Parlamentarisierung des Kaiserreiches?

Eine Entente mit GB wäre auch meiner Ansicht nach möglich gewesen, wenn man es wirklich darauf angelegt hätte. Es gab ja zwei vielversprechende Anläufe. Im Grunde hatte GB in einem Krieg gegen das Reich nicht viel zu gewinnen, selbst bei optimalem Verlauf höchstens ein paar läppsche Kolonien. Eine Art Detente hat sich ja bis 1914 schon angebahnt.

Leider, du bemerkst es ja selbst, ginge das nur wenn "...man es darauf angelegt..." hätte. Die Vorbehalte und Ressentiments auf deutscher Seite waren eben - ungleich denen der Franzosen - nie verhandelbar, bzw. die deutschen Unterhändler hatten nie Handlungsvollmacht. Die politische Leitung konnte die Flottenpolitik nicht als Verhandlungsmasse einbringen, da sie keine Macht gegenüber dem Marineamt ausübte. Das Marineamt wiederum hatte Veranlassung Politik zu betreiben. In dieser Hinsicht hätte eine Parlamentarisierung des Reichs unbedingt zu einer hierarchichen Struktur der Machtbefugnisse führen müssen, gebündelt bei einem Hauptverantwortlichen.
 
@Silesia
Richtig. Aber es ging ja um Bülow und warum er die fatale Flottenpolitik mitgetragen hat und die Marokkokrise.

@turgot
Ich meinte Chamberlain und die Haldane Mission. Wenn ich mich recht entsinne hat Bülow die Chamberlain-"Anfrage" mit einer sehr abweisenden Rede im Reichstag torpediert. Chamberlains Vorstoß war nicht autorisiert, aber er hätte das sicher nicht gemacht, wenn er sich nicht Chancen ausgerechnet hätte, damit in seiner Partei durchzukommen. Deutschland hat die kalte Schulter gezeigt, aber Chancen für eine Entente sehe ich, wenn die deutsch politische Führung wirklich gewollt hätte.

@Franz-F.

Die Machtverhältnisse zwischen politischer Führung und Marineamt sehe ich dann doch etwas anders. Gegen den Willen der politischen Führung konnte die Marine keine Schiffe bauen.
 
El Mercenario schrieb:
turgot
Ich meinte Chamberlain und die Haldane Mission. Wenn ich mich recht entsinne hat Bülow die Chamberlain-"Anfrage" mit einer sehr abweisenden Rede im Reichstag torpediert. Chamberlains Vorstoß war nicht autorisiert, aber er hätte das sicher nicht gemacht, wenn er sich nicht Chancen ausgerechnet hätte, damit in seiner Partei durchzukommen. Deutschland hat die kalte Schulter gezeigt, aber Chancen für eine Entente sehe ich, wenn die deutsch politische Führung wirklich gewollt hätte.

Zu Chamberlain habe in ja in #60 bereits etwas geschrieben.

Haldane seine Mission hatte, das sollte festgehalten werden, ledilgich Sondierungscharakter. Das wurde von den beteiligen Männern auf deutscher Seite nicht richtig eingeordnet. Bezeichnenderweise war der Staatssekretär des Äußeren Kiderlern an den Gesprächen nicht beteiligt. Auf deutscher Seite wollte man viel zu wenig geben, nämlich im wesentlichen nur eine Verlangsamung des Bautempos der Flotte und wollte dafür ein Defensivbündnis mit Großbritannien. Das war unrealistisch und nicht zu erreichen.

Die britische Seite sah sich durch die Öffentlichkeit und auch Unterhaus zu dieser Mission genötigt, da die Russen sich in Persien immer weniger vertragskonform gebärdeten. Des Weiteren war es für Grey auch Mittel zum Zweck gegenüber den Russen, um zu demonstrieren, das man sich eben auch mit den Deutschen einigen können.

Die Chancen der Mission des britischen Kriegsministers würde ich also nicht als hoch bezeichnen.
 
Die Machtverhältnisse zwischen politischer Führung und Marineamt sehe ich dann doch etwas anders. Gegen den Willen der politischen Führung konnte die Marine keine Schiffe bauen.

Ich meine doch, jedoch mit Willen des Kaisers aber gegen den Willen der politischen Führung: "Die Kriegsmarine unterstand dem einheitlichen Oberbefehl des Kaisers; ihre Organisation und Zusammensetzung oblag dem Kaiser, er ernannte die Offiziere und Marinebeamten (Art. 53 Abs. 1)" Die politische Führung hatte demzufolge die ausführende Aufgabe, vom Parlament nicht die Billigung zur Flottenaufrüstung zu erreichen aber deren Finanzierung sicherzustellen.
 
@turgot

Hinzu kam aber ein gewisse finanzielle und politische Klemme der regierenden Liberalen. Um sich an der Regierung zu halten wäre eine finanzielle "Entspannung" gerade recht gekommen und ev. auch honoriert worden, das war Grey vielleicht nicht so wichtig, aber dem liberalen Kabinett vermutlich schon.

@ Franz-Ferdinand

Den Kaiser rechne ich zur politischen Führung.
 
