Ostfront 1941- Umspuren/Umnageln der Gleise?

Zechi

Mitglied
Ich habe ein paar Fragen zu dem Umspuren/Umnageln der Gleise an der Ostfront. Bekanntermaßen verwendete die UdSSR eine 1.536 mm Breitspur während in Mitteleuropa 1.435 mm üblich waren.

Das Anpassen der sowjetischen Breitspur auf den Mitteleuropäischen Standard war mit Sicherheit zeitaufwendig, aber wurde mit Sicherheit als Problem bei den Planungen von Barbarossa berücksichtigt. Ebenso war den Planern des Überfalls auf die UdSSR sicherlich bewusst, dass ein Großteil des Nachschubs bzw. der Logistik nur über den Schienenverkehr zu bewerkstelligen ist.

Hier stellen sich mir die folgenden Fragen:

1. Wie passt die Tatsache, dass das zeitaufwendige Umspuren berücksichtigt worden sein muss, zu den ursprünglichen Planungen für Barbarossa. Die Planer sahen ja einen Blitzkrieg von vier bis sechs Wochen voraus. Hatte man tatsächlich gehofft, so schnell umspuren zu können, dass man die AA-Linie (Archangelsk-Astrachan) tatsächlich in diesem Zeitraum erreicht. Das erscheint mir äußerst optimistisch, wenn nicht sogar unmöglich. Gingen den Planungen tatsächlich davon aus, dass man sowjetische Eisenbahnen samt Anlagen intakt erobert?

2. Ab welcher geografisch Linie (ca.) war das umspuren/umnageln überhaupt nötig? Bereits im damaligen Ostpolen und dem Baltikum? In der Ukraine? Oder erst in Weißrussland und Russland?

3. Als die Achsenmächte begannen zurückgedrängt zu werden (ab ca. 1943), hatte man die Gleise bis (fast) zur Front umgenagelt/umspuren können oder gelang dies nicht?

4. Wenn ja, welche Probleme hatte die Rote Armee bei ihrem Vormarsch gen Westen mit dem umnageln/umspuren. War es überhaupt ein Problem oder konnte die Sowjetunion dank der LL-Laster und dem vorhanden Nachschub an Erdöl quasi auf ein funktionierendes Bahnnetz verzichten? Hat das umnageln/umspuren die Rote Armee überhaupt in ihrem Vormarsch verlangsamt? Wie weit hat diese umgespurt/Umgenagelt? Bis in das Deutsche Reich hinein?

Gruß Zechi
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
In Kürze:

Das wurde sorgfältig geplant. Das Otto-Programm sorgte zudem für den vorbereitenden Ausbau der T-Wege in Polen.

Dem Vormarsch folgten Bautruppen (und Eisenbahn-Pioniertruppen), Vortrieb mehrere km/Tag. Den Heeresgruppen waren reichlich Mannschaften geteilt worden. Man rechnete außerdem mit der großen Beute an rollendem Material - die Kalkulation ging nicht auf.

Logistisch wichtig war nicht nur das rollende und Schienen-Material, sondern zudem die Ausrüstungen an der Strecke (Brücken, Stationen, Weichen etc.). Hier gab es ebenfalls große Zerstörungen. Bis Oktober/November war die Dnjepr-Düna-Linie grob erreicht bzw. teilweise überschritten, zumindest eingleisig, auf zwei, drei West-Ost-Hauptstrecken auch zweigleisig.

Die kalkulierten (flankierenden) Küstentransporte gelangen in der Ostsee, während es im Schwarzen Meer wegen der Belagerung bei Odessa 1941 große Verzögerungen gab.

Standardliteratur hierzu ist Schüler, Logistik im Russlandfeldzug.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ist ja interessant. Das Problem war mir nicht bewusst.

Hat der Bautrupp denn gleich neue Schienen verlegt oder wurden die vorliegenden nur angepasst?
 
Ist ja interessant. Das Problem war mir nicht bewusst.

Hat der Bautrupp denn gleich neue Schienen verlegt oder wurden die vorliegenden nur angepasst?
Normalerweise reicht anpassen. Problematisch sind weniger die Strecken (die brauchen "nur" Arbeitskraft) sondern vielmehr die Weichen. Behelfsmäßig kann eine Weiche relativ schnell ohne großes Material umgebaut werden. Aber die Betriebssicherheit ist begrenzt und die Instandhaltung braucht Personal welches an anderer Stelle dringender eingesetzt werden sollte.

