Schlechte Geschichtsbücher

Mummius Picius

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Ich meine hier weder Belletristik wie die Erweckungsliteratur à la "Die letzten Tage von Pompeji" oder Serienware wie "Die Chronik Kölns". Erstere erhebt erst gar nicht den Anspruch, wissenschaftlich zu sein, letztere riecht zu sehr nach dem Schweiß übermüdeter Gruppen, die unter Zeit- und Erfolgsdruck den Band (egal wie, aber mit Bildern) zusammenhaspeln müssen.

Nein, ich meine Bücher, die einfach schlecht geschrieben sind, eine tendenzielle Geisteshaltung erkennen lassen, denen das Veraltetsein anhaftet wie Fußgeruch (Mommsen kann man immer noch lesen!) und denen kein freundliches Schicksal das Vergessenwerden oder einfach talentierte Nachfolger mit besseren Schreibkünsten angedeihen ließ.

Wir alle haben solche Bücher im Regal, Bücher, über die man sich ärgert, die aber trotzdem bleiben müssen weil man sich ja nicht alle Nase lang wieder mit dem Neuesten des Neuen eindecken kann.

Bei mir liegt derzeit Joseph Vogts "Constantin der Große und sein Jahrhundert" in der Gegend herum, und ich mag es nicht. Der Mann macht keinen Hehl daraus, dass er den Siegeszug des (katholischen) Christentums für eine tolle Sache und Constantin für einen tollen Kerl hielt; das zeigt er durch Parteinahme und ausbleibende Reflektion, nicht etwa durch Begeisterung. Die Sprache ist träge und altväterlich, oft finden wir Begriffe wie "Wesen" (… des Germanentums z. B.), die ein fahles Licht auf die Entstehungszeit des Buches werfen (1942-1949). Brumm. Empfehlen kann ich's nicht.

Freunde/innen, Römer/innen, Mitbürger/innen, vor welchen Büchern könnt ihr warnen?
 
Mummius Picius schrieb:
Freunde/innen, Römer/innen, Mitbürger/innen, vor welchen Büchern könnt ihr warnen?

Ich stöbere gern im Index Librorum Prohibitorum, wer da aufgeführt ist und mich anmacht, ist lesenswert.
 
Einer der Klassiker in dieser Hinsicht ist wohl "Operation Barbarossa" von Paul Carell - und ein einflussreicher dazu. Ich muss selbst zugeben, dass ich - als ich begann, mich für den Zweiten Weltkrieg zu interessieren - das Buch wegen seiner vorgeblichen Detailfülle schätzte.
Tatsächlich trug Paul Carell darin auf sehr subtile Weise zur Entwicklung der Präventivkriegslegende bei. Dazu kommen immer wieder romanhafte Schlachtenszenen um heldenhafte Soldaten und Offiziere, so eine Art Landserheftchen im Quadrat. Gleichzeitig wird das Bild der "sauberen Wehrmacht" gepflegt, von Einsatzgruppen etc. ist hier nichts zu lesen (und das, obwohl es schon irgendwie den Anspruch einer Gesamtdarstellung erhebt). Und merkwürdigerweise scheint Carell gerade dann Sympathien für den Kriegsgegner zu finden, wenn er die bedingungslose Härte der russischen Truppen schildert. Noch schwächer ist der Nachfolger "Verbrannte Erde", der den Verlauf der Kämpfe an der Ostfront 1943/44 schildert. Carell konzentriert sich hier völlig auf die wenigen deutschen Offensivoperationen und Rückzugserfolge (Tscherkassy etc.), während z.B. der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte unverhältnismäßig knapp abgehandelt wird, so dass ein sehr selektives Bild der Kämpfe entsteht.
 
Naja, als Pressesprecher von NS-Außenminister Ribbentrop wußte Paul Carell (Paul Karl Schmidt, SS-Obersturmbannführer) halt, wie man schreibt ...
 
