Schriften & heilige Schriften im NT

andreassolar

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Beitrag 23 u.a.
Παῦλος δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ, κλητὸς ἀπόστολος ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ, προεπηγγείλατο διὰ τῶν προφητῶν αὐτοῦ ἐν γραφαῖς ἁγίαις...
Paulus, Knecht des Christus Jesus, berufener Apostel, ausgesondert zum Evangelium Gottes, das er vorausgekündet hat durch seine Propheten in den heiligen Schriften...

Beitrag 29
Das Frühjudentum hat anscheinend seine heiligen Schriften oft als ιεραι γραφαι bzw. ιερα γραμματα bezeichnet, was im NT nur ein mal, in 2. Tim 3,15 vorkommt.
(fett von mir)

Beitrag 31
Dazu schreibst Du: "Ja, ist bekannt" - und ignorierst es einfach.

Und die bessere, weil textnähere Übersetzung von Römer 1,2 lautet bei angesprochener Stelle bekanntlich:

....durch seine Propheten in heiligen Schriften, [...],​

bei NA 28:
.....γραφαῖς ἁγίαις...
Die im 1. Jh. bei Josephus und Philo im griechisch sprachigen Judentum belegte Formel für die jüdischen heiligen Schriften lautet, siehe oben, oft bzw. üblicherweise z.B.

ιεραις γραφαις
ιεραις βιβλοις
ιερων γραφων βιβλιοδς

Das ιερων in Verbindung mit einem der bekannten Titel für Schrift scheint also weit verbreitet und fast typisch als Formel für die Bezeichnung der jüdischen heiligen Schriften bei den griechisch sprachigen Juden gewesen zu sein.
Wie Paulus einer war, zumal als Schriftgelehrter tradiert. Der Textkorpus des NT ist als griechisch sprachiger, judenchristlicher Herkunft tradiert und wohl auch entstanden.

Und glänzt durch nahezu vollständige Abwesenheit (Paulus!), bis auf die schon genannte Stelle 2. Tim 3,15, der näheren Bestimmung von 'Schrift' und 'Schriften' durch ιεραις. Ich finde, das ist m.E. kaum mit Zufall zu erklären und vielleicht ein Hinweis auf eine geänderte Einstellung, Praxis sowieso, eine Botschaft oder Aussage.

In Laienperspektive mit bisschen spätantiker Übung ist das ein nennenswerter Punkt...




 
Und die bessere, weil textnähere Übersetzung von Römer 1,2 lautet bei angesprochener Stelle bekanntlich:
....durch seine Propheten in heiligen Schriften, [...],

Wiederholt sich inhaltlich in Röm 16, 26 entlang der wortgetreueren Elberfelder oder dem Münchner NT
....durch prophetische Schriften [...] (γραφων προφετικον)​
...ohne jeden Bezug auf ιερων. Die Luther 2017 schreibt immer noch von ...durch die Schriften der Propheten[...]


OT:
Mit der koranischen Einordnung des Christentums als Buchreligion wird meist vergessen zu beachten, dass Jesus koranisch - inhaltlich/konzeptionell folgerichtig - entsprechend nur als Prophet gilt u. gelten konnte.
Analog versuchte Paulus in den paulinischen Briefen Jesus mit den bekannten Hinweisen auf 'Prophetenschriften' zu legitimieren.
 
Vielleicht kann man auch mal eine langweilige Mittelposition einnehmen: Natürlich ist das Christentum eine Buchreligion, wenn nicht von Anfang an, so doch bald geworden, aber es mag schon sein, dass die Schriften selbst nicht als ganz so heilig verstanden werden wie die des Judentums und des Islams. Dafür zwei Gründe: Gott offenbart sich im Christentum durch seinen Sohn, und zu dem kann der Gläubige nicht nur über die Schrift, sondern auch direkt Zugang finden, beim Abendmahl verleibt er sich sogar den Leib des Herren ein. Deshalb ist der heiligste Gegenstand in einer katholischen Kirche nicht wie in der Synagoge die heilige Schrift, sondern die Hostie.
Zweiter Grund: Das Christentum war von Anfang an eine multikulturelle Religion, für die mehrere Sprachen von Bedeutung waren: Jesus sprach Aramäisch, das Alte Testament war auf Hebräisch, die Weltsprache, in der verkündet wurde, Griechisch. Vielleicht wird deshalb der Text des Evangeliums nicht in dem Maß als buchstäbliches Wort Gottes verstanden wie im Islam der Text des Koran.

