung Wiens in der Sicht auf die Türken ein. Die über 2 Jahrhunderte vorherrschende Türkenangst verschwand allmählich aus dem Bewusstsein und wandelte sich zu einer gewissen Bewunderung orientalischer Exotik . Es entstand sogar eine gewisse Türkenmode in den herrschenden Kreisen. Man feierte an den Fürstenhöfen Feste "alla turca". Ein Beispiel dafür ist das große Türkenzelt der dresdner Sammlung ,in dem August der Starke orientalische Feste feierte. Staatliche Kunstsammlungen Dresden-Türckische Cammer Einige Höfe hielten sich sogar türkische Misikkapellen .

Das mit den von Dir genannten türkischen Einflüssen fand allerdings noch zeitgleich zur Türkengefahr statt. August der Starke selber zog in den 1690ern gegen die Türken ins Feld, die sowohl in Österreich als auch in Polen noch als reale Bedrohung empfunden wurden.

Ein ähnlicher Türken"bezwinger", wenn auch ungleich erfolgreicher, war der Türkenlouis, der sich sich ebenso wie seine Gemahlin in türkischer Kleidung porträtieren ließ.

Die "Entführung aus dem Serail" würde ich anders als ElQuijote einordnen. Das Thema dieser Oper ist ja eher noch eine reale Türkengefahr, die im Gewand der Berberpiraten auch noch wirklich vorhanden war. Man braucht nur mal die Zeitungen der Zeit (also vor 1781/82) anschauen. Als berüchtigte Seeräuber waren die "Türken" noch immer gefürchtet. Weder in "Constanze und Belmonte" von Bretzner oder "Die Entführung aus dem Serail" von Mozart oder den weiter zeitlich entfernt liegenden Opern "Les Indes Galantes" oder dem zeitlich näheren "La Caravane de Caire" kommen die Protagonisten so wirklich freiwillig zu den Osmanen. Vielmehr wird die real existierende Bedrohungskulisse als perfekter spannungsaufbauender Raum für die Handlung genutzt.

Interessant wäre inwiefern Lady Montagu oder Liotard ein positiv aufgeladenes Bild der Osmanen evtl. animierten.
 
Auffallend ist auch, dass offensichtlich heute im Zusammenhang mit der Wiener Türkenbelagerung der bekannte Held nur mehr Sobieski ist. Wobei ich keineswegs seine Verdienste aus christlich-österreichischer Sicht (die Osmanen werden das vielleicht anders sehen) schmälern möchte, aber für mich liegt die eigentliche Leistung hier bei denen, die die Verteidigung von Wien organisierten und denen es gelang, die Stadt immerhin bis 5 Minuten nach Zwölf zu halten, trotz Angriff, Lebensmittelknappheit, Seuchen etc.

Wäre der gute Sobieski (der übrigens auch Verbündete hatte) heute wirklich noch der Held, wenn Stadt nicht so lange gehalten wurde, bis eben das Ersatzheer endlich da war.:devil:

Ist übrigens recht interessant, dass der historische "Held" bei einer belagerten Stadt in der Geschichtswahrnehmung immer der (oder wenigstens ein) Anführer ist, der die Stadt sozusagen entsetzt hat, obwohl dieser Entsatz in den meisten Fällen nur deswegen überhaupt möglich war, weil die belagerte Stadt noch nicht eingenommen wurde.

Die Befestigungen scheinen aber noch unter Karl VI. recht bedeutend gewesen zu sein, wenn ich an einige Ansichten aus den 1720ern denke.
Deutlich nach der Belagerung von 1683 wurde Wien erneut bedroht, was während des Spanischen Erbfolgekrieges im Zuge der Kuruzenerhebung zum Bau der sogenannten "Linie" führte. Linienwall ? Wikipedia

Das mit den von Dir genannten türkischen Einflüssen fand allerdings noch zeitgleich zur Türkengefahr statt. August der Starke selber zog in den 1690ern gegen die Türken ins Feld, die sowohl in Österreich als auch in Polen noch als reale Bedrohung empfunden wurden.

Der Linienwall (eine Stadtmauer zum Schutz der Wiener Vorstädte, sie war in etwa dort, wo heute die Wiener Gürtelstraße verläuft) wurde um erst Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet, also ca. 20 Jahre nach der Wiener Türkenbelagerung. Zu diesem Zeitpunkt war die Bedrohung aus dem Osten noch keineswegs vorbei, auch wenn der Stadt Wien eine weitere Belagerung erspart blieb, und sich der Krieg allmählich aus Niederösterreich ins heutige Ungarn und auf den Balkan verlagerte.

Die "Entführung aus dem Serail" würde ich anders als ElQuijote einordnen. Das Thema dieser Oper ist ja eher noch eine reale Türkengefahr, die im Gewand der Berberpiraten auch noch wirklich vorhanden war. Man braucht nur mal die Zeitungen der Zeit (also vor 1781/82) anschauen. Als berüchtigte Seeräuber waren die "Türken" noch immer gefürchtet. Weder in "Constanze und Belmonte" von Bretzner oder "Die Entführung aus dem Serail" von Mozart oder den weiter zeitlich entfernt liegenden Opern "Les Indes Galantes" oder dem zeitlich näheren "La Caravane de Caire" kommen die Protagonisten so wirklich freiwillig zu den Osmanen. Vielmehr wird die real existierende Bedrohungskulisse als perfekter spannungsaufbauender Raum für die Handlung genutzt.
...

