Römische Autoren

Aloha

Neues Mitglied
Hallo,
in der Schule hatte ich 7 Jahre Latein, aber mich beschäftigt erst jetzt die Frage, wie uns die unzähligen Schriften der römischen Autoren überliefert wurden. Wo kann ich das nachlesen?
Das gleiche gilt a fortiori für die altgriechischen Philosophen.
Mit freundlichen Grüßen
Aloha
 
Wenn nicht inschriftlich (was bei Literatur i.d.R. nicht vorkommt), dann meist durch Kopieren über die Jahrhunderte. Wir haben nur sehr selten erhaltene antike Originale, meist haben wir mittelalterliche Abschriften, und dann im 15./16. Jhdt. die editio princeps, also die Erstveröffentlichung durch Drucker.
Bei den griechischen Philosophen ist das ähnlich, die haben wir entweder als im westlichen Mittelalter überlieferte lateinische Übersetzungen oder aber durch byzantinische Überlieferung und schließlich noch die arabische (kommentierte) Überlieferung, die dann ins Lateinische oder eine westeuropäische Volkssprache übersetzt wurde.
 
Wo kann ich das nachlesen?
Wenn du wissenschaftliche Editionen von antiken Texten liest, findest du einen sogenannten kritischen Apparat. Der gibt dir Wortvarianten an. In der Einleitung (die mitunter länger ist, als der Text selbst) findest du eine Übersicht über die Überlieferung, was für Textzeugen es gibt und wie die zueinander stehen, mit einem rekonstruierten Handschriftenstemma (also dem Stammbaum). Es kommt ja nur sehr selten vor, dass wir Originale (Autographen) in die Hand bekommen, wie etwa von Thietmar von Merseburg (10./11. Jhdt., wobei dieser den Text einem Klosterschüler diktierte und dann nachträglich redaktionelle Veränderungen vornahm). Mit solchen Stemmata vesrsucht man möglichst den Originaltext zu rekonstruieren, wobei die lectio difficilior gilt, weil man davon ausgeht, dass beim Kopieren schwierige Textstellen nachträglich geglättet wurden (Lectio difficilior potior - die schwierige Lesung ist die bessere). Das ist eine Erfahrung die man gemacht hat, da man anhand der Schrifttypen (Unziale, Halbunziale, Minuskelschriften, Fraktur) ganz gut das Alter eines Manuskripts datieren kann.
 
El Quijote hat ja eigentlich schon alles gesagt zum wie. Dazu ein kleiner Anhang noch, weil ich den grad vom Studium in der Hand hab: Das ist ein solcher Stammbaum, in dem Fall von Platons Gorgias, nur um das mal optisch zu unterlegen. Macht es vielleicht einfacher. Viele sind sehr viel komplizierter, wenn es mehr Handschriften und/oder Papyri gibt, aber der hier zeigt schon ganz gut, wie das funktioniert. Ich erklär es mal nicht im Detail, wenn dich das interessiert kann ich das aber gerne tun, und ich glaube mindestens El Quijote kennt sich da auch sehr gut aus:)

Aber noch zum zweiten Teil deiner Frage. Meinst du, wo du nachlesen kannst, wie einzelne Werke/Autoren überliefert sind? Da fallen mir drei Möglichkeiten ein. Die eine ist der Neue Pauly Supplementband 2 (Geschichte der antike Texte: Autoren- und Werklexikon). Allerdings ist der online nicht frei zugänglich. Das zweite ist das Lexikon der antiken Literatur von Rainer Nickel. Das hab ich mir selbst zugelegt, online gar nicht verfügbar, sehr praktisch. Gibt nur ein paar Kleinigkeiten, wo man da bei der Benutzung aufpassen muss. Und das dritte ist die Website Pinakes, weil du speziell die altgriechischen Philosophen angesprochen hast. Allerdings wird dir persönlich Pinakes nicht viel bringen glaube ich, wenn du nur Latein hattest. Das ist im Prinzip ein Verzeichnis aller griechischen Handschriften. Du suchst nach einem Autor/Werk und bekommst eine Liste aller erhaltenen Handschriften (nicht Übersetzungen) und Details dazu, wie den aktuellen Standort oder auch Links - erstaunlich viele sind digitalisiert.
 

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Hallo,

vielen Dank für eure Super-Antworten!
Ihr habt meine Fragen richtig verstanden.
Ich sehe, hier sind Leute zu Werke, die etwas davon verstehen (Lehrer oder gar Professoren?)

Wenn die Ueberlieferung über mehrere Kopiervorgänge geht, dann ist es ja aber ziemlich unsicher, ob Plinius der Jüngere, Sallustus oder Titus Livius den überlieferten Text wirklich 1:1 so verfasst haben, oder nicht?

