Pruzzentum - Versuch einer Rekonstruktion

Danke, Dieter - mit Deinem Beitrag hast Du mir einiges an Schreibarbeit abgenommen :yes:

Dieter schrieb:
Ich glaube, Tacitus bringt uns bei der Erhellung des Pruzzentums nicht viel weiter, da seine Angaben doch sehr vage und fragmentarisch sind.

Das Problem bei Tacitus ist v.a. auch, daß er selbst - wie weiter oben schon ausgeführt - "aus den literarischen Quellen seiner Zeit" reproduziert; er ist bezüglich dieser Thematik quasi ein "Abschreibender" :fs:

Vor diesem Hintergrund ist dann auch dies zu sehen:

Tacitus schrieb:
Nördlich der Suionen liegt abermals ein Meer, träge und nahezu unbewegt. Daß es den Erdkreis ringsum begrenze und einschließe, ist deshalb glaubwürdig, weil der letzte Schein der schon sinkenden Sonne bis zum Wiederaufgang anhält, und zwar so hell, daß er die Sterne überstrahlt.

supana schrieb:
Mir fällt dabei auf, dass Tacitus von einer nicht untergehenden Sonne schreibt. Oder können diese Sätze anders als gedeutet werden? Wie weit war Tacitus in Richtung Norden unterwegs? Das würde doch hesisen, dass er bis in die Nähe des Polarkreises vorstiess. Und das würde vielleicht auch heissen dass er nicht in Richtung Baltikum die südlich Ostsee bereist, sondern vielleicht die Küste Schwedens in Richtung Norden erkundete.

Tacitus greift auf bereits Niedergeschriebenes zurück - einmal abgesehen davon, daß man zur Beobachtung des Polartages nicht zwangsläufig bis zum Polarkreis vorstoßen muß, sondern bspw. lediglich bis zur Newamündung (Stichwort: "Weiße Nächte" von St. Petersburg).
Aus dem Text deshalb zu schließen, Tacitus wäre weiter nach Norden - vielleicht sogar Skandinavien - gekommen, ist vorsichtig ausgedrückt sehr gewagt.
Außerdem bezieht sich seine Schilderung auf das Meer, ergo das Baltische Meer bzw. die Baltische See bzw. die Ostsee. Dieses Meer assoziiert er generalisiert mit der genannten Naturerscheinung, was aber im geographischen Sinne so nicht korrekt ist - und was ihm aufgefallen wäre, hätte er das Baltikum tatsächlich selbst bereist... :grübel:
Überhaupt fällt auf, daß seine Schilderung des Meeres geographisch vage ist; er schreibt davon, daß es "den Erdkreis ringsum begrenze und einschließe", was ein weiteres Indiz dafür darstellt, daß die Schilderung NICHT aus eigener Beobachtung und/oder eigener Erfahrung erfolgte.

Von daher bringt uns Tacitus tatsächlich nur wenig weiter und sollte da nicht überschätzt werden; daß er über eine relativ eigene Volksgruppe in besagtem Raum berichtete, muß ihm angerechnet werden. Mehr jedoch nicht...
 
timotheus schrieb:
Hallo Heinz,

nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich darauf nochmals eingehe... :fs:



Hier muß die wichtige Information beigefügt werden, daß die Pruzzen durch den Deutschen Orden zunächst unterworfen und zwangschristianisiert wurden.
Während der bewaffneten Auseinandersetzungen im 13. Jh. kamen - je nach Region abweichend - etwa 20...50 % der Pruzzen um.
Die Aussage, wonach etwa 80 % der Pruzzen umgekommen sind, stammt aus dem 19. Jh., galt auch bis 1945 noch, ist inzwischen aber widerlegt und - vgl. Satz zuvor - korrigiert.

Und um jegliche Mißverständnisse zu vermeiden: auch 20...50 % tote Pruzzen sind eine erhebliche Zahl, und es geht mir auch keineswegs darum, hier irgendetwas herunterzuspielen o.ä.
Ich wollte an der Stelle lediglich die Zahlenverhältnisse etwas zurechtrücken... das steht übrigens auch in dem Wikipedia Link, wie ich soeben noch festgestellt habe...

Lieber Timo,
ich hatte keine Prozentsätze genannt. Es wäre schön, wenn ein grösserer Teil der pruzzischen Bevölkerung in Preußen überlebt hätte. Aber für mich bleibt Völkermord eben Völkermord. Durch die anschliessenden Assimilierungen und Vertreibungen im 20. Jahrhundert sind sowieso nur ein paar Namen übriggeblieben.:(
 
Heinz: Du sprichst damit ein Problem an, das ich bereits früher und durchaus kontrovers mit Timo erörtert habe.

