Politischer Islam nach 1967

Hipokampus

Mitglied
Lesen Sie bitte meine Seminararbeit. Für Feedback und Korrektur wäre ich Ihnen sehr Dankbar.





































Politischer Islamismus in der Türkei und in muslimischen Regionen der UdSSR



[FONT=&quot]Nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich die Wiedergeburt des Islam in der Türkei beobachten, vornehmlich in ländlichen Regionen. Die türkischen Regierungen der 50er und 60er zeigten sich gegenüber dem politischen Islam nachsichtiger als Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, der im Jahre 1924 das Kalifat beseitigt und auch kleine islamistische Gruppierungen abgeschafft hatte.[FONT=&quot][32][/FONT] [/FONT]
Seit den sechziger Jahren fing der türkische Islamismus an, Anspruch auf politische Wirksamkeit zu erheben. Der Scheich der Bruderschaft der Nakşibendi (Strömung im türkischen Islam) Zahid Kotku begann in den sechziger Jahren in Istanbul einen Kreis politisch motivierter Studenten um sich zu scharen, verliess den „kulturellen Islam“ der türkischen Konservativen und entwickelte einen „politischen Islam“. Zu seinen Studenten gehören der berühmte Politiker und Ex-Präsident der Türkei Turgut Özal sowie der Ex-Premier Minister und Vorsitzende der ersten islamistischen Partei Necmettin Erbakan. Er gründete 1970 erste islamistische Partei der Türkei, die nach diversen Verboten als „Wohlfahrtspartei” (Refah Partisi, RP) genannt wurde.[FONT=&quot][33][/FONT]

DieGeschichtedespolitischenIslams in der Türkei hattezweiPhasen. Erste Phase fing mit einer politisierten Bruderschaft an, die Scheich Zahid Kotku (1897-1980) gegründet hatte. Die zweite Phase begann in den 80er Jahren. Das zeigt, dass die islamistische Partei der Türkei aus zwei Generationen besteht, die ein unterschiedliches Politikverständnis vertreten. Die erste Generation bezeichnete sich als Konservative, die in Bruderschaften eingebunden waren. „Während der Urbanisierung der achtziger Jahre wurde die erste Generation um eine junge, modernistische ergänzt, die nicht mehr in Bruderschaften eingebunden war“[FONT=&quot][34][/FONT]. Sie beschäftigten sich mehr mit den Themen wie Management, Verwaltung, Soziales als mit theologischen Fragestellungen. Erst der modernistische Flügel ermöglichte der Partei, ihren Stimmenanteil von 1987 bis 1995 zu verdreifachen. Die Früchte dieser Strategie konnte sie 1994 (Sieg bei den Lokalwahlen) und 1996 (Übernahme der Regierungsverantwortung) ernten.Der Wahlsieg Tayyib Erdogans im Jahre 2001 hat auch gezeigt, dass dieser Weg für die Islamisten der richtige zur Macht gewesen ist.

Türkischer Islamismus hat ein spezifisches Gesicht. Er glitt, im Unterschied zu dem in gewissen anderen Ländern, nicht in Terror ab. Das war zum einen das Verdienst der legalen Tradition des türkischen politischen Islam, der sich von Anfang an als Partei formierte und sich immer an parlamentarische Spielregeln hielt. Wichtig war jedoch auch, dass Intellektuelle des religiösen Spektrums seit Jahren die Politik Erbakans kritisiert und seine Gleichsetzung von Gläubigkeit und Islamismus zurückgewiesen hatten.[FONT=&quot][35][/FONT] Atatürks Kredo „Auf nach Europa: Um zu einer modernen, starken Nation zu werden, müssen wir uns der östlichen Zivilisationen entziehen und uns der westlichen zuwenden“ fand Anklang unter Islamisten der Türkei. Umfragen unter den Wählern der Partei zeigten, dass nur 10 %für einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild plädieren.[FONT=&quot][36][/FONT]

Der türkische Islam ist schon traditionell immer weit weniger fanatisch gewesen als der arabische. Erdogan (jetzige Minister-Präsident der Türkei und Vorsitzende der islamistischen Partei AKP) ist für die meisten seiner Anhänger weniger ein religiöser Führer, als vielmehr der Repräsentant der Vorstädte, der Vertreter der anatolischen Massen, die in die Städte eingewandert waren, dort ein oft kärgliches Leben fristeten und vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen bleiben.[FONT=&quot][37][/FONT]

