Satirezeitschriften

Ugh Valencia

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Ab den 1840ern entstanden eine Reihe von Satirezeitschriften in Deutschland, die auch während des Kaiserreiches und der Weimarer Republik publizierten und oft erst unter den Nationalsozialisten ihre Auflagen einstellen mussten. Es sind erstaunlich viele Publikationen in Archiven erhalten geblieben. Ich finde diese Satirezeitschriften sehr interessant, weil sie einen anderen Blick auf die damals aktuellen Ereignisse werfen, jenseits der seriösen Presse oder diplomatischen Dokumentensammlungen. Es tauchen ja auch öfter "Schülerfragen" zu der einen oder anderen Karrikatur hier im Forum auf.

Ich möchte versuchen, eine grobe Übersicht der Satirezeitschriften der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts zu geben, über deren politischen Hintergrund und möglichst auch einen Link zu erhaltenen Archiven.

1.) Der Kladderadatsch
Der Kladderadatsch erschien erstmals am 07.05.1848. Herausgeber war der gelernte Kaufmann David Kalisch, der aber ab den 1840ern seinen Beruf an den Nagel hing, um Schriftsteller zu werden und einige Komödien veröffentlichte. Der Kladderadatsch erschien wöchentlich. Nach Kalischs Tod 1872 wurde das Blatt zusehends konservativer, bzw. nationalliberaler und unterstützte Bismarck. Nach dem 1. Weltkrieg wurde es von Hugo Stinnes aufgekauft und vertrat dann auch nationalsozialistische und antisemitische Positionen. Der Gründer David Kalisch hatte einen jüdischen Vater. Im Jahr 1944 musste die Zeitschrift "im Zuge des totalen Krieges" seine Auflage einstellen.

Die österreichische Nationalbibliothek hat einige digitalisierte Ausgaben der Jahre 1852 bis 1876.

2.) Der wahre Jakob
Der wahre Jakob wurde 1879 in Hamburg gegründet. Die Herausgeber waren Wilhelm Blos, der vorher in sozialdemokratischen Zeitungen wie dem Hamburg-Altonaer Volksblatt als Journalist gearbeitet hatte und der Verleger J.H.W. Dietz. Aufgrund des Sozialistengesetzes musste Blos die Arbeit in diesen Zeitungen einstellen. Blos und Dietz wurden aus Hamburg ausgewiesen und nach 12 monatlichen Ausgaben musste Der wahre Jakob auf weitere Publikationen verzichten.
Erst im Jahr 1884 erschien Der wahre Jakob im monatlichen Rhythmus wieder - diesmal von Stuttgart aus. Alle Ausgaben der Zeitschrift wurden in dieser Zeit polizeilich überwacht. Es reichte aber nie für eine Anklage aufgrund des Sozialistengesetzes, das 1890 aufgehoben wurde. Dennoch wurde die Zeitschrift auch danach weiter staatlich beobachtet, aber nie verboten. Neben satirischen Texten und Karrikaturen erschienen auch seriöse Artikel.
Nach dem 1. Weltkrieg setzte das Blatt seine Arbeit fort. Zwischen 1923-27 musste die Veröffentlichung aus finanziellen Problemen eingestellt werden. 1933 wurde die Zeitschrift von den Nazis verboten.

Die kompletten Jahrgänge 1884-1933 sind digitalisiert abrufbar.

3.) Der Simplicissimus
Die erste Ausgabe des Simplicissimus erschien am 04. April 1896. Anfangs sah sich das in München aufgelegte Blatt eher als "illustrierte Literaturrevue", was sich jedoch rasch änderte. Bereits die 4. Ausgabe wurde verboten, weil sie Gedichte von Georg Herwegh, einem Begründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, abdruckte. Zwei Jahre später wurde die sogenannte "Palästina-Ausgabe", die sich über die Reise Kaiser Wilhelms II. in den Nahen Osten lustig machte, beschlagnahmt. Es folgte ein Prozess wegen Majestätsbeleidigung. Zwei Redakteure mussten Haftstrafen absitzen, einer emigrierte. Die folgende Ausgabe gelangte gar nicht erst in den Verkauf, sondern wurde vorsorglich beschlagnahmt. Aber gerade diese Auseinandersetzungen mit dem Kadi steigerten die Auflage enorm. Bis zum Beginn des 1.Weltkrieges kritisierte das Blatt den wilhelminischen Militarismus, um dann ab August 1914 im Zuge des Burgfriedens auf ein "patriotisches" Programm umzuschwenken.
Nach dem 1. Weltkrieg setzte das Blatt anfangs weiter auf nationalistische Witze. Im Laufe der 20er wurde es jedoch gemäßigter. Ab 1929 schrieben u.a. Erich Kästner und Joachim Ringelnatz für das Blatt. Hitler wurde aufs Korn genommen.
Nach der Machtergreifung verwüstete die SA im März 1933 die Redaktionsräume. Die Verleger wurden gezwungen zukünftig nur noch regimetreu zu veröffentlichen. Einige Redakteure emigrierten nach Prag und veröffentlichten 1934/35 eine eigene Ausgabe "Simplicus". Bis 1944 erschien eine harmlose, angepasste Version des Simplicissimus in Deutschland. Danach wurde die Auflage eingestellt.

