Personalausweis im 18. Jahrhundert?

Comtesse

Mitglied
Wie hat man sich eigentlich im 18.Jahrhundert ausgewiesen? Gab es schon so etwas wie Identifikationsdokumente irgendeiner Art die man auf Reisen dabei haben musste und bei welcher Gelegenheit wurden solche ggf. verlangt?

Konnte z.B. jeder in jedes Land einreisen? (den finanziellen Aspekt jetzt mal außer Acht lassend), auch wenn die Nationen nicht gerade miteinander befreundet waren um dort z.B. Geschäfte zu tätigen? (Ich denke z.B. an England/Frankreich)

Ich habe mal etwas von Reisedokumenten gelesen, die jemand vorzeigen musste, aber leider keinerlei Quellen dazu.
 
Im HRR mussten Handwerksburschen bestimmte Papiere, ausgestellt von den geschworenen Meistern der Stadt, wo sie zuvor waren, mit sich führen. Ich habe erst am Freitag so ein Dokument ausgestellt.

Es gab aber auch schon Passpapiere, normalerweise ausgestellt von der Stadt oder dem Staat, wo man her kam mit Angaben über Reisegrund, Aussehen und Kleidung.:winke:
 
@ Brissotin: Hui, du bist aber wieder fix. :)


Ja, dass es sowas schon gegeben haben musste dachte ich mir auch. Da könnt doch sonst jeder kommen und behaupten er wäre sonst wer.

Wie immer (ja ich bin schlimm, ich weiß) interessiert mich sehr die praktische Seite der Geschichte. Gab es z.B. Einreisekontrollen? Konnten Aufenthalte zeitlich begrenzt werden (3-Monats-Visum)

Wer hat etwaige Kontrollen durchgeführt und bei welchen Anlässen genau? Stand da z.B. eine Militärpatrouille am Hafen und hat geschaut wer da von Bord geht?
 
@ Brissotin: Hui, du bist aber wieder fix. :)


Ja, dass es sowas schon gegeben haben musste dachte ich mir auch. Da könnt doch sonst jeder kommen und behaupten er wäre sonst wer.

Wie immer (ja ich bin schlimm, ich weiß) interessiert mich sehr die praktische Seite der Geschichte. Gab es z.B. Einreisekontrollen? Konnten Aufenthalte zeitlich begrenzt werden (3-Monats-Visum)

Wer hat etwaige Kontrollen durchgeführt und bei welchen Anlässen genau? Stand da z.B. eine Militärpatrouille am Hafen und hat geschaut wer da von Bord geht?
Hey, ich habe selber schon kontrolliert. Natürlich gab es Kontrollen. An den Stadttoren musste man teilweise auch extra nachweisen, dass man keine gefährlichen Seuchen etc. einschleppte.

Nun aber zu den Handwerkerausweisen. Der korrekte Ausdruck lautet "Kundschaft". Durch die Reichszunftordnung von 1731 wurden diese vorgedruckten Forumlare vorgeschrieben. Es haben sich viele aufwändige solcher Unterlagen erhalten, vor allem da Stadtansichten neben Allegorien auf das jeweilige Handwerk oder den Reichtum der Stadt abgebildet waren.

Findet man eigentlich in fast jedem besseren Stadtmuseum oder zumindest in jedem guten Stadtarchiv.

Mir liegen mehrere Exemplare aus Würzburg, Hall und anderen süddeutschen Orten in Kopie vor.:winke:
 
@Lukrezia Borgia - Ja, bevor ich hier was frage versuche ich immer erst über Wiki/Google selber etwas herauszufinden. Trotzdem lieben Dank für den Tipp. :)

@Brissotin - Du beziehst dich jetzt hier auf Handwerker, aber wie sah es z.B. bei reichen Kaufleuten oder gar Adeligen aus?

Galt hier der Grundsatz "Kleider machen Leute" und es standen einem automatisch alle Stadttore/Häfen offen?
 
@Brissotin - Du beziehst dich jetzt hier auf Handwerker, aber wie sah es z.B. bei reichen Kaufleuten oder gar Adeligen aus?

