Rapallo

Florino

Neues Mitglied
Hallöchen,
ich hätte da mal eine Frage:
Warum war Rapallo ein strategischer Erfolg für eine Politik, welche auf einer Normalisierung der Beziehungen zu den Westmächten abzielte?
 
Naja, zum einen stimmt das natürlich. Aber die deutsche Delegation in Genua hat den Vertragsabschluss ja auch nicht etwa als eine Art Instument benutzt, um West und Ost gegeneinander auszuspielen, sondern war vielmehr darauf bedacht, einen gewissen Ausgleich zwischen der SU und den Westmächten zu erzielen.
 
einen gewissen Ausgleich zwischen der SU und den Westmächten zu erzielen.


So uneigennützig war das ganze sicher nicht, die Unterzeichnung vorher auch wohl umstritten. Vielmehr kam das Deutsche Reich dadurch aus internationaler Isolierung heraus, was vielleicht seine Position in Genua stärkte.
 
Zu Beginn der Konferenz wurden die deutsch-sowjetischen Verhandlungen jedoch maßgeblich durch die Franzosen und Engländer beeinträchtigt, die versuchten, die beiden Staaten gegeneinander auszuspielen. So fanden unter anderem am 13. April 1922 separate Verhandlungen zwischen den einladenden Mächten und Rußland, zu welchen die deutsche Delegation, auch auf Bitten, nicht zugelassen wurde. Es kam jedoch zu vereinzelten Absprachen zwischen der deutschen und der russischen Delegation.

Am 15. April 1922 vermehrten sich die Meldungen, daß es eine Einigung zwischen den einladenden Mächten und der Sowjetunion geben würde und die Verhandlungen kurz vor dem Abschluß ständen. Während die deutschen Delegierten bereits davon ausgehen mußten, daß eine deutsch-sowjetische Verständigung nicht mehr möglich sei, wurden sie jedoch in der Nacht zu erneuten Verhandlungen am nächsten Tag nach Rapallo eingeladen. Nach ca. sechseinhalb stündigen Verhandlungen unterzeichneten die Außenminister Rathenau und Tschitscherin die, mit geringfügigen Änderungen der, bereits in Berlin getroffenen Abmachungen im Vertrag von Rapallo.

Noch am selben Abend wurden einige Vertreter der englischen Delegation über den Vertragsabschluß in Kenntnis gesetzt, welche sich nicht wesentlich überrascht darüber zeigten. Die Antwort der anderen Staaten blieb nicht lange aus. Bereits am 18. April 1922 wurde Reichskanzler Wirth ein Protestschreiben zugestellt in welchem England, Italien, Frankreich, Japan, Belgien, die Tschechoslowakei, Polen, Südslavien, Rumänien und Portugal die Rücknahme des Vertrages von Rapallo forderten.


Es folgten die Abschlüsse des deutsch-sowjetischen Handelsvertrages vom 12. Oktober 1925 und des Berliner Vertrages vom 24. April 1926, sowie die militärische Zusammenarbeit bis ins Jahr 1926. Mit dem westlich orientierten Reichskanzler Gustav Stresemann wurden die Beziehungen zur Sowjetunion aber mehr und mehr zu Gunsten der Westmächte abgebaut. Auf militärischer Ebene wurde jedoch seit dem Spätsommer 1927 wieder verstärkt zusammengearbeitet, um so die Beschränkungen des Versailler Vertrages im Bezug auf die Reichswehr zu umgehen.

Die Motive und Taktiken von deutscher Seite in den Verhandlungen mit der Sowjetunion sind höchst unterschiedlich. Zum einen verfolgten Reichskanzler Wirth, Reichsaußenminister Rathenau und der im Auswärtigen Amt beschäftigte Freiherr von Maltzan unterschiedliche Ziele. Letztendlich war es aber von Maltzan, der sich mit seinen Vorstellungen durchsetzen konnte. Seinem Verhandlungsgeschick ist es im wesentlichen zu verdanken, daß der Vertrag von Rapallo zu Stande kam.

Nachdem durch das vorläufige Handelsabkommen vom 6. Mai 1921 bereits die ersten Grundlagen für eine wirtschaftliche deutsch-russische Zusammenarbeit geschaffen worden waren, mußten dann die politischen Schritte folgen.

Als Motiv für eine Lösung deutsch-sowjetischen Fragen ist in jedem Fall die Angst der Deutschen vor einem französisch-russischem Ausgleich zu Lasten des Reiches anzusehen. Das dieser Umstand von den Russen wiederholt ausgenutzt wurde zeigt dies deutlich.
Daneben gaben die Forderungen der deutschen Seite nach Schadensersatz für die Sozialisierungsschäden weiteren Anlaß für Verhandlungen mit der Sowjetunion.

Während die Reichsregierung, im Gegensatz zu ihren Vorgängerregierungen, bestrebt war, den Versailler Vertrag nach Möglichkeiten zu erfüllen, mußte sich die Sowjetführung gegen die Konsortiumspolitik der Westmächte wehren. Hierbei geriet Rathenau zwischen die beiden Seiten. Zum einen den Ideen der Industriellen nicht abgeneigt, mußte er dennoch weiterhin die Gespräche mit Moskau suchen. Und so ist es wenig verwunderlich, daß die Ernennung Rathenaus zum Reichsaußenminister nicht auf die Gegenliebe der russischen Regierung stieß.

Abschließen kann man sagen, daß die deutsche Seite hin und hergerissen war, einerseits einen Ausweg aus der Isolation zu finden und andererseits die kommunistische Sowjetunion anzuerkennen. Die Hauptmotive der deutschen Seite, letztendlich doch in konkrete Verhandlungen zu treten waren die Angst vor einem französisch-russischem Bündnis, die Vermeidung der Anwendung des Art. 116 des Versailler Vertrages, sowie die Erschließung neuer Absatzmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaft.
 
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