Eine Oper wie "Die Entführung aus dem Serail" wurde ca. 100 Jahre nach der Belagerung von Wien uraufgeführt. Zu dieser Zeit hatte sich die damalige Welt doch bereits wesentlich verändert.

Davon aber abgesehen, hat die Oper von Mozart zwar einige positive Ansätze, aber sie ist z. B. keine "Verherrlichung" des "guten" Türken. Bassa Selim ist kein wirklicher Osmane, sondern ein Europäer und Renegat (also ein ehem. Christ), der durch Unrecht ins Osmanische Reich flüchten müsste (oder emigriert ist). Ein positives Element ist vielleicht, dass hier das Osmanische Reich immerhin auch als Zufluchtsort für zu Unrecht Verfolgte dargestellt ist und Bassa Selim auch gar nicht davon träumt, wieder seine alte Heimat zurückzukehren.
 
1.
Auffallend ist auch, dass offensichtlich heute im Zusammenhang mit der Wiener Türkenbelagerung der bekannte Held nur mehr Sobieski ist. Wobei ich keineswegs seine Verdienste aus christlich-österreichischer Sicht (die Osmanen werden das vielleicht anders sehen) schmälern möchte, aber für mich liegt die eigentliche Leistung hier bei denen, die die Verteidigung von Wien organisierten und denen es gelang, die Stadt immerhin bis 5 Minuten nach Zwölf zu halten, trotz Angriff, Lebensmittelknappheit, Seuchen etc.

2.
Der Linienwall (eine Stadtmauer zum Schutz der Wiener Vorstädte, sie war in etwa dort, wo heute die Wiener Gürtelstraße verläuft) wurde um erst Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet, also ca. 20 Jahre nach der Wiener Türkenbelagerung. Zu diesem Zeitpunkt war die Bedrohung aus dem Osten noch keineswegs vorbei, auch wenn der Stadt Wien eine weitere Belagerung erspart blieb, und sich der Krieg allmählich aus Niederösterreich ins heutige Ungarn und auf den Balkan verlagerte.

3.
Davon aber abgesehen, hat die Oper von Mozart zwar einige positive Ansätze, aber sie ist z. B. keine "Verherrlichung" des "guten" Türken. Bassa Selim ist kein wirklicher Osmane, sondern ein Europäer und Renegat (also ein ehem. Christ), der durch Unrecht ins Osmanische Reich flüchten müsste (oder emigriert ist). Ein positives Element ist vielleicht, dass hier das Osmanische Reich immerhin auch als Zufluchtsort für zu Unrecht Verfolgte dargestellt ist und Bassa Selim auch gar nicht davon träumt, wieder seine alte Heimat zurückzukehren.
1.
In den meisten Dokus wird eigentlich die Verteidigung Wiens durch die örtlichen Truppen und Einwohner immer wieder betont. Ernst Rüdiger von Starhemberg taucht eigentlich schon zumeist auf, wenn es um die große Belagerung Wiens geht.
Karl von Lothringen wird zumeist zumindest in älteren Publikationen ziemlich gleichberechtigt neben Sobieski erwähnt.
Ich weiß nicht mehr wie in Wien das Bild der Belagerung war, was ja im HGM genauso wie im Stadtgeschichtlichen Museum thematisiert wird.

2.
Eigentlich erstaunlich, dass das Habsburgerreich unter der doppelten Bedrohung nicht zusammen brach. Finanziell war es ja völlig erschöpft und hatte nochmal nach dem Span. Erbf.krieg enorme Mittel für den Türkenkrieg mobilisieren müssen, der dann 1717 mit der Schlacht von Belgrad ihren Höhepunkt fand.

3.
Großmut auf osmanischer Seite wird eben in der Zeit fast immer relativiert. In "Le turc genereux" von Louis Fuzelier ist ja auch der großmütige Türke wahrscheinlich nur deswegen großzügig, weil er seinerseits von einem Christen, seinem jetzigen Sklaven Valère, in der Vergangenheit frei gegeben worden war.
In "La caravane du Caire" ist immerhin der Pascha weniger Tyrann als ein gelangweilter Herrscher, der seine Lebensgeister mit jungen Sklavinnen aufmuntern will und dann recht großherzig die Entführung seiner Zélime verzeiht, wozu er allerdings auch möglicherweise von seiner eigentlichen Gattin gedrängt wurde. Ein bisschen Dankbarkeit schwingt auch mit. Aber das scheint mir nicht so wichtig. Der Schluss ist dann ja auch recht abrupt. Das Bild der Osmanen in Frankreich war sicherlich ohnehin in der Zeit ein anderes, weil die Osmanen selten als Bedrohung auftreten. Immerhin waren sie über Jahrhunderte die Feinde der Erzfeinde Frankreichs.
Weiß man wie "Die Entführung aus dem Serail" dann nach 1787 und dem Eintritt Österreichs in den Türkenkrieg gesehen wurde?
 
Die Stadtmauern wurden bewusst erhalten als Monument der "Vienna gloriosa" - ein faszinierendes städtebauliches Kapitel der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien....aber da es heute schon etwas spät ist werde ich dieses spannende Thema jetzt nur anreißen und erst in den nächsten Tagen mehr darüber schreiben.
 
Auch wenn die Stadtmauern bis in 19. Jahrhundert als "Monument" erhalten blieben, sie wurde aber ursprünglich nicht als Monument errichtet, und das trifft auch für den Linienwall zu, der erst Anfang des 18. Jahrhunderts (somit nach der Zweiten Wiener Türkenbelagerung) erbaut wurde.
 
Zurück
Oben