Reste des Heidentums in der Folklore

Dieses Thema im Forum "Religionsgeschichte" wurde erstellt von Haerangil, 28. Dezember 2015.

  1. Thyl

    Thyl Mitglied

    =) Nun ja, hier haben wir offensichtlich ein interkulturelles Kommunikationsproblem. Eine Französin hätte mir in dieser Situation niemals Arroganz vorgeworfen, da ich ja sorgfältig unterscheide zwischen einem potentiellen männlichen und einem potentiellen weiblichen Fehlverhalten. Da ich nun, in einem großzügigen Akt der Galanterie, Milde walten lasse, wäre diese Aussage gar kein Problem gewesen. ;)

    Aber ich bin geneigt, dir dein Deutschsein zu verzeihen =)
    Eigentlich bist du mir ja ganz sympathisch. Umso mehr wundert mich dein angriffslustiger Tonfall.

    Aber wie dem auch sei, zurück zum Thema. Walter schreibt :

    Na? Das riecht doch ziemlich nach einer Strategie zur Assimilerung des Heidentums, meinst du nicht? :scheinheilig:
     
    Zuletzt bearbeitet: 15. Oktober 2016
  2. Chan

    Chan Aktives Mitglied

    Nein, das war nur liebevoll ironisch gemeint...

    Du schreibst:

    1)
    Welche ´archaischen Vorstellungen und Symbole´ wurden wann in welchem ´christlich-heidnischen Synkretismus´ wiedervereinigt?

    2)
    Wie lässt sich das ´Menschengedenken´ in Zahlen ausdrücken?

    3)
    Warum sind die Vorstellungen und Symbole jungianisch angeboren und nicht, wie ich meine, das Produkt von frühen assoziativen Symbol-Bildungen, die durch Sozialisation und Überlieferung tradiert werden?

    Hier ist mein Kommentar zum Text von Guillaume Faye.

    Zu Fayes Person:

    Er hat zehn Jahre lang in Paris bei den Jesuiten studiert (ist also kein religionswissenschaftlicher Laie) und ist ein herausragender Vertreter der ´Nouvelle Droit´, eines politisch rechtsorientierten französischen Think Tank. Sein Denken hat auch Le Pen beeinflusst. Ich möchte das hier nicht werten, sondern nur feststellen.
    So wie das dasteht, ist es zumindest für das Christentum einfach falsch. Die Religionen, deren Platz es im RR einnahm, waren vor allem der Kaiserkult, der Mithraskult und der Isiskult, der noch im 4. Jh. im RR hoch in Konjunktur stand. Der Begriff ´Naturreligion´ lässt sich auf diese Kulte unmöglich anwenden. Die Art der Differenzierung zwischen Natur- und Kulturreligion ist in der Religionswissenschaft zwar umstritten, bezweifelt wird aber nur selten, dass eine solche Differenzierung notwendig und sinnvoll ist. Im Mithraismus und Isiskult findet das genaue Gegenteil dessen statt, was eine Naturreligion intendiert. Während diese auf die Integration des Menschen in die natürliche, wenn auch magisch verklärte Ordnung der Welt abzielt, geht es im Mithras- und Isiskult um die Befreiung der Seele (= Erlösung) aus dieser als leidvolle Knechtschaft empfundenen natürlichen Ordnung.

    Der mithraistische Adept hatte sechs Stufen (corax, nymphus, miles, leo, perses und heliodromus) zu überwinden, ehe er auf der siebten Stufe (pater) sein Ziel, die Vereinigung mit Gott Mithras, erlangte.

    Vergleichbar, wenn auch weniger streng strukturiert, verlief der Weg der Isis-Adepten über mehrere Initiationsstufen bis hin zur (zumindest subjektiven) Erlösungserfahrung, d.h. dem Erlangen des Wissens um die eigene Unsterblichkeit.