Papa_Leo schrieb:
Naja, als Pressesprecher von NS-Außenminister Ribbentrop wußte Paul Carell (Paul Karl Schmidt, SS-Obersturmbannführer) halt, wie man schreibt ...

Ich habe auch die Bücher Carells gelesen und muss sagen: Er hat einen erschreckend guten Schreibstil, in den er geschickt seine Landser-Propaganda einbaut.
Ich glaube, dass er Bücher dieser Art auch nur in den 50er und 60er Jahren mit einem so großen Erfolg verkaufen konnte, in einer Zeit, als es noch viele Gleichgesinnte der Erlebnisgeneration gegeben hat. Heute wäre er untragbar.

Carell war übrigens ein Alt-Nazi, der schon 2 Jahre vor Hitlers Machtergreifung in die NSdAP eingetreten ist, 1938 in die SS.
Und Obersturmbannführer ist auch nicht Unbedeutendes, das entspricht immerhin dem militärischen Dienstgrad eines Oberstleutnants.

Jacobum
 
Ein weniger problematisches Buch, aber mit vielen historischen und geographischen Fehlern ist Maria Rosa Menocals Die Palme im Westen. Der Titel klingt zwar nach Roman, es ist aber ein Sachbuch, die Autorin ist Hispanistin in Harvard und das Buch basiert auf einer ganz interessanten Idee, es soll eine Geschichte al-Andalus' und seiner Nachwirkungen, besonders literaturgeschichtlich, sein. Leider - wie erwähnt - strotzt das Buch von Fehlern und auch Widersprüchen. Das Lektorat des Kindler-Verlages erhielt daher von mir auch eine lange mail *Pedant bin*. Aber da das Buch nur eine Übersetzung aus dem Englischen ist, ist der Galueb an eine Überarbeitung wohl nur Illusion.
 
Mit dem "schlecht" als Charakteristika tue ich mich zugegebenermaßen etwas schwer, aber zumindest zu einem angesprochenen Punkt habe ich ein Beispiel...

Mummius Picius schrieb:
... ich meine Bücher, ... denen das Veraltetsein anhaftet wie Fußgeruch (Mommsen kann man immer noch lesen!) und denen kein freundliches Schicksal das Vergessenwerden oder einfach talentierte Nachfolger mit besseren Schreibkünsten angedeihen ließ.

In den letzten Jahren erfreuen sich die Werke des Otto Henne am Rhyn reichlicher Neuauflagen.
Es handelt sich um Nachdrucke - sog. Reprints - seiner Werke, wie z.B. Geschichte des Rittertums, Kreuzzüge, ...
Der Mann hat verschiedene solcher Bücher geschrieben, jedoch original um 1900 - und das merkt man ihnen an.
Zum Beispiel charakterisiert er in Kreuzzüge folgende Personen so:

Henne am Rhyn schrieb:
... Graf Raimund von Tripolis, später auch Regent von Jerusalem, verhandelte mit ihm (Saladin - Anm. von mir) und wurde wiederholt zum Verräter, während der tapfere, aber rohe Rainald de Chatillon, Regent von Antiochia, durch seine Hitzköpfigkeit mehr Schaden als Nutzen stiftete...
... Der Verräter Raimund öffnete den Feinden den Zugang in das Land...
... Rainald von Salaheddin in dessen Zelt wehrlos niedergehauen...

Das Kuriose dabei ist, daß diesbezüglich ein zeitgleiches Werk (Bernhard Kugler "Geschichte der Kreuzzüge") mehr überzeugen kann und zudem spätestens seit Steven Runcimans "Geschichte der Kreuzzüge" eine deutlich höhere Qualität der Fachliteratur zu den Kreuzzügen erreicht wurde.

Mummius Picius schrieb:
Wir alle haben solche Bücher im Regal, Bücher, über die man sich ärgert, die aber trotzdem bleiben müssen weil man sich ja nicht alle Nase lang wieder mit dem Neuesten des Neuen eindecken kann.