Einerseits hast du natürlich völlig Recht: die Vernichtung großer Teile der Pruzzen durch den Deutschen Orden muss man als Völkermord bezeichnen. Andererseits muss man aber auch dem Oden Gerechtigkeit widerfahren lassen in der Hinsicht, dass gewaltsame Bekehrung und Unterwerfung heidnischer Völker damals nicht nur positiv aufgenommen, sondern sogar erwartet wurden. Ich will also damit sagen, dass es unhistorisch ist, damalige Beweggründe und Entscheidungen einseitig aus heutiger Sicht zu sehen. Völkermord bleibt Völkermord, doch gab es in dieser Hinsicht damals kein Unrechtsbewusstsein, sondern Papst und Kirche forderten im Gegenteil zur - auch gewaltsamen - Unterwerfung auf.

Nichts anderes widerfuhr 300 Jahre später den südamerikanischen Indios durch die Konquistadoren und die anschließende spanisch-portugiesische Kolonialherrschaft. Damals wurden Reiche zerstört und ganze Völker vernichtet, ohne dass es jemand in Europa eingefallen wäre, darin ein Verbrechen zu sehen. Schlimmste Auswüchse geißelte freilich schon damals der spanische Priester und Missionar Las Casas.

Also: Aus heutiger Sicht war die Behandlung der Pruzzen ein Verbrechen, doch kann man deswegen den Deutschen Orden nicht als "verbrecherische Organisation" bezeichnen, da man nicht mit heutigen Maßstäben messen darf.
 
Danke @ Timomotheus und Dieter, dass hier die Diskussion so lebhaft weitergeführt wird.

Es ist wohl richtig, dass um weisse Nächte zu erleben, nicht ganz bis zum Polarkreis vorgedrungen werden muss. Dass Tacitus nicht selbst dort war, ist zwar weder belgt noch nicht belegt, aber wie bereits gesagt war er auch ein fleissiger "Abschreiber". Deswegen wird die Frage wohl nicht eindeutig geklärt werden, welches Land er meinte, dass vom Meer gesamt umschlossen erscheint. Das dies allerdings eine grössere Landmenge und keine kleine Insel meint, davon kann m.e. trotzdem ausgegangen werden. Ob er aber damit nun Skandinavien oder Finnland meint ist wohl nicht nachvollziehbar. Finnland als Insel zu sehen wäre zwar auch möglich, falls Tacitus bzw. der Reisende von dem er seine Information hat, an der Südküste Finnlands angelandet ist und von dort durch das umfliessende Wasser des finnischen Meerbusen und der nördlichen Ostsse, sich als auf einer Insel stehend wahrnimmt. Aber dies würde in zu sehr ins Reich der Spekulationen führen.
Totzdem gebe ich ncht ganz auf ;) und würd mich freuen wen hier jemand etwas zu den erwähnten Völkern Suionen, Peukiner, Venether, Fennen zwechs besserer geographischer Sortierung der Beobachtungen Tacitus bzw. seiner Quellen, etwas schreiben könnte. Ausserdem wäre hilfreich falls ein geographisch Interessierter uns etwas darüber berichten könnte, ab welchen geographischen Breitengrad im europäischen Norden weisse Nächte beobachtbar sind.
Angesichts die ausführliche Beschreibung Dieters der pruzzschen Glaubensvorstellung gebe ich mich in diesem Punkt "geschlagen" :) (Auch wenn ein Fünkchen noch übrig ist, durch die beschriebenen Beziehungen zum Arianer Theoderich dem Grossen, aber Ihr habt Recht, dass ist Spekulation)
Ein starker Glaube ist wohl als eine der Motivationen anzusehen, die den Pruzzen den in ihrem jahrzehnte lang anhaltenden Widerstand leitete. In diesem Zusammenhang ist auch interessant hervorzuheben, dass der bereits erwähnte Dr. phil. Letas Palmaitis in seinerm Text der sprachwissenschaftlichen Rekonstruktion schreibt, dass durch die Hartnäckigkeit der Pruzzen letzendlich, die anderen baltischen Völker von einer Germanisierung verschont blieben.

Liebe Grüsse
supana
 
Ich möchte noch kurz ergänzen, was es mit den "Pruzzenaufständen" auf sich hatte.

Nachdem der Deutsche Orden 1231 mit dem Kampf gegen die Pruzzen begonnen hatte, gelang es ihm und den von ihm geführten Kreuzfahrerheeren in wenigen Jahren, weichselabwärts bis zur Ostsee vorzustoßen. Der Widerstand der Pruzzen wurde für ihn gefährlich, als es 1242 zu einem Bündnis zwischen ihnen und Herzog Swantopolk II. von Pomerellen kam. 1249 wurden nach dem Sieg des Ordens die Friedensbedingungen durch einen päpstlichen Legaten im "Vertrag von Christburg" festgehalten.