    Im Kaiserkult hatte jeder Bürger des RR durch symbolische Opfer dazu beizutragen, dass die Staatsgötter dem Reich und dem Kaiser gewogen blieben. Eine Weigerung wurde als Angriff auf das Staatswohl betrachtet. Mit einer Naturreligion hat auch das natürlich nichts zu schaffen.

    Die synkretistische Vereinigung, auf die es in erster Linie ankommt, geschah viel früher, nämlich als das ´Urchristentum´ (dessen Gestalt nur spekulativ erschlossen werden kann) zentrale Vorstellungen aus den Mysterienkulten übernahm (z.B. das Erlösungsmotiv und die Eucharistie) und die hellenistische Philosophie assimilierte, was zu dem führte, das Harnack pejorativ als ´Hellenisierung des Christentums´ bezeichnete. Das begann durch die selektive Aneignung der Logostheologie des Juden Philon von Alexandria (was zum Motiv des Christus-Logos führte) und durch die mittelplatonischen Spekulationen des Justin.

    Spätere synkretistische Vermischungen modifizierten dann nur noch eine Religion, die ohnehin zu 50 % nicht-christlich = also hellenistisch ist. Abgesehen davon war das Urchristentum aus einem Judentum hervorgegangen, das seinerseits stark synkretistisch war (deutliche Elemente der ägyptischen, babylonischen und persischen Religion).

    Egal, wo Faye die Grenze zwischen Original und synkretistischer Verzerrung ansetzt - das, was davor liegt, ist nicht minder synkretistisch.
     
    Zuletzt bearbeitet: 15. Oktober 2016
  3. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Eigentlich hatte ich nach der "Strategie zur Assimilierung heidnischer Festtage" gefragt. Was haben wir da am 11. November?

    Die Strategie zur Annektion heidnischer Kultorte ist altbekannt.

    Über den Satz "Das Christentum annektiert sowohl die heiligen Stätten des Heidentums (Bäume, Quellen, Kultsteine), als auch dessen soziale Organisation und das Verwaltungsnetzwerk (Diözesen, Pfarreien, usw.)"
    bin ich gestolpert. Entweder hat Walter hier Unfug geschrieben (was ich nicht glaube), oder es liegt ein sinnentstellender Übersetzungsfehler vor. Eigentlich kann sich annexion nur auf den ersten Satzteil beziehen. Das Christentum hat sicher nicht die "soziale Organisation des Heidentums annektiert", oder waren die heidnischen Gläubigen tatsächlich nach Bistümern und Pfarreien organisiert?

    Hier wird es interessant: Was enthalten die hagiographischen Dokumente zu St. Martin an alter Mythologie?
     
  4. Gangflow

    Gangflow Aktives Mitglied

    Aber Krummstab und Mitra hat man sich für die Bischöfe doch sicher von den Heiden ausgeliehen und nachgemacht.
     
  5. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Nicht nur das, sondern wahrscheinlich auch noch den Mantel.
     
  6. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Ich vermute, dass sich der Begriff des Verwaltungsnetzwerkes auf die Spätantike bezieht, als unter Theodosius im Jahre 380 das Christentum zur Staatsreligion wurde, und die Kirche zur Reichskirche.

    Die englische Wiki schreibt zur Diözese:

    https://en.wikipedia.org/wiki/Diocese#History
     
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  7. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Eine soziale Organisation mit Bischöfen usw. gab es ja im Christentum schon lange vor 380.

    Die wurde nun vom Staat instrumentalisiert. Sie überlebte aber den Zusammenbruch des römischen Staats und konnte von den neuen Herrschern, insbesondere den Franken (anfangs noch Heiden, aber bald schon Christen) "annektiert" und vor den eigenen Karren gespannt werden.
     
  8. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Ich unke mal, hier sind die Gänse gemeint, die Martin verrieten? Gänse waren es ja auch, welche nach der Schlacht an der Allia die auf dem Palatin belagerten Römer vor dem Angriff der Gallier warnten. Wobei unabhängig von der Historizität beider Begebenheiten das kein sehr mythisches Mythem ist, Gänse sind einfach so drauf.
     