Ich habe das Reprint seines Werkes Kreuzzüge im letzten Jahr geschenkt bekommen, und ich sehe es eigentlich eher als bereichernd - nämlich dahingehend, wie seinerzeit die Historiker solche Themen behandelten. Allerdings muß ich unbedingt hinzufügen, daß ich da auch über neuere und bessere Bücher verfüge, so daß ich mich nicht allzu sehr ärgern muß...

Mummius Picius schrieb:
... vor welchen Büchern könnt ihr warnen?

Warnen i.d.S. würde ich vor den Werken dieses Mannes nicht unbedingt, aber doch zur Vorsicht raten: auch wenn man in ihnen das eine oder andere Detail entdecken kann, bedeutet unreflektiertes Lesen einen Rückschritt in längst überholte Historikersichtweisen. Diese Bücher sind eher etwas für Liebhaber alter Fachliteratur.
 
Zuletzt bearbeitet:
Papa_Leo schrieb:
Naja, als Pressesprecher von NS-Außenminister Ribbentrop wußte Paul Carell (Paul Karl Schmidt, SS-Obersturmbannführer) halt, wie man schreibt ...

Deshalb durfte er auch erleben, dass der SPIEGEL sein Unternehmen Barbarossa lobte. Er war ja auch freier Mitarbeiter des Magazins, der projektbezogen tätig war (entnehme ich der SZ von heute).
 
Wo wir beim Thema sind: die ganzen Piekalkiewicz-Bücher zum Zweiten Weltkrieg finde ich eigentlich auch nicht so prall (Luftkrieg, Krieg der Panzer etc.). Er hat ja immer das Konzept: erst Quellenschnipsel, dann Analyse/Beschreibung - aber beides wirkt irgendwie halbherzig gemacht. Wobei mich besonders die erst genannten Schnipsel stören - dabei handelt es sich fast immer um journalistische Quellen (Agenturmeldungen etc.) und es wird oft nicht klar, nach welchen Kriterien er auswählt. Daneben sind die Register regelmäßig sehr schlecht - das stellt bei diesen eher nüchternen, nach Art eines Kompendiums gehaltenen Werken eindeutig ein Manko da.
Richtig schlecht finde ich sie auch nicht, aber sie wirken recht oberflächlich.
 
Ich vermute – und El Quijote schrieb es – , dass es hier um Sachbücher geht.

Nein, ich meine Bücher, die einfach schlecht geschrieben sind, eine tendenzielle Geisteshaltung erkennen lassen, denen das Veraltetsein anhaftet wie Fußgeruch (Mommsen kann man immer noch lesen!) und denen kein freundliches Schicksal das Vergessenwerden oder einfach talentierte Nachfolger mit besseren Schreibkünsten angedeihen ließ.

