Eine mütterliche Freundin von Ulrike Meinhof, die sie in einem Artikel aufforderte, sich zu stellen sagte sinngemäß, die RAF habe nicht mehr Aussicht, als ein "Schinderhannesabenteuer". Das trifft die Sache recht genau. Den Mächtigen im Land fuhr aber nach den Morden an Buback, Ponto und Schleyer der Schreck in die Glieder, und die Presse machte auch großen Teilen der Bevölkerung erfolgreich Angst. Die RAF hat der linken Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre, die sich (endlich!) und völlig zu Recht mehr Demokratie wünschte, einen Bärendienst erwiesen. Das BKA, das Anfang der 70er noch eine kleine Behörde war und all die Geheimdienste wuchsen wie ein Krebsgeschwür. "Mehr Demokratie (zu) wagen" wollte nach dem deutschen Herbst keine Bundesregierung mehr riskieren, und wer ernsthaft darauf hoffte, aus einem Parlament könnte irgendetwas Positives in diese Richtung kommen, bekam bei all den Radikalenerlassen und Vermummungsverboten eine kalte Dusche.
Ohne seine Ermordung hätte niemand guten Gewissens, selbst im CDU-Musterländle Baden-Württemberg nicht-wagen können, nach Hans- Martin Schleyer eine Halle benennen zu können. Der "furchtbare Jurist" und Ministerpräsident von Baden- Württemberg Hans Filbinger, der noch in den letzten Kriegswochen Matrosen zum Tode verurteilt hatte, musste 1976 seinen Hut nehmen. Verglichen mit Filbinger, Globke und Schleyer war Kurt Georg Kiesinger schon fast bedauernswert, als er bei einem CDU Parteitag von Beate Klarsfeld geohrfeigt wurde. Er hatte nach heutigem Erkenntnisstand wenigstens niemanden hingerichtet, keine Rassegesetze verfasst oder sich wie Schleyer an Arisierungen beteiligt. Als Anwalt hatte er immerhin zwei Gestapoopfer vertreten, die er loseisen konnte und hatte wohl auch mal Juden geholfen. Vorzuwerfen war ihm nichts, als eine schwarz-braune Gesinnung, die er mit der Mehrheit seiner Juristenkollegen der 50er und 60er Jahre gemeinsam hatte. Die Morde an Buback, Ponto und Schleyer waren durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen. Statt eine durchaus berechtigte Frage nach der Verstrickung führender Köpfe aus Politik und Wirtschaft während des NS anzustoßen, machte seine Entführung und Ermordung Hans-Martin Schleyer zu einer Art Märtyrer. Wie er auf Fotos im Unterhemd dasaß weckte er auch bei seinen schärfsten Kritikern Mitleid.
Eine Gefahr für die Bundesrepublik war die RAF niemals, und für die Bevölkerung, für zufällige Passanten war und ist der Rechtsterrorismus viel gefährlicher, der im Übrigen auch weitaus mehr Opfer gefordert hat. Der Entschluss des damaligen Bundesinnenministers Baums die Wehrsportgruppe zu verbieten, stieß in der CSU auf Kritik. Erst nach dem Oktoberfestattentat von 1980 geschah das.
Verglichen mit der kaltschnäuzigen, selbstherrlichen und selbstzerstörerischen Radikalität islamistischer Selbstmordattentäter wirkt die RAF fast bieder. Wenn Andreas Baader allen Ernstes glaubte, als Kader und mit einer Stadtguerilla in der BRD der 70er Jahre die Oktoberrevolution wiederholen zu können, so hatte dieses Projekt in etwa die Erfolgsaussicht der Zeichentrickfiguren "Pinky and the Brain" die Weltherrschaft zu ergreifen.
Wie gesagt, für Leute, die als basisdemokratische und außerparlamentarische linke Opposition in der BRD positiv etwas verändern wollten, war die RAF eine einzige Katastrophe, weil sie als deren Sympathisanten, als "Revoluzzer" und "linke Spinner" von einem Teil der Presse und der Öffentlichkeit diskreditiert wurden. Erfolgreich war sie nur in dem Sinne dass sie und spätere Terrororganisationen als Grund für Einschränkungen der Bürgerrechte zu Gunsten der "inneren Sicherheit" und "öffentlichen Sicherheit" herhalten mussten.
Wenn Ulrike Meinhof noch leben würde, könnte sie sich angesichts des
NSU-Prozesses und den zahlreichen, meist vertuschten Justiz- und Polizeiskandalen mit weitaus größerer Berechtigung über ein angeblich faschistoides "Schweinesystem" der BRD bestätigt fühlen, als sie das Ende der 60er und zu Beginn der 70er tun konnte.