@Clemens64 , ich ziehe Deinen Beitrag einfach mal in diesen Faden, weil es hier inhaltlich besser passt.


Soweit mir bekannt bzw. erinnerlich, gibt es beispielsweise in den evangelischen badischen und württembergischen Landeskirchen keine heiligen/geweihten Objekte in den Kirchen. Auch nicht, sofern vorhanden, die Altarbibel.
Und selbstverständlich gab/gibt es im Christentum bis heute keine 'Gottessprache', in welcher seine 'Originalworte' überliefert wurden bzw. er sich gewissen Menschen offenbart hat.

Im Unterschied zum Judentum und Islam.
Wie schon angesprochen, sind der Tanach (besonders die Tora) wie der Koran selber religiöse Kultgegenstände, selber wirksam, und - allgemein gesprochen - heilig.

Um Erlösung und Rechtfertigung zu finden, braucht es im Christentum nicht die Bibel/die Heilige Schrift und ihre strikte Befolgung - sondern die innere Umkehr zur Erlösung durch das Leben und Sterben Christi. Nicht Werkgerechtigkeit, nicht heilige Schriftgläubigkeit oder die Befolgung der schriftlich fixierten Regeln.
Siehe Paulus.

Die Apostel missionierten nicht dadurch und damit, dass sie heilige Schriften verteilten.
 
Wenn ich das noch aus dem Religionsunterricht korrekt wiedergeben kann, dann ist das Christentum auf die heldenhafte Tat von Jesus gegründet: auf seinen Tod und seiner Auferstehung, also darin, dass er das Wort der Schrift erfüllte. (Und natürlich auf seine göttliche Herkunft.) Wo auch immer das schriftlich niedergelegt ist; ich bin sicher: es ist.

Insofern, da gebe ich dir Recht, ist das Christentum eher eine Religion der Tat als des Buches. Allerdings: diese Tat ist gegründet auf einer schriftlichen Festlegung, die zum Ziel die Erlösung des Menschengeschlechts hat. Insofern sehe ich zwei Stränge: die schriftlichen Prophezeiungen, was ein Messias so alles zu tun hat, und eben das, was dieser Messias dann tatächlich umgesetzt hat.

(Pardon für meinen äußerst laienhaften Beitrag, aber die höchsten Höhen der Theologie erschließen sich mir wohl nie.)
 
Wenn ich das noch aus dem Religionsunterricht korrekt wiedergeben kann, dann ist das Christentum auf die heldenhafte Tat von Jesus gegründet: auf seinen Tod und seiner Auferstehung, also darin, dass er das Wort der Schrift erfüllte.

Das älteste überlieferte Glaubensbekenntnis (das schon Paulus vorgefunden und weitergegeben hat) lautet:
"Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf." (1.Korinther 15)​


Ich finde, das ist m.E. kaum mit Zufall zu erklären und vielleicht ein Hinweis auf eine geänderte Einstellung

Vielleicht.
Ob es angesichts diverser Strömungen im Judentum um die Zeitenwende (auch das Christentum ist in seinen Ursprüngen zunächst nur eine dieser Strömungen) eine einheitliche Sprachregelung gegeben hat, die aufgrund einer "geänderten Einstellung" durchbrochen wurde, halte ich gleichwohl für zweifelhaft.

Der Brief des Aristeas, der über die Übersetzung der jüdischen Bibel ins Griechische berichtet (mit bereits legendenhaften Übermalungen) benutzt den Begriff "Schrift" auch schon ohne den Zusatz "heilig" (und lässt doch keinen Zweifel daran, dass es sich hier um heilige Schrift handelt).


(155) E διὸ παρακελεύεται καὶ διὰ τῆς γραφῆς ὁ λέγων οὕτως· μνείᾳ μνησθήσῃ κυρίου τοῦ ποιήσαντος ἔν σοι τὰ μεγάλα καὶ θαυμαστά.

Darum mahnt er durch die Schrift also: „Gedenke des Herrn, deines Gottes, der an dir das Große und Wunderbare tat!“

(168) καὶ περὶ τούτων οὖν, ὅσον ἐπὶ βραχὺ {διεξῆλθον, προσυποδείξας} σοι διότι πάντα κεκανόνισται πρὸς δικαιοσύνην, καὶ οὐδὲν εἰκῆ κατατέτακται διὰ τῆς γραφῆς οὐδὲ μυθωδῶς ...

