Naresuan
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Am 23. Februar 1918 brachte das deutsche U-Boot U 155 den spanischen Frachter "Sardinero" auf seiner Fahrt nach dem südfranzösischen Cette (Sète) vor der marokkanischen Küste auf. Das Schiff wurde durchsucht und anschließend versenkt, laut Aussage eines der spanischen Besatzungsmitglieder mit der Begründung, die Fahrt sei nicht durch den Deutschen Botschafter in Madrid genehmigt gewesen.
Geladen waren um die 3000 Tonnen Weizen, Roggen und Mehl für die Schweiz. Teile der Ladung sollen vor der Versenkung noch stundenlang auf das U-Boot umgeladen geworden sein, denn dieses war wohl als früherer Blockadebrecher und zum U-Kreuzer umgebautes Schiff dafür geeignet.
Seit Anfang des Krieges bis dato gelangten 472 von der Schweiz gecharterte Schiffe unbehelligt nach Cette. Danach getrauten sich nicht mehr viele neutrale Schiffe für die Schweiz aufs Meer. Sie geriet dadurch in einen Getreideengpass, der sich bald zu einer Krise ausweitete. Deutschland versprach Getreidelieferungen aus der Ukraine und Rumänien. (Es gab schon 1917 Vorschläge aus Deutschland, die Schweiz solle selbst in Rumänien Landwirtschaft betreiben und zu diesem Zweck 300 Bauern nach Rumänien schicken.)
Der US-Botschafter in Bern wandte sich im März 1918 an seine Vorgesetzten in Washington mit der Bitte, etwas zu unternehmen, denn es sei zu befürchten, dass die Schweiz in zusätzliche Abhängigkeit Deutschlands gerate. Die USA schickten daraufhin im Mai ihre Frachter unter Navy-Eskorte und mit Getreide für die Schweiz beladen nach Frankreich. Ab dem Sommer 1918 kamen schließlich pro Monat durchschnittlich fast 30.000 Tonnen Getreide/Mehl an, etwa ein Drittel des Getreideimports vor dem Krieg.
Erstaunlich, wie optimistisch Deutschland im Frühjahr 1918 bezüglich des Getreides aus Osteuropa war, wenn es glaubte, noch etwas davon abgeben zu können.
Für die USA gab es einige Gründe die Schweiz zu unterstützen. Wie hoch schätzten sie dabei die Gefahr einer Getreideversorgung der Schweiz durch Deutschland ein?
Offensichtlich gab es trotz Seeblockade und uneingeschränktem U-Bootskrieg noch reichlich neutralen Schiffsverkehr. Peinlichst kontrolliert von zahlreichen Kontrollbeamten. In der Schweiz hatte die, von den Alliierten aufgestellte, SSS (Société suisse de surveillance économique) dafür bis zu 500 Mitarbeiter. Dazu kamen noch einige geheime "Detektive".
Das entsprechende Büro der Mittelmächte hieß Schweizerische Treuhandstelle (STS) und hatte weniger Personal. Ich gehe davon aus, dass dort oder auf dem U-Boot Fehler gemacht wurden, denn die deutsche Regierung anerkannte die Schadenersatzforderungen im Juli, wollte diese jedoch nicht in Form des geforderten Getreides sondern mit Geld begleichen, was in der Schweizer Presse mit "wir wollen kein Geld, wir brauchen die Fracht!" kommentiert wurde.
Erst 1920 wurde die Schadenersatzsumme durch einen holländischen Richter bestimmt und die Angelegenheit vom Bundesrat ad acta gelegt.
Spanien hatte im Krieg, neben 45 "normalen" Schiffsunglücken, über 60 Schiffe an U-Boote verloren und beschlagnahmte 1918 7 internierte deutsche Schiffe. 6 durften sie als Kompensation behalten und eins davon wurde 1924 in "Sardinero" umgetauft. Die Besatzung der versenkten Sardinero wurde übrigens gerettet.
Es gibt Hinweise, dass spanische Schiffe einen von der deutschen Botschaft in Madrid ausgestellten Geleitschein benötigt hätten. Die genauen Bestimmungen sind mir nicht bekannt. Spanische Quellen behaupten, die Sardinero hätte ein "salvoconducto" von Deutschen Stellen gehabt.
Eigentlich war der westliche Mittelmeerraum bis nach Cette nicht im Sperrgebiet des uneingeschränkten U-Bootskrieges enthalten, was ich merkwürdig finde, doch kann man sich bei einem Verhältnis von 1:472 als Risiko für eine Schiffsfahrt zu dieser Zeit wohl nicht beklagen und man reagierte von offizieller Schweizer Seite verhalten.
Feststellung am Rande: In vielen zeitgenössischen Quellen zum Thema wird immer von "torpediert" gesprochen, wenn ein U-Boot beteiligt war, auch wenn, wie in diesem Fall, andere Mittel zur Versenkung eines Schiffes benutzt wurden.