Nun, ich habe noch nicht viel Geschichtsliteratur gelesen (zumindest nicht über verschiedene Epochen), aber mir kommt das bekannt vor ;) . Es gibt tendenziöse Sachbücher, oberflächliche Sachbücher, schlecht geschriebene Sachbücher – aber auch lesenswerte. Es gibt schlecht recherchierte historische Romane, schlecht geschriebene historische Romane... oft findet man beides in einem ... Aber mancher historischer Roman ist auch eine erfreuliche Ergänzung, wenn man sich lesend in die Vergangenheit vertieft. Nicht zu vergessen: auch Fachautoren sind mitunter tendenziös und vertreten konträre Ansichten (Ich finde aber so manchen Expertenstreit, der in Fachbüchern mit anklingt, ebenso interessant wie amüsant.)
Ich lese meist ein paar Rezensionen, ehe ich ein Buch kaufe, allerdings schützt das auch nicht immer vor unangenehmen Überraschungen. Eher hilft dann schon ein kurzes Einlesen in der Buchhandlung und der Bücherei.
Ich finde – um ein Beispiel zu bringen – Fachbücher von Werner Eck mit den darin enthaltenen Fakten hochinteressant, und ich brauche weder einen „lockeren“ noch krampfhaft originalitätsheischenden Stil, der mir diese Fakten mundgerecht präsentiert. Oder, aufs Fernsehen bezogen: keinen Kommentator, der mit theatralischen Gesten und pathetischen Ausdrücken die Dinge „interessant“ machen will – so was ist dann eher ein Grund für mich, die eine oder andere Sendung nicht anzusehen. Aber ich befürchte allmählich, dass die Masse der Zuschauer bzw. Leser anderer Meinung ist.
Ich möchte aber auf ältere Geschichtsbücher, die sowohl dem Wissensstand nach als auch hinsichtlich der Herangehensweise veraltet sind, nicht ganz verzichten. Beispiel:
Wilhelm Weber war Wissenschaftler, und was er schrieb, ist mit Vorsicht zu genießen. Konkret: „Rom – Herrschertum und Reich im zweiten Jahrhundert“.
Ein Sachbuch voller (aus heutiger Sicht) schwülstiger Entgleisungen und tendenziöser, teils gewalttätiger Formulierungen. Hier eine Kostprobe (welche historische Persönlichkeit da beschrieben wird, lasse ich offen):
„Er verstand die Römer, seitdem er sich energisch in sie vertieft hatte, traf ihre geheimsten und stärksten Instinkte, beruhigte sie. Aber er war kein Römer. Er kannte und liebte die Griechen, überschüttete sie mit tausend Beweisen seiner herrscherlichen Gnade, erhob sie höher als selbst die Römer. Aber er war kein Grieche. Er zwang sie alle an sich aus der Vielfalt der Kräfte seines Wesens, das den Menschen so fremd blieb wie seine Erscheinung, die aus zahllosen Bildern uns gegenwärtig ist. Seine ragende, gedrungene Gestalt strahlt Wucht und Gelassenheit aus, unnahbare Würde und Majestät. Auf dem breiten, starken Hals lastet ein mächtiger Schädel,; üppiges Haar umwogt ihn in künstlich geordneten Locken, die über steilen Schläfen und hoher Stirn unruhig sich aufbäumen, und das Flockengewirr des Bartes umspielt sein volles Gesicht...)
(Die Beschreibung geht noch weiter, aber es widerstrebt mir, weiter abzutippen. - Wilhelm Weber: Rom, Herrschertum und Reich im zweiten Jahrhundert, S. 149)
Weber war ein Kenner dieser Zeit, und vieles, was er an Faktenwissen festhielt, hat heute noch Gültigkeit. Auch einige seiner Hypothesen sind für mich interessant. Und ich muss sagen, dass ich seinen Mut zum üppigen Stil im Sachbuch auch bewundere, obwohl es für meinen Geschmack meist zu viel des Guten ist. Es ist ein Kreuz mit der Literatur: Man kommt in keinem Fall um kritisches Lesen herum. Ich finde es interessant, mich (auch) mit veralteter Geschichtsbetrachtung auseinanderzusetzen, und so manches Buch kann in diesem Sinne als Warnung oder schlechtes Beispiel dienen.
 
Liebe Marcia, ich habe gar nichts gegen gute alte Bücher. Davon gibt es auch viele. Trotz aller Überholtheit im Detail steht Mommsens Werk wie ein Fels, und er ist nur ein Beispiel.
Ich habe auch gar nichts gegen Pedanten und Kleinkrämer, wenn sie umfassend klein kramen; leider tendieren sie dazu, nur en detail das zu behandeln, was einer globalen Sicht bedarf. Wohlgemerkt, ich erwarte keine globale Sicht von einem Buch, das sich nur mit z. B. der römischen Flotte beschäftigt; ich erwarte Berichte über die Flotte. Wenn der schreibende Seemann sich in Fachausdrücken ergeht und Sprüche wie "Z vor und ran!" kloppt, das Buch aber ansonsten gut ist, soll mir's recht sein.