Die erreichten Geschwindigkeiten sind eh nicht besonders hoch, aber eine schlechte Gleislage verringert den Durchsatz weiter. Das Streckennetz im Osten war nur sehr dünn und selbst dieses konnte nur unvollständig genutzt werden. In der Spitze bestanden die Nachschublinien nur aus unvernetzten Strecken, so dass bei technischen Defekten, Partisanen oder ab 1943 durch gegnerische Angriffe unterbrochene Strecken kaum durch Umfahrung umgangen werden konnten. Häufig konnte die Strecke dann wieder in Betrieb genommen werden, aber oftmals ging das Material dadurch zumindest zeitweise verloren.

Die ursprünglichen Planungen gingen von einer beträchtlichen Nutzung des eroberten Materials aus, allerdings zeigte sich schnell ein Bedarf an Lokomotiven aus dem "Altreich", was große logistische Probleme mit sich brachte.

Solwac
 
Einige statistische Daten sind dem Pottgießer Die Reichsbahn im Ostfeldzug, WiK 26, zu entnehmen.

Demnach wurden 1941 rd. 15.000 km "umgenagelt". Im November 1941 wurden einige Brücken (Narwa, Dnjepr, Bug) repariert, die vorher die Umspurung aufgehalten hatten.

Teilweise waren Ende 1941 noch Zweigleisige Strecken im gemischten Breit-/Normalspurbetrieb vorhanden, mit natürlich geringerer Leistung als gleichspurigem Zweigleisbetrieb.

Das erbeutete rollende Material war 1941 zu gering, um auf den planmäßig verbliebenen Breitspurstrecken den erforderlichen Transportverkehr zu leisten. Im Pottgießer ist auch eine Streckenkarte mit täglichen Zugleistungen für Jan42 enthalten. Die Ausladebahnhöfe waren danach bis Frontnähe vorgetrieben.
 
....
4. Wenn ja, welche Probleme hatte die Rote Armee bei ihrem Vormarsch gen Westen mit dem umnageln/umspuren. War es überhaupt ein Problem oder konnte die Sowjetunion dank der LL-Laster und dem vorhanden Nachschub an Erdöl quasi auf ein funktionierendes Bahnnetz verzichten? Hat das umnageln/umspuren die Rote Armee überhaupt in ihrem Vormarsch verlangsamt? Wie weit hat diese umgespurt/Umgenagelt? Bis in das Deutsche Reich hinein?

...
Mit Umnageln war nach dem deutschen Rückzug nicht mehr viel zu tun:

Schienenwolf ? Wikipedia
 

Anhänge

  • Bildschirmfoto 2012-03-04 um 16.58.00.jpg
    Bildschirmfoto 2012-03-04 um 16.58.00.jpg
    35,9 KB · Aufrufe: 1.185
  • Bildschirmfoto 2012-03-04 um 16.57.11.jpg
    Bildschirmfoto 2012-03-04 um 16.57.11.jpg
    69,8 KB · Aufrufe: 1.906
Vielen Dank für das Feedback. Zusammenfassend kann man wohl festhalten, dass auch hinsichtlich der Logistik im Schienenverkehr eine Fehleinschätzung durch die Planer des Überfalls auf die UdSSR erfolgt. Offenbar war man auch hier viel zu optimistisch, was das erbeutete Material und die unversehrtheit des Schienennetzes angeht.

Interessant auch, dass Ohne die Unterstützung durch die regionalen Bahnbehörden der besetzten Gebiete (wie im Baltikum) wären die Logistikprobleme vermutlich noch größer gewesen.

Offenbar gelang die komplette Umnagelung ja erst 1943 in dem noch besetzten Gebiet. Hier stellt sich dann die Frage, wie die Rote Armee mit dieser Problematik umging. Wenn dann auch noch die Gleise mittels Schienenwolf beim Rückzug der Wehrmacht zerstört wurden, war der Aufwand sicherlich immens das Gleiswesen sowjetischer Art wieder herzustellen.

Oder war die Rote Armee darauf gar nicht angewiesen, weil sie über ausreichende Motorisierung und Erdöl verfügte?

Wie weit hat die Rote Armee umnagel lassen? Bis Berlin?
 