Quellen:
Die amerikanische Verheissung - Schweizer Aussenpolitik im Wirtschaftskrieg 1917/18, Florian Weber, 2016
Besseren Nähr- und Siedlungsraum schaffen - Die Schweizer Innenkolonisation im Kontext der Ernährungskrise 1917/1918, Daniel Burkhard, 2021
Die verlorene Wirtschaftsfreiheit 1914-1918 - Methoden ausländischer Wirtschaftskontrollen über die Schweiz, Heinz Ochsenbein, 1971
Neue Zürcher Zeitung, Nummer 390, 21. März 1918 Ausgabe 02
Geladen waren um die 3000 Tonnen Weizen, Roggen und Mehl für die Schweiz. Teile der Ladung sollen vor der Versenkung noch stundenlang auf das U-Boot umgeladen geworden sein, denn dieses war wohl als früherer Blockadebrecher und zum U-Kreuzer umgebautes Schiff dafür geeignet.
Seit Anfang des Krieges bis dato gelangten 472 von der Schweiz gecharterte Schiffe unbehelligt nach Cette. Danach getrauten sich nicht mehr viele neutrale Schiffe für die Schweiz aufs Meer. Sie geriet dadurch in einen Getreideengpass, der sich bald zu einer Krise ausweitete. Deutschland versprach Getreidelieferungen aus der Ukraine und Rumänien. (Es gab schon 1917 Vorschläge aus Deutschland, die Schweiz solle selbst in Rumänien Landwirtschaft betreiben und zu diesem Zweck 300 Bauern nach Rumänien schicken.)
Der US-Botschafter in Bern wandte sich im März 1918 an seine Vorgesetzten in Washington mit der Bitte, etwas zu unternehmen, denn es sei zu befürchten, dass die Schweiz in zusätzliche Abhängigkeit Deutschlands gerate. Die USA schickten daraufhin im Mai ihre Frachter unter Navy-Eskorte und mit Getreide für die Schweiz beladen nach Frankreich. Ab dem Sommer 1918 kamen schließlich pro Monat durchschnittlich fast 30.000 Tonnen Getreide/Mehl an, etwa ein Drittel des Getreideimports vor dem Krieg.
Erstaunlich, wie optimistisch Deutschland im Frühjahr 1918 bezüglich des Getreides aus Osteuropa war, wenn es glaubte, noch etwas davon abgeben zu können.
Für die USA gab es einige Gründe die Schweiz zu unterstützen. Wie hoch schätzten sie dabei die Gefahr einer Getreideversorgung der Schweiz durch Deutschland ein?
Offensichtlich gab es trotz Seeblockade und uneingeschränktem U-Bootskrieg noch reichlich neutralen Schiffsverkehr. Peinlichst kontrolliert von zahlreichen Kontrollbeamten. In der Schweiz hatte die, von den Alliierten aufgestellte, SSS (Société suisse de surveillance économique) dafür bis zu 500 Mitarbeiter. Dazu kamen noch einige geheime "Detektive".
Das entsprechende Büro der Mittelmächte hieß Schweizerische Treuhandstelle (STS) und hatte weniger Personal. Ich gehe davon aus, dass dort oder auf dem U-Boot Fehler gemacht wurden, denn die deutsche Regierung anerkannte die Schadenersatzforderungen im Juli, wollte diese jedoch nicht in Form des geforderten Getreides sondern mit Geld begleichen, was in der Schweizer Presse mit "wir wollen kein Geld, wir brauchen die Fracht!" kommentiert wurde.
Erst 1920 wurde die Schadenersatzsumme durch einen holländischen Richter bestimmt und die Angelegenheit vom Bundesrat ad acta gelegt.
Spanien hatte im Krieg, neben 45 "normalen" Schiffsunglücken, über 60 Schiffe an U-Boote verloren und beschlagnahmte 1918 7 internierte deutsche Schiffe. 6 durften sie als Kompensation behalten und eins davon wurde 1924 in "Sardinero" umgetauft. Die Besatzung der versenkten Sardinero wurde übrigens gerettet.
Es gibt Hinweise, dass spanische Schiffe einen von der deutschen Botschaft in Madrid ausgestellten Geleitschein benötigt hätten. Die genauen Bestimmungen sind mir nicht bekannt. Spanische Quellen behaupten, die Sardinero hätte ein "salvoconducto" von Deutschen Stellen gehabt.
Eigentlich war der westliche Mittelmeerraum bis nach Cette nicht im Sperrgebiet des uneingeschränkten U-Bootskrieges enthalten, was ich merkwürdig finde, doch kann man sich bei einem Verhältnis von 1:472 als Risiko für eine Schiffsfahrt zu dieser Zeit wohl nicht beklagen und man reagierte von offizieller Schweizer Seite verhalten.
Feststellung am Rande: In vielen zeitgenössischen Quellen zum Thema wird immer von "torpediert" gesprochen, wenn ein U-Boot beteiligt war, auch wenn, wie in diesem Fall, andere Mittel zur Versenkung eines Schiffes benutzt wurden.
Quellen:
Die amerikanische Verheissung - Schweizer Aussenpolitik im Wirtschaftskrieg 1917/18, Florian Weber, 2016
Besseren Nähr- und Siedlungsraum schaffen - Die Schweizer Innenkolonisation im Kontext der Ernährungskrise 1917/1918, Daniel Burkhard, 2021
Die verlorene Wirtschaftsfreiheit 1914-1918 - Methoden ausländischer Wirtschaftskontrollen über die Schweiz, Heinz Ochsenbein, 1971
Neue Zürcher Zeitung, Nummer 390, 21. März 1918 Ausgabe 02
Neue Zürcher Zeitung 21. März 1918 Ausgabe 02 — e-newspaperarchives.ch
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