Seit wann brauchen Germanen einen Dolmetscher

Dieses Thema im Forum "Sonstiges im Mittelalter" wurde erstellt von Repo, 6. November 2007.

  1. hyokkose

    hyokkose Gast



    Kling, Glöckchen, klingelingeling! Das ist aus der Weihnachtsgeschichte.

    cende und -cennedan sind offensichtlich vom selben Wort abgeleitet:
    "hēo cende hyre frumcennedan sunu" = "Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn".

    "and hine mid cildeclāþun bewand" = und umwickelte ihn mit Windeln

    "and hine on binne alede" = "und legte ihn in (eine) Krippe"

    "forþam þe hig nǣfdon rūm on cumena hūse." = Weil es keinen Platz in der Herberge gab." ("cuma" = Fremder, Gast; "cumena hús" = Gasthaus, Herberge)

    A Grammar of Proto-Germanic: Chapter 7: Texts

    Hier gibt es den Text auch in Gotisch und Althochdeutsch zum Vergleich.

    Gotisch (4. Jhdt.): "Jah gabar sunu seinana þana frumabaur jah biwand ina jah galagida ina in uzetin, unte ni was im rumis in stada þamma."

    Althochdeutsch (9. Jhdt.): "enti gibar ira sun êrist-giboranon inti biuuant inan mit tuochum inti gilegita inan in crippea, bithiu uuanta im ni uuas ander stat in themu gasthuse."
     
  2. Legat

    Legat Aktives Mitglied

    Ahja. War sehr interessant. Wird cende wie "sende" ausgesprochen? Dann wäre wortwörtlich frumcennedan = frühgesendeter also im Sinne von als erster gesendeter = als erster geborener.
    Und mit cuma = kommen lag ich nicht so ganz falsch, wenni ch das von "come" ableite. Ein Fremder ist einer der von wo anders her"gekommen" ist. Also cumena húse = Haus der (von wo anders/weit her)Gekommenen.

    Kann auch sein, dass ich mit diesen Herleitungen total falsch liege, aber ich bin auch kein Onomastiker oder Linguist. :D
     
  3. hyokkose

    hyokkose Gast


    Nein, mit "senden" hat das Wort gar nichts zu tun. Die Grundform lautet "cennan" (erzeugen, gebären) und geht auf ein altes indoeuropäisches Wort zurück, das uns z. B. in den griechischen Lehnwörtern "Genetik" oder "Genesis" begegnet.


    Wann hast Du das von "come" hergeleitet? Habe ich da etwas übersehen? Du hattest auf "common" (gemeinsam) getippt, das hat mit "come" überhaupt nichts zu tun.
     
  4. Legat

    Legat Aktives Mitglied

    Nuja ich könnte sagen dass man das Wort "Genesis" in seiner Bedeutung auch als "Sendung" deuten könnte (man erschafft etwas: man sendet also etwas in die Existenz). Aber das wäre reine spekulation meinerseits.
    Da "cennan" der Urspung von "Genetik" ist wird es dann wohl auch "kennan" ausgesprochen? Damit haben sich meine Spekulationen eh erledigt :)

    Ups "lag" sollte "liege" heißen und der . ein ? :) Ne ok ich war etwas müde als ich das schrieb und hab nicht mehr nachgesehen, was ich vorher schrieb. :D
     
  5. Ostrogotha

    Ostrogotha Aktives Mitglied

    In der Tat ist es um mehr als eine Sau o. ä. gegangen in einem der ältesten Dokumente, in dem das Auseinanderdriften der germanischen Sprache belegt ist. Der Einfachheit halber bringe ich es hier als Zitat aus dem Buch „Bevor es Deutschland gab“ von R. Schmoeckel.

     
  6. Tekker

    Tekker Gast

    Dies geht nun aber wohl in eine andere Richtung. Die Tatsache, daß man sich in "Ostfranken"
    konnte, hatte ich weiter oben bereits mit dem Hinweis auf das westgermanische Dialektkontinuum angerissen.

    Um was es aber Repo (und auch mir) ging, war das Auseinanderdriften von West- und Nordgermanisch(en Sprachen).
     
  7. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Bei den Straßburger Eiden geht es aber nicht um das Auseinanderdriften germanischer Dialekte, sondern darum, dass der Eid in Althochdeutsch und Altfranzösisch gesprochen wurde, das Altfranzösische aber war keine germanische Sprache.

    http://www2.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/09Jh/StrassburgerEide/eid_text.html
     
  8. R.A.

    R.A. Neues Mitglied

    Auf einmal frage ich mich: Was eigentlich ist "Althochdeutsch" genau?

    Die Umgangssprache der Franken im Ostreich?
    Oder eine Art künstlicher gemeinsamer Dialekt, den Franken, Bayern, Schwaben, Sachsen etc. neben ihrem eigenen Dialekt benutzten, wenn sie mit "Fremden" zu tun hatten?
     