Die kompletten Jahrgänge 1896-1944 sind digitalisiert abrufbar.

4.) Ulk
Ulk war eine Gratisbeilage des Berliner Tageblatts und später auch der Berliner Volks-Zeitung, das donnerstags von 1872 bis 1922 beigefügt wurde. Von 1922 bis 1932 erschien das Blatt als eigenen Publikation. Ulk steht für "Unsinn, Leichtsinn, Kneipsinn". Anfangs beteiligte sich Ulk mit anti-katholischen Publikationen am Kulturkampf. Weniger regierungs- und kaiserfreundlich wurde es 1907 als Kurt Tucholksy bereits als 17jähriger bei diesem Blatt tätig wurde. Er wurde von 1918-20 Chefredakteur des Ulk. Tucholsky schied jedoch von diesem Posten aus, weil der Chefredakteuer des Berliner Tageblattes Theodor Wulf versuchte, Ulk im Sinne der DDP (Deutschen Demokratischen Partei) zu instrumentalisieren.
Die Querelen zwischen Ulk und des Mosse-Verlages, der das Berliner Tageblatt veröffentlichte, bestimmten die 20er Jahre. Der Mosse-Konzern ging 1932 in den Konkurs und Ulk wurde daraufhin eingestellt.

Die Ulk Ausgaben des Jahres 1901 und 1914-33 sind als pdf bei der Uni Heidelberg abrufbar.

5.) Die Fliegenden Blätter
Die Fliegenden Blätter erschienen von 1845-1944. U.a. zeichneten sie sich durch eine satirische Darstellung des deutschen Bürgertums aus. Die Zeitschrift kreirte die Figuren Biedermann und Bummelmaier. Daraus wurde dann Biedermeier, was wohl rückblickend den Namen einer ganzen Epoche prägte.

Die gesamten Ausgaben der Fliegenden Blätter hat die Uni Heidelberg als pdf parat.

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Es ist schon spät für mich heute. Freue mich auf Rückmeldung. Bitte ergänzt und korrigiert meine Ansätze.
 
Dringend zu erwähnen ist Friedrich Stoltzes "Frankfurter Latern"
Danke für den Hinweis.

6. Die Frankfurter Latern
Die Frankfurter Latern erschien von 1860 bis 1893. Herausgeber waren Friedrich Stoltze und Ernst Schalck. Nach Schalcks Tod 1865 benannte Stoltze Die Frankfurter Latern in "Friedruch Stoltze's Frankfurter Latern" um und setzte die alte fortlaufende Nummerieung aus. Es gab eine neue Erstausgabe, die Zählung begann von vorn.
Die Zeitschrift legte eine sehr preußen-kritische Haltung an den Tag. In Preußen verhängte Geld- und Haftstrafen konnten in der bis 1866 freien Stadt Frankfurt nicht durchgesetzt werden.
Nach der preußischen Annexion Frankfurts im Zuge des Deutsch-Deutschen Kriegs 1866 musste Stoltze in die Schweiz fliehen. Nach einer Amnestie kehrte er zurück, konnte aber bis 1871 nur einzelne Ausgaben veröffentlichen. Einige Ausgaben wurde von der Zensur kassiert.
Ab 1872 erschien die Frankfurter Lantern regelmässig einmal die Woche. Nach Stotzes Tod 1891 veröffentlichte seine Tochter noch bis 1893 weiter. Die letzte Ausgabe kam im März 1893 heraus.

Die gesamten Ausgaben gibt es als nicht gerade günstigen Nachdruck oder digitalisiert bei der Goethe-Uni Frankfurt.
 
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