Der Frieden wurde hinfällig, als sich ein großer Teil der Pruzzen 1260-74 abermals gegen die Herrschaft des Ordens zur Wehr setzte. Der Orden und die mit ihm verbündeten Kreuzfahrer hatten es mit einem erbitterten Widerstand zu tun, doch standen nicht alle Pruzzen gegen sie. Viele Angehörige führender Familien hatte der Orden privilegiert. So wurden ungeachtet des zweiten Aufstands der Pruzzen für diejenigen, die auf der Seite des Ordens geblieben waren, die Bestimmungen des Christburger Vertrags dennoch verwirklicht.

Dieser Vertrag ist verfassungsgeschichtlich durchaus ungewöhnlich. Der Orden als Herrschaftsträger gewährte nämlich den Pruzzen persönliche Freiheit: freies Güterrecht, freie Testierfähigkeit, Eheschließung ohne grundherrliche Eingriffe, volle Prozessfähigkeit, Zugang zum geistlichen Stand und - man höre und staune - sogar zur Ordensmitgliedschaft. Allerdings sollten die Pruzzen im Gegenzug ihren religiösen und kulturellen Überlieferungen, der Feuerbestattung und den Grabbeigaben abschwören zugunsten christlicher Glaubensinhalte und Kultformen.

Leider machten die Pruzzenaufstände die Bedeutung dieses Vertrags weit gehend zunichte, obwohl - wie oben ausgeführt - die christianisierte pruzzische Oberschicht in ihren Genuss kam.
 
So - und ich habe auch noch eine kleine Ergänzung bzw. eine kleine Korrektur... :winke: :cool: :rolleyes:
Ich habe mich in früheren Beiträgen bei dem von mir genannten Buchtitel nämlich verschrieben :rotwerd:
Das Buch ist zwar von Dieter Zimmerling, heißt jedoch "Der Deutsche Ritterorden" :fs:
 
Hallo Leute,

Ich habe erfreulicherweise zum Thema Tacitus, Aestii und Co. eine Dissertationsarbeit entdeckt ...

Beim ersten querlesen gibt es auch Äusserungen zu den Venethern, womit wir wie es aussieht auch noch in die Slawengeschichte hineinkommen. Aber jetzt ist erstmal Studium des Fundstückes angesagt. :) "Bitte mich dazu zurückziehen zu dürfen" um mich später der inzwischen doch sehr angenehm aufgelebten Diskussion zu widmen.

Liebe Grüsse
supana
 
Die entdeckte Dissertation handelt sich um eine Studie der Vandalischen Geschichte unter dem Aspekt der Gleichsetzung der Ethnonyme der Wenden=Vandalen, Vandalen=Wenden vom Mittelalter bis ins 18. Jh.
Dies ist in zwei Dingen für unser Thema der Pruzzen interessant. Zum einen wird beschrieben, wie die Bezeichnungen von Völkern an sich sowie die Motivationen zum Bezeichnungen von Völkern in Europa im Laufe der Geschichts sich verändert haben. Und zum zweiten auf die Sicht, wie nutzenswert und zuverlässig die Erwähnung von Völkern aus Sicht der antiken Geschichtsschreiber sind.

Für die Zeit, in der sich Völkern sich zusammenschliessenden Stämmen herausbildeten, wird aus der vorliegenden Arbeit deutlich, dass die Motivation der Namensgebung der Völker und Stämme hauptsächlich lediglich in der Unterscheidbarkeit von sich selbst und den anderen geprägt ist. (Der Autor möge mir die etwas stark vereinfachte Darstellung im Sinne des hier zu bearbeitenden Themas verzeihen) Werden die in diese Zeit fallenden Beschreibungen des Tacitus auf die reine Unterscheidbarkeit (Eigen- und Fremdbezeichnung) der einzelnen Völker und Stämme beschränkt, kann von einer Zuverlässigkeit seiner Beschreibungen ausgegangen werden. Allerdings sollte m.E. bei den Geschichtsbeschreibungen aus dieser frühen Zeit nicht versucht werden, z. B. die Zugehörigkeit zu Sprachgruppen oder gar Abstammung und Verwandschaft von Völker hinein zu interpretieren. Es sind lediglich wir-sind-wir und Ihr-seid-Ihr-Bezeichnungen.