  9. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Der Krummstab (Lituus) war auch bei den römischen Auguren im Einsatz (in Kalkriese hat man einige gefunden). Allerdings wurde im Christentum bereits in der Bibel der Herr als Hirte bezeichnet. Von daher paßt auch der Krummstab als Hirtenstab.

    Zur Mitra steht in der Wiki:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Mitra

    Allerdings sind die liturgischen Gewänder in der römisch-katholischen Kirche noch heute die Mode der römischen Antike.


    Richtig, ich meinte, dass die Kirche zu einer Staats- bzw. Reichskirche wurde und damit Teil des Römischen Staates. Ob allerdings das Reich die Kirche annektiert hat (oder umgekehrt), ist schwer zu sagen. Zumindest entstand eine Symbiose.
     
  10. Thyl

    Thyl Mitglied

    Das läßt sich vermutlich nicht mehr so präzise feststellen. Um deine Frage auch nur ansatzweise zu beantworten müssen wir uns die Situation im römischen Reich einerseits anschauen (der Geburtsstätte des Christentums und soziokultureller Kontext seiner Entfaltung) ; und andererseits die Situation im heidnischen Europa.


    Ich werde mal kurz zusammenfassen was du in deinem Beitrag ansprichst und noch zwischendurch meinen Senf dazugeben.


    So wie ich es sehe spielte sich der Prozeß in mehreren Etappen und an verschiedenen Schauplätzen ab:


    I. Römisches Reich

    * Entstehung des Christentums als jüdische Sekte, genauer gesagt als hellenistisch-jüdische Sekte, wie Sepiola bereits angemerkt hatte

    * Explosionsartige Ausbreitung des neuen Glaubens (proto-christliche Artefakte in Pompeji, was auf eine proto-christliche Präsenz in Italien schon vor 79 spricht)

    * Trennung vom Judentum irgendwann im Zuge des II. Jhd. (nach Marcel Simon). Andere sagen, der Bruch sei erst mit den ersten Konzilen erfolgt. Aber wie auch immer: die Christen haben sich von Anfang an durch ihren Messianismus von ihren jüdischen Glaubensbrüdern unterschieden. (Wie auch übrigens von den Mysterienreligionen.) Die Verkündigung des Evangeliums durch Apostel Paulos und andere führt zu massenhaften Bekehrungen im östlichen (hellenophonen) Teil des Römischen Imperiums. Die griechische Kultur hat das Christentum entscheidend geprägt, wie du völlig richtig anmerkst, und wie etwa aus der bereits erwähnten Athener Rede des Paulos hervorgeht. Hier haben wir also den ersten und wohl auch theologisch gesehen wichtigsten aller Synkretismen : die Vereinigung der christlichen Heilslehre mit der griechisch-platonischen Philosophie.


    II. Heidnisches Europa


    Hier gibt es mindestens seit dem Neolithikum das, was ich eine europäische Naturreligion nennen würde (es ist meiner Meinung nach unzweifelhaft, daß schon im Paläolithikum nicht nur Tiere und Geister totemisch verehrt wurden, sondern auch bereits genannte Symbole wie Feuer, Licht, Wasser, Seen, Wälder, Berge, und natürlich Sonne und Sterne). Stonhehenge, die Himmelsscheibe von Nebra usw. zeugen von beachtlichen Kenntnissen in Astronomie. Wir können davon ausgehen, daß in diesem Zusammenhang auch Sonnenwendfeiern und ähnliche Anlässe im Leben der Ackerbauern eine bedeutende Rolle spielten.


    Mit den Indoeuropäern (etwa 4500 v. Chr.) bilden sich die uns (in ihrer späteren Form) überlieferten heidnischen Volks- und Stammesreligionen heraus (slawische, baltische, keltische, germanische, italische und griechische Mythologien). Diese übernehmen und ergänzen bereits bestehende archaische Riten und Symbole, die später wiederum vom Christentum auf seinem Siegeszug anch Norden und Westen annektiert und vervollständigt wurden.


