Reichswehrprozeß und NSDAP

silesia

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Der Ulmer Reichswehrprozeß ist ein Schlüsselereignis im Verhältnis von Reichswehr/NSDAP vor dem Hintergrund des Aufstiegs Hitlers, bezüglich der Einstellung des jüngeren Offizierskorps.

Außerdem wurde in diesem Zusammenhang versucht, die NSDAP auf dem Wege von Hochverratsverfahren auszuschalten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ulmer_Reichswehrprozess

Das dort bei Wikipedia angegebene ältere Buch von Ulmer erwähnt, dass die drei Bände Prozeßakten sowie das beschlagnahmte Material aus den ansonsten erhaltenen Beständen des Reichsgerichts verschollen seien. Die Akten seien im Dritten Reich aus den Beständen herausgenommen bzw. entfernt worden. Die wesentlichen Rekonstruktionen des Prozesses basieren daher auf Zeitungsmaterial und Vorkriegs-Publikationen sowie einigem erhaltenen Schriftwechsel von Oberreichsanwalt und Ministerien (Justiz/Reichswehr) usw.


Ist das auch der heutige Stand oder gibt es dazu Nachträge?
 
Akten Regierung Brüning:

Nr. 118 Kabinettssitzung vom 25. September 1930:
2. Außerhalb der Tagesordnung: Aussage Hitlers vor dem Reichsgericht.

Der Reichsminister der Justiz gab an Hand der „B.Z. am Mittag“ und weiterer Nachrichten, die ihm zugegangen waren, eine Darstellung der Aussage Hitlers vor dem Reichsgericht am Vormittage des 25. September 1930, soweit sie vorlag6. Nach seiner Auffassung habe die Aussage den Angeklagten mehr geschadet als genützt. Auch in dem Hochverratsprozeß gegen Hitler selbst dürfte die Aussage gegen Hitler und Goebbels zu verwerten sein.

... Inzwischen erklärte der Reichsbankpräsident daß nach Mitteilungen, die er am Vormittage erhalten habe, die Börse zwar ungünstiger sei als am Tage vorher, aber nicht so schlecht wie etwa nach einer gefährlichen Rede Hitlers zu erwarten wäre. Die Rede scheine demnach also nicht ernst genommen worden zu sein. Immerhin sei es ihm unverständlich, wie eine Zeitung sie in großer Form tendenziös aufmachen könne, ohne Rücksicht auf die Folgen im Inland und draußen.

...Die Rede Hitlers habe zwei Stunden gedauert. Er sei davon ausgegangen, daß zwischen Volk und Staat zu unterscheiden sei und daß der Staat das Wohl des Volkes erstreben müsse. Da der moderne Staat dies nicht tue, müsse er umgestellt werden, jedoch nur auf legalem Wege, mit den Mitteln, die von der Verfassung selbst hierzu zur Verfügung gestellt würden. Er rechne damit, daß seine Partei in drei Jahren Abgeordnete zählen würde und daß dann die Umstellung in diesem Sinne erfolgen könne.

Auf eine Frage des Vorsitzenden, was die Bemerkung zu bedeuten habe, daß Köpfe in den Sand rollen würden, habe er erklärt, auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung solle ein Staatsgerichtshof geschaffen werden, der die Schuldigen am Zusammenbruch vom November 1918 aburteilen solle. Auch ihre Hinrichtung müsse auf gesetzlicher Grundlage erfolgen.
...

Die Verteidigung habe in Aussicht gestellt, daß sich eine große Anzahl von Gegenzeugen dafür benennen würde, daß tatsächlich die Nationalsozialistische Partei den Umsturz nicht wolle. Die Reichsanwaltschaft werde diesen Versuch bekämpfen, der die ganze Parteifrage ins Rollen brächte. Gelänge es nicht, dies zu vermeiden, so werde sie die Vertagung beantragen, um inzwischen selbst Material sammeln zu können.

Der Reichsminister der Justiz erklärte, daß er hierzu die Zustimmung gegeben habe.
...
Vor weiterer Entschließung soll der volle Wortlaut der Zeugenaussage Hitlers abgewartet werden.


Anlage 1:
Der Reichsinnenminister an den Reichswehrminister. 21. Oktober 1930, R 43 I/2682, S. 203–204 Abschrift

Sehr geehrter Herr Kollege!

In Beantwortung Ihres gefälligen Schreibens vom 15. Oktober11 übersende ich Ihnen in der Anlage zwei Denkschriften, in denen ein charakteristischer Ausschnitt aus dem zur Zeit gegen die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei vorliegenden Material gegeben wird. Aus ihnen ergibt sich zur Genüge, daß alle Legalitätsbeteuerungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei nur den Wert taktischer Manöver haben, die dazu bestimmt sind, über die wahren Ziele dieser Partei hinweg zu täuschen. Auf Seite 82 der mit II bezeichneten Denkschrift darf ich in diesem Zusammenhange besonders hinweisen...
Im übrigen kann der Aussage Hitlers auch deshalb kein Glaube beigemessen werden, weil sie in anderen Beziehungen nachweislich falsch ist. Ich übersende Ihnen in der Anlage Abschrift eines hierauf bezugnehmenden Schriftsatzes an den Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, in dem ich unter Beweis gestellt habe, daß die Angabe Hitlers, er habe seinerzeit, als er den Münchener Putsch ins Werk setzte, sein Ehrenwort nicht freiwillig gebrochen, sondern unter Zwang gehandelt, unwahr ist. ...
Zusammenfassend bemerke ich, daß nach dem mir vorliegenden Material kein Zweifel darüber bestehen kann, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei nach wie vor entschlossen ist, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen, sobald sie erkennt, daß eine gesetzmäßige Erreichung auch mit 107 Abgeordneten unmöglich ist. ...

gez. Dr. Wirth

Nr. 206 Ministerbesprechung vom 19. Dezember 1930
Der Reichsminister des Innern betonte, er habe volles Verständnis dafür, daß der Reichswehrminister die Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP angeschnitten habe. Die Frage sei von großer Bedeutung, auch wegen des vor dem Staatsgerichtshof schwebenden Prozesses wegen Zahlung der Polizeikostenzuschüsse an Thüringen. Bis zum 14. September 1930, d. h. bis zur eidlichen Vernehmung Hitlers in Leipzig, müsse man nach seiner Ansicht unbedingt die Partei als revolutionäre Partei ansehen. Bis zu diesem Zeitpunkt seien auch in der nationalsozialistischen Literatur in stärkstem Maße revolutionäre Äußerungen gebracht worden. Derartige Äußerungen seien nach der eidlichen Vernehmung Hitlers in Leipzig stark in den Hintergrund getreten. Die Aussage Hitlers in Leipzig sei sehr eigentümlich. Er habe erklärt, daß er im Jahre 1923 in München durch Gewalt zu seinen Schritten veranlaßt worden sei6. Die Bayerische Regierung habe wiederholt dahin Stellung genommen, daß diese Darlegung Hitlers der Wahrheit nicht entspreche. ...
Letzten Endes sei es Sache der persönlichen Überzeugung, ob man Hitler glauben könne oder nicht. Er, der Reichsminister des Innern, könne Hitler nicht glauben. Nach seiner Überzeugung müsse sich jede Führung des Reichs und der Länder so einstellen, als ob die Nationalsozialisten in gefährlicher Stunde sich nicht verfassungstreu verhalten würden.
 
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