"Reichsland" aber "Deutsche"?

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Gast
Hallo,

für den Geschichtsunterricht brauch ich eine historische Quelle aus den Jahren 1871 - 1918. Es geht um die Bewohner von Elsass-Lothringen von 1871 - 1918 und die Frage ob die Bewohner "Deutsche" waren oder nur eine Minderheit im deutschen Kaiserreich.

Am besten wäre ein Brief, Chronik oder etwas ähnliches das sich mit dieser Frage beschäftigt. Ich habe schon im Internet gesucht aber bisher nichts gefunden.

Gruß kiwi

PS: Ihr habt schon mal über ein ähnliches Thema diskutiert.
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=6431
 
Da fragst Du am besten die Elsässer und Lothringer selbst bzw, bemühst regionale Quellen aus der Zeit.
Tatsache ist,daß das Elsaß seit den Reunionskriegen Ludwigs XIV für etliche Generationen französisch war, Lothringen in Teilen sogar noch länger .Und man war seit der Revolution durchaus pro-französisch eingestellt .Die deutschen Eroberung 1872 wurde also wohl tatsächlich von vielen Elsässern nicht begrüßt . Meine Oma, die vor dem ersten Weltkieg in Strassburg als Krankenschwester tätig war, hat mir erzählt, daß viele Elsässer in dieser Zeit in der Öffentlichkeit und im halböffentlichen Bereich bewußt französisch sprachen und sich bewußt frankophil gaben, um zu zeigen,daß sie mit dem preussisch dominierten Deutschen Reich nichts gemein hatten.Es sei auch immer wieder zu Reibereien zwischen Straßburger Bürgern und besonders preußischem Militär gekommen.
Sie waren damit wohl wirklich eine Minderheit im deutschen Kaiserreich , die eigentlich nicht dazu gehören wollte.
 
Das Brockhaus-Konversationslexikon kann mit einigen Angaben dienen.
Nur ist zu beachten, dass hier Staatsangehörigkeiten genannt werden. Trotzdem finde ich den Teil über Lothringen interessant, in dem es um die Sprache geht.

Hier die Artikel:


Brockhaus 16. Band 1893 S.48-49 schrieb:
Elsaß-Lothringen
[...]
Bevölkerung. Die Gesamtbevölkerung betrug 1885: 1 564 355 (771 männl., 793 086 weibl.) E.,
1890: 1 603 506 (805 986 männl., 797 520 weibl.) E.,
darunter 67 354 Militärpersonen, d.i. 110 E. auf 1 qkm; die Reichslande nehmen demnach bezüglich der Dichtigkeit unter den 26 Staaten des Deutschen Reichs die elfte Stelle ein. Die Zunahme (1885-90) beträgt 39 151 Personen = 2,50 Proz., wovon etwas 0,94 Proz. auf die Zivilbevölkerung kommen.
[...]
Der Staatsangehörigkeit nach waren (1890) 1 349 504 Elsaß-Lothringer, 207 539 Angehörige anderer deutscher Staaten, 46 463 Ausländer.
[... (Prozentuale Angaben über Ausländeranteile, gerade nicht relevant, da nur Staatsangehörigkeit betrachtet wird) ]
Von den 1697 Gemeinden (1885) können 1277 (533 im Unterelsaß, 362 im Oberelsaß, 382 in Lothringen) als ganz deutsche, 50 (12 im Elsaß, 38 in Lothringen) als gemischt, 370 (39 im Elsaß, 331 in Lothringen) als ausschließlich französisch, bez. franz. Patois sprechend bezeichnet werden. Die Gesamtzahl der ausschließlich französisch , bez. franz. Patois sprechenden Einwohner beträgt etwas 46 000 im Elsaß, 171 000 in Lothringen, dessen westl. Hälfte ganz dem franz. Sprachgebiete angehört.
[...]


Brockhaus 16. Band 1893 S. 42 schrieb:
Elsaß, Teil des Deutschen Reichslandes Elsaß-Lothringen (s.d.), umfaßt die Bezirke Unter- und Oberelsaß.
[...]
Von der Bevölkerung sind 395 541 Katholiken (83,87 Proz.), 64 526 Evangelische (13,68 Proz.), 1584 andere Christen (0,34 Proz.) und 9760 Israeliten (2,07 Proz.), darunter 8216 Militärpersonen. Dem Zivilstand nach sind 289 468, 150 190 verheiratet, 31 375 verwitwet und 576 geschieden; der Staatsangehörigkeit nach 422 894 Elsaß-Lothringer, 32 703 Angehörige anderer deutscher Bundesstaaten und 16 012 Ausländer; unter letzteren 3975 Franzosen.
[...]


Brockhaus 11. Band 1894 S. 306 schrieb:
Lothringen (frz. Lorraine)
[... (Prozentuale Angabe der Ausländer nach Staatsangehörigkeit, entspricht ungefähr Werten aus Elsaß)]
Fast allgemein ist die deutsche Sprache in den Kreisen Saargemünd, Forbach und Bolchen, die französische in Château-Salins und Landkreis Metz.Innerhalb der letzten drei Jahrhunderte hat sich die Sprachgrenze um nahezu 10 km zu Ungunsten des Deutschen verschoben. Jedoch im Stadtkreis Metz, welcher früher eine nahezu ausschließlich französisch sprechende Bevölkerung hatte, ist das deutsche Element durch durch Militär und Beamtentum in starker Zunahme begriffen und beträgt zur Zeit 46 Proz. der Gesamtbevölkerung.
[...]