Nun zur genaueren Definition und Lokalisation der von Tacitus erwähnten Aesti.
Eine genaue Örtlichkeit, wo genau die Aestier lebten fehlt bei Tacitus. Lediglich ist von der ungenauen Lage ihres Siedlungsgebietes an der rechten Küste des suebischen Meeres zu lesen. Auch eine Ortsangabe der Venether der östlichen mittelbaren oder unmittelaren Nachbarn der Aesti fehlt. Sie wird mit dem Satz: "Hier ist Sueben zu Ende" auch nicht deutlicher.
In der Dissertation ist ab Seite 29 ff zu lesen, Zitat: " Der griechische Geograph Klaudios Ptolemaios erwähnt im 2. Jahrhundert die Venedai. Gemeint ist damit das westlichste Volk der europäischen Sarmatia. Die europäische Sarmatia liegt in der Vorstellung Ptolemaios östlich der Weichsel ...Ptolemais verwendete nachweisbar gerade für die Gegenden in der Germania immer wieder nicht zeitgenössische Nachrichten, somdern solche aus frühaugustischer Zeit ... Das Volk der Venedai wurde dabei an der Küste des venedischen Meerbusens lokalisiert. Auf der ptolemäischen Karte waren die aus jüngeren Qellen stammenden Angaben über die Goten an der Danziger Bucht (allerdings) damit nicht vereinbar, und so setze er diese von der Küste ins Binnenland. Die Venedai reichten (nun) in der Vorstellung des Ptolemais in der Weichselgegend an die Ostsee heran...
... Plinius nannte in seiner Naturalis Historia den Volksstamm der Venedi. Diese lokalisierte er an der Ostsseeküste zwischen Aeningia, womit wahrscheinlich Finnland gemeint war, und der Weichsel. Die Skiren und die von der modernen Forschung nicht identifizierten Hirri lebten nach Plinius noch zwischen Weichsel und Venedi.
Tacitus setzt seine Venethi noch weiter nach Osten und zwar zwischen die Fenni und die Peucini....
... Der Venedername ist nach den Informationen des Tacitus also aus dem Gebiet zwischen Weichsel und Ostsee verschwunden und er brichtete von den gentes Aesti. Bei den taciteischen Aesti dürfte es sich um die Vorfahren der späteren Letten, Litauer und Preussen handeln. Bis ins 11. Jahrhundert hinein ist das Ethnonym jedenfalls in diesem Sinne gebraucht worden. Die später nachweisbaren Esten oder Eisti beziehen sich allerdings auf die finnisch-ugrischen Esten. Es dürfte nach Much eine Einschränkung eines noch im frühen Mittelalter weiter gefassten Namens auf die nördlichen Nachbarn der alten baltischen Aestii stattgefunden haben...
Auch Wenskus vermutet, dass der seiner Ansicht nach skandinavische Name Aestii als gotische Fremdbezeichnung für Bewohner der baltischen Küste den vielleicht schon auf die Slawen angewandten süddgermanischen Venedernamen zu Teil ablöste. ...
Auch warum gerade dieses Ethnonym (der Veneder) auf die östlichen Nachbarn generell angewandt wurde, ist nicht zu klären" Zitat Ende. Zur besseren Lesbarkeit der Zitate sind von mir in Klammern gesetzte Einschübe vorgenommen worden. supana

In einem weiteren Zitat der Dissertation S. 66 ff heisst es: "Adam zählt die Böhmen und Polen noch weiter unkommentiert zu Sclaviia und trennt nicht zwischen den Slawen und Wenden, wie Helmold das schon tun wird ... Helmold von Boslau übernnahm den Bericht Adams (1075-76) teilweise wörtlich. Nur ist Helmolds Beschreibung (1163) umfassender ... Die Wenden bestehen aus "multi populi", erklärt Hetmold. Diese Populi wohnen entlang der Ostsee, und, wie Adam von Bremen, zählt auch Helmold die Ungarn zu den Slawen. Ausser den Pruzo (Pruzzen) sind alle Christen ... Helmolds Wortgebrauch ist also in die allgemeine Entwicklung des 12. Jahrhunderts gut einordenbar. Der alte Wendenname erfährt eine Beschränkung auf die Slawen zwischen Saale, Oder und Ostsee ... Den Autoren dürfte der Prozess dieser Reduzierung kaum bewusst gewesen sein." Zitat Ende
Alle Zitate stammen aus: Roland Steinacher - Studien zur Vandalischen Geschichte, Geistes- und Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, Juni 2002 (Vom Autor in den Zitaten verwendeten Texte: Ptolemais/GeographikaIII; Tacitus/Germannia; Plinius/Naturalis HistoriaIV; Adam/Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontiforum 1075-76; Helmold von Bosau/Chronica Slavorum1163; Demougeot 1969-79 und Wenkus 1961-77/Zur anachronitischen Darstellung des Ptolemais; Much, Rudolf/Die Germania des Tacitus, Heidelberg 1967)

