Runeninschrift bei den Slawen

Maglor

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Die Schlagzeile von Radio Prag ist etwas reißerischer als meine:
Schrieben die frühen Slawen in germanischen Runen?
Man muss natürlich das Fragezeichen beachten.

ORF meldete: Rinderrippe: Runeninschrift ältestes slawisches Schriftdokument

Konkret geht es hier um einen Rinderknochen mit Runeninschrift, Fundort nahe Břeclav ganz im Süden des heutigen Tschechiens. Er wurde auf ca. 600 datiert und einer slawischer Siedlung zugeordnet. (Als slawisch gilt die Siedlung wegen der Keramik Prager Typs.)

Die Inschrift besteht nur aus dem abgekürzten Futhark-Alphabet - also eigentlich nur eine Buchstabenreihe ohne wirklichen Inhalt.

Das lässt viel Raum für Spekulation.
Nutzen die Slawen in Mähren germanische Runen?
Gab es dort Germanen, die den Slawen die Runen vermittelt haben.

Eine der wenigen bekannten Personen aus der Zeit und der Region ist König Samo, angeblich ein Franke, der zum König der Wenden bzw. Slawen aufstieg und dann von ihnen abgesetzt wurde. In der Fredegar-Chronik wurde aber nicht viel mehr über diese Ecke Europas geschrieben. Es geht also wirklich ein sehr dunkles Zeitalter.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das habe ich letztes Jahr zu dem Fund geschrieben:
Halten wir fest: Es ist ein Rinderknochen, auf dem ein Ausschnitt aus dem Runenalphabet FUThARK abgebildet ist, kein zuordenbares Wort.
Fehu - Uruz - Thurisaz - Ansuz - Raidho - Kenaz - Gebo - Wunjo Hagalaz - Naudhiz - Isa- Jera - Eihwaz- Perthro - Elhaz - Sowilo - ] Tiwaz - Berkano - Ehwaz - Mannaz - [Laguz - Ingwaz] - Dagaz - Othala [
Was diesen Rinderknochen jetzt "slawisch" macht, ist seine Vergesellschaftung mit Keramik des Prager Typs, die als "slawisch" angesprochen wird.
 
Das lässt viel Raum für Spekulation.
Nutzen die Slawen in Mähren germanische Runen?
Gab es dort Germanen, die den Slawen die Runen vermittelt haben.
nett ist diese Spekulation:
Vermutlich Schreibübung
Letzteres wäre allerdings der einzige Fall von Kenntnis und Gebrauch germanischer Runen durch nichtgermanische Personen in älterer Zeit, betonte Nedoma. Für den Experten wirft der Runenknochen von Brečlav jedenfalls „neues Licht auf die frühmittelalterlichen Kulturkontakte zwischen Germanen und Slawen in Südmähren und Niederösterreich“.

Die Wissenschaftler vermuten, dass ursprünglich auf der unversehrten Rinderrippe auch die der Runen-Reihe vorangehenden Schriftzeichen des älteren Futhark eingeritzt waren und eine vollständige Zeichenreihe beabsichtigt war. Daher gehen sie am ehesten von einer Schreibübung aus, wollen aber magische Zwecke nicht ganz ausschließen.
Runeninschrift ältestes slawisches Schriftdokument
...da wären quasi die Hausaufgaben überliefert worden :D
 
Die Inschrift an sich erscheint mir im Vergleich nicht auffälig. Die meisten Runeninschriften dieser Epoche enthalten sind scheinbar inhaltsleer und enthalten vielleicht Schreibfehler. Selbst Inschriften auf goldenen Schmuckstücken wirken wie die ersten Schreibversuche von ABC-Schützen. Bekanntlich gibt es diesen Kamm mit der Inschrift "Kamm" und den Schemel mit der Inschrift "Schemel" sowie diverse Objekte, in die einfach nur das Alphabet. Es liest sich wie der Triumph eines Kindes, das über das Funktionieren der Schrift und über die eigene Schreibfähigkeit verblüfft ist. Das ist jedenfalls mein subjektiver Eindruck. Tatsächlich handelte es sich bei den Runeninschriften um das Projekt einer Elite, dafür spricht jedenfalls, dass sie oft in Luxusgegenstände geritzt wurden.

