hatl

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Pazifisten ..ein Versuch

Beginnen will ich mit einem Krieger.
Helmut Moltke der Ältere, der auf allen „Sedansfeiern“ geehrte Held des Kriegs gegen Frankreich 1870/71, hält 1890, als nun fast 90jähriger Greis, seine letzte Rede vor dem Reichstag:
Die Zeit der Kabinettskriege liegt hinter uns, - wir haben jetzt nur noch den Volkskrieg ... Meine Herren, wenn der Krieg, der jetzt schon mehr als zehn Jahre lang wie ein Damoklesschwert über unseren Häuptern schwebt, - wenn dieser Krieg zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer und ist sein Ende nicht abzusehen. Es sind die größten Mächte Europas, welche, gerüstet wie nie zuvor, gegen einander in den Kampf treten; keine derselben kann in einem oder in zwei Feldzügen so vollständig niedergeworfen werden, dass sie sich für überwunden erklärte, dass sie auf harte Bedingungen hin Frieden schließen müsste, dass sie sich nicht wieder aufrichten sollte, wenn auch erst nach Jahresfrist, um den Kampf zu erneuern. Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden, - und wehe dem, der Europa in Brand steckt, der zuerst die Lunte in das Pulverfass schleudert!"
http://portal-militaergeschichte.de/foerster_sicherheitspolitik_gewaltmonopols
(Hervorhebung durch mich)
Nun ist ja der alte Moltke durchaus nicht senil, sondern hat die erstaunliche Entwicklung der vorangegangen zwei Jahrzehnten gewürdigt.
Das betrifft die Fortschritte der Waffentechnik (rauchloses Pulver, Granaten verschossen aus Kanonen, Schnellfeuerkanonen mit Hinterladetechnik und das Aufkommen des Maschinengewehrs),
die stark gesteigerten industriellen Kapazitäten der Waffenproduktion, und eine weit fortgeschrittenere Logistik, die wie nie zuvor Massenheere organisieren kann.
Eine solche Entwicklung, so fürchtet der Alte Generalfeldmarschall weitsichtig ein Jahr vor seinem Tod, müsse ganz andere, und sehr viel gravierendere, Folgen eines Krieges haben als bisherige militärische Konflikte.
 
In den letzten 25 Jahren haben sich in der Art der
Kriegsoperationen solche Veränderungen zugetragen, dass der
Zukunftskrieg den früheren gar nicht mehr gleichen wird.
Die Vervollkommnung der Waffen, die Einführung von Sprenggeschossen
und kleinkalibrigen [*] Gewehren, die einen weit
grösseren Patronenvorrat für den einzelnen Soldaten er-
möglichen, die Wirkungen des rauchschwachen Pulvers, das
nichts verhüllt und Vieles erkennen lässt, der Umfang der
Operationen der Millionen-Heere — das Alles veranlasst
Militär- Autoritäten, wie Graf Moltke [**] , General Leer und
Andere, vorauszusagen, dass der künftige Krieg Jahre lang
währen wird.“

Jan Bloch, (auch Johann von Bloch, Jean de Bloch, Ivan Bloch) im Vorwort zu Band 1 seines monumentalen sechsbändigen Werk „Der zukünftige Krieg in seiner technischen, volkswirtschaftlichen und politischen Bedeutung“ - Berlin 1899 – Puttkammer & Mühlbrecht. ***
Erstveröffentlichung 1898 in St. Petersburg in russischer Sprache. Im Folgejahr werden Übersetzungen des Werks nicht nur in Deutsch, sondern auch Französisch und Englisch veröffentlicht.

Der noch junge Zar Nikolaus II, seit 1894 im Amt, ist so beeindruckt von Bloch, dass er nicht nur die Lektüre Bloch´s seinen Ministern empfiehlt, sondern die Haager Friedenskonferenz von 1899 initiiert.
ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.
Diese große Chance sollte grausam scheitern, ebenso wie der glücklose Zar nur 18 Jahre später.
Aber wer ist Bloch? Kennt den jemand?