Auch hierin ward dir nun in aller Kürze gezeigt, daß alle Gesetze zur Gerechtigkeit gegeben sind, und daß nichts durch die Schrift zwecklos oder leichtfertig angeordnet ist,...
https://el.wikisource.org/wiki/%CE%95%CF%80%CE%B9%CF%83%CF%84%CE%BF%CE%BB%CE%AE_%CE%91%CF%81%CE%B9%CF%83%CF%84%CE%AD%CE%B1
https://de.wikisource.org/wiki/Brief_des_Aristeas


Und es bleibt bei der Feststellung, dass das Christentum sich von Anfang an auf autoritative, heilige Schriften (das heutige "Alte Testament") berufen hat. Ergänzend noch eine Stelle aus dem 1. Clemensbrief:

(45) ἐνκεκύφατε εἰς τὰς ἱερὰς γραφὰς τὰς ἀληθεῖς, τὰς διὰ τοῦ πνεύματος τοῦ ἁγίου. ἐπίστασθε ὅτι οὐδὲν ἄδικον οὐδε παραπεποιημένον γεγραπται ἐν αὐταῖς.

Die heiligen Schriften, die wahren, die vom Heiligen Geist eingegebenen, habt ihr genau durchforscht. Ihr wisst, dass nichts Unrechtes und nichts Verkehrtes in denselben geschrieben steht.
https://archive.org/details/derersteclemensb00clemrich/page/132/mode/2up
https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1001/versions/clem-1clem-bkv/divisions/46











 
Danke für die Info, @Sepiola.

Ich will das noch einmal aufdröseln, in 3 Ebenen:
1. einmal die Schriften des Alten Testaments
2. dann das Leben Jesu, zunächst als mündliche Überlieferung verstanden
3. endlich das Leben Jesu in den Evangelien + evtl. die Apokryphen
Die Ebene 2 hat intensive Verbindungen zu 1 und 3: Zu 1, insofern ein gewisser Teil des Lebens Jesu in der Erfüllung von Prophezeiungen besteht (welcher genau eigentlich?), zu 3, insofern dieses Leben in schriftliche Form gegossen wird.
Dennoch, wenn ich @andreassolar richtig verstehe, bestand zumindest im frühen Christentum das Interesse an Jesus vor allem in dessen Lebensgeschichte und nicht zuallererst in einer Reflexion dessen, "was da geschrieben steht". Durch das Aufkommen von Ebene 3 ändert sich das: nun sind 2 und 3 untentwirrbar miteinander verknüpft. Allerdings, so mein Fazit, die Schriften des AT und die Schriften des NT sollte man unterscheiden, d.h. man kann nicht einfach von "der Schrift" sprechen.
 
Um Erlösung und Rechtfertigung zu finden, braucht es im Christentum nicht die Bibel/die Heilige Schrift und ihre strikte Befolgung - sondern die innere Umkehr zur Erlösung durch das Leben und Sterben Christi.
Mir leuchtet das ein, sofern man "Buchreligion" als eine "Verehrung des Buches" versteht. Im Unterschied zur jüdischen Thorarolle aber ist die "Heilige Schrift" des Christentums nicht deshalb heilig, weil das Buch / die Buchstaben es sind, sondern der Inhalt, die Bedeutung.
 
Dennoch, wenn ich @andreassolar richtig verstehe, bestand zumindest im frühen Christentum das Interesse an Jesus vor allem in dessen Lebensgeschichte und nicht zuallererst in einer Reflexion dessen, "was da geschrieben steht".

Den Paulusbriefen nach zu schließen war in den ersten Jahrzehnten die Lebensgeschichte weitgehend uninteressant. Was zählte, waren Kreuzigung und Auferstehung. Darüber hinaus ist von Paulus abgesehen von dem letzten Abendmahl und einigen Jesus-Sprüchen kaum etwas über den historischen Jesus zu erfahren. Am relativ "ergiebigsten" ist da noch der 1. Korintherbrief, aber auch in diesem Brief überwiegen die Verweise auf die Schrift deutlich die Verweise auf Jesusworte.

Allerdings, so mein Fazit, die Schriften des AT und die Schriften des NT sollte man unterscheiden, d.h. man kann nicht einfach von "der Schrift" sprechen.