Ich fand im Buch auch einen Literaturhinweis. Mag, falls antiquarisch erhältlich, von Interesse sein:

Vgl. - This, Die deutsch-franz. Sprachgrenze in L., nebst einer Karte (Straßb. 1887); Witte, Zur Geschichte des Deutschtums in L., nebst Karte (Metz 1890)
 
@Martas: Also den Artikeln entnehme ich, dass der größte Teil des Elsaß Deutsch besiedelt war und auch Deutsch sprach. In Lothringen war es relativ gemischt. :winke:

Wieso wurde denn dann Elsaß-Lohtringen, besonders das Elsaß nach Versailler Friedensvertrag an Frankreich übergeben? Dies ist meiner Meinung nach nicht mit dem bei anderen kritischen Gebieten des Deutschen Reiches angewandten Selbstbestimmunsgrecht der Völker vereinbar. Und die Begründung, dass es von Preußen ungerechter Weise Frankreich genommen wurde, halte ich auch nicht für ausreichend, denn damals ist Frankreich unter Ludwig mit der Reunions-Politik ja auch nicht gerade rechtsmäßig vorgegangen. ;)

Ist es also alleine auf die Tatsache, dass das Deutsche Reich die gesamte Kriegsschuld hinzunehmen hatte, zurückzuführen (Position des Verlierers), dass es in dieser Angelegenheit möglicherweise nicht ganz gerecht behandelt wurde? :fs:
 
Es geht um die Bewohner von Elsass-Lothringen von 1871 - 1918 und die Frage ob die Bewohner "Deutsche" waren oder nur eine Minderheit im deutschen Kaiserreich.
Die Bewohner von Elsaß-Lothringen erhielten die deutsche Staatsangehörigkeit. Wer zur französischen Staatsangehörigkeit optierte, musste das Land verlassen.

Von der Frage der Staatsangehörigkeit ist die Frage zu trennen, ob sich die Elsaß-Lothringer als Deutsche oder Franzosen empfanden. Die große Mehrheit fühlte sich 1871 Frankreich zugehörig und wollte nicht zum Deutschen Reich kommen, was Bismarck ja in seiner Reichstagsrede 1871 einräumte. Eine Ausnahme galt hier vor allem für die protestantische Minderheit, die eher zu Deutschland tendierte. Gleichwohl übte die große Mehrheit das Optionsrecht nicht aus, weil sie ja nicht ihre Heimat verlassen wollte.

So ab 1890 zeigten sich Anpassungserfolge. Insbesondere jüngere Bewohner empfanden sich als Deutsche. In Frankreich übrigens nahm im Laufe der Zeit ebenfalls die Neigung zu, wegen den Brüdern im Elsaß-Lothringen keinen Krieg mit den Deutschen anzufangen, was aber nicht bedeutete, dass man die Frage nach der Rückkehr Elsaß-Lothringens dann stellen würde, wenn es zu einem Krieg dennoch kommen und Frankreich siegen würde.

Alle innere Anpassungserfolge wurden immer wieder durch das Auftreten der preußischen Militärs und der Reichsbehörden, die sich im preußischen Griff befanden, erschüttert - z.B. im Zabern-Konflikt (1914). Die rigorose Repressionspolitik während des 1. WK (1914-1918) verbitterte die große Mehrheit der Elsaß-Lothringer so stark, dass diese nicht mehr im Deutschen Reich verbleiben und nach Frankreich zurück wollten.

=> http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=6431
Wieso wurde denn dann Elsaß-Lohtringen, besonders das Elsaß nach Versailler Friedensvertrag an Frankreich übergeben? Dies ist meiner Meinung nach nicht mit dem bei anderen kritischen Gebieten des Deutschen Reiches angewandten Selbstbestimmunsgrecht der Völker vereinbar.
Wenn Du so großen wert auf die Einhaltung des Selbstbestimmungsrechts legst solltest Du Dich mal mit der Frage beschäftigen, was die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen 1918 wollte.;)
 
Wieso wurde denn dann Elsaß-Lohtringen, besonders das Elsaß nach Versailler Friedensvertrag an Frankreich übergeben? Dies ist meiner Meinung nach nicht mit dem bei anderen kritischen Gebieten des Deutschen Reiches angewandten Selbstbestimmunsgrecht der Völker vereinbar. Und die Begründung, dass es von Preußen ungerechter Weise Frankreich genommen wurde, halte ich auch nicht für ausreichend, denn damals ist Frankreich unter Ludwig mit der Reunions-Politik ja auch nicht gerade rechtsmäßig vorgegangen. ;)


Es ist genauso wie Gandolf es beschreibt.
Nicht nur sprachliche Zugehörigkeit ist entscheidend, sondern eine Mischung aus Faktoren.
So in diesem Fall auch das Zugehörigkeitsgefühl der Bevölkerung. Auch sonst ist Geschichte eine Mixtur alle möglichen Einflüsse.

Zusatz: Das Selbstbestimmungsrecht kam damals auch nicht geschlossen zum Einsatz, siehe Oberschlesien.
 
Das ,was Gandolf schreibt ,deckt sich im wesentlichen mit dem,was ich sozusagen aus erster Hand von meiner Oma erfahren habe. Im übrigen, der gute alte Brockhaus und Meyer in allen Ehren, aber die Zahlen damals dürften doch sehr nationalistisch geschönt sein.Wäre mal interessant,zu erfahren, was diesbezüglich in einem französischen Lexikon aus der gleichen Zeit drin steht.
 
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