Die erhaltenen Runeninschriften der Völkerwanderungszeit sind in der Regel in Gebrauchsgegenstände und Schmuckstsücke von teils erheblichen Wert eingeritzt.
Die wert- und funktionslose Rinderrippe als Inschriftträger ist daher absolut ungewöhnlich.
Im Grunde hat da jemand Runen auf ein Stück Abfall geschrieben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die wert- und funktionslose Rinderrippe als Inschriftträger ist daher absolut ungewöhnlich.
Im Grunde hat da jemand Runen auf ein Stück Abfall geschrieben.

Oder ein Stück Rohstoff?
In Spanien hat man bisher mindestens zwei Schulterblätter mit nicht In- sondern Aufschriften gefunden.
Knochen wurden verarbeitet. Teilweise gab es sogar spezialisierte „Betriebe“, die Knochen verarbeiteten, Werkstätten, die z.B. Kämme aus Knochen herstellten. Oder Griffe für Klingenwerkzeuge.
 
Wollte vielleicht ein gefangener Runenkundiger oder ein Händler in der Fremde die Runen vorführen? Wurde er vielleicht sogar gezwungen? Es sind Dutzende Szenarien denkbar, wie Runen in eine fremde Umgebung gelangen und auch, wie sie auf den Knochen geraten sind: Abwendung einer Tierseuche, Zwang, sicherer Rückweg nach Rinderraub, ... Runen wurden ja auch für Erfolg geritzt.

Eine römische Münze in Mali macht noch keine Provinz südlich der Sahara.
 
scheinbar inhaltsleer
@Maglor wenn ich mich richtig erinnere, wird bei Bierbrauer zu Inschriften auf Brakteaten erklärt, dass es auch rein ornamentale "Inschriften" gab: sowohl lat. Buchstaben als auch Runen ohne irgendeinen erkennbaren inhaltlichen Sinn, aber halt dekorativ :) des Weiteren besteht (laut Bierbrauer) auch die Möglichkeit, dass manche Zeichenhäufungen bei Runeninschriften magische Funktion gehabt haben können (Schadenszauber, Abwehrzauber) auf jeden Fall sind jene Runeninschriften, die einfach nur quasi das "Abc" der Runenfolge - Futhark - notieren, irgendwie seltsam.

Das Material kann von wertvollem Schmuck (Brakteaten, Fibeln/Spangen, Ringe etc) über Waffen bis hin zu Alltgagsgegenständen und einfach nur Gedenksteinen reichen - was aber den speziellen Fund hier betrifft, der in slaw. Kontext gestellt wird (evtl. Reich des Samo), und der auf Knochen, also keinem besonders "edlen" Material ist: waren die ältesten glagolithischen slaw. Inschriften nicht auf Birkenrinde oder so ähnlich?

@El Quijote die Idee mit der Aufschrift (als Markierung) ist eigentlich plausibel, aber warum ausgerechnet mit dem runischen Alphabet?
 
Oder ein Stück Rohstoff?
In Spanien hat man bisher mindestens zwei Schulterblätter mit nicht In- sondern Aufschriften gefunden.
Knochen wurden verarbeitet. Teilweise gab es sogar spezialisierte „Betriebe“, die Knochen verarbeiteten, Werkstätten, die z.B. Kämme aus Knochen herstellten. Oder Griffe für Klingenwerkzeuge.
Die Rinderippe ist dafür aber nicht zu gebrauchen. Dieser Knochen ist einfach zu dünn. Allenfalls bestimmte besonders dickwandige Knochen sehr alter Rinder sind wirklich verwendbar.
Walrippen wurden jedoch gelegentlich verarbeitet.
Am häufigsten nutzten frühmittelalterliche Beinschnitzer Geweihe von Hirsch oder Elc zur Herstellung von Kämme, Nadeln u.a. (Viele Objekte wurden jedoch nie ausreichend untersucht.)
Heutige Kunsthandwerker greifen mitunter auch Kamelknochen zurück, weil Kamele sehr dickwandige Knochen haben.

