Dieter schrieb:
Er stellte die These einer "Parallelgesellschaft" auf, in der die Germanen bei ihrer germanischen Muttersprache blieben und nur leidlich Latein sprachen. Lediglich die Oberschicht, so seine Meinung, sei im römischen Germanien weitgehend romanisiert gewesen.
Ich vergleiche die beiden linksrheinischen germanischen Provinzen gerne mit den Verhältnissen in Britannien, weil es einige Parallelen gibt. In beiden Provinzen gab es stark militärisch besetzte Grenzen, in beiden dauerte es relativ lange, bis der Romanisierungsprozess in Gang kam. Ebenso wurden in beiden Provinzen relativ wenige Kolonien gegründet. Es gab zudem viele Kaiser (zum Teil Claudius, Vespasian, Domitian, Hadrian, Antoninus Pius), die gleichzeitig Operationen und Sicherungsmethoden gleichzeitig in beiden Gebieten durchführen ließen.
Britannien ist wohl diejenige Provinz, die im Westen des Reiches am wenigsten stark romanisiert war. Während der gesamten Zugehörigkeit zum Reich existierten dort immer Siedlung originär einheimischen Zuschnitts. Zudem starb in Britannien die keltische Sprache nie aus, wurde zum Teil noch lange in Inschriften benutzt und setzte sich nach dem Niedergang des Reiches in Teilen der Provinz wieder gegenüber dem Lateinischen durch.
Im Vergleich dazu waren die beiden Rheinprovinzen sehr viel stärker romanisiert. Begünstigt wurde dies sicherlich dadurch, dass es hier keine einheitliche Bevölkerung gab und durch die Kriege von 50 bis 9 n. Chr. bedingte starke territoriale Veränderungen. Es dauerte dennoch relativ lange, bis sich eine umfassende Romanisierung durchsetzte - das Schlüsseljahr ist für mich das Jahr 70, mit der Niederschlagung des Bataver-Aufstandes. Dabei wurde die Machtstellung der regional bedeutenden Eliten der Bataver und Treverer beseitigt. Zudem gab es danach eine der wenigen größeren Ausbauphasen in der Region, mit dem rechtsrheinischen Straßen- und Limesbau sowie der Gründung von Munizipien/Kolonien sowie rechtlich niedergestellten Städten (z.B. Xanten, Rottweil, Nida-Heddernheim).
Was die materielle Kultur betrifft, so scheint sich das Lateinische zumindest als Schriftsprache komplett durchgesetzt zu haben. Einheimisches Gepräge zeigt sich hier und da durch Höfe einheimische Bauweise (besonders in Holland noch in der Zeit um 100), über Reliefs überlieferte Details der Kleidung und vor allem durch Kulte. Die Matronenkulte zumindest existierten auch bis ins 4. Jahrhundert. Wie Maureen Caroll beschreibt, verschwinden aber im römischen Reich viele regionale Unterschiede in der Spätantike - sie begründet dies unter anderem mit dem Antoninianischen Edikt, durch das die Volkszugehörigkeit unwichtig geworden war. Ich würde schon sagen, dass die linksrheinischen Provinzen romanisiert waren.