* was Bloch als „kleinkalibrig“ bezeichnet ist der heutige Standard.
** Eben der Moltke [der Ältere] aus dem ersten Beitrag.
*** Der kurze deutsche Wiki-Artikel zu Bloch enthält die Links zum Download aller Bände (OCR-PDF, d.h. mit Suchfunktion) verweisend auf archive.org.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber wer ist Bloch? Kennt den jemand?
Die englischsprachige Seite der Bloch-Foundation funktioniert (im Gegensatz zur auf wiki verlinkten deutschen). Dort findet sich auch eine 16-Seitige Blochbiographie als pdf (ich habe sie noch nicht ganz durchgelesen - das schaffe ich heute abend nicht mehr) und ein Text über seine Friedensnobelpreisnominierungen, die jedoch nicht in eine Vergabe mündeten. Gut, ein kleiner Zahlendreher ist auch auf der Seite (“The future of War” published in 1989); kommt vor - Shit happens.
 
Kein Problem..
Aber, dass man ein ein solches Werk einfach so runterladen kann, das sind ja weit mehr 4.000 Seiten, ist schon der Hammer. Ich will mir gar nicht ausmalen was das bei amazon oder ZVAB kosten würde.
Ich hab ja erst die ersten 500 Seiten gelesen. Es ist geradezu unglaublich mit welcher Akribie die militärische Situation wissenschaftlich beleuchtet wird, und deren zunehmend schnelle Veränderung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts.
(Für einen Militärhistoriker, welcher ich nicht bin, muss das ein Standardwerk sein.
So wie vielleicht Clausewitz, Mahan oder Douhet.)
 
"Pazifisten" ist sicherlich kein hilfreicher Kontext für die Gedanken von Moltke oder anderer Militärs.

Moltke u.a. standen vor dem Problem, das ihnen Clausewitz serviert hatte, dass der Krieg den Interessen der Monarchie bzw. des Staates zu dienen hatte.

Dieses vor dem Hintergrund der Prämisse, die FdG gelegt hatte, dass durch Kriege die Machtbasis eines Staates erweitert wird. Die Machtpolitiker im 19. Jahrhundert begriffen Diplomatie - und somit auch Krieg - als das Instrument, um Staaten zu erweitern, auch vor dem Hintergrund sozialdarwinistischer Ideologien.

Ein Beispiel für dieses Denken, hatte es gerade gelesen, war Aehrenthal, der als Mentor die Entscheider von 1914 in diesem Denken geprägt hatte.

Alois Lexa von Aehrenthal – Wikipedia

Das Problem, dass Moltke adressierte und das auch Schlieffen mit seinen Planungen aufgriff war, dass der Krieg zunehmend als Bedrohung einer Förderung oder Mehrung der staatlichen Machtbasis angesehen wurde. Die Auswirkungen der Kriegsführung als so gravierend angesehen wurden, dass als nicht mehr im Sinne von Clausewitz als rationale Fortführung der Politik angesehen werden konnte. Sondern Krieg wurde als das begriffen, was er war, das Ende bzw. die Finalisierung einer rationalen Politik.

Dieses Dilemma trat dann noch deutlicher im "Gleichgewicht des Schreckens" in Erscheinung hat die Absurdität der Androhung des Einsatzes von A-Waffen vollens für alle offenbart.
 
