Recht (Altägypten)

fingalo

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Alt-Ägypten
Es gibt im Alt-Ägyptischen kein Wort für den Begriff „Recht“. Es gibt aus Ägypten keine Gesetzessammlungen wie aus Assur, Babylon oder Hatti. Macat wird zwar mit „Recht“ übersetzt, kann aber je nach Kontext auch „Gerechtigkeit“, „Weltordnung“, „Wahrheit“ bedeuten. Die Hyroglyphe für Ma-at ist die nach vorn abgeschrägte Basis, wie sie für Throne und Standbilder verwendet wurde. Ma-at ist die Basis des Lebens.
Ma-at ist das Gegenteil von jsft, welches Chaos bedeutet. Ma-at ist der Zustand der geordneten Welt, wie ihn der Schöpfergott Atum bei der Weltschöpfung entstehen ließ. Diese Ordnung, die im Wesentlichen in der Dualität der Welt gesehen wird, zu bewahren ist die Pflicht des Königs. Diese Dualität (Himmel und Erde, Mann und Frau, Tag und Nacht, Flußtal und Wüste) bestimmt auch die Gesellschaft. Der altägyptische Staat ist durch die Eroberung eines kulturell höherstehenden Volkes im Norden durch Nomaden aus dem Süden entstanden, die dann dort eine dünne Oberschicht bildeten. Diese Herrschft erfordert auf die Dauer eine feste Einfügung des Einzelnen in eine bestimmte Ordnung, die auch in dessen Innenleben ausgeweitet wird. Ma-at bezieht sich also nicht nur auf die äußeren Verhältnisse, sondern ist auch Richtschnur für das Betragen des Individuums. Daher wird den Emotionen der Kampf angesagt und die Selbstbeherrschung und die Selbstbesinnung zum Ziel. Das Leitbild ist der Mensch, der nicht seinen Emotionen folgt, sondern nach den gelernten Leitsätzen der Ma-at handelt. Gefühle bedeuten Chaos und werden unterdrückt. Ma-at war lehr- und lernbar und von der Nützlichkeit für den Menschen bestimmt. Nützlich war, was das Miteinander der Menschen reibungslos machte und das Funktionieren des Staatsapparates garantierte. Nicht Paragraphen, sondern die Verhinderung der Konfrontation und die Überzeugung, dass sich das Richtige durchsetzen wird, bestimmen das Denken. Ma-at stellt das Benehmen des Untergebenen am Tisch des Vorgesetzten auf eine Stufe mit den nach unserem Empfinden strafwürdigen Handlungen: Alles steht unter dem obersten Prinzip der Ordnung. Herr der Ordnung ist zunächst der König. Er setzt Ma-at und zwar ohne Hinderung und Begrenzung. „Was er will, das will er, was er nicht will, das will er nicht.“ In der 4. Dynastie rückt der König wegen seiner zeitlichen Begrenzung aus dem Zentrum, wird Sohn der Sonne, die ihrerseits als Gott Re zum Herrn der Ma-at wird. Mythologisch wird nun Ma-at zur Tochter des Re und damit zur Schwester des Königs. Der König setzt nun nicht mehr Ma-at, aber er ist der einzige, der sie von seinem Vater Re kennt. Noch Echnaton beruft sich auf sein Wissen um die wahre Lehre von seinem Vater Re. Die Ma-at wird durch Aussprüche des Pharao konkretisiert, und diese liegen den Gerichtsentscheidungen zu Grunde. Im Mittleren Reich hat man dann diese Aussprüche „Gesetze“ genannt, ein Wort, das ursprünglich Befreiung heißt, weil wohl die ältesten Ausspüche der Könige Befreiungen, also Privilegien waren, z.B. Befreiung der Tempel von der staatlichen Aufsicht. Es gibt aber kein Recht als absolute Größe, dem auch der König unterworfen wäre. Im Laufe der Zeit wird die Spruchsammlung des Pharao zur festen Größe wie eine Gesetzessammlung. Aus der Einleitung eines Dekrets von König Hamhereb lässt sich folgendes entnehmen:

Die Gesetze helfen, die Ma-at durchzusetzen. Das kann nur der König, weil dieser sich vorher die Ma-at mit ihm vereinigt hat.
Die Gesetze schafft der König aus sich selbst heraus, weil in ihm die Ma-at wohnt.
Die Gesetze richten sich gegen das Chaos und die gesetzeswidrige Verhaltensweise. Alles ist Recht, was Ägypten nützlich ist.
Das vom König erdachte ist Befehl und wird daher in seiner Gegenwart gesiegelt. Da der König dabei in der Gestalt des Urgottes Atum schöpferisch tätig wird, bleiben seine Befehle in Ewigkeit bestehen und binden auch spätere Generationen.