Ich finde es aber schön, dass du auch in einem deutlich negative Eindrücke fordernden Strang (thread) das Gute suchst und verteidigst.
 
Vermutlich war mein auf die Antike bezogenes Beispiel kein gutes.
Für globale Sicht(weisen) - was für ein Begriff(s-ungeheuer!) bin ich weder kompetent, noch zuständig.;)
 
Ein Versuch, zur Sachlichkeit zurückzukehren:
Hier noch ein Link zu Wilhelm Weber, der vielleicht besser verdeutlicht, warum ich ihn hier erwähnt habe.
http://www.catalogus-professorum-halensis.de/weberwilhelm.html
Veraltete Geschichtsauffassung und psychologische Faktoren treffen zumindest im von mir genannten Buch zusammen. Seine „Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Hadrianus“ sind sachlicher.
In Punkto Herrscher-Glorifizierung hat ihn aber ein Romanautor der neueren Zeit teilweise übertroffen. (Dazu vielleicht später in einem gesonderten Ordner.)
Ich (und sicher nicht nur ich – es klingt ja in vielen Debatten immer wieder an) halte es für wichtig, eine möglichst objektive, von persönlichen Vorlieben und Ressentiments weitgehend freie Geschichtsbetrachtung wenigstens anzustreben. Das ist natürlich leichter gesagt als getan – wir sind schließlich Menschen, keine Androiden.
Das Einfordern globaler Sicht schien mir etwas hochgegriffen, der Begriff hat mich in seiner Dimension erschreckt. Es ist aber sehr gut möglich, dass ich mich irre.
Es geht mir auch nicht darum, das Gute zu suchen und zu verteidigen – ich würde es nicht einmal definieren wollen.
 
Stimmt, hier habe ich mich begrifflich verstiegen. "Globalität" ist, wenn man es auf den Erdkreis bezieht, ein wirklich unglaublich übersteigerter Anspruch; ich benutze ihn gern (und vermutlich falsch) für eine Sichtweise "von allen Seiten", wobei natürlich "alle" durch "so viele wie möglich" ersetzt werden kann.
Ich glaube, die wichtigste Errungenschaft in der Geschichtsschreibung nach dem 2. Weltkrieg ist die Ideologiefreiheit – die Abkehr von der uralten Sitte, alles bisher Geschehene in einer ideologisch begründeten, "logischen" Hinentwicklung auf jetzige oder unmittelbar bevorstehende Verhältnisse und Ereignisse zu sehen. Möglich, dass ich mich hier wieder irre; schließlich bemerkt man ja den seltsamen "Eigengeruch" einer nicht-offiziellen ideologischen Prägung* erst im Abstand einiger Jahrzehnte, nicht, solange man sich noch in eben diesen Zeiten bewegt (das ist so ähnlich wie mit der Mode, erst durch die Persiflage in Retro-Stilen bemerkt man die komischen Verschnörkelungen vergangener Zeiten).

Es liegt mir viel daran, von dir nicht missverstanden zu werden, dafür schätze ich deine klugen und fundierten Beiträge viel zu sehr.

*So haftet z. B. der Mehrheit aller Werke der frühen 1980er Jahre eine gewisse Endzeitstimmung an; Atomkraft, drohender Atomkrieg, strukturelle Wirtschaftskrisen und Umweltzerstörung führten zur Entwicklung einer Gegenkultur, die sich in der "Normalkultur" wiederspiegelte.
 
Das ist wieder sehr interessant, was du hier schreibst, ich habe, meine ich, alles verstanden und denke, dass du Recht hast.
Für dein (kommentarbezogenes) Kompliment danke ich dir und gebe es gern zurück: Ich schätze deine Beiträge ebenfalls sehr und genau deswegen diskutiere ich hin und wieder gern mit dir – es hält sich ohnehin in Grenzen, weil ich wirklich nicht viel weiß.
Normalerweise bin ich, wenn sich Netzmissverständnisse anbahnen, doppelt vorsichtig, aber zu diesem hier kam es (für mich) zu plötzlich, wahrscheinlich war ich auch nicht achtsam genug. Werde zukünftig sehr vorsichtig sein.
 