  9. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

  10. R.A.

    R.A. Neues Mitglied

     
  11. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Wenn man die süddeutschen Dialekte im Ggs. zum Niederdeutschen benennt, spricht man aber eher von 'Oberdeutsch'. Wobei die oberdeutschen Dialekte die Grundlage für das Hochdeutsche bilden.
     
  12. timotheus

    timotheus Aktives Mitglied

    Ich bitte vielmals um Entschuldigung, lieber Kollege, aber der "Gegensatz" zu "Niederdeutsch" ist "Hochdeutsch" und nicht "Oberdeutsch", auch wenn dies Teil der Hochdeutschen Sprachformen/Dialekte ist...

    Man trennt seit der Zweiten Lautverschiebung die Niederdeutschen Sprachformen von den Hochdeutschen Sprachformen; unter letztgenannte fallen dann die Mittel- und Oberdeutschen Sprachformen bzw. Dialekte (die Stärke der Ausprägung der o.g. Lautverschiebung grenzt deren Dialekträume voneinander ab).
    Ich hatte mich in einem früheren Beitrag bereits kurz dazu geäußert: http://www.geschichtsforum.de/280897-post10.html
    Das Hochdeutsche i.S.v. Schriftdeutsch bzw. heutiger deutscher Standardsprache basiert auf dem Meißner Kanzleideutsch - damit also streng genommen einem ostmitteldeutschen Dialekt (heute in etwa das Südostmeißenische) -, wenngleich anzumerken ist, daß die zur Ostfränkischen Dialektgruppe gerechneten oberdeutschen Dialekte (Hohenlohisch, Ansbachisch, Mainfränkisch, Oberfränkisch, Vogtländisch, Erzgebirgisch) ebenso eine entsprechend geeignete Grundlage hätten bilden können.
     
  13. timotheus

    timotheus Aktives Mitglied

    Obwohl wir bei diesem Thema immer wieder auf die Spezifiken der Deutschen Sprache bzw. der deutschen Dialekte zu sprechen kommen - mE auch zu sprechen kommen müssen -, erlaube ich mir, nochmals auf den Ausgangspunkt der Diskussion zurückzukommen...

    Dazu eine zeitlicher Kurzabriß - wer genauere Angaben und/oder Korrekturen hat, sei ausdrücklich um solche gebeten!

    Nach Indogermanisch - Gemeingermanisch - Althochdeutsch - Mittelhochdeutsch - Frühneuhochdeutsch - Neuhochdeutsch und Lautverschiebungen

    Erste Lautverschiebung
    Zeitraum: ca. 1500 v. Chr. bis ca. 500 n. Chr. (die Lautverschiebung soll jedoch nach neuen Erkenntnissen erst nach 100 v. Chr. abgeschlossen gewesen sein)
    Ergebnis: Gemeingermanisch trennt sich von Indogermanisch/Indoeuropäisch

    -> Hier liegt demnach die Bildung und Ausprägung der germanischen Gemeinsprache!

    Anm.: Um die Zeitenwende wird via linguistischer Rekonstruktionen gemeinhin von der Auflösung der germanischen Spracheinheit gesprochen; diese Auflösung liegt demnach zwischen 100 v. Chr. und 100 n. Chr. ...

    Zweite Lautverschiebung
    Zeitraum: ca. 500 bis ca. 1050 (die Lautverschiebung wurde erst im Verlauf des 8. Jh. abgeschlossen)
    Ergebnis: Trennung zwischen Althochdeutsch, Altniederdeutsch (Altsächsisch), Altfriesisch und Altniederländisch
    Anm.: Ab dem 5. Jh. spaltete sich infolge der Landnahme von Angeln, Sachsen und Jüten in Britannien das Angelsächsische vom Altniederdeutschen ab und entwickelte sich zum Altenglisch!

    -> Hier liegt demnach das Auseinanderdriften innerhalb der westgermanischen Sprachen sowie die bereits mehrfach angeführte Trennung der deutschen Sprach- bzw. Dialekträume Nieder- und Hochdeutsch!



    Noch einige weitere Anmerkungen...

    Altenglisch nahm ab seiner eigenständigen Entwicklung Elemente des Altnordischen infolge der Landnahme und Einwanderung dänischer und norwegischer Wikinger ab dem 8. Jh. sowie lateinische Elemente aufgrund des verstärkt religiösen Wortschatzes auf. Diese Einflüsse treten im ihm folgenden Mittelenglisch (entw. nach 1066; als gesprochene Gemeinsprache ab dem 12. Jh.) verstärkt zu Tage, wobei dieses zudem aber auch infolge der normannischen Eroberung stark französisch beeinflußt worden ist.

