Phantasie in der Geschichtswissenschaft - "erlaubt"? Und wenn ja, wie viel?

...hm...das Grabmal Theoderichs kann man immerhin besichtigen, betreten, anfassen - aber wer hat je eine "Eins", eine "Zwei", oder gar eine "irreale Zahl" gesehen? ;) :still:
Da verwechselst Du irgendwas... das Grabmal Theoderichs besteht aus Steinen, die aufeinandergestellt wurden. Ich sehe darin Mathematik und Geometrie, aber an und für sich noch keine Geschichtsschreibung. Erst wenn Du anfängst, mir über jene Steine zu erzählen, kommt es zu einer Geschichte, und wer weiß, was Du mir für schräge Dinge zum Dekagon auftischst. Was aber Du und ich wirklich sehen, sind lediglich Steine, die auch ein Hund sieht, während er respektlos sein Beinchen hebt.

Im Gegensatz zum Hund kann ich aber mit Sicherheit die Anzahl der Ecken mit der Anzahl meiner Finger vergleichen, deren Übereinstimmung Realität ist, womit auch der Hund - wenn auch unbewusst - leben muss. Ganz im Gegensatz zu Deinen Geschichten, die Du mir zwar vielleicht glaubhaft machen kannst, nicht aber dem Hund.
 
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Vielleicht wären Definitionen noch hilfreich:

"Phantasie (phantasia, von phainô imaginatio) bedeutet (ursprünglich) Vorstellung (s. d.), Vorstellungskraft, dann (auch) Einbildungsvorstellung, Einbildungskraft nicht bloß im Sinne der reproduktiven Vorstellungstätigkeit, sondern in dem der gestaltenden, gegebenes Vorstellungsmaterial, Vorstellungselemente zu neuen, nicht gegebenen Gebilden anschaulich (nicht begrifflich) verarbeitenden, synthetischen Tätigkeit des Geistes, der Apperzeption (s. d.). Die Phantasie ist [...] eine Bestätigung der gleichen Geisteskraft, die im Denken (s. d.) begrifflich wirkt. Der Unterschied der passiven (triebhaften) und der aktiven, schöpferischen (vom Willen geleiteten) Phantasie ist ein relativer. Angeregt wird die Phantasie durch Gefühle, Triebe, Willensimpulse, aber bei verschiedenen Individuen in verschiedener Intensität und Extension (s. Genie). Die künstlerische Phantasie zeichnet sich durch besondere Anschaulichkeit, die wissenschaftliche durch besonderes Imaginieren von Beziehungen aus." (Rudolf Eisler,
Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1904: Eisler - Wörterbuch: Phantasie (phantasia, von phainô imaginatio))

Und als vermeintliches Gegenstück:

"Tatsache (res facti, factum, fait, matter of fact: »Tatsache« zuerst bei HERDER) ist das, was durch das Denken sicher als Erfahrungsinhalt, als Bestandteil der gesetzlichen Ordnung der Dinge und Ereignisse feststeht. Die »Tatsachen« als solche sind nicht einfach »gegeben«, sondern müssen erst auf Grund der Erfahrung methodisch-denkend gesetzt, konstatiert werden. daher der häufige Streit, was als Tatsache zu betrachten sei, was nicht. [...]" (Eisler - Wörterbuch: Tatsache)
 
Im Gegensatz zum Hund kann ich aber mit Sicherheit die Anzahl der Ecken mit der Anzahl meiner Finger vergleichen, deren Übereinstimmung Realität ist, womit auch der Hund ...

Die Übereinstimmung selbst ist Realität, der vorgenommene Vergleich der Anzahl [*] entspringt der menschliche Vorstellungskraft, oder eben der "Phantasie". Das steigert sich natürlich noch, wenn man die mathematische Komplexität erhöht.

Über die Zuordnung der Mathematik zu den Geisteswissenschaften ist schon viel Tinte geflossen. Aber auch bei einem "teils-teils": Geisteswissenschaften ohne Phantasie?


[*] den Zahlenvergleich habe ich (meine Phantasie?:winke:) als gewählten simplen Ausgangspunkt für die Mathematik verstanden.
 
Die Übereinstimmung selbst ist Realität, der vorgenommene Vergleich der Anzahl [*] entspringt der menschliche Vorstellungskraft, oder eben der "Phantasie". Das steigert sich natürlich noch, wenn man die mathematische Komplexität erhöht.

Über die Zuordnung der Mathematik zu den Geisteswissenschaften ist schon viel Tinte geflossen. Aber auch bei einem "teils-teils": Geisteswissenschaften ohne Phantasie?