    Habe ich deine Frage halbwegs beantworten können bzw. sind wir uns bis hier halbwegs einig?


    Jetzt kommen wir zu dem, was du Herrn Faye vorwirfst. Er redet ja nicht (aber das ist mein Fehler, ich hab den Kontext ausgeklammert) vom römischen Reich als Ganzen, sondern konzentriert sich hier auf den west- und nordeuropäischen Raum. Klar wird hier stark vereinfacht, keine Frage. Aber was Frankreich betrifft, konnte man im IV. Jhd durchaus noch von einer Naturreligion reden, zumal ein Großteil der Bevölkerung ländlich war und besagte prähistorische Mythen und Symbole noch durchaus im Leben der Bauern präsent waren. Die Mysterienreligionen wie der Isiskult bzw. der Mithraismus waren in Gallien nie so stark vertreten wie im Süden und Osten des Reiches.



    1 Million Jahre aufwärts ? ;)


    Hier schlage ich einen Kompromiß vor : sie sind sowohl das eine, als auch das andere. Die Vorstellungen und Symbole an sich sind angeboren ; es existieren gewisse geistige Archetypen, die jeder Mensch in sich trägt. Die Deutung dieser Symbole ist allerdings Aufgabe des sozialen Umfelds und der Tradition, da hast du natürlich recht.


    Also, das ist ja alles richtig was du sagst, nur halte ich das doch für etwas spitzfindig. Jede Religion übernimmt, eignet sich an, und gibt weiter, das ist völlig richtig, es ist ein ewiger Zyklus, der sich bis in die Altvorderenzeit zurückverfolgen lässt. Das heißt aber noch lange nicht, dass alle Religionen inhaltlich immer nur voneinander abschreiben. Ob das christliche Erlösungsmotiv 1 zu 1 (oder auch nur zu 50%) von früheren Mysterienkulten übernommen wurde, halte ich für überaus fraglich, auch sumerische Einflüsse im Judentum annulieren nicht die Singularität des Judentums. Faye spricht diese Differenzen an, die zwischen europäischem Christentum und Judentum durch die Aneignung europäisch-heidnischer Elemente zustandekamen, und hat dabei vor allem die Entwicklung im Mittelalter im Auge. Daß das vorderasiatische Frühchristentum und der mittelalterliche französische Katholizismus nicht mehr viel gemein hatten, dürfte wohl jedem einleuchten.
     
    Zuletzt bearbeitet: 16. Oktober 2016
  11. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Das ist auch das erste, was mir einfällt.
    Falls Wiki recht hat, taucht die Legende um die Martinsgans aber erst ca. 1200 Jahre nach Martin von Tours auf.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Martinstag#Martinsgans

    Da lasse ich mich aber gern eines Besseren belehren.
     
  12. Thyl

    Thyl Mitglied

    Mea culpa, du hast natürlich völlig recht, das ist ein schändlicher Übersetzungsfehler.

    Das Christentum hat die heiligen Stätten des Heidentums annektiert und überzog die [damalige] Gesellschaft mit seiner sozialen Organisation + Verwaltungsnetzwerk.

    Ich bitte demütigst um Gnade.
     
  13. Thyl

    Thyl Mitglied

    Ach ja, und es es sollte eigentlich »Apostel Galliens« heißen und nicht »Apostel der Gallier«. Du meine Güte...
     
  14. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Was den heilgen Martin von Tours betrifft, so verstehe ich den Text von Philippe Walter, den Thyl zitiert, so, dass nicht St. Martin von Tours auf eine alte, pagane Mythologie bezogen wird, sondern dass er selbst zu eine christlichen Mythologie wird. Sein Wirken fand in den Jahren zwischen der Konstantinischen Wende (Edikt von Mailand) und der Einführung des Christentums als Staatsreligion statt, also in dem Zeitraum, in dem das Christentum allmählich die paganen Religionen verdrängte.
     