[...] "Die Kriegsmarine unterstand dem einheitlichen Oberbefehl des Kaisers; ihre Organisation und Zusammensetzung oblag dem Kaiser, er ernannte die Offiziere und Marinebeamten (Art. 53 Abs. 1)" Die politische Führung hatte demzufolge die ausführende Aufgabe, vom Parlament nicht die Billigung zur Flottenaufrüstung zu erreichen aber deren Finanzierung sicherzustellen.

Als Oberbefehlshaber stand der Kaiser auf dem Papier an der Spitze, doch tatsächlich war er von seinen eigenen Behörden, allen voran dem Reichsmarineamt in Handlungsbefugnis schon früh ausgehebelt.

Das führte auch immerwieder zu Umstrukturierungen. Der mächtigste Mann der kaiserlichen Marine war ohne zweifel, Tirpitz, nicht der Kaiser. Interessant ist dabei, dass Tirpitz als Staatssekretär des Reichsmarineamtes dem Reichskanzler unterstellt war, somit direktes Mitglied der politischen Führung. Das Oberkommmando der kaiserlichen Marine, deren oberste Spitze der Kaiser war, wurde schon 1899 aufgelöst. [1]
Noch vor 1897 konnte das Parlament zahlreiche Flottenbauprogramme (Büchselplan) abschmettern und war nur schwer vom Bau der Neuen Panzerschiffe der Brandenburg-Klasse zu überzeugen.
Anfang der 90iger Jahre gab es noch kein politisches Konzept hinter einer vermehrten Flottenrüstung.
Das Parlament genemigte die Flottengesetze und damit war der Weg frei für den planmäßigen Aufbau, ohne ständige politische Debatten über Finanzierungsfragen oder Freigabe von Etatmitteln.

[1] #12 - http://www.geschichtsforum.de/f58/der-kaiser-und-die-falsche-kommandogewalt-der-marine-31393/
 
@Köbis17

Ich fürchte da unterschätzt Du W. II. Über das Marinekabinett hatte er m.E. sehr großen und direkten Einfluß auf die kaiserliche Marine. Immerhin hatte der Chef Immediatsrecht und unterstand nicht dem Reichsmarineamt. Entscheidungen in Personalien wurden dort vorbereitet bzw. getroffen und nicht im Reichsmarineamt, und zwar vom Kadetten bis zum Admiral, von Entscheidungen hinsichtlich der Aufnahme als Kadett in die Marine bis hin zu Beförderungen, Ernennungen, Orden und Kommandierungen etc.

M.

O.t.: Du kennst ja den Spruch, "die Kader entscheiden alles". ;)
 
Wilhem II. begann nach der Thronbesteigung zielstrebig die Spitzenorganisation der Admiralität in seinem Sinne umzubauen.

Statt der einheitlichen Admiralität, an deren Spitze der Chef der Admiralität stand, gab es fortan ein Reichsmarineamt, welches für die Schiffsbauplanung zuständig war. Das Reichsmarneamt mußte analog zum Kriegsminister das Marinebudget im Reichstag vertreten bwz. durchsetzten. Der Admiralstab hieß ab 1889 Oberkommando der Marine und war für die strategische Planung zuständig. Ebenfalls neu wurde ein Marinekabinett unter Senden-Bibran eingerichtet. Senden war ein Mann, der Wilhelms Leidenschaft für die Flotte eher befeuerte als mäßigte. Graf Münster, deutscher Botschafter in Paris, meinte einmal nach einem Essen mit ihm, "Es sei geradezu himmelschreiend, so viel Unsinn und Größenwahn anhören zu müssen." (1)

Der Zweck der Maßnahmen dürfte wohl der gewesen sein, das Wilhelm auf diesem Wege direkten Zugriff auf die maßgeblichen Instanzen der Marine hatte und sich nicht an dem Chef der Admiralität wenden mussten. Zu diesem Zwecke wurden auch neue Immediatstellen geschaffen.


(1) Waldersee, Tagebuch v. 06.11.1888
 
Das Oberkommmando der kaiserlichen Marine, deren oberste Spitze der Kaiser war, wurde schon 1899 aufgelöst.

Das Oberkommando wurde aufgelöst, weil es ständig zu Reiberein zwischen dem Reichsmarineamt und dem Oberkommando gekommen war.

Es hatte ja schon vor der Auflösung entsprechende Bestrebungen gegeben gehabt.

Der Bruder vom Kaiser wurde beauftragt eine neue Gliederung zu erarbeiten. Heinrich schlug vor, das Oberkommando zu teilen. Die Aufgaben sollten zu gleichen Teilen von den Stationskommandos der Ost- und Nordsee übernommen werden. Des Weiteren sollte es eine Art von Admiralstab und Generalinspektion geben.

Der Reichskanzler von Caprivi wünschte dass das Schwergewicht eindeutig auf das Reichsmarinemamt gelegt werde.

Admiral von der Goltz konnte aber mit seinem Einfluss dafür sorgen, das es vorläufig alles so blieb wie es war. Es wurde ein präziser Katlog mit den Kompetenzen der beiden Behörden erarbeitet. Trotzdem schwillte der Streit zwischen den Behörden mit bekannten Ausgang weiter.
 
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