Zuerst einmal war Aehrenthal per se ein Anhänger des DreiKaiser Bündnisses. Es war eines seiner Ziele, dieses zu realisieren. Nur, das war mit einem Minister Iswolsky nicht erreichbar, da dieser Anlehnung an den Westen, namentlich England suchte und fand. Auch wenn es genau wie bei der Entente zunächst "nur" ein Interessenausgleich in Asien war, so wurde daraus schnell die Tripple Entente und eine enge außenpolitische Zusammenarbeit. Bei grey nahm das schon groteske Ausmaße an, da er schon eine Militärkapelle, die nach Deutschland reisen wollte, zurückpfeifen ließ, um ja keinen falschen Eindruck bei den Verbündeten entstehen zu lassen.
Der Bruch mit dem Zarenreich kam durch Iswolsky zustande, der international und national hinsichtlich Buchlau seine Lügen verbreitet hat. Es wurde Österreich-Ungarn de facto kein neues Territorium angegliedert. Aehrenthal ließ sowohl Itlaien als auch Serbien gewähren, obwohl klar erkennbar war, gerade bei Italien, das es gegen die Monarchie rüstete. Deshalb ja das Drängen von Conrad zum Präventivkrieg.
 
€s geht nicht darum, welche konkreten Ziele er verfolgte, sondern darum, dass er eine Vorstellung einer expansiven Großmachtpolitik hatte. Und er war ein zufälliges aber dennoch "typisches" Beispiel, über das ich beim Lesen "gestolpert" bin.

Die Nicht-Expansion einer Großmacht war - aus seiner Sicht - identisch mit Stagnation und somit verlor man an Bedeutung relativ zu anderen Großmächten. Im Umkehrschluss bedeutete es aber auch, dass die Geltung des Großmachtstatus auf der äußeren Expansion basierte.

Diese expansive Sicht war das politische Pendant zum militärischen Primat der Offensive.

Relevant ist mein Hinweis nur deswegen, weil es die Problematik beleuchtet, dass solange dieses Expansion an die europäische Peripherie abgeleitet werden konnte, die Gefahr eines militärischen Konflikts in Europa geringer war.

Die einsetzende Rückverlagerung der Konflikte nach 1905 nach Europa stellte die Großmächte erneut vor das Problem, expansive Außenpolitik betreiben zu müssen, in letzter Konsequenz mit militärischen Mitteln, die nachhaltig den Wohlstand der Nationen in Europa gravierend beschädigen können. Bellizistisch zu sein udn Hochrüstung zu betreiben ohne wirklich den Krieg initieren zu wollen.

In diesem Sinne forderten die intelligenteren Militärs wie Moltke d.Ä. oder Schlieffen nicht "Schwerter zu Pflugscharen", sondern die radikale zeitliche Komprimierung der Kriegshandlungen mit einem extrem beschleunigten Ende. Nur unter dieser Voraussetzung konnte man Krieg als Fortsetzung der Politik überhaupt noch denken.

Wie sich ja die deutschen Wirtschaftsführer 1914 gegen Krieg positioniert hatten und klar erkannt hatten, dass Hegemonie vor allem die wirtschaftliche Kontrolle bzw. Abhängigkeit anderer Staat bedeutete.

Und unter dieser Prämisse gab es ein "Denkverbot", sich mit den verheerenden Konsequenzen eines Abnutzungskriegs von hochindustrialisierten Ländern zu beschäftigen. Und das war die "militärische Variante" des Pazifismus.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Pazifisten" ist sicherlich kein hilfreicher Kontext für die Gedanken von Moltke oder anderer Militärs.
Danke für Deinen Einwurf.

Wenn ein Pazifist schlicht ein Kriegsgegner ist, dann könnte ja der fast 90jährige Moltke schon dadurch zu einem werden, indem er sagt; Fangt mir um Himmels Willen keinen Krieg an!
Setzt man aber voraus, dass diese Kriegsgegnerschaft einer Moral entspringt, die jede Form von Gewalt ablehnt, dann kann der Moltke (der Urältere) kein Pazifist sein.
Denn er begründet seine Ablehnung mit den nicht zu verantwortenden Schäden, die ein Krieg, angesichts des Ausmaßes der Potenz Krieg zu führen, hervorbringen muss.

Doch argumentiert Jan Bloch, eine Ikone des Pazifismus in der Zeit vor dem Ersten Weltkriegs, prinzipiell genauso. Ein morderner, hoppla Verschreiber, moderner Krieg müsse so gravierende Folgen haben, dass dieser für die Beteiligten schlicht Selbstmord sei.