Die Rinderrippe kann höchstens noch als Rohstoff für Knochenleim oder Suppe gelten.
 
@El Quijote die Idee mit der Aufschrift (als Markierung) ist eigentlich plausibel, aber warum ausgerechnet mit dem runischen Alphabet?

Ich glaube, wir reden aneinander vorbei. Ich halte das hier nicht für eine Markierung. Mein Verweis auf die spanischen Funde (Ausschnitte aus Qur’ān-Suren) war mehr auf den Schreibuntergrund bezogen. Hier sind es Ritzungen, also Inschriften, dort Tintenaufschriften.

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Hier noch ein Beitrag von Felix Biermann, 2008:

Das gilt auch für eine auffällige Knochennadel (Typ 9 nach G. Schwarz-Mackensen) aus Ralswiek, die eine schriftartige Verzierung auf dem verbreiterten Ende zeigt und für die daher eine vorderasiatische Provenienz erwogen wurde. Skepsis gegenüber der Stilus-Funktion ist deshalb angebracht, weil die zugehörigen Wachstafeln in den zeitgleichen slawischen Fundschichten gänzlich fehlen. Es mangelt vor dem 12. Jahrhundert auch an sonstigen Hinweisen auf eine ausgeprägte Schriftkultur im hier behandelten Raum. Aus archäologischer Perspektive ist allenfalls auf eine Anzahl beschrifteter Rippenbruchstücke, so genannte „Runenknochen“, von Alt Lübeck, Oldenburg, Wolin, Ralswiek und Kamień Pomorski zu verweisen, die aber deutliche skandinavische Bezüge aufweisen.

Felix Biermann: Die Knochen- und Geweihbearbeitung im nordwestslawischen Siedlungsgebiet vom 7./8. bis 12. Jahrhundert n. Chr. In: Archäologie und mittelalterliches Handwerk – Eine Standortbestimmung (herausgegeben von der Stadtarchäologie Soest).
Natürlich ist das Abodritengebiet nicht das der Prager Kultur. Nicht dass das so verstanden wird, dass ich dieses und jenes Gebiet gleichsetzen wollte, nur weil es sich bei beiden Gebieten um slawischsprachig dominierte Gebiete handelt. (Deshalb habe ich den Bezug nach Skandinavien im Bezug nicht gehighlightet.
 
Die Rippenbruchstücke mit Runeninschrift aus dem wikingerzeitlichen Abodritengebiet gleichen im Detail dem völkenderwanderungszeitlichem Stück aus Břeclav - trotz weitem zeitlichen und geografischen Unterschiedes.
Hier wie dort hat sich jemand auf Rippenbruchstücken mit mehr oder weniger belanglosen Runeninschriften verewigt. Beide Gebiete sind Kontaktzonen zwischen Slawen und Germanen im weitesten Sinne. Die Mährer waren im Kontakt mit den Langobarden, die Abodriten im Kontakt mit den Dänen.

In meiner Phantasievorstellung steckt dahinter ein reisender Dänen bzw. Langobarde oder ein Slawe, der die Runen auf Reisen zu den Dänen oder Langobarden kennengelernt hat. Dieser Reisende ist nun zu Gast bei den Slawen, die die Runen und die Idee der Schrift an sich noch nicht verstanden haben. Während eines Festmahls nahm dieser Reisender einen Rippenknochen vom Teller und demonstrierte dem staunenden Publikum spontan seine Fähigkeiten und das Wunder der Schrift, indem er ein paar Runenzeichen in die weichgekochte Rippe ritzte. Die Slawen staunen über seine Fähigkeiten und die Schrift oder wundern sich nur, warum der Gast mit dem Essen spielt.

Es kann natürlich auch ganz anders gewesen sein.

Dass solche Rippenbruchstücke mit Runen anscheinend nur im slawischen Siedlungsgebiet auftauchen, kann auch ein merkwürdiger Zufall sein.

Ich gehe aber fest davon aus, dass phatische Botschaften bei diesen Runeninschriften im Vordergrund stehen - so etwas wie "ich kann schreiben" oder "ich war hier". Mehr wollte der "Runenmeister" nicht mitteilen.
 
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