Heute verfügt in der Türkei keine islamisch orientierte Gruppe, Bewegung oder Partei über ein Monopol. Hatten die diversen islamistischen Parteigründungen, die sich mit dem Namen Necmettin Erbakan verbinden, früher sozialen Protest in der Sprache des Islam zu artikulieren gesucht, so hat die islamische Bewegung in der Auseinandersetzung mit der türkischen Gesellschaft während der neunziger Jahre an Breite zugenommen. Inwieweit sie zu einem integralen Bestandteil der türkischen Demokratie werden könnte, ist eine der großen Zukunftsfragen an die Türkei.[FONT=&quot][38][/FONT]

In der Türkei entwickelte sich der Islamismus ebenfalls eigenständig. Während anderorts Islamisten den Sufismus ablehnen, ist die islamistische Bewegung in der Türkei eng mit dem unter Atatürk verbotenen Nakşibendi-Orden verbunden. Mit Unterstützung führender Ordensführer gründete Necmettin Erbakan 1970 die Partei der Nationalen Ordnung, die mehrfach nach Verboten unter anderem Namen neu gegründet wurde. Doch es gelang den Islamisten in der Türkei nicht, die religiöse Opposition gegen das säkulare System zu monopolisieren, da mehrere religiöse Bewegungen sich dem ideologischen Anspruch des Staates entzogen, dabei jedoch Parteien der rechten Mitte unterstützten. 1994 wurde Erbakans Wohlfahrtspartei stärkste Partei und konnte mit der Partei des Rechten Weges eine Koalition eingehen. Auf Druck des Militärs musste diese Regierung jedoch 1997 aufgeben. Daraufhin spaltete sich der größere Teil der Mitglieder ab und gründete die AKP, deren Führung um Tayyip Erdogan pragmatisch und unideologisch auftritt.[39]

DiesowjetischeMachtanerkanntekeineKonfessionen- auch den Islam nicht. Die Bolschewisten sahen Konfessionen wie Konkurrenten an. Die kommunistische Ideologie beanspruchte die Rolle des Reglers von sozialen Beziehungen und konnte die Anwesenheiten des mächtigen Konkurrenten, der über die mehrhundertjährigen Einfluss auf den Menschen und Gesellschaft verfügte, nicht ertragen. Die Regierungen dachten, dass die Existenz der Konfessionen ihre Aktivitäten verhindern könnte. Nach der Gründung der UdSSR (1922) fing ein Kampf gegen die Religion an. Im Kaukasus und in Zentral Asien wurden alle Moscheen geschlossen. Allein im Nordkaukasus wurden 38 Scheiche getötet. Der bewaffnete Widerstand der gläubigen Muslime dauerte bis Anfang 40er Jahre. Während zweiten Weltkrieg hatten islamisten des Nordkukasus mit dem dritten Reich verbindet. Ihr Hass auf Russen verband Islamisten und Nationalsozialisten und schuf die Grundlage für ihre Allianz.


Nach dem zweiten Weltkrieg mied die Regierung Konflikte mit den Moslems, weil das Land ökonomisch schwach war und die soziale Lage schwierig. In der zweiten Hälfte der 40er Jahre wurden sogar einige Forderungen der Gläubigen nach der Eröffnung von Moscheen erfüllt. Offensichtlich haben die Kommunisten verstanden, dass sich der Kampf gegen den Islam schliesslich auf die Beziehung der Moslems zu Moskau auswirken wurde.[FONT=&quot][40][/FONT]

Mit der Lockerung nahm auch der Einfluss des politischen Islam auf die Menschen zu. Das beweist auch ein Bericht des Parteichefs zur tschetschenischen Autonomie: „AufderSchwelledessechstenJahrzehntes (70er) der Revolution gibtesimTerritoriumGrosnys bis jetztgibteskeinesowjetischeMacht, dieProblemenwerdennicht von den staatlichen Behörden, sondern vondenreligiösenFührerngelöst“[FONT=&quot][41][/FONT].

Eine der Erklärungen der plötzlichen Toleranz der Mächte zum Islam besteht darin, dass Ende der 70er und in den 80er Jahren die Ideen des islamischen Radikalismus begonnen haben, die muslimischen Regionen der UdSSR zu durchdringen. „Die Bewegung war sowohl mit der islamischen Revolution im Iran, als auch mit dem Protest muslimischer Welt gegen den sowjetischen Einfall in Afghanistan verbunden“. Um die Loyalität der Gläubigen zu gewährleisten, hat die sowjetische Macht den Atheismus vermindert. Andererseits verhinderten sie die Formierung einer einheitlichen islamischen Bewegung und begannen mit der Verfolgung von deren Führern und Mitgliedern.[FONT=&quot][42][/FONT]

VielesowjetischeForscherwaren der Meinung, dasssichdieaussenpolitischenEreignisse der sechziger und siebzigerJahreaufdasSelbstbewusstseindersowjetischenMoslemsausgewirkthatten. AmEnde der 70erberichtetedieamerikanischeZeitschrift “U. S. News and World Report”, dassMoskaudieoffeneFeindseligkeitzum Islam verringerthat, umeinengünstigenEindruckaufdiearabischeWeltzuerzeugen“[FONT=&quot][43][/FONT].

Die „gorbatschevischen Umgestaltung“ der UdSSR hat die Vorbedingungen einer religiösen „Renaissances“ in UdSSR geschaffen und den Aufstieg des Islamismus ermöglicht. Das hat den Aktivitäten des politischen Islams neuer Impuls gegeben, dessen Fokus Zentralasien wurde.

Am Ende der 70er Jahre hatte Mittelasien eine tiefe Systemkrise getroffen: Wegen der demographischen Explosion verschlimmerten sich die ökonomischen Zustände. Die Verwaltung war gezwungen, ihre Augen auf die Erweiterung der Produktion und des Handels, die das Scheitern des sowjetischen Systems kompensieren sollten, zu schliessen.[FONT=&quot][44][/FONT]

Man kann behaupten, dass Anhänger der islamischen Bewegung in Zentralasien vor allem die Händler waren, die der kommunistischen Ideologie ablehnend gegenüber standen. Um ihre Besitze zu schützen unterstützten sie die Islamisten, mit der Hoffnung, dass Islamismus gegen Freihandel nichts hatte.

Viele Forscher betonen, dass die „weltweite islamische Bewegung eine grosse Rolle im Entstehung und Entwicklung des politischen Islamismus im ehemaligen Bündnis gespielt habe“.[FONT=&quot][45][/FONT] Aber die Frage bleibt noch offen, ob in der Entwicklung des Islamismus innere oder äussere Faktoren die wichtige Rolle gespielt haben.




































 
Das Thema wurde in die passende Rubrik verschoben, weil es nicht mehr zum arabisch-islamischen Mittelalter gehört.
Falls jemand Probleme damit wegen der Schreibrechte hat, bitte melden.

In diesem Sinne

Timotheus
Moderator
 
zum Islam Zentralasiens und seiner Entwicklung erhältst du hier einen schönen Überblick mit Literaturempfehlungen:

http://www.univie.ac.at/ksa/html/inh/stud/studmate_files/zentralas_0607/GesamtversionNewZas1_7.pdf

Ansonsten zitiere ich zur Türkei, und der geschichtlichen Entwicklung des Islam dort mal in Auszügen:

Lerch, Wolfgang Günter:
Muhammads Erben: die unbekannte Vielfalt des Islam
1. Aufl. – Düsseldorf: Patmos, 1999

S. 125 ff.

Gutes Buch, seriöser Autor.

"Eine Religionsstatistik aus der Zeit der Jahrhundertwende
zum Beispiel, als es das Osmanische Reich noch
gab, hätte sehr viel anders ausgesehen. Damals waren
noch zwanzig Prozent der Bürger, der Untertanen des
Sultans und Padischah, Nicht-Muslime, „Schutzbefohlene“
des Islams (gayrimüslüm). Zu ihnen zählten, um
nur die wichtigsten zu nennen, die Juden, die Griechen,
die Armenier, aber auch die syrischen Christen, die
Süryani oder Assyrer, dazu noch etwa zwanzig andere
Minderheiten, die alle religiös definiert waren.
In der heutigen Türkei beträgt der Anteil der Nicht-
Muslime an der Bevölkerung etwa ein Promille. Das sagt
weniger über den Islam aus als über die bewegte Geschichte
der Türkei in diesem Jahrhundert."

"Durch Verstädterung zumal haben sich die Verhältnisse
verschoben, und auch der Islam hat sein Gesicht geändert.
Trotzdem kann nach wie vor eine alte Einteilung als
gültig angesehen werden. Sie spricht von drei religiösen
Kulturen innerhalb ein und desselben Glaubens. Es sind:
der städtische Islam kemalistischer Provenienz, der anatolisch-
orthodoxe Islam sunnitisch-hanefitischer Richtung
und der anatolisch-heterodoxe Islam der Aleviten."

"Obschon die Osmanen dem Sunnitentum zum Sieg
verholfen hatten, blieb doch die religiöse Landschaft des
Reiches, Kleinasien eingeschlossen, recht vielfältig. Allein
die Zahl der christlichen Untertanen des Sultans nahm
mit den Eroberungen ständig zu, vor allem auf dem
Balkan und in Griechenland. Hinzu kamen die Abweichler
unter den Muslimen. Zwar hatte Selim I. im
Jahre 1514 in der Schlacht bei Çaldiran die heterodoxen
Schiiten der Kizilbaş vernichtend geschlagen, doch blieben
unorthodoxe schiitische Elemente in Teilen Anatoliens
immer präsent. Sie wurden ein wichtiges Ferment
des ostanatolischen Volksislams. Bis heute sind die Aleviten
seine wichtigsten Vertreter.
Wachsende Bedeutung gewannen im Osmanischen
Reich auch die Tarikas, die Bruderschaften und mystischen
Orden, von denen ein Teil, wie Franz Taeschner es
beschrieben hat, auch mit den Handwerkergilden zusammengeschlossen
war. Diese Ahi oder Fütüvvet-Bünde
strukturierten sogar zum großen Teil die männliche Bevölkerung
Kleinasiens, da am Ende des Osmanischen
Reiches jeder dritte männliche Untertan des Sultans
Mitglied in dem einen oder anderen Orden, in der einen
oder anderen Bruderschaft war. Die Zahl dieser religiösmystischen
Gemeinschaften nahm ständig zu, und ihr
Einfluß war auf dem flachen Lande bestimmt ebenso groß
wie der der sunnitischen Reichsreligion. Die mystischen
Orden stehen für so etwas wie eine innere Dimension des
Islams, ihre Anhänger strebten und streben danach,
durch gewisse meditative Praktiken Gott innerlich zu erfahren,
das heißt in Form religiöser Ekstase den Gesetzesislam
zu überwinden. Gleichzeitig boten die Bruderschaften
auch einen wichtigen sozialen Zusammenhalt,
viele waren bekannt für ihr soziales Engagement.
Unter der großen Zahl der bündisch organisierten
Orden in der Türkei sind besonders zu erwähnen:
1. Die Mevlevis mit ihrem Stammsitz in Konya. Sie
gehen auf den mystischen Dichter und Denker Mevlana
Celalettin Rumi (1207 – 1273) zurück, der in seldschukischer
Zeit gelebt und gewirkt hatte. Eigentlicher
Ordensgründer ist sein Sohn Sultan Veled. Die Mevlevis
waren ein ausgesprochener Intellektuellen-Orden, kontemplativ-
philosophisch ausgerichtet, der den mystischen
Reigentanz (Sema) pflegte und auch das Privileg besaß,
einen neuen Sultan mit dem Schwert Osmans zu gürten,
was der Krönungszeremonie des christlichen Westens entsprach.
Ansonsten stellten die Mevlevis viele Gelehrte und
Poeten.
2. Die Bektaschiş mit ihrem heterodoxen Gedankengut,
das dem Schiitentum entstammte. Sie gingen auf den
im 13. Jahrhundert in Zentralanatolien wirkenden heiligen
Haci Bektaş Veli zurück und waren mit dem volkstümlichen
Alevitentum verflochten. Wir werden auf diese
Gruppe bei der Darstellung des Islams in der zeitgenössischen
Türkei noch zurückkommen. Die Bektaschis jedenfalls
wirkten als Feldprediger unter den Janitscharen, der
Elitetruppe des osmanischen Heeres, die aus der sogenannten
Knabenlese (devşirme) hervorgegangen war.
Neben diesen beiden Tarikas, die für zwei Extreme stehen
– hier ein Intellektuellen-Orden, dort Volksmystik
schiitischer Prägung –, bildeten auch sozusagen „gesamt
islamische“ Orden, die in großen Teilen des dar al-islam,
in Mittelasien ebenso wie in Indien, verbreitet waren,
einen Bestandteil der religiösen Organisation im
Osmanischen Reich: die Kadiri, die Nakşbendi, die Rifai,
die Ticani und die Halveti-Derwische, die einen besonders
quietistischen, kontemplativen Stil pflegten. Als ihr
Widerpart können die Nakşbendi angesehen werden, die
auch immer wieder bereit waren, zur Waffe zu greifen,
um den Islam zu bewahren. Noch der berühmt-berüchtigte
Kurdenaufstand des Scheichs Said im Jahre 1925 war
im Grunde ein Aufruhr, der von der Tarika der
Nakşbendi getragen wurde. In osmanischer Zeit wurden
die Nakşbendi auch als Antithese zu den Bektaşi gesehen.
Als Sultan Mahmud II. im Jahre 1826 den Bektaşi-Orden
offiziell auflöste, übereignete er dessen Eigentum weitgehend
den Nakşbendi.
Das Osmanische Reich verwirklichte einen islamischen
Staat sunnitisch-orthodoxer Prägung, mit dem Sultan und
Padischah als „Schatten Gottes auf Erden“, in dem gleichwohl
Bruderschaften und andere heterodoxe Elemente
eine nicht unwichtige Stellung innehatten und großen
Einfluß entfalteten. Hinzu kam, daß auf dem Höhepunkt
der Eroberungen die Zahl der christlichen Untertanen
fast die Hälfte der Bewohner des Reiches ausmachte.
Dieser Anteil wurde später wieder zurückgedrängt, doch
blieben die Juden und Christen als „Schutzbefohlene“
(zimmi) des Islams zahlenmäßig umfangreich."