MfG
Aloha
 
... Wenn die Ueberlieferung über mehrere Kopiervorgänge geht, dann ist es ja aber ziemlich unsicher, ob Plinius der Jüngere, Sallustus oder Titus Livius den überlieferten Text wirklich 1:1 so verfasst haben, oder nicht? ...
Ja, das sind fast alles bloss Sekundärquellen!
Genau so wie die Bibel...

Gruss Pelzer
 
Da bin ich jetzt aber sehr enttäuscht, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass der betreffende Autor das wirklich so geschrieben hat, oder ob nicht im Laufe der Zeit etwas nachgebessert wurde, im Sinne der Ideologie des Kopierers.
MfG
Aloha
 
Deswegen stützt man sich ja, wenn möglich, immer auf mehrere Quellen und Handschriften. Und manches geht wirklich sehr weit zurück. Die ältesten Fragmente des Neuen Testaments stammen aus dem 2. Jahrhundert, also etwa 50 Jahre nach Niederschrift des Textes.
 
Wenn die Ueberlieferung über mehrere Kopiervorgänge geht, dann ist es ja aber ziemlich unsicher, ob Plinius der Jüngere, Sallustus oder Titus Livius den überlieferten Text wirklich 1:1 so verfasst haben, oder nicht?
Genau. Mehr noch, man geht gleich davon aus, dass der Text eben nicht 1:1 original ist. Für manche Texte hat man Papyrusfragmente aus antiker Zeit, die sind natürlich sehr nützlich, einfach weil sie zeitlich am nächsten am Original dran sind. Ansonsten gibt es eben nur die mittelalterlichen Handschriften. Die werden verglichen und mit verschiedenen Methoden (El Quijote hat oben mit der lectio difficilior schon die wichtigste Methode genannt) in ein Verhältnis gebracht, das man dann in einem Stemma codicum, wie ich es oben angehängt habe, darstellt. Und so lassen sich alle Abschriften auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen (in dem Fall α genannt, mittlerweile meistens ω).
Wichtig: Dieser Ursprung, Archetypus genannt, ist nicht das antike Original, sondern die älteste Handschrift, und die versucht man zu rekonstruieren. Lateinische Buchstaben stehen für erhaltene Handschriften, kleine griechische Buchstaben für nicht erhaltene Handschriften, deren Existenz nur aufgrund gemeinsamer Abschreibefehler etc. angenommen wird. Fragezeichen und gestrichelte Linien sind (begründete) Vermutungen. Und rechts vom Archetypus siehst du die Papyri genannt sowie Kommentare anderer Autoren zu diesem Werk, die werden nämlich für die Rekonstruktion auch verwendet und geben oft vor allem stilistisch wertvolle Hinweise.
Aber wie du sagst, einen gesicherten Originaletxt gibt es nicht. Deswegen sehen auch in jeder kritischen Ausgabe wieder Details anders aus.

Da bin ich jetzt aber sehr enttäuscht, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass der betreffende Autor das wirklich so geschrieben hat, oder ob nicht im Laufe der Zeit etwas nachgebessert wurde, im Sinne der Ideologie des Kopierers.
Ganz so schlimm ist es auch nicht, meistens jedenfalls. Bei den Unterschieden in Handschriften geht es fast nur um Details wie einzelne vertauschte Buchstaben, andere Akzentsetzungen, vielleicht mal ein Wort vergessen.
Was die Ideologie des Kopierers angeht, da denke ich natürlich als erstes an christliche Umdeutungen, weiß nicht ob das auch dein Gedanke war. Nehmen wir einen Text der stoischen Philosophie als Beispiel. Oder besser noch, Platons Dialog Kritias. Sokrates spricht immer von "dem Göttlichen" im Singular, das lässt sich natürlich prima "recyclen". Aber da muss man ja gar nichts ändern. Ein Kopist (nicht unbedingt ein Gelehrter, da wurde teilweise jemand bestellt nur für das stupide Abschreiben - vieles, aber nicht alles passierte in Klöstern) schreibt den Text ab, damit jemand (oder er selbst) leichten Zugang dazu hat, ohne ihn zu ändern. Er passt ja, man hat kein Bedürfnis dazu. Und dann wird er einen Kommentar dazu schreiben, in dem das Ganze dann ausführlich christlich gedeutet wird. Das ist auch für denjenigen viel einfacher als einen Text inhaltlich zu verändern, man müsste ihn ja komplett umarbeiten - da kann man auch gleich etwas Neues schreiben.
Solche Texte, die vor allem in Klöstern überhaupt nicht beliebt waren oder allgemein zu "unchristlich", und die auch sonst niemand mochte, wurden schlichtweg nicht oder kaum abgeschrieben und sind deshalb kaum überliefert. Mir fallen da als Paradebeispiel Petrons Satyrica ein. Oder Ktesias' Persika, die zwar ständig erwähnt wird, aber wohl schon damals kritisch gesehen wurde.
Also kann man davon ausgehen, dass im Text wenigstens nur sehr wenige Umdeutungen vorgenommen wurden, schon allein des Aufwands wegen.
 