Das ist eine Frage der Perspektive: Für die frühen Christen gab es kein "AT" und kein "NT", es gab nur "die Schrift", und die ist identisch mit dem, was später als "NT" bezeichnet wurde, und zwar in der Fassung der Septuaginta. Das gilt bis weit ins 2. Jahrhundert, also noch in einer Zeit, als die Briefe des Paulus und die vier Evangelien schon längst existierten und in den Gemeinden allgemein bekannt waren.
 
Das ist eine Frage der Perspektive: Für die frühen Christen gab es kein "AT" und kein "NT", es gab nur "die Schrift", und die ist identisch mit dem, was später als "NT" bezeichnet wurde, und zwar in der Fassung der Septuaginta.

Moment, ist da ein Verschreiber? NT in der Fassung der Septuaginta? Die Septuaginta ist doch das alte Testament in der griechischen ÜS.
 
Und es bleibt bei der Feststellung, dass das Christentum sich von Anfang an auf autoritative, heilige Schriften (das heutige "Alte Testament") berufen hat.
Hat es nicht. Siehe Justin der Märtyrer. Er erwähnt an bekannter Stelle lediglich die Prophetenschriften, wie Paulus in Röm 1,2. Inhaltlich nachvollziehbar, da Jesu Auftreten aus Jesaja usw. abgeleitet wird.
Und Paulus erwähnt beispielsweise im 1. Thessalonicher, im Philipper wie im Philemon die Schrift/Schriften gar nicht.

Und während im 1. Clemensbrief die heiligen Schriften griechisch
τὰς ἱερὰς γραφὰς

notieren, ganz im Kontext damaliger griechischer (& jüdisch-griechischer) Bezeichnung dafür, die auch bei Josephus und Philo nachweisbar sind, findet man diese geläufige Präzisierung im NT nicht, bei auf jene Einzelstelle beim pseudopaulinischen 2. Tim 3,15.

ἁγίαις notiert beim Münchner NT (Röm 1,2):
adj.: gottgeweiht d.h. im Ggs. zum Profanen; nicht an sich heilig (wie 2413 ), aber d. Anspruch auf Verehrung d. Heiligen erhebend, d. verehrungswürdige Heilige, auf d. Seite gestellt für Gott, sich als heilig erweisend; [...]

'2413' steht für ιερος und notiert beim MNT (2. Tim 3,15) entsprechend mit
[...],heilig (weil von Gott gehaucht) [...]

Dto. im Wörterbuch zum Neuen Testament (1998).

Die Lage ist im Ur- wie Frühchristentum beachtlich uneindeutig. Und Markions konsequent 'neutestamentlich'-christozentrischer Kurs mit der folgerichtigen Ablehnung der jüdischen überlieferten/tradierten Schriften ('Gesetz' vs. Evangelium) zeigt ansatzweise die im 2. Jh. immer noch vorhandenen Spannungen zwischen dem 'Gesetz' der tradierten ('heililgen') jüdischen und dem Evangelium des Christus in den schon tradierten 'christlichen' Schriften (wohl vor allem Paulinische).
 
Das älteste überlieferte Glaubensbekenntnis (das schon Paulus vorgefunden und weitergegeben hat) lautet:
"Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf." (1.Korinther 15)​


Und es bleibt bei der Feststellung, dass das Christentum sich von Anfang an auf autoritative, heilige Schriften (das heutige "Alte Testament") berufen hat.

Dazu noch ein paar grundlegende Punkte:

1. Das Christentum war in seinen Anfängen eine rein jüdische Strömung. Auch die Mission des Paulus richtete sich primär an eine "synagogennahe Klientel"; die von ihm bekehrten "Heiden" werden in aller Regel zum Kreis der "Gottesfürchtigen" gezählt haben:
"Es handelt sich bei den Gottesfürchtigen um eine wenig einheitliche Gruppe von Menschen, die mit dem Judentum zwar sympathisieren, die jüdischen Riten mehr oder weniger einhalten, aber keine formale Konversion vollzogen haben, aufgrund derer sie Mitglieder einer Gruppe geworden wären."​
https://www.schoeningh.de/view/book/9783657707461/BP000012.xml

2. Die Mehrzahl der neutestamentlichen Schriften geht auf judenchristliche Autoren zurück oder zeigt zumindest einen judenchristlichen Hintergrund. Paulus war Judenchrist, die Autoren des Hebräerbriefs, des Jakobusbriefs und des Judasbriefs wohl auch. Die Sprache der neutestamentlichen Texte ist deutlich durch die Septuaginta geprägt. Nahezu alle Schriften (einige kurze Briefe ausgenommen) nehmen Bezug auf alttestamentliche Schriften, die zur theologischen Beweisführung herangezogen werden; Schriftzitate werden explizit oder implizit als Gottes Worte verstanden.