[*] den Zahlenvergleich habe ich (meine Phantasie?:winke:) als gewählten simplen Ausgangspunkt für die Mathematik verstanden.
Die Mathematik ist die Beschreibung der Natur, oder besser gesagt ein Hilfsmittel, um sie zu beschreiben. Aber Du hast recht, an dieser Stelle ist es eigentlich egal, wo Mathe eingeordnet wird.


Über Fantasie und Kreativität hab ich schon viel herumdiskutiert und mir zurechtgelegt, dass Kreativität nichts anderes ist, als die Fähigkeit, Bekanntes zu kombinieren (so lange wir keine Götter sind) - sie ist also eine Kombinationsgabe. Die Fantasie aber bezeichnet die Distanz, wie weit man bei der Suche nach Bekanntem geht, bzw. das Vermögen und die Bereitschaft hierfür. Da Bekanntes durchaus aus kombinierten Erfahrungen besteht (in Gedanken immer; auf Papier je nach dem), muss es ganz und gar nicht der Realität entsprechen. Bei der Suche nach Bekanntem geht der Fantasievolle also noch weiter, wobei die Gefahr, dass er irreal herumkombiniert immer größer wird, je weiter er sich vorwagt - hat aber auch mehr die Chance, Neues zu finden, da die Gegend noch weniger abgegrast ist.
 
Über Fantasie und Kreativität hab ich schon viel herumdiskutiert und mir zurechtgelegt,

Dann wirst Du zustimmen, dass der Standpunkt nur schwer diskutabel ist, da er sich im "anschaulichen Bereich" bewegt. Trotzdem ein Versuch am Beispiel.

...dass Kreativität nichts anderes ist, als die Fähigkeit, Bekanntes zu kombinieren (so lange wir keine Götter sind) - sie ist also eine Kombinationsgabe. Die Fantasie aber bezeichnet die Distanz, wie weit man bei der Suche nach Bekanntem geht, bzw. das Vermögen und die Bereitschaft hierfür. Da Bekanntes durchaus aus kombinierten Erfahrungen besteht (in Gedanken immer; auf Papier je nach dem), muss es ganz und gar nicht der Realität entsprechen. Bei der Suche nach Bekanntem geht der Fantasievolle also noch weiter, wobei die Gefahr, dass er irreal herumkombiniert immer größer wird, je weiter er sich vorwagt - hat aber auch mehr die Chance, Neues zu finden, da die Gegend noch weniger abgegrast ist.
Die Abgrenzung ist interessant, daher ein Gedanke in Anlehnung an ein Schachspiel, das bekanntlich Kreativität voraussetzt.

Ausgehend von einer gegebenen Position kannst Du dort Bekanntes kombinieren, zB anhand von bekannten "Stellungsbildern" (was auch trainierbar ist und trainiert wird). Solche Kombinationen mit Bekanntem überhaupt vorzunehmen, setzt jedoch Phantasie voraus, zusätzlich und neben der erforderlichen Vorstellungskraft für die nach einigen Zügen entstehenden "Stellungsbilder". Kreativität Ist dann mehr als die Suche und Kombination mit Bekanntem, diese Suche findet nicht nach dem Zufallsprinzip statt, sondern wird nach der Vorstellungskraft selektiv durchgeführt. Phantasie liegt dann nicht nur darin, "weiter" als die Suche von Bekanntem zu denken, sondern ist bereits für die Selektion erforderlich, also Bestandteil der Kombinatorik.

Die "Prognostik" in diesem Beispiel bezieht sich auf die Vorstellungskraft des Ergebnisses. Phantasie ist dann keine Kombinatorik quasi nach dem Zufälligkeitsprinzip. Den Gedankengang könnte man auf die ökonomische Prognose nach dem Ablauf Fakten -> Prämissen -> Konklusion übertragen. Die Vorstellungskraft/Phantasie wird nicht erst bei der Konklusion benötigt, sondern bereits beim Ansatz und der Selektion von mehr oder weniger realitätsnahen (erfahrungsbezogenen) Prämissen.

P.S. Ich möchte nun natürlich kein neues Thema aufmachen: was ist Phantasie? Da schließe ich mich den Definitionen oben an. Sie wird in den Geisteswissenschaften benötigt, alltäglich, ständig, im unterschiedlichen Umfang. Die positive oder negative Bewertung des "Phantastischen" daran hängt wohl eher vom bewerteten Ergebnis im Einzelfall ab.
 
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Die Mathematik ist die Beschreibung der Natur, oder besser gesagt ein Hilfsmittel, um sie zu beschreiben.
unterstrichen eine gewagte These :)
aber wie beschreibt man rein mathematisch die Natur? ...ach so, indem man u.a. Logik und Mathematik als Hilfsmittel einsetzt - das dürfte klappen :)

mir stellt sich aber noch eine Frage: wenn Kreativität, Schaffenskraft usw. eigentlich nur Kombinationsgabe ist - warum hat sich dann der sachlichere Begriff Kombinationsgabe nicht durchgesetzt?
 