Ich dachte in der Tat an christliche Umdeutungen, beim Abschreiben durch Mönche, die wohl kaum einen Text, der der damaligen Kirche nicht in den Kram passten, unberührt ließen.

Jedenfalls ist die Rekonstruktion eines alten Textes eine schön komplizierte und langwierige (und langweilige) Sache.
 
Lateinische Buchstaben stehen für erhaltene Handschriften, kleine griechische Buchstaben für nicht erhaltene Handschriften, deren Existenz nur aufgrund gemeinsamer Abschreibefehler etc. angenommen wird. Fragezeichen und gestrichelte Linien sind (begründete) Vermutungen. Und rechts vom Archetypus siehst du die Papyri genannt sowie Kommentare anderer Autoren zu diesem Werk, die werden nämlich für die Rekonstruktion auch verwendet und geben oft vor allem stilistisch wertvolle Hinweise.
Da das bei mir alles schon über 20 Jahre her ist, sind das so Details, die ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte.

Da bin ich jetzt aber sehr enttäuscht, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass der betreffende Autor das wirklich so geschrieben hat, oder ob nicht im Laufe der Zeit etwas nachgebessert wurde, im Sinne der Ideologie des Kopierers.
Das wird in der Editionsphilologie natürlich auch berücksichtigt. Sehr bekannt, weil häufig weniger wissenschaftlich als weltanschaulich diskutiert ist das Testimonium Flavianum. Das ist eine Stelle in den Jüdischen Altertümern von Flavius Josephus über Jesus von Nazareth. Es gibt Leute, die wollen die ganze Stelle als Interpolation (= Einfügung eines späteren Autors) verwerfen. Die Stelle besteht aus drei oder vier Sätzen und in der Tat dürfte ein erheblicher Teil davon ein späterer Einschub eines christlichen Kopisten des Textes sein. Aber eben nicht die gesamte Passage.
 
In der Tat Ansichtssache, aber jetzt weißt du, warum oftmals die kritischen Ausgaben aus den Sechzigern oder noch früher immer noch die aktuellsten sind. Mich interessiert das Thema, aber niemals würde ich freiwillig eine kritische Ausgabe oder sogar noch einen Stammbaum für Aristoteles' Metaphysik mit knapp 150 (glaube ich) erhaltenen Handschriften machen wollen, das ist ein Lebenswerk:eek:
 
beim Abschreiben durch Mönche

Das Abschreiben dürfte in vielen Fällen durch die Klosterschüler erfolgt sein, anscheinend auch als "Strafarbeit" für Lernfaule. Über Ekkehard, den Leiter der Klosterschule von St. Gallen heißt es: "Und die, die ihm zum Studium der Wissenschaften langsamer vorkamen, beschäftigte er mit Schreiben und Einrichten (der Manuskripte)." (Et quos ad literarum studia tardiores vidisset, ad scribendum occupaverat et lineandum.)
Monumenta Germaniae historica inde ab anno Christi quingentesimo usque ad annum millesimum et quingentesimum auspiciis Societatis aperiendis fontibus rerum Germanicarum medii aevi edidit Georgius Heinricus Pertz. [Scriptorum tomi]
 
Ich bewundere die Leute, die richtig Latein können. Ich schlug mich immer recht und schlecht damit herum
 
Ich dachte in der Tat an christliche Umdeutungen, beim Abschreiben durch Mönche, die wohl kaum einen Text, der der damaligen Kirche nicht in den Kram passten, unberührt ließen.
Na so ist es ja jetzt nicht. Sonst hätten wir heute fast keine Texte mehr mit explizit heidnischem Gedankengut oder erotischen Inhalten (wie Ovids "Ars amatoria"). Ich verweise auch auf Tacitus' "Annalen", in denen von den mittelalterlichen Abschreibern nicht einmal Beschimpfungen des Christentums wie als "exitiabilis superstitio" (verderblicher Aberglaube) getilgt wurden.
 
Vielleicht war das ja auch so was wie ein Ventil für die Mönche, um Druck von Seiten der Obrigkeit abzulassen, resp. die einzige Möglichkeit, ihre Sexualität auszuleben.
 
Mir ist gerade das "De Bello Gallico" ("Bellum Gallicum"?) eingefallen. Wie ist dieses voluminöse Buch von 500 Seiten (Classiques Hachette) ohne Lücken im Text (?) überliefert worden? Wissen die Forscher das? Können sie die Quellen zurückverfolgen?
 
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