Helmold von Bosau berichte ebenfalls in der erwähnten Chronica Slavorum 1163 über dir Pruzzen, Zitat:"Die Prußen haben noch nicht des Glaubens Licht erblickt. Es sind Leute von vielen natürlichen Gaben, sehr menschenfreundlich gegen Notleidende. Schiffbrüchigen und von Seeräubern Bedrohten fahren sie sogar entgegen und helfen ihnen. Gold und Silber gilt ihnen sehr gering, doch im Überfluß haben sie Felle, deren Duft in unsere Welt das tödliche Gift des Hochmutes gebracht hat .
Von dem Fleisch ihrer Zugtiere ernähren sie sich, deren Milch und Blut sie auch trinken, so dass sie davon berauscht werden sollen. Sie sind blauäugig, rotgesichtig und langhaarig.
Übrigens wollen sie, in ihren Sümpfen unangreifbar, keinen Herren bei sich dulden. Von ihnen wird in Wahrheit noch bis auf den heutigen Tag den Unsern, mit denen sie sonst alles teilen, der Zutritt zu den Hainen und Quellen verwehrt, weil diese, wie sie meinen, durch den Besuch der Christen unrein würden." Zitat Ende aus Helmold von Bosau´s Chronica Slavorum

Aus allem Geschrieben ergibt sich als Resumeé, das der Begriff der Aestii als Bezeichnung für die Pruzzen als unsicher gilt. Als Bezeichnung der Urbalten und später als Sammelbezeichnung aller Balten ist diese als Abgrenzungsbezeichnung von den Germanischen Völkern im Westen, den Eisti im Norden und den Veneder im Osten zu verstehen, und damit als wahrscheinlichere Zuordnung der Aestii anzusehen. Und es ergibt sich ein neuer Fragepunkt, warum die Pruzzen im 12. Jahrhundert als Wenden und somit als Slawen angesehen wurden.

Liebe Grüsse
supana
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieter schrieb:
Heinz: Du sprichst damit ein Problem an, das ich bereits früher und durchaus kontrovers mit Timo erörtert habe.

Einerseits hast du natürlich völlig Recht: die Vernichtung großer Teile der Pruzzen durch den Deutschen Orden muss man als Völkermord bezeichnen. Andererseits muss man aber auch dem Oden Gerechtigkeit widerfahren lassen in der Hinsicht, dass gewaltsame Bekehrung und Unterwerfung heidnischer Völker damals nicht nur positiv aufgenommen, sondern sogar erwartet wurden. Ich will also damit sagen, dass es unhistorisch ist, damalige Beweggründe und Entscheidungen einseitig aus heutiger Sicht zu sehen. Völkermord bleibt Völkermord, doch gab es in dieser Hinsicht damals kein Unrechtsbewusstsein, sondern Papst und Kirche forderten im Gegenteil zur - auch gewaltsamen - Unterwerfung auf.

Nichts anderes widerfuhr 300 Jahre später den südamerikanischen Indios durch die Konquistadoren und die anschließende spanisch-portugiesische Kolonialherrschaft. Damals wurden Reiche zerstört und ganze Völker vernichtet, ohne dass es jemand in Europa eingefallen wäre, darin ein Verbrechen zu sehen. Schlimmste Auswüchse geißelte freilich schon damals der spanische Priester und Missionar Las Casas.

Also: Aus heutiger Sicht war die Behandlung der Pruzzen ein Verbrechen, doch kann man deswegen den Deutschen Orden nicht als "verbrecherische Organisation" bezeichnen, da man nicht mit heutigen Maßstäben messen darf.

Lieber Dieter,
warum soll man im laufe der zeit nicht klüger werden. Außerdem lehne ich es als ev. Christ ab, meinen Glauben mit Gewalt unter Inkaufnahme des Todes des Andersgläubigen, zu verbreiten.
Die Bergpredigt steht im klaren Gegensatz zu der Verhaltensweise der kath. Kirche, des Pabstes und des Ritterordens.
"Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst. Wenn Du einen Schlag auf die eine Wange kriegst, halte die andere hin", so sprach Jesus.:)
 
Danke lieber Horst, für Deinen Beitrag.