Galt hier der Grundsatz "Kleider machen Leute" und es standen einem automatisch alle Stadttore/Häfen offen?
Natürlich nicht.

Ich habe mich nur noch nicht so intensiv damit beschäftigt, da das Archiv, das meine Hauptquelle war, keine allgemeinen Ausweispapiere für diese Gruppe hatte.
Nun habe ich aber im Fränkisch-Hällischen Museum ein solches Dokument gesehen, zwar von nach 1800, aber vom Stil her wohl aus dem 18.Jh.. Die Jahreszahlen waren ja in der Regel nicht ganz vorgedruckt, statt dessen stand "17 ". In dem Fall stand, habe das Foto gerade nicht zur Hand "1 ". Das Jahr, Monat etc. der Ausstellung der Papiere konnte also die Behörde einsetzen.

Ein Adliger musste sich natürlich auch ausweisen. Könnte ja auch ein Hochstapler sein, oder gar ein Galgenstrick. In einem Steckbrief aus dem 18.Jh. habe ich auch schon von einem Räuber gelesen, der mit einer sehr wertvollen Weste u.a. bekleidet war.

Der Aspekt kommt doch auch sehr eingängig in "Minna von Barnhelm" vor. Noch nicht gelesen? Dann aber ganz schnell nachholen! :)
 
Heiliges Römisches Reich würde ich meinen.
Richtig.

In zeitgenössischen Quellen wird auch bisweilen noch vom Römischen Reich gesprochen.
Die Langform HRRDN - Heiliges Römisches Reich deutscher Nation - kommt schon allein wegen der Länge und zum anderen wegen dem globalen Anspruch des römischen Kaisertums nichtmal sooo häufig vor.

Z.B.:
"Wir Geschworenen Vor- und andere Meister des Ehrsamen Handwerks derer Seiler in des Heil. Röm. Reichs freyen Stadt Hall in Schwaben..."
*
[Das in Kursiv geschriebene, ist handschriftl. eingesetzt worden.]

* siehe: Beate Iländer: "Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt Schwäbisch Hall" Schwäbisch Hall, 2001
S. 157
 
@Lukrezia Borgia - Ja, bevor ich hier was frage versuche ich immer erst über Wiki/Google selber etwas herauszufinden. Trotzdem lieben Dank für den Tipp. :)

@Brissotin - Du beziehst dich jetzt hier auf Handwerker, aber wie sah es z.B. bei reichen Kaufleuten oder gar Adeligen aus?

Galt hier der Grundsatz "Kleider machen Leute" und es standen einem automatisch alle Stadttore/Häfen offen?

Vielleicht bist du trotzdem noch nicht darauf gestoßen:
Wanderjahre ? Wikipedia
Wallfahrt ? Wikipedia
Pilgerausweis ? Wikipedia
Geleitrecht ? Wikipedia
Straßenzwang ? Wikipedia
Grand Tour ? Wikipedia
Geschichte des Reisens ? Wikipedia
 
Hallo Comtesse,

hier sind mal zwei Beispiele für Pässe, wobei einer davon deshalb interessant ist, weil er gewissermaßen gefälscht ist - sein Besitzer reiste damit unter falscher Identität.

Erstmal aber Nummer 1:

CIMG5957.JPG



Das ist also mehr oder weniger ein handschriftlicher Brief, ausgestellt am 3. Juni 1796 von Pierre Auguste Adet, dem französischen Gesandten in den USA, und weil man ihn schlecht lesen kann, hier die Transkription (inklusive aller darin enthaltener Rechtschreibfehler):


"Nº 103 Le Ministre Plenipotentiaire de la République française près les Etats unis d'Amérique.

Vu la loi rendue par la Convention Nationale le Dixhuit fructidor an 3º, qui ordonne la radiation sur les listes d'Émigrées, Du Citoyen Charles Maurice Talleyrand Perigord, et lui accorde la libertéde rentrer sur le territoire de la République, Prie tous ceux qui sont à prier de laisser librement passer led. Citoyen Charles Maurice Talleyrand Perigord, Natif de Paris, dépt. de la Seine, agé 41 ans, taille de 5 Pieds 5 Puces et demi, cheveux et sourcils blonds, yeux bleus, nez moyen, bouche moyenne, menton rond, front élévé, visage plein et ovale, retournant en France par la voie de hambourg, sans lui donner trouble ni empêchement.