Fortsetzung folgt

Fingalo
 
Toll, und woher hast Du das?
Schließlich haben auch Provinzfürsten oder Oberpriester "Recht" sprechen dürfen, denn Pharao wird sich nicht um jede Ornungswidrigkeit gekümmert haben.
Oder habe ich jetzt Deinen langen Text mißverstanden?
 
Die Delegation der Rechtsprechung an den Vezir und andere kommt noch. Angedeutet ist das schon in dem Satz "Die Ma-at wird durch Aussprüche des Pharao konkretisiert, und diese liegen den Gerichtsentscheidungen zu Grunde."
Die Fundstelle kommt am Schluss (Sammelband, den ich bereits bei den Babyloniern zitiert hatte).

Fingalo
 
1. Fortsetzung

Zur Zeit des Pyramidenbaus wurde die Bürokratie durchorganisiert und das Amt des Obersten Richters (Vezir) geschaffen, der als Abzeichen eine Figur der Ma-at um den Hals trug. Bei der Amtseinführung wird er vom Pharao verpflichtet, die Ordnung für jeden durchzusetzen:

Am Ende des Alten Reichs wird die Einengung des Individuums durch die Ma-at in einer Revolution gesprengt. Zwei Grundpositionen stehen sich gegenüber: Die traditionelle Vorstellung der objektiven Ma-at, die dem Menschen und dem Staat zum Nutzen zu sein hat, im Nordreich und die Entdeckung des freien Willens und die individualistische Ma-at-Vorstellung, daß gut ist, was der eigenen Familie nützt, im Südreich (313/314). Nach dem Sieg des Südens über den Norden führt diese Vorstellung aber zu einer rigorosen Durchsetzung der Starken gegen die Schwächeren und schlussendlich zur ersten durchorganisierten Diktatur der Weltgeschichte im Mittleren Reich mit den Folgen der Landesfluchtbewegungen, die bis zu einem Drittel der zum Pyramidenbau eingezogenen Arbeitskräfte betraf. Sie beruht auf der völligen Missachtung des Individuums, und die Ma-at hat nur noch das Funktionieren des Staates als Selbstzweck zum Inhalt. Die Ma-at ist zwar immer noch Inhalt des ewigen Gesetzes, aber das Verhältnis der Ma-at zum Wohlergehen der Menschen wird nicht mehr reflektiert. Das Gesetz wird in einer Weise verabsolutiert, dass es am Ende während der 13. Dynastie den König unterwirft, so dass der Vezir als oberster Richter mächtiger als der König wird. Diesem Ma-at-Gefängnis setzt erst der Einbruch der Hyksos ein Ende. Diese errichten einen Lehnsstaat, der auf Gefolgschaftstreue als neuem Inhalt der Ma-at gegründet wird.

Entwicklung:
Altes Reich: Schöpferische Macht des Weltgott-Königs, der die Ma-at durch seinen Spruch schafft, dann durch den Sonnengott Re als Herr der Ma-at abgelöst wird.
Mittleres Reich: Der König begründet seinen Spruch der Ma-at mit seiner intimen Kenntnis des göttlichen Willens als Sohn der Sonne. Die Überzeugung von der unbedingten Durchsetzung dieses göttlichen Willens führt zur Diktatur der Bürokratie und zur Zwangsherrschaft des Gesetzes.

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Der altägyptische Staat ist durch die Eroberung eines kulturell höherstehenden Volkes im Norden durch Nomaden aus dem Süden entstanden, die dann dort eine dünne Oberschicht bildeten. Diese Herrschft erfordert auf die Dauer eine feste Einfügung des Einzelnen in eine bestimmte Ordnung, die auch in dessen Innenleben ausgeweitet wird.
Ich weiß nicht woher du das hast, aber dem aktuellen Stand entspricht das nicht. Die Oberägypter, von denen die Reichseinigung ausging, waren genauso seßhaft wie die Unterägypter. Die Ansicht, die Reichseinigung wäre durch eine "Herrenrasse" vollzogen worden, die von außerhalb Ägyptens (vermutlich Mesopotamien) kam, wurde vor 50 Jahren noch von Emery vertreten, ist aber seit langem überholt.
 
Andronikos schrieb:
Ich weiß nicht woher du das hast, aber dem aktuellen Stand entspricht das nicht. Die Oberägypter, von denen die Reichseinigung ausging, waren genauso seßhaft wie die Unterägypter.
Dasspielt in meinem Thema keine Rolle.