Ist jemand, der jede Form von Gewalt ablehnt, doch nicht aktiv für den Frieden arbeitet, mehr Pazifist, als jemand der mit Eifer Kriege zu verhindern sucht, sich jedoch vorstellen kann einen Tyrannenmord zu begehen?

Und auch jene, die jede Form von Gewalt ablehnen, können sich nicht leicht der Versuchung entziehen militärisches Eingreifen zu befürworten um z. B. einen Genozid zu verhindern.

Oder nehmen wir den Boxer Muhammad Ali, der sinngemäß sagte, bevor ich als Soldat in Vietnam Leute umbringe die uns nichts getan haben, gehe ich doch lieber ins Gefängnis.
Und das obwohl er wenig Schwierigkeiten damit hatte, im Ring einen Gegner dermaßen her zu prügeln, dass diesem die Schwarte des Kopfes platzt?
Ist das auch ein Pazifist? Warum nicht?

Oder noch zugespitzter als Gedankenexperiment:
Würde jemand seine Schwiegermutter umbringen, jedoch gleichzeitig mit hohem persönlichen Einsatz einen Atomkrieg verhindern, was wäre er dann?
Pazifist?

Es ist nicht einfach zu sagen, was denn ein Pazifist sei.

Ich selbst habe von dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch gemacht, doch war der friedlichste Mensch den ich kenne Zeitsoldat.

Das ist Alles sehr schwierig und ich würde sagen, dass der Pazifismus in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sein Wesen im aktiven Bestreben hat eine befürchtete Kriegs-Katastrophe zu verhindern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn ein Pazifist schlicht ein Kriegsgegner ist, dann könnte ja der fast 90jährige Moltke schon dadurch zu einem werden, indem er sagt; Fangt mir um Himmels Willen keinen Krieg an!
In der Bloch-Biografie (S.14, s.o.) kann man Pazifismusdefinitionen finden:

"- separation pacifism – withdrawal from public life and cultivation of one's own convictions and views,
- pacifism aimed at achieving a noble goal,
- pacifism consisting in involving societies into active struggle for peace in the world. "

Bloch selbst wird dort in die dritte Kategorie eingeordnet. Wenn ein Generalfeldmarschall wie Moltke grundsätzliche Zweifel an zukünftigen Kriegen hat, könnte man sagen, dass er von seinen Überzeugungen (convictions) Abstand genommen hat (withdrawal) und eventuell in die Kategorie des seperation pacifism fallen würde.

Wie man jetzt aber Pazifismus definiert um ein höheres/ehrenhaftes Ziel zu erreichen (noble goal), ist mir etwas schleierhaft. Ist damit christlich oder durch andere Religionen motivierter Pazifismus gemeint? Und wenn ja wie unterscheidet sich diese Form grundlegend von den anderen beiden Formen?
 
Mir ist irgendwie noch nicht klar, auf was der Thread abzielt. Dass Moltke d.Ä., Bloch, wie auch Angell den Krieg aus rationalen Überlegungen ablehnten, macht sie nicht zu Pazifisten, die Krieg aus ethischen Gründen ablehnen.

In diesem Sinne ist die Bandbreite des Pazifismus ja sehr breit und ich frage mich, ob Du darauf hinaus willst.

Pazifismus – Wikipedia
 
Mir ist irgendwie noch nicht klar, auf was der Thread abzielt. Dass Moltke d.Ä., Bloch, wie auch Angell den Krieg aus rationalen Überlegungen ablehnten, macht sie nicht zu Pazifisten, die Krieg aus ethischen Gründen ablehnen.