Fait et Scellé à Philadelphie le quinze Prairial an 4º de la République Française une et indivisble.

P.A. Adet

Par le Ministre.
Brunet"



Damit also durfte der darin ausführlich beschriebene 41jährige Bürger Charles Maurice Talleyrand Perigord [sic!], gebürtig in Paris, ohne belästigt oder aufgehalten zu werden, von Amerika nach Hamburg fahren.


Von dort aus reiste er schließlich weiter nach Amsterdam, und nahm dafür die Identität eines Schweizer Geschäftsmanns an:

CIMG5961.JPG



Diesen Pass haben dem "honestus Talayran, negotiator Helveticus" die "Consules et Senatores liberae S.R. Imperii Civitatis Hamburgensis" ausgestellt. Interessant hierbei, dass die Konsuln und Senatoren der Freien Reichsstadt Hamburg ihre Dokumente auf Latein verfassen - ob das die Kontrolleure an den Landes- und Stadtgrenzen immer so gut lesen konnten? Man weiß es nicht. Rätselhaft bleibt auch, wie der vermutlich nicht gerade völlig unbekannte ehemalige Évêque d'Autun dabei zum ehrwürdigen Schweizer Kaufmann Talayran werden konnte...


Wie auch immer. Also, mal zwei Pässe aus dem 18. Jahrhundert. Talleyrand hatte deren viele, und in manchen stand auch, dass er hinkte (z.B. in dem, den ihm Danton ausstellte, als er dann damit ins Exil nach England ging) - sozusagen als unveränderliches Kennzeichen. Aber nicht in allen; einen Standard gab es selbstverständlich nicht.

Viele Grüße,
Gnlwth
 
Diesen Pass haben dem "honestus Talayran, negotiator Helveticus" die "Consules et Senatores liberae S.R. Imperii Civitatis Hamburgensis" ausgestellt. Interessant hierbei, dass die Konsuln und Senatoren der Freien Reichsstadt Hamburg ihre Dokumente auf Latein verfassen - ob das die Kontrolleure an den Landes- und Stadtgrenzen immer so gut lesen konnten? Man weiß es nicht. Rätselhaft bleibt auch, wie der vermutlich nicht gerade völlig unbekannte ehemalige Évêque d'Autun dabei zum ehrwürdigen Schweizer Kaufmann Talayran werden konnte...
Wobei die Briefe ich Dtl. auch bisweilen auf Französisch adressiert wurden
in etwa so
"A Monsieur
A Monsieur Francois Mueller
A Kommern
Par Cologne
In ..."
Die Postbeamten haben das wohl noch zusammengebracht.

Zu den lateinischen Papieren. Sehr interessant. Ich kenne nur welche auf Deutsch.
Die Beamten konnten wohl i.d.R. Latein, nicht die Torwächter, aber die wichtigen Leute. Latein hatten sie im Jurastudium sicher, Französisch eher nicht. Wenn was an den Papieren zweifelhaft war, z.B. das Siegel oder dergl. fehlte, konnte man die verdächtige Person ja zum gebildeten Vorgesetzten, also Amtsvogt oder dergl. führen, der das weitere veranlassen konnte.
Ich habe auch schon einen fremden Namen falsch verstanden und einfach aufgeschrieben, was ich so rausgehört habe. Da machte man nicht viel Aufhebens.
 
Zuletzt bearbeitet:
@gnlwth : Die sind ja wirklich Klasse! Vielen Dank für deine ausführlichen Ausführungen. So in etwa hatte mir das auch vorgestellt. Handgeschrieben, Personenbeschreibung, Siegel.

Was mir noch nicht so ganz begreiflich ist, ist diese Einschränkung bzgl. des Reiseziels. Wenn dort steht, er durfte von Amerika nach Hamburg... Wer bestimmt denn das? Was passiert, denn wenn er jetzt aber statt in Hamburg in Bremerhaven an Land geht? Ist der Pass dann ungültig?