  15. Thyl

    Thyl Mitglied

    Bei den mythologischen Elementen des Martinkultes handelt es sich nicht um Gänse (ihr Flegel) sondern um... Steine.

    Ich bin gerade zu müde zum Übersetzen, aber es gibt laut Walter in ganz Frankreich unzählige Orte, an denen der Heilige Spuren hinterlassen hat.

    In Britannien ist ja Merlin dafür bekannt, daß er Stonehenge errichtet haben soll. Bei Vauxrenard (in Burgund) gibt es einen »Martinsstein«, der aber manchmal auch »Feenstein« oder »Sarazenenstein« gennant wird. Die Legende, die Walter wiedergibt, berichtet von einer Wette zwischen Sankt Martin und dem Teufel: es ging darum, wer als Erster riesige Steinbrocken den Mont Gouvry hinaufzuschleppen vermochte. Der Teufel war nah daran, die Wette zu gewinnen, bis Christos höchstselbst Sankt Martin zu Hilfe kam und besagten Martinsstein mittels eines von zwei Ochsen gezogenen Wagens den Berg hinauftrug.

    Solche Martinssteine gibt in ganz Frankreich. Meist weisen sie eine leichte Wölbung an der Stelle vor, an der sich Sankt Martin, von seinen Reisen erschöpft, an sie anlehnte.

    Der Sankt-Martins-Stein bei Perrigny-lès-Auxerre ist ein alter keltischer Kultort. Bei Dun-les-Places hinterließ Sankt Martin die Spur seiner Knie, bei Vauclaix die seiner Füße. Auch Sankt Martins Esel hinterließ auf einem Stein bei Lavault-de-Frétoy (in der Nähe von Château-Chinon) seinen Hufabdruck. Besagter Esel ließ auch noch im Kanton von Luzy in der Nièvre eine Quelle aus dem Boden sprudeln.

    Weitere Steine finden sich bei Cuzy (auch in der Nièvre), und unzählige weitere in ganz Frankreich.

    Alles nur romantische 1800-Folklore?

    Nein, denn Grégoire von Tours (ca. 539 - 594) berichtet, daß in die Basilika von Tours ein Stein eingemeißelt sei, auf dem sich Sankt Martin ausgeruht habe. Er erzählt auch von der Quelle, die Sankt Martin bei Nieuls-lès-Saintes aus dem Boden stampfte, und daß es bei dieser Quelle einen Stein gäbe, der den Hufabdruck des Martin'schen Esels trage.

    Walter berichtet auch noch von Bären, die mit Sankt-Martin assoziiert werden (der 11. November ist übrigens der Namenstag eines gewissen saint Ursin... der Name kommt von lat. ursus)

    Zu diesem »Bärenmythos« (Indizien u.A. bei Chrétien de Troyes) erzähle ich ggf. später...
     
    Zuletzt bearbeitet: 16. Oktober 2016
  16. Gangflow

    Gangflow Aktives Mitglied

    Am 11.11. um 11.11 Uhr beginnt die Fassnacht und am 12.11. die Fastenzeit. Am 11.11. konnte man noch mal so richtig schlemmen.

    Daneben war der Martinstag das Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres, neuer Wein konnte probiert werden, es war der Termin für den Viehabtrieb oder das Ende des Weidejahres sowie der traditionelle Tag des Zehnten. Die Steuern wurden früher in Naturalien bezahlt, auch in Gänsen.

    Ein historischer Erklärungsversuch für dieses Brauchtum geht davon aus, dass in Zeiten des Lehnswesens eine am Martinstag fällige Lehnspflicht, eine Abgabe namens Martinsschoß, der Ursprung war.[10] Da diese häufig aus einer Gans bestand, bildete sich die Bezeichnung Martinsgans heraus, und weil der Martinstag traditionell mit einer Kirmes oder einem Tanzmusikabend gefeiert wurde, bot es sich an, die Gans zum Festessen zu machen und an diesem Abend festlich zu verspeisen.