Ich sehe das auch so wie Du. Keine Vertreter jedweder Religion, sollten Repressalien, egal ob psychischer oder physicher Art anwenden, um andere Menschen für eine Weltanschauung zu gewinnen. Doch grosse Teile der Menscheit haben nach dem Aufkommen des Aufklärung und des Humanismus noch lange gebraucht, sowohl den Menschenschutz wie den Tier- und Umweltschutz als erstrebenswerte Ziele anzusehen. Doch auch in heutiger Sicht ist noch nicht alles Schützenswertens vor einem Untergang gefeit. Das ist an dem allmählichen Aussterben der niedersorbischen Sprache zu sehen. Das ist die Sprache der nördlicheren Sorben, die überwiegend im Land Brandenburg leben.
In Bezug auf unser Thema der Pruzzen, sollte auch so etwas in die Diskussion mit einfliessen ...

Liebe Grüsse
supana
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Supana,

erst einmal :respekt: für das Durcharbeiten der Dissertation...
Allerdings beweist diese Arbeit wiederum, wie vage die Angaben gerade auch der antiken Autoren sind - und daß uns diese nur bedingt weiterbringen :grübel:

supana schrieb:
Aus allem Geschrieben ergibt sich als Resumeé, das der Begriff der Aestii als Bezeichnung für die Pruzzen als unsicher gilt. Als Bezeichnung der Urbalten und später als Sammelbezeichnung aller Balten ist diese als Abgrenzungsbezeichnung von den Germanischen Völkern im Westen, den Eisti im Norden und den Veneder im Osten zu verstehen, und damit als wahrscheinlichere Zuordnung der Aestii anzusehen. Und es ergibt sich ein neuer Fragepunkt, warum die Pruzzen im 12. Jahrhundert als Wenden und somit als Slawen angesehen wurden.

Vielleicht war ja das zuvor angeführte Zitat aus dem Buch von Zimmerling etwas mißverständlich angekommen, aber genau diese Aussage - nämlich daß Aestii bei Tacitus die Urbalten bzw. die Balten "gesammelt" bezeichnet und gegen ihre Nachbarn abgrenzt, wurde dort bereits gebracht.
Die Bezeichnung Eisti für die finno-ugrischen Esten erfolgt später und muß mE von der antiken Bezeichnung Aestii getrennt werden, da die angesprochenen Finno-Ugrier für die Antike im Baltikum NICHT nachweisbar sind, sondern erst im Frühen Mittelalter.
Dennoch bleibt es dabei, daß wir mit den antiken Quellen nicht wirklich den Pruzzen auf die Spur kommen - wie Dieter schon schrieb...

Zu dem Punkt, warum die unkorrekte Zuordnung der Pruzzen zu den Slawen erfolgt: auch hier muß wieder betrachtet werden, was den (deutschen) Chronisten zu welcher Zeit bekannt war.
1147 ist das Jahr des Wendenkreuzzuges (Heinrich der Löwe), und die Wenden sind zu jener Zeit die Volksgruppe, auf welche die Deutschen jenseits ihrer östlichen Marken stoßen - ziwschen Elbe, Oder und Ostsee. Und wie im Text steht, erfolgt im 12. Jh. eine - wahrscheinlich unbewußte - Einengung der Bezeichnung Wenden auf ebenjene.
Im 11. Jh. ist es noch anders (vgl. den von Dir zitierten Text): es erfolgt hier noch eine zusammengefaßte Bezeichnung Slawen auf nahezu alle Völkerschaften, welche man ostwärts vorfindet und ebenso bezeichnet (siehe Polen, Böhmen und fälschlicherweise Ungarn). Daß dann auch die Pruzzen noch als Slawen bezeichnet werden, liegt auf der Hand...

Zum Abschluß noch einige Worte... :fs:

Ich persönlich halte eher wenig davon, aktuelle Themen wie die Problematik der niedersorbischen Sprache in diese Diskussion einzubringen. Erstens gehören die Sorben zur slawischen und nicht zur baltischen Sprachengemeinschaft, und zweitens wäre dies eine mehr oder weniger aktuell-politische Diskussion, was gegen die Forenregeln hier ist!

@Heinz:
Es ist sehr löblich, daß Du auf den Widerspruch zwischen der christlichen Ethik und dem Handeln von Menschen jener Zeit, die doch eigentlich auch Christen waren, hinweist. Ich bitte aber, hier auch wieder den historischen Kontext zu beachten - hierzu verweise ich auf die Entwicklung der Lehre vom gerechten Krieg, die ich in einem anderen Thema bereits dargelegt hatte. Auch einen generellen Rundumschlag gegen die katholischen Christen halte ich diesbezüglich - wie auch vor dem Hintergrund späterer Zeiten - für bedenklich...

In diesem Sinne

Timo
 
Danke Thimotheus für die auführliche Antwort.
Das mit der niedersorbischen Sprache wollte ich hier nur als Beispiel anbringen, weil Minderheiten auch heute noch ihre Schwierigkeiten haben. Sollte hier auch nicht diskutiert werden.