In diesem Sinne ist die Bandbreite des Pazifismus ja sehr breit und ich frage mich, ob Du darauf hinaus willst.
Pazifismus – Wikipedia

Worauf ich hinaus will:
Wird die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs diskutiert, findet vieles Erwähnung und Behandlung (z.B. Imperialismus, Chauvinismus, Militarismus, Wettrüsten usw.).
Es gab aber auch eine Friedensbewegung.
Diese konnte nicht ausreichend Wirkung entfalten um die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu verhindern.
Und doch bieten ihre Analysen, Hoffnungen und Leidenschaften in der Rückschau auf die schrecklichen Geschehnisse nicht nur unverzichtbare Beleuchtungen der Bühne, sondern auch viele weit in die Zukunft weisende Überlegungen.
Meine Motivation ist es, den Blick darauf zu lenken. Auf ein m. E. zu wenig beachtetes Feld der Vorkriegslandschaft.

Mit dem Moltke d. Ä. 1890 so ein Thema anzufangen, ist nun tatsächlich ein seltsames Unterfangen.
Denn seine im Anfangsbeitrag zitierte Rede vor dem Reichstag führt er ja lt. Protokoll so fort:
„Meine Herren, je besser unsere Streitmacht zu Wasser und Lande organisiert ist, je vollständiger ausgerüstet, je bereiter für den Krieg, um so eher dürfen wir hoffen, vielleicht den Frieden noch länger zu bewahren oder aber den unvermeidlichen Kampf mit Ehren und Erfolg zu bestehen.
(Bravo!)“
1)
Dass die Vorsorge gegen einen künftigen Großbrand darin bestehen soll, noch mehr brennbares Material anzuhäufen ist ja eben so wenig plausibel, wie etwa ein Versuch den Alkoholismus mit Schnaps zu bekämpfen.
Die Haltung des Bloch ist ja hier eine gänzlich andere. Er hebt sehr weitsichtig im letzten Kapitel seines fulminanten Werkes von 1898 die Bedeutung eines zu schaffenden internationalen Schiedsgerichts hervor.
Und er arbeitet mit den Möglichkeiten seiner Kraft, und seines Reichtums, selbstlos dafür.

Recht zutreffend finde ich dazu den Beitrag von @Ugh Valencia
In der Bloch-Biografie (S.14, s.o.) kann man Pazifismusdefinitionen finden:

"- separation pacifism – withdrawal from public life and cultivation of one's own convictions and views,
- pacifism aimed at achieving a noble goal,
- pacifism consisting in involving societies into active struggle for peace in the world. "

Bloch selbst wird dort in die dritte Kategorie eingeordnet. Wenn ein Generalfeldmarschall wie Moltke grundsätzliche Zweifel an zukünftigen Kriegen hat, könnte man sagen, dass er von seinen Überzeugungen (convictions) Abstand genommen hat (withdrawal) und eventuell in die Kategorie des seperation pacifism fallen würde.
....



1) Ulrich, Bernd (Hg.) (2001): Untertan in Uniform. Militär und Militarismus im Kaiserreich 1871 - 1914 ; Quellen und Dokumente. Originalausgabe. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer Geschichte, 14903). S. 191
 
@hatl Ich denke, mir ist bei dem "separation pacifism" allerdings ein Denkfehler unterlaufen:
separation pacifism – withdrawal from public life and cultivation of one's own convictions and views
Würde ich eher so übersetzen: Abtrennungspazifismus - Rückzug aus dem öffentlichen Leben und Pflege der eigenen Überzeugungen und Ansichten

...und genau diesen Rückzug vom öffentlichen Leben praktizierte Moltke in dem Beispiel ja nicht. Er hält ja eine öffentliche Rede. Auch wenn er als Militär im hohen Alter den Krieg generell skeptisch sieht, zieht er sich aber nicht aus der Öffentlichkeit zurück, um sein "eigenes Süppchen" zu kochen. Mein Gedanke in obigen Post war, dass er sich auch von eigenen (überholten) Überzeugungen und Ansichten zurückzieht. Aber so ist das in der Definition wohl nicht gemeint.