Und überhaupt, durften sich denn noch nicht mal wohlhabende Geschäftsleute frei bewegen, d.h. einfach mal von Paris nach London, um dort neue Geschäftskontakte zu knüpfen? Musste man sich das vorher von einer Behörde genehmigen lassen und dann gab es diese Reisepapiere (aber eben nur für diese eine Reise)?

Dass Handwerker/Bauern etc. nicht einfach so durch die Weltgeschichte reisten ist natürlich verständlich (auch dass die Obrigkeit dies aus nahestehenden Gründen nicht wollte).

Aber warum dieses Reglement bei wohlhabenden Leuten?
 
Und überhaupt, durften sich denn noch nicht mal wohlhabende Geschäftsleute frei bewegen, d.h. einfach mal von Paris nach London, um dort neue Geschäftskontakte zu knüpfen? Musste man sich das vorher von einer Behörde genehmigen lassen und dann gab es diese Reisepapiere (aber eben nur für diese eine Reise)?

Dass Handwerker/Bauern etc. nicht einfach so durch die Weltgeschichte reisten ist natürlich verständlich (auch dass die Obrigkeit dies aus nahestehenden Gründen nicht wollte).

Aber warum dieses Reglement bei wohlhabenden Leuten?
Warum nicht, wäre eher meine Frage. Man darf sich nicht durch heutige Hightech-Überwachung etc. verblenden lassen. Woher wollte denn der Kontrolleur wissen, dass er keinen Schwindler vor sich hatte? Warum konnte der unbescholtene Mr. X nicht in Wahrheit ein Ganove sein? Wenn die Reiseziele vorgegeben sind, kann der Beamte notfalls bei Zweifeln auch in dem Reiseziel in Erfahrung bringen, ob es dort jemanden gibt, der für ihn bürgen kann. Ist doch bisweilen einfacher, als sich den Aufwand zu machen, beim Herkunftsort nachzufragen. Was meinst Du, was so eine Anfrage ohne Telefon und Telegraph für ein Aufwand ist?

PS: Wenn der Träger des Ausweises nun nicht nach Bremen sondern nach Hamburg kommt, könnte er nicht einfach jemand anders sein, der wegen einer großen Ähnlichkeit zum ursprünglichen Träger, diesem die Papiere mangels eigener, gestohlen hat?
In den Papieren nach 1800 ist ja von der Kleidung z.B. nur kaum die Rede. Der Rest der Personenbeschreibung kann ähnlich sein (blond, blaue Augen, gerade Nase...). Passfotos gab es nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Selbstverständlich durften "ehrbare Handwerker" Reisen, bevor sie sich als Meister irgendwo niederließen.
Und auch die Landbevölkerung war , -zumindest im welfischen Raum-, nicht dauernd an die Scholle gebunden. Sonst wäre es kaum zu eheschließungen über Grenzen gekommen.
 
Selbstverständlich durften "ehrbare Handwerker" Reisen, bevor sie sich als Meister irgendwo niederließen.
Und auch die Landbevölkerung war , -zumindest im welfischen Raum-, nicht dauernd an die Scholle gebunden. Sonst wäre es kaum zu eheschließungen über Grenzen gekommen.
Es geht hier wohl eher um den Passus "einfach so". Gegen das "einfach so" spricht die Zunftordnung.

Wer ohne gültige Papiere angetroffen wurde, war erstmal einigermaßen suspekt. Auf der anderen Seite: wie ist es denn heute? Wenn ich ohne Ausweis nach Frankreich einreise, werde ich doch auch bei einer Kontrolle von Polizisten erstmal schief angeguckt.

Natürlich brauchte man schon allein wegen der geringeren Beständigkeit der Ausweispapiere, normalerweise nur ein großer Bogen Papier, zusammen gefaltet, immer wieder neue. Da sind die heutige Ausweise einfach witterungsresistenter.
 
Noch was vergessen:
Bremen und Hamburg waren unterschiedliche Staaten.

Man braucht ja heute auch eine Einreisegenehmigung in unterschiedliche Staaten. Vielleicht ist das noch ein guter Hinweis. :winke:
 
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