Punische Quellen

El Quijote

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Noch toller wäre ein Schatzfund mit einer umfangreichen punischen Bibliothek, aber das ist eher eine törichte Hoffnung als ein vielleicht vorhandenes Geheimnis.

Das wäre wirklich erstklassig!
"Umfangreich" wäre schon Luxus, überhaupt mal einige Bücher mit der Sichtweise Karthagos zu haben, das wäre schon unglaubllich.

Wobei es da eigentlich weniger um die Bibliothek selber geht, die ist nur Vermittlungsmedium.
Spannend sind die offenen Frage, die man damit beantworten könnte - z. B. eben die, wie die Karthager die Römer gesehen haben.

Gibt es denn bislang keine karthagischen Bücher? :confused:

Karthago soll ja bei seiner Vernichtung im Dritten Punischen Krieg geschliffen worden sein, also aus Karthago selbst werden kaum Texte aus der Zeit vor 146 v. Chr. überlebt haben. Aber auch nach der Wiederbegrüdung der Stadt unter Augustus sollen dort noch Punisch-Sprecher gelebt haben, selbst von drei der Severerkaiser ist überliefert, dass sie Punisch sprachen, genauso, wie vom Hl. Augustinus. Zu Sallusts Zeiten (erstes vorchristliches Jahrhundert) müssen noch eine Reihe punischer Texte existiert haben, denn der ließ sich für seinen Jugurthinischen Krieg, die er als Prokonsul Africa novas schrieb, historiographische Texte aus dem Punischen übersetzen.

Punische Inschriften sind im Corpus Inscriptionum Semiticarum abgedruckt. Darunter einige altpunische Inschriften, mitunter auch bilingual punisch-numidisch und neupunische Inschriften - meist inhaltlich geringwertig, aber immerhin über 11.000 Belege, auch hier bilinguale, punisch-lateinisch.

Die Angaben stammen zumeist aus: Wilsdorf, Helmut: Punische und numidische Inschriften am Rande der antiken Welt. In: Irmscher, Johannes: Die Literatur der Spätantike, polyethnisch und polyglottisch betachtet. Amsterdam 1997. Das interessante an diesem Buch neben dem eigentlichen Inhalt: fast alle beitragenden Historiker und Philologen stammen aus dem ehemaligen Ostblock, das Buch zeigt daher m.E. eine Überdauerung einmal geknüpfter wissenschaftlicher Netzwerke.
 
Von den Inschriften als einzigen Zeugen tatsächlicher punischer Schriftkultur auf die Literatur zu schließen ist freilich so, als würde man aus Grab- und Denkmalsinschriften z. B. auf deutsche Balladen und wissenschaftliche Aufsätze schließen wollen; E. Q. spricht dementsprechend auch von "inhaltlich geringwertig". In der Tat.

Was wir besitzen, sind Zitate aus Übersetzungen - z. B. das Traktat des Mago über die Landwirtschaft in der De Agricultura des Cato, die Seefahrt des Hanno (vermutlich bis nach Kamerun) als griechische Übersetzung - und ein kurzer Monolog aus der Komödie "Poenulus" des Plautus, für uns besonders interessant, weil in ihr die phonetische Transkription eines punischen Textes mit lateinischen Buchstaben vorliegt.*

Das punische hatte ein bitteres Schicksal: es erhielt sich nicht über das Mittelalter als "Gelehrtensprache" wie Griechisch oder Latein, im Gegenteil, Augustinus berichtet von "obzönen Liedern" seiner Zeit in punischer Sprache; und die von E. Q. angeführten Severer auf dem römischen Kaiserthron bekamen ihre punische Heimatsprache eher als Kennzeichen ihrer barbarischen Herkunft angerechnet denn als achtbare Erweiterung des Kulturhorizonts. Punisch zu sprechen oder zu schreiben war praktisch für Handel und Alltag, als "Kultursprache" wurde es immer mehr vernachlässigt.

Trotz der Einäscherung Karthagos und damit wahrscheinlich existenter punischer Bibliotheken muss es zur Zeit des Kaisers Claudius noch genügend Originalquellen gegeben haben, um ihn eine Geschichte Karthagos in acht Bänden abfassen zu lassen; ob es sich dabei um Hochliteratur, Geschichtswerke oder die Erzählungen der Nachfahren handelte, kann man heute auch nicht mehr feststellen. Dass das punische eine auch innerhalb der Bevölkerung enorm weit verbreitete Schriftlichkeit besaß, ist u. a. durch die Schiffe von Marsala belegt; diese wurden im "Baukastensystem" hergestellt, und an den Holzteilen konnte man deutlich Kennzeichnungen wie "Nagel" bzw. alphanummerische Bezeichnungen einzelner Elemente fetsstellen - die Zimmerleute konnten anhand der Bezeichnungen arbeiten. Eine Methodik, die man bei römischen Schiffen bislang noch nicht festgestellt hat.

Trotzdem bleibt die einzige Hoffnung auf Einblicke in die wirkliche punisch/karthagische Literatur eine Art "tunesisches Qumran" - es gibt nicht viel mehr, was unwahrscheinlicher wäre, aber vollkommen unwahrscheinlich ist es immerhin nicht.


*das sind zumindest die drei längeren Textpassagen, die mir einfallen. Über die ersten beiden haben wir hier an anderer Stelle ausgiebig diskutiert.
 
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