Die pazifistischen Bewegungen vor dem 1.Weltkrieg finde ich interessant. Von Bloch hatte ich vorher noch nie gehört. Ich bin mir aber sicher, dass ich es zeitlich schwer gebacken kriegen würde, die 4000 Seiten von ihm im Internet Archive komplett zu lesen. Die Biografie war ein Anfang. Würde mich dennoch freuen, wenn ich von Bloch und den Friedensbewegungen vor dem 1. Weltkrieg hier noch mehr erfahren könnte.
 
Ab wann werden die Beschreibungen der Grausamkeiten des Krieges für eine größere Leserschaft zugänglich?
Ich weiß es nicht.
Doch scheint es mir naheliegend anzunehmen, dass dies nicht vor einer überwiegenden Lesefähigkeit* eingetreten sein kann.

1863 veröffentlicht Henry Dunant, ein Geschäftsmann, der aus einem Zufall heraus Zeuge eines Gemetzels wird, auf eigene Kosten das Buch „Eine Erinnerung an Solferino“.
Und der beschreibt das so drastisch wie es war:
„.. ganze Haufen von Todten sind auf den Hügeln, in den Hohlwegen aufgetürmt.
Oesterreicher und Alliirte tödten einander auf den blutigen Leichnamen, sie morden sich mit Kolbenschlägen, zerschmettern sich das Gehirn, schlitzen sich mit Säbeln und Bajonetten die Leiber auf: kein Pardon wird mehr gegeben, es ist ein Gemetzel, ein Kampf wilder, wüthender, blutrünstiger Thiere, und selbst die Verwundeten vertheidigen sich bis Aeußersten; wer keine Waffen mehr besitzt, faßt seinen Gegner an der Gurgel und zerfleischt ihn mit den Zähnen.“


.. die Pferde zertreten unter ihren Hufen Todte und Sterbende; einem armen Verwundeten wird die Kinnlade zerrissen, einem andern die Hirnschale zerschmettert, einem Dritten, der noch zu retten gewesen wäre, die Brust eingetreten.“
Und das geht ja durchaus so weiter in Dunants Buch und er fragt, nur halb, „.. wie viele dieser Leute waren schon mit dem 20. Lebensjahre zum Menschenmorde gezwungen!“
Als das Grauen sein Ende zu nehmen scheint, saufen die armen überlebenden Schweine der Front aus Pfützen in denen Kot und Blut schwimmt.

Wäre ja interessant zu ergründen, ab wann es solche Literatur gibt.
Ich hoffe da auf die Teilnehmer des GF.

Auch frag ich mich, ob es vor Wereschtschagin** vergleichbar beachtete Maler gab, die den Krieg nicht als Heldenepos darstellten, sondern als trauriges Elend.

Und auch mag man sich fragen, ob das irgendetwas mit dem Ersten Weltkrieg zu tun haben kann?
Und ich würde sagen: Ja.
Denn zum "langen Weg" zu diesem Krieg gehört auch der lange Weg der gescheitert ist, diesen zu verhindern.



*Es gibt hier wohl nur wenige Daten. - Clark – A Farewell to Alms- S.179 gibt für das Jahr 1860 knapp 60% in England an. (Welches in dieser Hinsicht, so kann man annehmen, sehr fortgeschritten war.)
Literalität heißt jedoch noch lange nicht, dass sich ein derartiger Teil der Bevölkerung Literatur auch leisten konnte.

*Wereschtschagin versank 1905 mit der russischen Flotte vor der chinesischen Küste bei Fort Arthur (heute Dalian, Provinz Lianoning).
 
1863 veröffentlicht Henry Dunant, ein Geschäftsmann
In der Folge der Schlacht bei Solferino gründete Dunant 1860 das "Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege", das seit 1876 den Namen "Internationales Komitee vom Roten Kreuz" trägt.
Die Genfer Konvention von 1864 hat Vorschläge aus Dunants Buch "Eine Erinnerung an Solferino" aufgegriffen und in einen Vertrag gegossen.
 
*Es gibt hier wohl nur wenige Daten. - Clark – A Farewell to Alms- S.179 gibt für das Jahr 1860 knapp 60% in England an. (Welches in dieser Hinsicht, so kann man annehmen, sehr fortgeschritten war.)