3. Eine eventuelle Diskussion über die grundsätzliche Relevanz der Schriften wird im NT nirgends widergespiegelt, vielmehr wird die Relevanz und Autorität der Schrift als selbstverständlich vorausgesetzt.

4. Der Versuch des Markion, das "Alte Testament" durch ein "Neues Testament" zu ersetzen, bezeugt lediglich, dass auch für Markion - ca. 80 Jahre nach Paulus - ein Christentum ohne maßgebliche "heilige Schrift" undenkbar war.
 
Gerade Justin der Märtyrer ist ein erstklassiger Zeuge dafür, dass für die Christen die Septuaginta maßgeblich war -
Der Faden hat den Titel 'Schriften und heilige Schriften im NT'.

Gerade Justins Apologie 1 kann zeigen, wie wenig er von heiligen Schriften ausgeht, schreibt und spricht.
Dass er Septuaginta-Zitate bringt, ist an sich kein Beleg dafür, dass er sie als Heilige Schrift oder Heilige Schriften oder heilige Schriften einstuft.
Dazu fehlt auch jeder Beleg, dass er die wenigen Schrift-/Schriften-Begriffe mit heilig oder heiligen präzisiert, auch im Griechischen.
Weiterhin zitiert er die nichtheiligen Erinnerungen der Apostel genauso. Und er nennt die βιβλους der Sibylle, des Hystaspes und der Propheten in einem Zug.

Mindestens zweifach schreibt er - in der Übertragung von Jörg Ulrich (2021) - recht 'profan' in Zusammenhang mit den Schriften 'wenn ihr sie durchgesehen habt' (28,1) bzw. '[...], die ihr, wenn ihr es dann erfahren wollt, aus den Aufzeichnungen jenes Mannes ganz genau erfahren werdet' (62,4) - die συγγραμματων, zutreffend mit Aufzeichnungen übersetzt, sind jene von Mose.

συγγραμματων: entlang dem Wörterbuch zum Neuen Testament (1988) - es hat natürlich auch die Begrifflichkeiten der Kirchenväter und Apologetischen Schriften aufgenommen - wird es mit Aufzeichnung(en), Schrift(en), Buch/Bücher, beschrieben, der Kontext ist fast neutral.

Euseb notierte in H.E. IV, 3,1, [...]

Diesem widmete und überreichte Quadratus eine unseren Glauben verteidigende Schrift, da einige schlimme Menschen die Unsrigen zu belästigen versucht hatten. Bei den meisten Brüdern, auch bei uns wird diese Schrift noch immer benützt. [...]/τούτωι Κοδρᾶτος λόγον προσφωνήσας ἀναδίδωσιν, ἀπολογίαν συντάξας ὑπὲρ τῆς καθ' ἡμᾶς θεοσεβείας, ὅτι δή τινες πονηροὶ ἄνδρες τοὺς ἡμετέρους ἐνοχλεῖν ἐπειρῶντο· εἰς ἔτι δὲ φέρεται παρὰ πλείστοις τῶν ἀδελφῶν, ἀτὰρ καὶ παρ' ἡμῖν τὸ σύγγραμμα.​

Justin ist weit von Röm entfernt - und die frühen Paulusbriefe mit ihrer völligen Abwesenheit von direkten Zitaten und den Begriffen Schrift/Schriften hatte ich bereits notiert.

Mit der Ausbildung überhaupt einer bzw. einer immer umfangreicheren Christus-Theologie im Unterschied zum unmittelbar gelebten und erlebten Glauben aus dem Evangelion, der Wortverkündigung der Apostel im Heiligen Geist, dem Christus-Erlebnis, dem Erlösungsglauben der direkten Anfangszeit - die Jünger orientierten sich mitnichten (wesentlich/entscheidend) an 'den Schriften'/der (Vor-)Lesung der Schriften im Zusammenleben mit und im Zusammenhang zum Verständnis für Jesu Mission, auch in der Frühzeit nach Jesu Tod - wird die klärende und legitimierende Bezugnahme auf anerkannte jüdische Schriften u.a. zur Selbstvergewisserung, Selbststabilisierung ( ausbleibende Parusie) und Selbstlegitimierung gegenüber den Nicht-Christus-Juden von wachsender Bedeutung.