Andronikos schrieb:
Die Ansicht, die Reichseinigung wäre durch eine "Herrenrasse" vollzogen worden, die von außerhalb Ägyptens (vermutlich Mesopotamien) kam, wurde vor 50 Jahren noch von Emery vertreten, ist aber seit langem überholt.
Habe ich was von Herrenrasse geschrieben?
Es geht hier nur um die Rechts-Ausbildungen.
Du kannst ja Recht haben, aber das ist in meinem Zusammenhang ein Nebenthema

Fingalo
 
Zuletzt bearbeitet:
Neues Reich

Neues Reich:
Die Tradition der unbedingten Verbindlichkeit des Gesetzes wird zerbrochen. Die Ordnung wird auf die Gefolgschaftstreue zum König aufgebaut. Zwar kennt auch jetzt noch nur der Pharao die Forderungen der Ma-at, aber seine Gefolgschaft setzt sie nur wegen ihres Treueverhältnisses um. Die Rechtsprechung wird wieder dezentralisiert, was nur geht, wenn die Richter die Gesetze des Königs zu ihrer eigenen Sache machen, was als Grundlage die Gefolgschaftstreue erfordert. Die Idealbiografien aus der Zeit der Mitanni-Kriege betonen immer wieder, dass die betreffenden Personen nach besten Kräften die Ma-at eingehalten haben. Nach dem Ende der Mitanni-Kriege zerfällt das Gefolgschaftsideal und wird von egoistischen Zielsetzungen zersetzt. Die Gesetze Pharaos büßen an Verbindlichkeit ein. Um dem zu begegnen, stellt sich Amenophis III. (Vater Echnatons) als vor der Zweiheit vom Urgott Atum geschaffen dar, womit er sich zum zweiten Schöpfergott erhebt, um seinem Recht und seiner Ordnung wieder das nötige ideologische Gewicht zu verleihen. Diesen Weg verfolgt dann Echnaton weiter, indem er sich zum Gottmenschen proklamiert. Mit seiner Anknüpfung an die alte Idee der Gottessohnschaft wird die Gegenwart aufgewertet. Er ist die sichtbare Ma-at. Die Tradition wird zurückgedrängt. Seine Anhänger schmücken sich nun mit der Ehrenbezeichnung „Den der König selbst belehrt hat“.
Unter Ramses II. tritt der Verfall ein. Er versucht vergeblich, die Ma-at wieder in ihre alte Funktion zu bringen und sich zu ihrem Künder zu machen. Die Niederlage von Qadesch macht dies zunichte. Niemand glaubt mehr an die Ma-at. Der eigene Vorteil wird zum Prinzip. Die Bestechlichkeit und große Unterschlagungen bestimmen das öffentliche Leben der Ramessidenzeit. Wer Gerechtigkeit sucht, findet sie nicht mehr beim Vezir oder den Beamten, sondern bei den Priestern. Die Rechtsfindung geschieht durch das Rechtsorakel. Aber dieses verteilt gerechtes und ungerechtes Urteil zufällig. Auch das ungerechte Gottesurteil ist letztlich richtig, weil es nicht unter der Ma-at gesehen wird, sondern unter den Kräften des göttlichen Zufalls Schai und Renutet. Herodot berichtet vom gerechten König Mykerinos(Altes Reich - 4. Dynastie), der für seine Gerechtigkeit mit der Verkürzung seines Lebens bestraft wurde, weil Gott die Unterdrückung des Volkes beschlossen hatte und die Gerechtigkeit des Königs dem Beschluss zuwiderlief. Das war die neue Sicht.

Literatur:
Wolfgang Helck; Wesen, Entstehung und Entwicklung des altägyptischen "Rechts". In: Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen (1980), S. 303 - 324.
R. Anthes: Die Maat des Echnaton von Amarna (1952) Journal of the American Oriental Society 14 - Supplement.
E. Hornung: Chaotische Bereiche in der geordneten Welt. Zeitschrift für Ägyptische Sprache 81, S. 28 - 32.
-- : Der Eine und die Vielen. Darmstadt 1973 2. Aufl.
S. Morenz: Gott und Mensch im alten Ägypten, Heidelberg.
E. Otto: Prolegomena zur Frage der gesetzgebung und Rechtsprechung in Ägypten. Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abt. Kairo 14, S. 150 - 159.
E. Seidl: Einführung in die Ägyptische Rechtsgeschichte bis zum Ende des Neuen Reiches. Ägyptologische Forschungen Bd. 10.
--: Ägyptische Rechtsgeschichte der Saiten- und Perserzeit, Glückstadt, 1956

Fingalo
 
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