Sehr fortgeschritten im Vergleich womit?

In Preußen sah es 1867 unterm Strich deutlich besser aus (wenngleich mit großen regionalen Unterschieden):

upload_2021-4-2_0-1-29.png


https://www.pedocs.de/volltexte/202...betisierung_in_Frankreich_und_Deutschland.pdf

Wer mir außer Bertha von Suttner noch einfällt:
Ludwig Quidde - Warum ist er so unbekannt?
 
Danke.

(Ich muss mich bezüglich England korrigieren. Es nicht nicht knapp 60% sondern ca. 70%.)
 
Worauf ich hinaus will:
Wird die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs diskutiert, findet vieles Erwähnung und Behandlung (z.B. Imperialismus, Chauvinismus, Militarismus, Wettrüsten usw.).
Es gab aber auch eine Friedensbewegung.
Diese konnte nicht ausreichend Wirkung entfalten um die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu verhindern.
Und doch bieten ihre Analysen, Hoffnungen und Leidenschaften in der Rückschau auf die schrecklichen Geschehnisse nicht nur unverzichtbare Beleuchtungen der Bühne, sondern auch viele weit in die Zukunft weisende Überlegungen.

Die wichtigste Manifestation gegen den WW1 war der Sozialisten Kongress 1912 in Basel. Gerade auch weil Jaures anwesend war und man sich unter den Teilnehmern der heraufziehenden Gefahr durchaus bewußt war,

weiterkämpfen oder unterschreiben ?

100 Jahre Friedenskongress // Der Kongress von 1912

Seine Ermordung war ein Rückschlag für die Chance einer pazifistischen Kooperation der französischen Sozialisten und den deutschen Sozialdemokraten.

Wiki: "Unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Jean Jaurès am 31. Juli 1914 in einem Pariser Café bei einem Attentat von dem französischen Nationalisten Raoul Villain ermordet. Nach dem siegreichen Krieg und entsprechend langer Untersuchungshaft wurde der Mörder des Kriegsgegners Jaurès am 29. März 1919 von einer Cour d’assises (Geschworenengericht) freigesprochen. Zudem wurden die Kosten der Witwe Jaurès’ aufgebürdet."

Jean Jaurès – Wikipedia

Sofern wir über Pazifismus reden sollte auch das Wirken von Tolstoi genannt werden. Der einen Einfluss auf Gandhi und in der Folge auch auf M.L. King hatte.

Tolstojaner – Wikipedia

Aber noch zur Frage einer "Klassifikation" von Pazifisten. Ein Einblick in die vielfältigen Interessen und Motive bietet die Friedensbewegung im Rahmen der "Nachrüstungsbeschlüsse". In diesem breiten Bündnis finden sich nahezu alle Schattierungen wieder, in denen sich Pazifismus organisiert.

Es waren die Kirchen mit einer ethisch, religiösen Ablehnung, die auf Kirchentagen breit diskutiert wurde. Es waren eine Gruppe von europäischen Generälen, die sich dagegen ausgesprochen haben, Bastian war einer von ihnen. In diesem Kontext waren auch national-konservative Kreise wie - Oberst - Mechterheimer, die auch aus militärischen Überlegungen diese neuen Mittelstreckenwaffen ablehnten.

Jede dieser Gruppen hatte eine spezifische Motivation, die auf eine fundamentale Ablehnung basierte, oder alternative militärische Konzepte (Techno-Kommandos etc.) zur Kriegsführung ohne atomaren Suizid berührten.

Gemeinsam war alle die Ablehnung der absurden Logik der militärischen Hochrüstung, die auf eine Destabilisierung der Lage abzielte und die Gefahr eines finalen Krieges mit einem globalen atomaren Genozid wahrscheinlicher machte.

Und an diesem Punkt kann man durchaus eine Reihe von wiederkehrenden Argumentationsfiguren zur Situation vor dem WW1 erkennen.
 
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