Wie war das mit der ersten Christengemeinde in Jerusalem lt. Apg. 2,41f.?
Die nun, die sein Wort annahmen, ließen sich taufen. An diesem Tag wurden (ihrer Gemeinschaft) etwa 3000 Menschen hinzugefügt. Sie hielten an der lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten.

Im Zusammenhang mit 'Schriften' und 'heilig' ist es vermutlich besser, dafür die Begriffe
  • anerkannt
  • autoritativ
zu benutzen, wie dies sinnvollerweise in der Fachlit. oft geschieht. Sofern man nicht sowieso jede Präzisierung meidet und einfach von der 'Schrift' schreibt. ;-)
 
3. Eine eventuelle Diskussion über die grundsätzliche Relevanz der Schriften wird im NT nirgends widergespiegelt, vielmehr wird die Relevanz und Autorität der Schrift als selbstverständlich vorausgesetzt.

Also, 'die' Schrift gab es noch nicht, die Septuaginta unterschied sich von den jüdisch-hebräischen Sammlungen - was u.a. damit zusammenhing, dass im griechisch-jüdischen Zentrum schlechthin, Alexandria, weniger Schriften als 'heilig' anerkannt wurden - welche wiederum auch nicht ganz identisch gewesen waren, es gab ja keine zentral anerkannte Autorität, die solches festlegen konnte. Die Septuaginta wiederum war wohl doch erst ab/nach ca. 100 n. Chr. soweit vollständig, wie wir sie heute kennen, da hatte sie bereits eine lange Geschichte hinter sich.
Die jüdisch-hebräischen Schriften wurden wiederum erst unter den Rabbinnen noch später in anerkannten, teils autoritativen Zusammenstellungen kollationiert.

Sicherlich ist dir bekannt, dass das hebräische Judentum mit der Septuaginta nicht so ganz zufrieden gewesen war, es gab mehrfach Bestrebungen, sie neu und näher dem Text der hebräischen Sammlung zu übersetzen.

Gewisse Schriften, herausragend Tora/Pentateuch, waren bereits im Frühjudentum, egal welcher Sprache, generell als 'heilig' anerkannt.

Eine Dis. 'über die grundsätzliche Relevanz der Schriften' liefert das NT selber nicht, doch unterschiedliche Auffassungen durchaus.
Wir erinnern an Paulus im Galaterbrief, der die von erfolgreichen jüdischen Missionaren in Galatien geforderte Beschneidung der männlichen Neugeborenen gemäß der Thora energisch ablehnt, ebenso die geforderte Einhaltung der Thoravorschriften.
Das zeigt zwar keine Dis., ist m.E. anderseits durchaus eine Dis. wert zur vermeintlich unhinterfragten 'Relevanz' der jüdischen Schriften, selbst und gerade bei Paulus.

4. Der Versuch des Markion, das "Alte Testament" durch ein "Neues Testament" zu ersetzen, bezeugt lediglich, dass auch für Markion - ca. 80 Jahre nach Paulus - ein Christentum ohne maßgebliche "heilige Schrift" undenkbar war.
Der Faden hat den Titel Schriften und heilige Schriften im NT und bezog und bezieht sich auf die Bedeutung bzw. Heiligkeit der jüdischen Schriften (fürs NT/Christentum).
Marcions Aktion und großer Erfolg, von ROM ausgehend, zeigt vielmehr, wie schon benannt, die Spannung bis Unvereinbarkeit zwischen Gesetz (jüdische [heilige] Schriften) und dem Evangelion der z.Z. Marcions schon vorhandenen, anerkannten 'christlichen' Schriften.
 
Im Zusammenhang mit 'Schriften' und 'heilig' ist es vermutlich besser, dafür die Begriffe
  • anerkannt
  • autoritativ
zu benutzen, wie dies sinnvollerweise in der Fachlit. oft geschieht. Sofern man nicht sowieso jede Präzisierung meidet und einfach von der 'Schrift' schreibt. ;-)

Meinetwegen "anerkannt/autoritativ" - in dem Sinne, wie es auch heute noch im Christentum weitgehend der Fall ist. (Abgesehen von bestimmten Richtungen, wo auf die Verbalinspiration - jedes Wort sei von Gott eingegeben - gepocht wird.*)


Wie war das mit der ersten Christengemeinde in Jerusalem lt. Apg. 2,41f.?