Ich könnte noch Gisbert Haefs und seine Reihe über Karthago anführen.
Gut es sind Romane, aber geschichtlich derart mies aufgebaut das mir mein
Lieblingsvolk der Antike echt vermiest wird.

Er lässt Karthago als eine Art Urdemokratie entstehen, dann erfindet in dem Buch Hannibal noch mal schnell einer das Bankwesen, mitsamt den damals noch völlig unbekannten Problem der Inflation und seinen Auswirkungen hat er sofort die Lösung parat. Er suhlt sich seitenlang in der Beschreibung von irgendwelchen Folterszenen wo einem schon als Leser der Gedanke beschleicht ob er da nicht irgendwelche Probleme hat. Was er völlig ausser acht lässt sind die unterschiedlichen Sprachen die bereits damal die einzelnen Völker sprachen, bei ihm reden alle Völker die gleiche Sprache (leider steht nirgendwo welche). Als nächster Fehler fällt eindeutig seine mehr als schlechte (oder besser nicht vorhandene) Recherche des Geschichtsmaterials auf. Er scheint aus den Worten Karthago, Rom, Hannibal, Mittelmeer und Elefanten ein paar Romane zu zimmern ohne sich irgendwie um die Hintergründe/ Zeitrahmen oder Jahreszahlen zu kümmern. Ganz gut kann man das bei seiner Belagerung von Saguntum durch Hannibal zu sehen. Da wird die Stadtbevölkerung und die Beute bereits verkauft noch ehe die Belagerung vorbei ist. Und zwar an dazu eigens herbeigereiste weibliche !!! griechische Händler. Dann lässt er seinen Romanhelden (diesen Bankier halt) nach Britannien fahren und versucht dort dem Leser die Metallbearbeitung der Kelten beizubringen. Ich bin darin kein Experte, aber selbst als Laie weiß ich das es so wie dort beschrieben völlig unmöglich ist reines Eisen/ Stahl zu erzeugen. Er behauptet dort Eisen wurde geraspelt und an Gänse verfüttert, das was die Gänse hinterher wieder ausschieden könne getrost erhitzt, geschmolzen und verarbeitet werden, es ist ja dann keltischer Stahl.
In dieser Art geht es permanent weiter. Seine anderen Bücher kenne ich nicht, nur kurz angelesen und das reichte mir.

Schade daß ich ausser Salambo von Flaubert kein Buch/ Roman kenne welches sich mit diesem Volk beschäftigt, bis auf diese Vergewaltigung durch Haefs. Aber vielleicht kennt ihr da noch welche ?
 
Na, ein bisschen muss ich den Haefs in Schutz nehmen, obwohl du im Großen Ganzen Recht hast, Faultier – die keltische "Stahl"produktion z. B. ist so überliefert (wenn auch nicht eindeutig belegt), dass man jede Menge Gänsekot wieder verhütten muss, um kleinste Mengen Stahl zu bekommen, ist natürlich klar, aber ein Parameter für den Wert dieses Metalls. Gemeinsame Sprache? Seit Alexander war Griechisch als die "Koine", die "gemeinsame" Handelssprache im Mittelmeerraum verbreitet. Weibliche griechische Händler? Uns ist zumindest eine Frau als Kriegsschiffkommandantin bekannt (Artemisia), die nach der Schlacht von Salamis mit den Resten der ionischen Flotte ausbüxte. Warum also keine Händlerinnen? Selbst Haefs beschreibt sie als große Ausnahme. Wie Thomas Pynchon ist Haefs mitunter minutiös in den Details und dann wieder grob im Gesamtkonzept.