    Altnordisch wurde von etwa 800 bis etwa 1500 in Dänemark, Schweden und Norwegen sowie auf den Orkneys, Shetland, Färöer, Island und Grönland gesprochen (dazwischen kurzzeitig auch in Teilen Schottlands, Irlands und Englands); sein Vorläufer ist das vom 1. bis 8. Jh. höchstwahrscheinlich in Dänemark, Schweden und Norwegen gesprochene Urnordisch.
    Die unter Altnordisch gefaßten Altostnordisch (mit Altdänisch, Altschwedisch und Altgutnisch) Altwestnordisch (mit Altnorwegisch, Altisländisch und Altfäröisch) unterschieden sich zumindest bis ins 13. Jh. nicht stark voneinander; die Weiterentwicklung der Nordgermanischen Sprachen setzte wohl erst ab dem Spätmittelalter ein, wobei sich Isländisch und Färöisch am wenigsten vom Altnordischen weg entwickelten...

    Die Ostgermanischen Sprachen - mW am ehesten rekonstruierbar über Textzeugnisse des Gotischen - trennten sich wohl zuerst von den anderen ab, was damit erklärt wird, daß sie die gemeingermanische Endung -s des Nominativ Singular (im Gegensatz zum Verschwinden dieser Endung in den Westgermanischen und dem Wandel zu -r im Altnordischen) beibehielten. Kennzeichnend für die Ostgermanischen Sprachen bzw. die gentes, welche seine Sprachträger waren, ist zudem - räumlich gesehen - eine zur Zeitenwende bereits existente Ansiedlung im östlichen Baltikum bzw. (östlichen) Mitteleuropa und ab dem 2. Jh. weitere Bewegungen in südliche bzw. südöstliche Richtung.



    Vor dem Hintergrund all dieser "aus verschiedensten Ecken zusammengesuchten" Punkte dürfte das Auseinanderdriften zwischen westgermanischen, nordgermanischen und ostgermanischen Sprachen gegeneinander mit der Auflösung der germanischen Spracheinheit zusammenfallen, wobei sich das Ostgermanische mE bereits um die Zeitenwende abspaltete, während sich west- und nordgermanische Sprachen im Verlauf des 1. Jh. n. Chr. voneinander trennten.

    Wer es genauer hat, bitte posten... :fs:
     
  14. R.A.

    R.A. Neues Mitglied

    Erst einmal herzlichen Dank für diese informative Übersicht.

    D.h. die Forschung hat wirklich nachgewiesen (bzw. Belege für diese These), daß im ganzen germanischen Bereich EINE Sprache gesprochen wurde?
    D.h. es mag zwar einige Dialektfärbungen gegeben haben, aber von Skandinavien bis Süddeutschland, von Holland bis Polen/Slowakei konnten sich die Leute problemlos miteinander unterhalten?
     
  15. timotheus

    timotheus Aktives Mitglied

    Ich danke; aber die Übersicht ist trotz allem grob und stark vereinfacht.

    Die Forschung hat dieses "Urgermanisch" durch die Methode der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft erschlossen, d.h., aufgrund fehlender Textzeugnisse rekonstruiert.
    Vgl. dazu auch Urgermanisch - Wikipedia

    Das mit dem "problemlosen" Verständigen aufgrund dessen, daß es lediglich Dialektfärbungen gab, dürfte dementsprechend stimmen, nur der Betrachtungsraum ist kleiner: mW wird als Zentrum der frühgermanischen Kulturen das Gebiet des heutigen Dänemark sowie Südschweden und Norddeutschland angenommen, von dem aus eine Ausbreitung nach Süden und Südosten erfolgte.
     
  16. hyokkose

    hyokkose Gast


    Nein, das ist nicht nachgewiesen. Nachgewiesen ist, daß sich alle belegbaren frühen gemanischen Sprachen in Lautlehre, Wortschatz und Grammatik auf eine gemeinsame Wurzel zurückführen lassen, die man "Gemeingermanisch" nennt. Dieses "Gemeingermanisch" dürfte wohl relativ weit verbreitet gewesen sein, doch mag es in dem goßen Areal "von Skandinavien bis Süddeutschland, von Holland bis Polen/Slowakei" durchaus Gegenden mit eigentümlichen Dialekten gegeben haben, die vom Gemeingermanischen abgewichen sind.
    Nur: Falls es diese Dialekte gegeben hat, dann sind sie alle verschwunden, ohne nachweisliche Spuren hinterlassen zu haben. Man kann sie also weder belegen noch widerlegen.
     
  17. Repo

    Repo Neues Mitglied

    Also kann man zusammenfassend sagen, dass sich ein Schwede aus Uppsala und ein Franke aus Aachen in der Zeitspanne zwischen 600- und 1.000 n.Chr. noch ohne größere Probleme verstanden haben?
     
  18. timotheus

    timotheus Aktives Mitglied

    Diesen Schluß hätte ich nun gerade nach den bisherigen Betrachtungen für diesen Zeitraum nicht gezogen... :grübel:
     
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