Solche Kombinationen mit Bekanntem überhaupt vorzunehmen, setzt jedoch Phantasie voraus, zusätzlich und neben der erforderlichen Vorstellungskraft für die nach einigen Zügen entstehenden "Stellungsbilder".
Das stimmt nicht, falls man jene Abgrenzung macht.(Kreativität ist nur die Bereitschaft und das Vermögen zur Suche, also eine Eigenschaft. Fantasie ist nur der Grad der Suche.) Demnach kann man behaupten, dass es auch Kreative mit wenig Fantasie gibt, d.h. also mit großer Bereitschaft zum Kombinieren und eigentlich mit viel Vorstellungskraft, doch aus irgendwelchen Gründen - sei es aus Ängsten oder wegen fehlenden Resourcen - mit begrenztem Suchfeld. Ob es auch umgekehrt stimmt, dass es auch fantasievolle Menschen ohne Kreativität gibt, die zwar ein großes Suchfeld haben, aber nicht kombinieren können?


Phantasie liegt dann nicht nur darin, "weiter" als die Suche von Bekanntem zu denken, …
Da hast Du sicherlich recht. Was ich mit “weiter” gemeint habe, war lediglich die visualisierende Reduktion auf eine Dimension, die aber sicherlich in alle Richtungen geht. Ob man aber bereits die Selektion als Fantasie bezeichnen kann, bezweifle ich vorerstmal... sie wird von weiteren Faktoren beeinflusst, v.a. durch die Erfahrung, d.h. Erfolg und Misserfolg bei der Anwendung in der Vergangenheit, bzw. durch gelernte, also angebliche Erfolgschancen (wie z.B. beim Schach). Sie kann ja auch eine Hemmung für die Anwendung zum Kombinieren bedeuten, d.h. der Fantasie im Wege stehen.

Und genau das tut die Prognostik; sie schränkt zunächst die Fantasie ein, klammert gewisse Kombinationen aus, um andere privilegieren zu können. Außerhalb dieser Einschränkungen ist jedoch weiterhin Fantasie für ein erweitertes Suchfeld gefragt, neben der Selektion aus Erfahrung das Hauptproblem der Prognose.


…, daher ein Gedanke in Anlehnung an ein Schachspiel, das bekanntlich Kreativität voraussetzt.
Bez. Schach und Kreativität... da hab ich Zweifel. Ich hab das Spiel bereits als Kind heiß geliebt. Seitdem aber Computer besser spielen können als der Schachweltmeister, ist meine Begeisterung verflogen. Wenn Schach kreativ ist, dann wären bereits heutige Computer ebenfalls kreativ... ergo: Kreativität = Kombinationsfähigkeit, bzw. das Erkennen von Strukturen (die große Schwäche von Computern) Während Computer durchaus ‘fantasievoll’ sein können, falls man sie mit genügend Resourcen gefüttert hat.


mir stellt sich aber noch eine Frage: wenn Kreativität, Schaffenskraft usw. eigentlich nur Kombinationsgabe ist - warum hat sich dann der sachlichere Begriff Kombinationsgabe nicht durchgesetzt?

Weil die Leute gerne Fremdwörter schwingen und "Kombinationsgabe" ein langes Wort ist... :D


edit: das wird hier tatsächlich bisserl OT, doch das Thema “Fantasie” erfordert nun mal gewisse Übereinkünfte... ;)
 
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Die Mathematik ist die Beschreibung der Natur, oder besser gesagt ein Hilfsmittel, um sie zu beschreiben.

Eigentlich ist es heute anerkannt, in der Mathematik die Beschäftigung mit selbsterdqachten Strukturen zu sehen, die mit Hilffe der abstrakten Logik auf ihre Eiegnschaften und Muster untersucht werden. Die "Natur" kommt darin eigentlich nicht mehr vor. Mathematik ist exakt, hat mit der nicht-exakten Welt unserer Wahrnehmung aber nur zufällige Parallelen aufzuweisen... ;)

In der (wissenschaftlichen) Mathematik kommt man ohne Intuition, meinethalben auch (mathematische) Phanatsie nicht weit. Auch wenn die Beweise mathematischer Aussagen und Sätzen natürlich strengen Gesetzen folgen müssen, steht doch auch hier oft oder sogar meist eine erst mal unbewiesene "Idee" am Anfang; Intuition/Phantasie. Aber erst der formal korrekte Beweis macht daraus Mathematik.
 
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