Wie Sprague de Camp lässt Haefs die antike Welt in allen Farben schillern, darunter eben auch modernen. Und du hast recht, es sind zuviele davon. Die Erfindung des "Corporate Designs" durch den Tausendsassa Antigonos ist Banane, der ständig proklamierte Atheismus der aufgeklärten Karthager eine vollkommene Umkehrung der Tatsachen. Sprachliche Flapsigkeit und Modernismen tun das ihrige, um die Lektüre spannend, aber unzufriedenstellend zu machen. Mich stört auch der ständige schiefe Blick auf die Verfilmbarkeit, ein Umstand, den man bei Crichton oder Harris in jeder Zeile spürt.

Ein gutes, "richtiges" belletristisches Buch über Karthago muss wahrscheinlich noch geschrieben werden. Es wäre vermutlich dunkler, nüchterner, komplexer als die gängige Ware à la Davis und Haefs. Auch ich bin von Karthago fasziniert, ich gestehe es, aber die Faszination sollte einen nicht der Apologetik oder Schönmalerei in die Arme treiben.
 
Also bei einigen Punkten will ich mal widersprechen. Ich erinnere mich dunkel das im Karthagischen Raum punisch als Sprache und besonders als Handelssprache verwandt wurde. Und das noch Jahrhunderte nach dem Untergang Karthagos. Bei der griechischen Gesellschaft und ihren Umgangsformen ist es für mich sehr sehr zweifelhaft eine Frau als Schiffsführerin zu sehen. Als Händler? Klar keine Frage, aber Überseehandel hm? Und ich glaube mich dunkel an ein Gesetz der Punier zu erinnern das es Fremdvölkern verbot Punische Häfen oder Kolonien anzusteuern, bei Strafe des Versenktwerden und Sklaverei. Erst mit dem Sieg der Römer im 2. Punier Krieg wurde dieses Gesetz gebrochen. Und da ist es sehr unwahrscheinlich das Griechen es riskiert haben sollten in die karthagische Einflussphäre Saguntum zu segeln um dort zu handeln, als direkte Konkurrenz zu Karthago. Falls sowas geschah traue ich das den Puniern sehr viel mehr und eher zu.

Keltische Metallbearbeitung. Dumme Frage aber rein rechnerisch wie schwer ist ein Schwert? Sagen wir 7 - 10 kg. Und wieviel Gänse müssten dann "häufeln" um so viel Metall zusammen zu bekommen? ich schätze (als Nichtlandwirt und Stadtmensch) eine Gans bringt es auf ca. 100g Häufchen, davon nicht mehr als 10% Metall. Dann müssten sie entweder sehr viel Gänse gehabt haben oder sehr viel Ziet. Nö sorry das ist für mich eher eine Legende. Dort war die Metallverarbeitung nicht anders als bei den Römern die dies wohl von den Etruskern / Sabiner (oder wem auch immer ) gelernt haben.
 
Faultier schrieb:
Keltische Metallbearbeitung. Dumme Frage aber rein rechnerisch wie schwer ist ein Schwert? Sagen wir 7 - 10 kg.
Timo brachte mal Wete um 1,25 kg für mittelalterliche Schwerter. Im Roman werden zwar 6 Schwerter bestellt, aber kurze. Die Geschichte mit den Gänsen hat Haefs glaube ich aus einer keltischen sage von einem Wunderschmied genommen.
Welche Sprache gesprochen wird, gibt er eigentlich immer an. Da seine Hauptfiguren alle ein dutzend Sprachen beherrschen, ist Verstädnigung kein Problem.
Hanibal wurde durch die Römer oft vorgeworfen gottlos zu sein, weine Freunde atheistisch darzustellen passt also herrlich zu römischer Prpagada. Ich fand den Roman toll. Mich stört an ihm nur dieser Wunsch möglichst viel in seine Romane reinzubringen um eine bunte Geschichte zu erhalten. Dazu gehören natürlich Antigonos Reisen nach Amerika, Grönland und Britannien, aber auch dessen Erzählungen über China und Indien. Er müsste sich manchmal deutlich mehr zurücknehmen.
 
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