Zusammenfassend kann man wohl festhalten, dass auch hinsichtlich der Logistik im Schienenverkehr eine Fehleinschätzung durch die Planer des Überfalls auf die UdSSR erfolgt.
Ich bezweifele, ob es überhaupt eine abschließende Planung dazu gegeben hat oder ob nicht einfach nur "Schätzungen" erfolgten. Grund für meinen Zweifel sind die unzureichenden Informationen, die einfach keine Grundlage bieten und die hohe Geheimhaltung. Die Erfahrungen im Westen zeigten einen Blitzkrieg vor allem mit motorisierten Truppen und einer Rolle der Eisenbahn als Nachschubträger nach den Kämpfen. In der ersten Phase bis in die Schlammperiode hat die Eisenbahn keine Chance für einen Nachschub bis in die Spitze gehabt, danach erst wurden diese Mängel für die Front sichtbar.

Hier stellt sich dann die Frage, wie die Rote Armee mit dieser Problematik umging. Wenn dann auch noch die Gleise mittels Schienenwolf beim Rückzug der Wehrmacht zerstört wurden, war der Aufwand sicherlich immens das Gleiswesen sowjetischer Art wieder herzustellen.

Oder war die Rote Armee darauf gar nicht angewiesen, weil sie über ausreichende Motorisierung und Erdöl verfügte?

Wie weit hat die Rote Armee umnagel lassen? Bis Berlin?
Auch die Rote Armee hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Erinnert sei an die Passivität während des Warschauer Aufstands. Die Motorisierung und der Treibstoffnachschub waren ähnlich zur Situation der Allierten in Frankreich. Große Möglichkeiten (vor allem im Vergleich zur Situation der Wehrmacht), aber schnell auch zu große Etappen und die Notwendigkeit von neu errichteten Basen.

Erst zur Konferenz in Potsdam wurde noch mit viel Aufwand ein Gleis von Polen bis Berlin umgenagelt.

Solwac
 
Ich bezweifele, ob es überhaupt eine abschließende Planung dazu gegeben hat oder ob nicht einfach nur "Schätzungen" erfolgten. Grund für meinen Zweifel sind die unzureichenden Informationen, die einfach keine Grundlage bieten und die hohe Geheimhaltung.

In die zahlreichen "Planspiele" und auch in die umfangreichen logistischen Planungen wurden natürlich Prognosen zur Beute des rollenden Materials eingebaut.

Eisenbahnstrecken in Rußland sind - im Prinzip gut sichtbar, wie auch der Zugverkehr, anders als bei Straßenverhältnissen - mehrere Monate von der Höhenaufklärung der Luftwaffe vor Beginn des Feldzugs beobachtet worden. Während des Feldzuges hatte die Luftwaffe die strategische Aufgabe (die auch im Rahmen des Möglichen gegen Knotenpunkte betrieben wurde), das "Abfließen" des rollenden Materials in den rückwärtigen Raum zu verhindern.

In der Sommeroffensive wurden für die Breitspurstrecken erbeutet (Masse im Süden, weniger nördlich der Pripjets) bis 16.10.41/bis 31.12.41:

Lokomotiven: 1.979 (betriebsbereit 1.109) - 2.173 (betriebsbereit 1.223)
Waggons, betriebsbereit erbeutet: 49.497 - 53.850

Das unterschritt die Prognosen zum Beutematerial. Bei den Strecken und Haupttransportlinien wurde ohnehin bereits in den Planungen auf "Umnageln" gesetzt. Als realistischer Wert wurden 20km/pro Tag/pro Eisenbahnpionier-Bataillon angenommen. Lediglich bis zur Marcks-Studie ging man nicht von erbeutetem Material in den Planungen aus, bei Loßberg und den Planungen des GenQuM wurden Beutematerial und Streckenumnageln in die Planungen eingebaut. Die Hauptstrecken sollten 1941 bis Dnjepr/Düna vorgetrieben werden, eine Versorgung der Truppe darüber hinaus - nur durch die Eisenbahn - ist schon in den Planungen als unrealistisch angenommen worden. Nur die frühe Marcks-Studie ging fälschlicherweise davon aus, dass im sowjetisch besetzten Ostpolen keine Breitspur vorhanden sei. Aufklärungsergebnisse belegten dagegen, dass Ostpolen bereits komplett auf Breitspur umgestellt war. Die späteren Planungen nach der Marcks-Studie ab August 1940 gingen dann von der zutreffenden Lage aus.

Schüler, Logistik im Rußlandfeldzug.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben