Pro et contra der 'waskonischen Hypothese' Theo Vennemanns

Dieses Thema im Forum "Frühzeit des Menschen" wurde erstellt von El Quijote, 16. Januar 2011.

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  1. rena8

    rena8 Aktives Mitglied

    Wie hast du die Liste gemacht, per Hand oder Automatiksuche?

    Spaßeshalber habe ich nach Eberholzen gesucht, weil ich dachte, damit wäre leicht das Gegenteil zu beweisen, es muß ja Orte geben, die auf einen Wald o.ä. hinweisen, in dem Wildschweine gejagt wurden.
    Zu meiner Überraschung liegt Eberholzen ? Wikipedia am Hambach, nach Maps umgeben von Hügelland, würde also passen, wenn da nicht die erste urkundliche Erwähnung als Eilbereholthusen wäre.
    Ob das mit dem in Wiki vermuteten Eigennamen stimmt oder ob Eibere in die süddeutsche Eber-Reihe paßt, kann ich nicht beurteilen.
     
  2. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Dann müsste man aber auch heraussuchen, wie sich diese Namen entwickelt haben, z.B. Eberholzen aus Eilbereholthusen, Ebervingen aus Ebrolvingen, Ebergötzen aus Euergoteshem, Ebermannstadt von Ebermarstad (Ebermar=Eigenname).
    Dazu ist bei einigen Nennungen wie Eberswalde der Bezug zum Schwein recht eindeutig.
    Die Bezüge zu Flussläufen sind da nur schwer zu erkennen.
     
  3. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Nicht weit entfernt liegt übrigens Everrode, welches allerdings erstmals als Avenigeroth auftaucht.....
     
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  4. rena8

    rena8 Aktives Mitglied

    So dachte ich auch und habe deshalb nach Eberholzen gesucht und die oben beschriebene Überraschung erlebt.
    Laß uns doch die These an einigen Orten durchspielen...

    Allerdings sollten auch andere Orte der gleichen Gegend untersucht werden, vielleicht stellen wir dann fest, dass jenseits der norddeutschen Tiefebene Orte auch heute noch überwiegend in Tälern liegen und da fliessen ja auch die Bäche und Flüsse.
     
  5. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Das ist ja auch nicht weiter überraschend. Nahezu alle Dörfer liegen an irgendeinem Bach oder Fluß, da die Bewohner selten Lust hatten, kilometerweit zum Wasser zu laufen.
    Eine Kombination wie Eberbach klingt auch nicht gerade logisch, wenn man "Eber-" als Flußlaufbezeichnung interpretiert.
     
  6. Ravenik

    Ravenik Aktives Mitglied

    In meiner Gegend (nördliches Niederösterreich) gibt es einen Ort "Ebersbrunn" (urspr. "Eberichesbrunn"). Da ist "Eber" eindeutig vom Personennamen "Eberich" abgeleitet.
     
  7. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Mischform. Eigentlich wollte ich mir einen Atlas nehmen, habe dann aber, auch in der Hoffnung dadurch sofort mit ersten Informationen über die Ortsnamenetymologie versorgt zu werden, Wikipedia als Tool verwendet.


    Genau das war mein Vorschlag:

    Genau auf diese scheinbare Eindeutigkeit beruft sich Vennemann in seiner Kritik. In diesem Punkt gebe ich ihm Recht. Was allerdings nicht bedeutet, dass, wenn sich die Feststellung der Volksetymologie bewahrheitet, dass dann automatisch seine waskonische Hypothese richtig ist. Diese falsche Gleichung wird ihm ja, m.E. zu Recht, vorgeworfen.

    Doch schon. Wenn der Bedeutungsinhalt (signifié; Signifikat) verloren gegangen und nur das Lautbild (signifiant; Signifikant) erhalten ist, dann gibt es eine Motivation, anzuzeigen, worum es sich bei dem/der Eber handelt. Dann kommen solche hybriden Konstrukte wie Eberbach oder Eberau leicht zustande (hier natürlich unter der Voraussetzung, dass Eber wirklich von einem waskonischen ibar herzuleiten ist).
     
  8. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    das wäre eine Möglichkeit -- mir fällt noch eine andere ein: man hat auch nach theophoren Ortsnamen gesucht (vgl. RGA Ergänzungsband zur german. Religion) - ohne jetzt der Etymologie des Wortes "Eber" in vorgermanische Schichten nachzuspüren: so weit mit bekannt, zählen Eber, Schwan, Hirsch und Rabe zu den cum grano salis "theophoren" Symboltieren innerhalb des wenigen, was man von "german. Religion" halbwegs weiß. Da frage ich mich, ob alte (!) Ortsnamen nicht auch aus dieser Herkunft stammen können? Ich sage gleich: ich weiß es nicht - ich frage das nur.
     
  9. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Wobei diese Symboltiere sich auch in Eigennamen wiederfinden, und auf diesem Umweg auch zur Ortsbezeichnung werden konnten.
     
  10. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Mit dem "eindeutigen Bezug" meinte ich bei Eberswalde, dass diese Siedlung erst spät entstanden ist, man über frühere Ortsnamen zumindest nichts weiß, die Herleitung vom Schwein aber im wald- und schweinreichen Gebiet aber logisch erscheint. Natürlich ist eine Umdeutung denkbar, andererseits kann der Name dann schlecht als Beleg dienen, wenn es eine einfachere und zumindest ebenso logische Deutung gibt.
    Dass in Mitteleuropa Ortschaften nach dem Eber, oder nach einem Besitzer/Bewohner, der dieses Tier im Namen trägt (Eberhardt usw.), benannt werden, ist nicht weiter erstaunlich, eine Herleitung von einem Wort völlig anderer Bedeutung, welches in der damaligen Sprache nicht existent war, wirkt arg konstruiert. Und der Zusammenhang Flußlauf - Siedlung, der zu Grunde gelegt wird, ist zu simpel. Wüstensiedlungen gibt es hierzulande nicht, Bergsiedlungen meist nur im Zusammenhang mit (ehemaligen) Burgen, ansonsten siedelt man eben in Tälern und an Flüssen. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal.
     
  11. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Ich halte Vennemanns Hypothese zwar in Teilen selbst für Ideologie, aber wir sollten umgekehrt nicht genauso ergebnis-un-offen denken.

    In der Historiolinguistik ist man sich weitgehend einig, dass Toponyme die Tendenz zum Konservativismus haben, wobei man natürlich immer Gegenbeispiele finden kann. Diese Tendenz zum Konservativismus wird von Bossong in einem Beitrag in einer Festschrift für Vennemann quasi zu einem Naturgesetz erhoben.
    Die grundsätzlich weitgehende Einigkeit darin, dass Toponyme die Tendenz zum Konservativismus haben, macht natürlich die waskonische Hypothese Vennemanns nicht wahrer.
    Aber sie einigt dahingehend, dass die Onomastiker weitgehend darin übereinstimmen, dass besonders in den Toponymen und Hydronymen ein vorindoeuropäisches Substrat überlebt hat.
    Nichts anderes postuliert die waskonische Hypothese, nur eben, dass man davon ausgeht, dass dieses vorindoeuropäische Substrat im *Waskonischen als Ur-Baskischem zu suchen ist.
    Es geht hier also nicht um die Annahme, dass ein Eberbach oder eine Eberau ein unmotiviertes Kompositum aus einem fremden und einem einheimischen Wort ist, sondern um die Annahme, dass hier verschiedene Sprachschichten in den Namen erhalten sind. Nämlich eine waskonische und eine deutsche Sprachschicht.
    Eben weil das Eber nicht mehr als Name für ein Fließgewässer zu erkennen war, musste ein entsprechendes bedeutungstragendes Morphem (also ein signifié) angehängt werden - wie gesagt, unter der Voraussetzung, dass Vennemanns Hypothese doch stimmt.

    Nur als Bsp.: In Spanien gab es einen Fluss, den die Iberer und Lusitanier Anas o.ä. nannten. Die Römer übernahmen diesen Namen und der Fluss wurde zum Anas flumen. Heute heißt der Fluß Guadiana. Das vorrömische Anas hat sich erhalten, aber mit einem arabischen Namenselement, nämlich dem vorangestellten Wadi verbunden. Es handelt sich um ein Hybrid. Umgekehrt gibt es z.B. Ortsnamen, die aus dem Arabischen stammen, die aber ein spanisches Suffix haben, etwa Mezquitilla, von Masdjid - Moschee und dem spanischen Diminutivsuffix -illa. Nun könnte man noch fragen, warum die Moschee im Spanischen (oder auch im Deutschen) weiblich ist - im Arabischen ist sie es nicht. Ich würde hier als erstes eine Interferenz mit ecclesia/iglesia/Kirche und synagoga annehmen. Wieder eine Hybridform.
    Wenn man mal in die La Plata-Region schaut (Grenzgebiet Argentinien, Paraguay, Uruguay, Brasilien), dort gibt es die gauchos. Im Prinzip eine Art argentinischer Cowboys und Outlwas, die ein wenig romantisiert verklärt wurden. Der Begriff gaucho ist aber wiederum ein Hybrid, nämlich aus der Indianersprache Guaraní, die den Begriff gau/wau für 'betrunken' kennt und dem spanischen grammatischen Morphem -cho, welches den Betrunkenen substantiviert.

    Langer Rede - kurzer Sinn: Wir sollten Hybrid-Bildungen nicht a priori ablehnen, denn sie kommen gar nicht mal so selten vor.
     
  12. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Es gibt aber einen gewaltigen Unterschied bei den Toponymen, wie auch dein Beispiel zeigt. Es handelt dort um Flußläufe, deren Bezeichnungen übernommen werden. Bei den "Eber-" Orten gab es aber vermutlich keine bestehende Bezeichnung, die hätte übernommen werden können, die Siedlungen sind jüngeren Datums und liegen meist auch nicht an einem gleich- oder ähnlichnamigen Flußlauf.
    Warum sollte im 11. oder 12. Jhd ein Dorf mit einem Wort benannt werden, dass den Bewohnern nichts sagte? Dass sie eine alte Fluß- oder Bergbezeichnung weiterführten, ok, aber Neubenennungen?
     
  13. rena8

    rena8 Aktives Mitglied

    Arbeitet Vennemanns Hypothese nur mit Gewässerortsnamen?
    Für das bergige wasserreiche Mitteleuropa mit seiner aktuell dichten Besiedlung würde mich ein anderes Toponym als Einstieg mehr überzeugen.
    Gibt es waskonische Bezeichnungen für Flint/andere seltene Steine und kann man die entsprechenden Ortsnamen dann ebenso überprüfen, ob es sich um ein konservatives Toponym handeln könnte.
    Es gab bestimmt nicht so viele Flintfundstellen in Mitteleuropa wie Tallagen mit Gewässern.
     
  14. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Nein, auch mit anderen.

    Ich meine die Bischofs-Gruppe (z.B. Bischofsheim) sei noch gut besprochen, weil hier - aus Sicht der Vennemann-Anhänger gut belegt werden kann, dass ein Ort nie einem Bischof gehört habe bzw. dass dort nie einer gelebt habe. Ich habe aber leider nicht mehr die vorgeschlagene Etymologie im Kopf.


    Genau das will ich ja im Einzelfall überprüfen.

    Wie du mitbekommen haben wirst, bin ich kein Anhänger der Vennemannschen Hypothese(n). Eher im Gegenteil. Ich hege also an der Rückführung auf ein waskonisches Etymon dieselben Zweifel wie du. Nichtsdestotrotz muss man auch bei Namen, die erst zu einer bestimmten Zeit beurkundet werden die Möglichkeit im Hinterkopf behalten, dass es sich um mündlich tradierte alte Flurnamen handelt.
     
  15. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Gut, Eilbereholthusen kann man dann z.B. ausschließen. Hier liegt ziemlich eindeutig ein anderes Etymon vor.
    Ob nun Ebermann wirklich von Ebermar kommt? Ist das erschlossen? Dann müssen wir mit Vennemann - hypothetisch - von einer fehlerhaften Erschließung ausgehen. oder ist die Form mit Ebermar belegt?
    Ebrolvingen und Euergoteshem sind keine Formen, die gegen die Vennemannsche Hypothese sprechen. Es fehlt halt das e zwischen und [r] und die Austauschbarkeit von <u> und <b> ist in lateinischen Texten - in einem solchen dürfte das Euergoteshem wohl belegt sein? - keine Seltenheit. Es sei denn, man wollte den Ortsnamen als "Eures Gottes Heim" lesen.

    Das ist interessant. Ich habe zwei weitere Ebersbrunn gefunden. Beides sind Quellorte. In dem einen entspringt die (Geiselwinder) Ebrach (hier wieder der Ausfall des interkonsonantischen e), welche in einen weiteren Fluss mit eben diesem Namen mündet, die Reiche Ebrach.
    Ebrach dürfte im Übrigen wie Eberbach und Eberau in die Gruppe der Hybride fallen (wenn Eber denn auf ein waskonisches 'Fluss' zurückgeht), -ach ist die Entsprechung von aha, althochdeutsch für 'Wasser'.
     
    Zuletzt bearbeitet: 9. Mai 2012
  16. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Ok, wenn man das schon verfolgen will, sollte man die Liste um Ortschaften wie
    Ewersbach
    Eversberg
    Eversburg
    Eversen
    Everode
    Everswinkel
    Eversten
    usw. erweitern.
     
  17. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    (ich zitiere nur einen kleinen Auszug)
    ...sind das bei diesen Ortsnamen nicht überwiegend recht unspektakuläre Rinnsale? Ich frage mich, warum die "waskonischen Namen" in diesem Fall - Eber-Orte - auf so unbedeutende Gewässer fallen... Warum sollen sich mutmaßlich waskonische Toponyme und Hydronyme ausgerechnet bei kleinen bzw. unerheblichen Gewässern über Jahrtausende erhalten haben?

    Wäre nicht wahrscheinlicher, dass die großen europäischen Ströme sehr alte Namen haben müssten? Aber Rhein, Donau/Hister usw. weisen nicht auf waskonische Herkunft hin.

    Wenn spätere, also nach-waskonische indogerman. Sprecher waskonische Ortsnamen übernommen haben sollen: warum just bei so kleinen Gewässern? Warum nicht bei den weitaus hinderlicheren großen?
     
  18. Stilicho

    Stilicho Aktives Mitglied

    Es sind ja nicht mal Gewässer, es sind Ortsnamen. Gewässernamen mit "Eber-" oder so ähnlich scheinen viel seltener zu sein.
    Die Orte sind aber erst im Mittelalter entstanden, müssten also alte Flurnamen übernommen haben. Stellt sich die Frage, ob Flurnamen auch so langlebig sind.
    In jener Zeit war die Benennung von Dörfern nach Personennamen sehr geläufig, irgendwie abgeleitet von "Heim des xxx" oder ähnlich. Personennamen mit "Eber-" waren auch häufig. Da fällt es sehr schwer an alte Flurnamen zu glauben.
     
  19. Heine

    Heine Aktives Mitglied

    Mit welcher archäologischen Kultur werden denn die Vaskonen in Verbindung gebracht?
     
  20. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Stellst du diese Frage einfach so in den Raum, oder bezieht sie sich auf diese Aussage:

    Dies sollte nicht dahin gedeutet werden, dass die *Waskonen (ich bevorzuge die Schreibung mit Asterisk, weil diese Sprachgruppe ja nur hypothetisch existierte) einer mesolithischen oder neolithischen Kultur zugeordnet würden oder werden müssten. Sondern eher, ob es bei Eber-Orten siedlungsarchäologische Gemeinsamkeiten gibt, die in irgendeiner Form besonders sind. Dies würde wiederum - indizienhaft! - Rückschlüsse auf eine gemeinsame etymologische Herkunft der Eber-Orte erlauben.

    Aber wie schon gesagt, im Mesolithikum ist man nicht so sehr an das Wasser gebunden, wie im Neolithikum. Trinken musste man zwar immer, bewässern aber erst nach Erfindung der Agrikultur. Vor allem aber suchten neolithische Kulturen nach fruchtbarem Lößboden.
     
    Zuletzt bearbeitet: 12. Mai 2012

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