    Eine besonders hübsche Legende vom Bischof von Tours:
    Selon une autre légende, un troupeau d’oies bruyantes se serait introduit dans l’église et aurait interrompu la prédication de l’évêque Martin. Elles auraient été capturées et servi de festin par la suite.
    Eine Herde schnatternder Gänse drangen in die Kirche ein und unterbrachen die Predigt von Bischof Martin. Sie wurden eingefangen und anschließend auf einem Fest verspeist.
     
  17. muheijo

    muheijo Aktives Mitglied

    Eine kurze OT Anekdote, an die ich bei Gänsen immer denken muss:

    Noch in den 1980er Jahren* gab es einen Jahrmarkt irgendwo in Süd-Frankreich, bei dem man an einem Stand echte, putzmuntere Gänse gewinnen konnte:
    Man musste es schaffen, ihnen einen Ring über den Hals zu werfen.
    Da mussten wir natürlich mitmachen, allerdings überlege ich noch heute, was wir mit dem Gewinn gemacht hætten. Mit dem Fahrrad konnte man sie schlecht mitnehmen, aber von uns Pfadfindern hætte es wohl keiner über's Herz gebracht, der Gans den Hals umzudrehen... Aber vielleicht hätte das der Kirmesbudenbesitzer erledigt?
    Wir haben jedenfalls trotz mehrmaligen Werfens nicht gewonnen.
    *vielleicht heute noch?
    OT\Ende

    Gruss, muheijo
     
  18. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Das mit dem Mai habe ich inzwischen gefunden, bei Clemens von Alexandria:
    "Manche wollen mit übertriebener Genauigkeit bei der Geburt unseres Heilands nicht nur das Jahr, sondern auch den Tag angeben; sie setzen die Geburt in das 28. Jahr des Augustus, und zwar auf den 25. Pachon."
    https://www.unifr.ch/bkv/kapitel167-44.htm

    Der 25. Pachon entspricht dem 20. Mai.

    Einen Zusammenhang mit der griechisch-orthodoxen, der armenischen oder der palästinensischen Kirche gibt es da allerdings ebensowenig wie einen Zusammenhang mit Aetheria - und es ist auch nicht die Rede davon, dass da ein Fest gefeiert worden wäre. Man hat nur versucht, das Geburtsdatum jahres- und taggenau zu berechnen.

    Wiki liefert hier nur Kraut und Rüben, die Behauptung "Es gab also in der altpalästinensischen Kirche eine Zeit, in der der Geburtstag Jesu Mitte Mai gefeiert wurde" lässt sich durch nichts belegen.
     
  19. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Nun sehe ich doch gewisse Annäherungen zwischen Chan und mir:

    Und auch zwischen Thyl und mir:
    Vielleicht lassen sich noch weitere Positionen annähern:
    Nun kann ja jeder die Grenzen nach seinem persönlichen Geschmack ziehen. Oder noch besser, erst gleich gar keine Grenze ziehen. Dann können wir im Prinzip alle Religionen mit dem Etikett "synkretistisch" versehen, und die Diskussion löst sich in Wohlgefallen auf.

    Und da hätte ich gleich noch einen Vorschlag zur Vereinfachung des Ganzen:
    Und wenn wir davon ausgehen, dass auch noch das ganze Mittelalter über (und bis in die Neuzeit hinein) ein Großteil der Bevölkerung ländlich war, wenn wir davon ausgehen, dass sie unter einem christlichem Anstrich ziemlich lange ziemlich heidnisch geblieben ist und dass auch die prähistorischen Mythen und Symbole weiterverwendet wurden, dann können wir auch das mittelalterliche Christentum noch als "Naturreligion" bezeichnen.
     
  20. Thyl

    Thyl Mitglied

    Heutzutage gibt es zu dieser Jahreszeit an Jahrmärkten in Südfrankreich nur noch Schafe für Aïd al-Adha...
     

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