Erstens:
Das waren Juden. Siehe oben Punkt 1:

1. Das Christentum war in seinen Anfängen eine rein jüdische Strömung.

Der erste Heide, der getauft wird, taucht erst in Kapitel 10 auf. Hierbei handelt es sich um einen römischen Offizier namens Cornelius, der zu den sogenannten "Gottesfürchtigen" zählt. Dieses für die bislang rein jüdische Christengemeinde epochale Ereignis wird erzählerisch groß vorbereitet:
Zuerst erscheint dem Cornelius ein Engel, der um die Kontaktaufnahme mit Petrus vorzubereiten.
Dann hat der Petrus eine Vision, und eine Stimme schärft ihm dreimal ein: Was Gott für rein erklärt, nenne du nicht unrein!
Damit überwindet Petrus seine Bedenken (als Jude darf er eigentlich das Haus eines Nichtjuden nicht betreten), und er besucht den Cornelius.
Nun kommt "der Heilige Geist auf alle herab, die das Wort hörten. Die gläubig gwordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, konnten es nicht fassen, daß auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde. Denn sie hörten sie in Zungen reden und Gott preisen."
Jetzt erst kommt es zur Taufe der ersten Christen.
Die Story ist damit noch nicht aus, jetzt muss sich Petrus vor der Jerusalemer Gemeinde für die kühne Tat verantworten.
So schildert es Lukas. Wie immer man den historischen Kern bewerten mag: Die Taufe von gottesfürchtigen Heiden war in der Urgemeinde eine seltene Ausnahme und jedenfalls noch längere Zeit umstritten. Paulus schreibt, dass Petrus rückfällig geworden sei und zu den Heiden erneut auf Distanz gegangen sei. Und die getauften Heiden wurden mit der Forderung konfrontiert, sich doch noch beschneiden zu lassen, um als richtige Gemeindemitglieder gelten zu können.

Zweitens:
Was passiert denn vor der zitierten Stelle 2,41f?
Die Leute haben eine Predigt des Petrus gehört, und diese Predigt besteht zu 60% aus Bibelzitaten!

Natürlich hat Lukas hier nicht das Original-Petrus-Predigtmanuskript verarbeitet, aber jedenfalls gehört für ihn die Verarbeitung von Bibelzitaten zu einer ordentlichen Apostelpredigt.

und die frühen Paulusbriefe mit ihrer völligen Abwesenheit von direkten Zitaten und den Begriffen Schrift/Schriften hatte ich bereits notiert.
Der 1. Korintherbrief gehört sicher zu den frühen Paulusbriefen, ein paar Kostproben widerlegen die Behauptung der "völlligen Abwesenheit":

1Kor 3,19f "Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott. In der Schrift steht nämlich: Er fängt die Weisen in ihrer eigenen List [Zitat aus Hiob 5,13]. Und an einer anderen Stelle: Der Herr kennt die Gedanken der Weisen; er weiß, sie sind nichtig. [Zitat aus Psalm 94,11]"

1Kor 9,9f "Im Gesetz des Mose steht doch: Du sollst dem Ochsen beim Dreschen keinen Maulkorb anlegen. [Zitat aus 5. Mose 25,4]Liegt denn Gott etwas an den Ochsen? Spricht er nicht allenthalben unseretwegen?"

Hier bringt Paulus in aller Klarheit zum Ausdruck, dass in dem Mose-Zitat Gott selber spricht!

1 Kor 10,7ff : "Werdet nicht Götzendiener wie einige von ihnen; denn es steht in der Schrift: Das Volk setzte sich zum Essen und Trinken; dann standen sie auf, um sich zu vergnügen. [Zitat aus 2. Mose 32,6]Lasst uns nicht Unzucht treiben, wie einige von ihnen Unzucht trieben! Damals kamen an einem einzigen Tag dreiundzwanzigtausend Menschen um. Lasst uns auch nicht Christus auf die Probe stellen, wie es einige von ihnen taten, die dann von Schlangen getötet wurden! Murrt auch nicht, wie einige von ihnen murrten; sie wurden vom Verderber umgebracht! Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat."

Abgesehen von dem einen wörtlichen Zitat sind das alles Anspielungen aus der Mose-Geschichte. Paulus setzt offenbar voraus, dass die Adressaten die Geschichte kennen und ggf. selber nachlesen können.

1Kor 15,3f Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift...




* wobei man sich dann noch auf die Fassung festlegen muss, etwa den Textus receptus für das NT oder die King-James-Bibel als allein maßgebliche englische Übersetzung...
 