Liebe Grüsse
supana
 
Da ich ich einige wissentschaftliche Arbeiten durchgearbeitet habe ist heir eine kurze Pause entstanden, aber es geht weiter.
Zu der Verwandschaft bzw. der Abstammung Baltischer Stämme gibt es drei wissenschaftliche Analysen aus der Genforschung.
1. Mitochondrische DNA Analyse in : Acta Medica Lithuania 2004 Band 11 Nr.1 Seite 1-6 der Lietuvos mokslo akademia
2. Y-Chromosomal diversity suggest that Baltic males share common Finno-Ugric-speaking forefathers, Dr. Virpi Laitinen, Biomedical Institute at University of Turku, Finland 2001
3. The Bloodgroup LWb as marker of prehistorically baltic migration and admixture, Prof. Lars Beckman, Dep.of Medical Genetics at Umea University, Sweden 1998

In (1) wird anhand der mtDNA-Analyse die verschiedene Verteilung von einzelnen Haplogruppen des Segmentes HV1 in der litauischen Bevölkerung untersucht ud mit dem übrigen Europa verglichen. Eine erhöhte Konzentration der Haplogruppen J und T fand sich bei den Litauer, wie auch bei anderen Bewohnern Nordeuropas, was im Ergebnis der Analyse auf eine Verwandschaft hinweist, die zu anderen Europäern nicht zu finden war.
In (2) wird die gleiche Variante des Y-Chromosoms bei estnischen, lettischen und litauischen Männern festgestellt, was nach Ansicht der Autoren auf gemeinsame Vorfahren schliessen lässt.
In (3) wird anhand der Verteilung des seltenen Blutgruppe LW-B eine enge Verwandschaft zu den Finno-Ugren hin, am nächsten zu den Esten aufgezeigt. Weiterhin wird in dieser Studie auf eine früher flächenmässig grössere Verbreitung Baltischen Sprachen verwiesen, die sich auch im Vorhandensein vieler Baltischer Lehnwörter im Finnischen wiederspiegelt. Und auch archeologische Funde im Bezug auf die Ursprünge der Landwirtschaft in Finnland, weisen auf einen Import der Streitaxt-Kultur aus dem Baltikum nach Finnland hin.

Alle diese Aussagen bestätigen Tacitus Beschreibungen über ein von den Venethern und andereren zu unterscheidendes Volk, das der Baltischen Aesti. Allerdings kann aber durch Tacitus nicht in Erfahrung gebracht werden, ob zur Zeit der Quellen Tacitus schon die Abspaltung in Esten, Letten, Litauer und Pruzzen sich vollzogen hat, oder es sich um die Ur- oder Vorbalten handelt.

Auch wenn ich mir jetzt wieder nochmals die Anmerkung ;) einhandle, dass Tacitus uns nicht weiterhilft, war es mir wichtig dies trotzdem noch einmal herauszuarbeiten, weil die genetischen Forschungsergebnisse die Existenz der Aesti bestätigt.

Liebe Grüsse
supana
 
supana schrieb:
Auch wenn ich mir jetzt wieder nochmals die Anmerkung ;) einhandle, dass Tacitus uns nicht weiterhilft, war es mir wichtig dies trotzdem noch einmal herauszuarbeiten, weil die genetischen Forschungsergebnisse die Existenz der Aesti bestätigt.

Die Aesti sind durch Tacitus belegt, nicht durch die DNA.

Die genetischen Forschungsergebnisse besagen nicht im geringsten, daß es ein Volk namens "Aesti" oder einem der Tacitus'schen Beschreibung entsprechendes Volk gegeben haben muß.
 
@ supana

Ich halte es wie hyokkose für bedenklich, eine wissenschaftliche Arbeit auf derartig fragwürdigen Gen-Analysen aufzubauen. Verlässlicher sind in diesem Fall nach wie vor archäölogische und schriftliche Quellen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieter schrieb:
Ich halte es wie hyokkose für bedenklich, eine wissenschaftliche Arbeit auf derartig fragwürdigen Gen-Analysen aufzubauen.

Um nicht mißverstanden zu werden: Die Gen-Analysen als solche halte ich keineswegs für fragwürdig.
Nur ist eine Blutgruppe eben kein Volk, geschweige denn eine linguistische Kategorie; daher sind die Schlußfolgerungen eher trivial: Natürlich haben Balten und Finno-Ugrier gemeinsame Vorfahren, es kann ja auch gar nicht anders sein...
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Und einmal weg von der DNA- und Blutgruppen-Diskussion...

supana schrieb:
Allerdings kann aber durch Tacitus nicht in Erfahrung gebracht werden, ob zur Zeit der Quellen Tacitus schon die Abspaltung in Esten, Letten, Litauer und Pruzzen sich vollzogen hat, oder es sich um die Ur- oder Vorbalten handelt.