"Der türkische Islam im 20. Jahrhundert ist, in der
Kontinuität ebenso wie im schroffen Kulturbruch, Resultat
der kemalistischen Revolution, das heißt eines
Eingriffes, wie man ihn sich in einem islamischen Land
nicht schärfer und einschneidender vorstellen kann. Die
heutige Situation des türkischen Islams wurzelt mit all
ihrer Widersprüchlichkeit und Unübersichtlichkeit in
den laizistischen Reformen des Republikgründers Mustafa
Kemal Atatürk. Atatürk lenkte die Geschicke des Landes
zwischen 1923, dem Jahr der Gründung der Republik,
bis zu seinem Tod im Jahre 1938. Auch in den folgenden
zehn bis zwölf Jahren, das heißt in der Zeit seines politischen
Erben Ismet Inönü, bestimmten noch vornehmlich
laizistische Auffassungen die Religionspolitik. Doch dann
setzte eine Entwicklung ein, die zu der heutigen, einigermaßen
undurchschaubaren Situation führte.
Zunächst ein Blick auf die Reformen Atatürks, soweit
sie die Religion betrafen.
Atatürk nahm dem Islam im Jahre 1928 den Charakter
einer Staatsreligion, was den vollständigen Bruch mit der
Staatsidee des Osmanischen Reiches bedeutete. Die Herrschaft
des Sultans war schon 1922 abgeschafft worden.
Den letzten Kalifen, der nur noch geistliches Oberhaupt
der Muslime sein sollte, Abdülmecit, schickte Atatürk
1924 in das Exil. Er schloß die Medresen, die theologischen
Bildungsanstalten, und die Şeriat-Gerichtshöfe, in
denen nach dem islamischen Recht geurteilt wurde. Die
Scharia wurde abgeschafft und durch weltliche Rechtssysteme
aus Italien, der Schweiz und Deutschland ersetzt.
Das Tragen religiöser Kleidung in der Öffentlichkeit
wurde untersagt. Die Männer mußten den Fes durch
einen europäischen Hut ersetzen. Den Frauen wurde
empfohlen, sich nicht mehr zu verhüllen, ohne daß ein
offizielles Schleier-Verbot erlassen worden wäre. Am
1. November 1928 trat die Schriftreform in Kraft. Das
Türkische durfte hinfort nicht mehr mit arabischen
Buchstaben geschrieben werden. Wer die überragende
Bedeutung des Arabischen als Sprache der islamischen
Offenbarung wie der gesamten Kultur des Islams kennt,
weiß, welchen Einschnitt allein dieser Schritt bedeutete.
Es war ein Religions- und Kulturschock von epochaler
Tiefe, der auch nicht, wie die kemalistische Geschichtsschreibung
lange glauben machen wollte, ohne Widerstände
abging. Die Widerstände waren sogar erheblich
und werden bis heute von der kemalistischen Hagiographie
pauschal und in vielen Fällen zu Unrecht als
die Gegenwehr ewig Gestriger abgetan, wie Martin von
Bruinessen hervorhebt."

Ich habe grad keine Lust die entscheidenden Passagen rauszusuchen und habe dir den Text im Anhang angefügt, sonst wird das hier zuviel "Geschreibe". ;)

Ich habe auch deinen obigen Text nicht richtig gelesen, da grad wenig Zeit. Vielleicht im Laufe der Woche nochmal.

Ciao, lynxxx
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zurück
Oben