Also, 'die' Schrift gab es noch nicht, die Septuaginta unterschied sich von den jüdisch-hebräischen Sammlungen

Du meinst, einen allgemein anerkannten abgeschlossenen Kanon gab es noch nicht.

Das sind zwei Paar Stiefel.

Oder werden wir demnächst darüber diskutieren, ob es zu Luthers Zeit 'die' Schrift schon gab oder vielleicht doch noch nicht?
 
Du meinst, einen allgemein anerkannten abgeschlossenen Kanon gab es noch nicht.

Das sind zwei Paar Stiefel.

Hm...einen für alle Strömungen des antiken Judentum in Umfang, Wortlaut, Sprache, Ordnung usw. verbindlich-göttlich-autoritative Schriftensammlung kann nicht vor dem 2. nachchristlichen Jh. behauptet werden, meine ich mich zu erinnern; die Genese des dominant rabbinisch geprägten Judentums als Grundlage dieser Entwicklung im 2. Jh. ist die Folge des 2. Jüdischen Krieges.
Mit 'die' Schrift sind daher je nach theologisch-praktischer Strömung im 1. Jh. differierende Schriftensammlungen gemeint, wobei wohl jede Richtung für sich von 'der' Schrift schrieb und sprach & referierte, der Minimalkonsens bezog sich natürlich stets auf die Tora.


Die spätere Substitutionstheologie des späteren Christentums im 2. Jh. kann m.E. eher nicht mit dem jüdischen Verständnis von 'Heiliger Schrift' oder autoritativen, göttlich formulierten/inspirierten Schriften des Kanons von Tanach/LXX des 2. Jh. (völlig) gleich gesetzt werden.
Dazu sind die Uminterpretationen, die Negierungen gewisser, auch bedeutsamer Teile schon der Tora in der christlichen Theologie des 2. Jh. nicht zu übersehen.

Oder werden wir demnächst darüber diskutieren, ob es zu Luthers Zeit 'die' Schrift schon gab oder vielleicht doch noch nicht?
Es gibt bis heute keine über alle christlichen Konfessionen/Denominationen identische 'Heilige Schrift'
 
Es gibt bis heute keine über alle christlichen Konfessionen/Denominationen identische 'Heilige Schrift'
Das mag schon sein, obwohl es ja immerhin eine Einheitsübersetzung gibt, die natürlich nur eine begrenzte Anhängerschaft hat. Du wirst uns das vielleicht noch im Detail erläutern.

Aber was die "Schriftreligion" betrifft, da ist doch wenigstens Luther recht eindeutig: "Sola scriptura". Plus anderen "solae", sicher, was die scriptura jedoch nicht mindert.

Ich bitte um Vergebung, aber für einen Laien wie mich wäre doch die "Heilige Schrift" maßgeblich für den christlichen Glauben, falls ich diesen teilte. Die Taten Jesu, die darin aufgeschrieben sind, sind deren Bedeutung. Damit glaube ich, streng ausgedrückt, nicht an diese kanonischen Schriften als solche, sondern an deren Inhalt. Neben den kanonischen Schriften gibt es freilich noch andere Schriften. Aber selbst falls man die auch noch berücksichtigt: letztlich sind es immer wieder Schriften, an deren Inhalt ein Christ der Richtung x,y,z glaubt. Der Mystiker, der Visionen von der Einheit mit Gott, mit Christus etc. hat, steht schon am Rand des christlichen Glaubens. Aber selbst er hat seine Visionen aus diesen Schriften geschöpft, andernfalls steht er tatsächlich außerhalb.
 
Es gibt aber bis heute keinen einheitlichen Bibel-Kanon, der von allen christlichen Konfessionen in dieser Form als "kanonisch" angesehen würde. Die "Lutherbibel" war "kürzer" als die römisch-katholische Bibel, umgekehrt sind die Bibeln mancher orthodoxer Kirchen länger. (Beispielsweise werden von manchen Orthodoxen das 3. und das 4. Makkabäerbuch als kanonisch anerkannt, von den römischen Katholiken nur das 1. und 2.) Das Buch Henoch (genauer gesagt: eines der Bücher Henoch) ist in Äthiopien kanonisch.

Die sog. "Einheitsübersetzung" ist lediglich die "amtliche" deutschsprachige Übersetzung der Bibel gemäß römisch-katholischem Kanon.
 
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