Die Esten haben sich mW nicht von Ur- oder Vorbalten abgespalten, sondern sind als Ethnie von ihren baltischen Nachbarn zu unterscheiden. Die mit ihnen wohl noch am nächsten verwandten Finnen und Karelier betrachtet ja auch niemand als Abspaltung der Nordgermanen, sondern eben als eigenständig. Falls mir neuere Erkenntnisse diesbezüglich entgangen sind, bitte ich um Korrektur... :fs:
 
Hallo Leute, vielen Dank für Eure Antworten, die mich immer wieder neu nachdenkenen lassen. Erst durch Rede und Gegenrede kommt bekanntlich meistens (hoffentlich) was neues zustande.
Um meine Gedankengänge nachvollziehen zu können:
1.Tacitus beschreibt ein abgrenzbares gentes, dass an der Ostküste siedelt.
(im Sinne der Unterscheidbarkeit, wir sind wir, Ihr seid Ihr und die sind die)
2.Drei verschiedenartige Methoden(Y-Chromosom+Blutgruppe+DNA-Analyse) und unabhändige (Finnland, Schweden, Litauen) Genanalysen beschreiben eine Verwandschaft bzw. gemeinsame Vorfahren der Völker, die im Baltikum leben, also, an dem Platz, den auch Tacitus erwähnt.
Zwischen diesen beiden Dingen eine Verbindung herzustellen ist bis jetzt eine triviale Schlussfolgerung, also von mir fehlerhaft. Natürlch geb ich hyokkose Recht, da war ich zu vorschnell. Dieser Zusammenhang ist nicht oder noch zu bewiesen.
Aber es geht weiter...
Ich habe noch einige Schriften aus Finnland, Estland, Weissrussland durchzuarbeiten. Es ist nicht einfach, weil viele ältere und auch neuere Arbeiten von der Motivation "eingefärbt" sind die "Ursprünge" der jeweiligen Nation auch wirklich herausfinden zu müssen. Es gibt nicht wenige Wissenschaftler, die vergessen z.B. ihre religiösen oder nationalen Gefühle an der Garderobe "abzugeben" bevor sie das Labor betreten.

Zwei Dinge möchte ich noch zum Nachdenken geben:
Nicht alle Völker die zur Finno-ugrischen Sprachfamilie zählen, sind mit den Finnen genetisch direkt verwandt. Archeologische und genetische Forschungen gibt es dazu.
Warum besteht dann nicht die Möglichkeit, dass auch die Esten nicht zu den direkten genetischen Verwandten zählen bzw. diese eher/auch mit den Balten verwandt sind.
Ein zweiter Fragepunkt ergibt sich aus der geographischen Lage der Finnen im Norden. Viele Völkerschaften die nach Europa kamen sind demnach an den Finnen vorbeigezogen. Und von den Finnen, wie auch von den Balten ist bisher nicht bekannt, dass sie sich an der Völkerwanderung beteiligt haben. Wie bereits erwähnt fiel ja auch auf, dass auch die Pruzzen recht unbeweglich waren. Das heisst das im Baltikum zur Zeit der Antike, es keine allzugrossen Verschiebungen und Bewegungen gab. Wären dies nicht möglicherweise wenigstens Indizien dafür, dass es sich bei den gentes Aesti um Verwandte der Balten bzw. Finno-Ugren handelt.

Liebe Grüsse
supana
 
timotheus schrieb:
@Heinz:
Es ist sehr löblich, daß Du auf den Widerspruch zwischen der christlichen Ethik und dem Handeln von Menschen jener Zeit, die doch eigentlich auch Christen waren, hinweist. Ich bitte aber, hier auch wieder den historischen Kontext zu beachten - hierzu verweise ich auf die Entwicklung der Lehre vom gerechten Krieg, die ich in einem anderen Thema bereits dargelegt hatte. Auch einen generellen Rundumschlag gegen die katholischen Christen halte ich diesbezüglich - wie auch vor dem Hintergrund späterer Zeiten - für bedenklich...
In diesem Sinne
Timo

Lieber Timo,

ich habe Deinen disbezüglichen Beitrag gelesen. Für mich gibt es keinen gerechten Krieg.:(
 
Nochmal kurz :eek:fftopic:

heinz schrieb:
ich habe Deinen disbezüglichen Beitrag gelesen. Für mich gibt es keinen gerechten Krieg.:(

Für mich gibt es diesen ebensowenig; trotzdem war dies das Denken der Zeit, und der Beitrag sollte lediglich verdeutlichen, warum das so war...
 
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