Siegfried´s Xanten

fingalo schrieb:
Nur dann, wenn man bereits felsenfeste Überzeugungen hat.
Wir haben es hier mit vielen übereinandergelegten Folien zu tun. Dass der Dichter um 1200 isländische Menschen mit arabischen Stoffen einfach so ausstattet, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Um 1200 war in Deutschland hinreichend bekannt, dass da überhaupt nichts war, was irgendwie sehenswert gewesen wäre, geschweige denn Prachtentfaltung. Fazit: Die handelnden Personen (Brünhilde in Island) können ohne Lacherfolg nicht im Ernst mit arabischer Seide und Edelsteinen ausgestattet werden. Wenn kein Lacherfolg eintrat, dann nur deshalb, weil der zeitgenössische Hörer durch die verschiedenen Anspielungen sofort darüber im Bilde war, dass "Island" hier für etwas anderes stand, wofür, wurde durch die Schneiderstrophen deutlich gemacht. Nur so rum wird ein einigermaßen plausibler Zusammenhang erstellt.

Wenn das alles im 12.Jhd. gespielt haben soll, dann frage ich mich, warum es mit dem Satz beginnt: "Uns ist in alten Maeren..." ? :grübel:
Das verweist doch eindeutig auf lange zurückliegende Sagen.
 
Wie fingalo richtig schreibt, tauchen die Nibelungen im 7./8. Jhd als burgundisch-fränkisches Geschlecht auf. Die Nibelungen des Nibelungenliedes sind aber nicht die Könige der Burgunder. Diese gelten im nordischen Sagenkreis als Gjukunge. Die Nibelungen sind vielmehr ein mythisches Geschlecht. Wenn also später nocheinmal Nibelungen auftauchen, so können diese vielmehr auch nur nach dem Ort Nivelles benannt sein und nur mit den ursprünglichen Nibelungen dann im Schriftgut verschmolzen sein.
 
Dieter schrieb:
Die Katastrophe der Burgunder z.B. muss die Leute derart nachhaltig beeindruckt haben, dass die Kenntnis über so lange Zeit nicht verloren ging. Das Nibelungenlied hat das Ereignis zumindest rudimentär bewahrt, und erst wiederum mehrere Jahrhundert später konnten Historiker feststellen, dass die Aussage des Liedes auf Wahrheit beruhte.
Dazu fällt mir noch etwas ein:
Was ist denn eigentlich erhalten geblieben? Attila zieht nach Burgund und vernichtet deren Reich 436 derart, dass es eigentlich aufhört und umgesiedelt wird.
Im Nibelungenlied zieht eine Handvoll Hochzeitsgäste an den Hof von Etzel und kommt dort beim Fest um. Denn die "Burgunden" begleiten Kriemhild ja gemäß der 21. Aventiure nur bis an die Donau und kehrten dann wieder heim nach Worms. Von einer Vernichtung eines ganzen Volkes ist da nicht die Rede.
Darin eine Erinnerung an die Katastrophe von 463 zu sehen, ist für mich so abwegig, wie in eine, Krimi mit 5 Toten eine Erinnerung an Stalingrad zu vermuten.
 
Cherusker schrieb:
Wenn das alles im 12.Jhd. gespielt haben soll, dann frage ich mich, warum es mit dem Satz beginnt: "Uns ist in alten Maeren..." ? :grübel:
Das verweist doch eindeutig auf lange zurückliegende Sagen.
Da gilt es zu fragen, welchen Zweck der Dichter damit verfolgte, seine Geschichte in die Vergangenheit zu verlegen.
Wenn z.B. die Intention seines Epos eine herrschaftskritische, speziell stauferkritische gewesen sein sollte, ist es verständlich, dass in der damaligen Zeit eine solche Tendenz nicht unverblümt vorgebracht werden konnte.
 
beorna schrieb:
Wie fingalo richtig schreibt, tauchen die Nibelungen im 7./8. Jhd als burgundisch-fränkisches Geschlecht auf. Die Nibelungen des Nibelungenliedes sind aber nicht die Könige der Burgunder.
Doch, sind sie.

beorna schrieb:
Diese gelten im nordischen Sagenkreis als Gjukunge.
Nein, sondern die Gjukunge sind originär und werden später (sekundär) mit den Nibelungen identifiziert.

beorna schrieb:
Die Nibelungen sind vielmehr ein mythisches Geschlecht. Wenn also später nocheinmal Nibelungen auftauchen, so können diese vielmehr auch nur nach dem Ort Nivelles benannt sein und nur mit den ursprünglichen Nibelungen dann im Schriftgut verschmolzen sein.
Das mythische Geschlecht der Gjukunge, das sekundär mit den Nibelungen identifiziert wird, hat mit den Nibelungen des Liedes nur sehr wenig zu tun. Denn Siegfried besiegt ja die Nibelungen. Hagen erklärt:

Da gibt es zu erzählen, wenn Siegfried kommt ins Land!
Die kühnen Nibelunge erschlug des Helden Hand,
Zwei mächtige Königssöhne, Schilbung und Nibelung.
Unerhörte Taten bestand der Recke kühn und jung.

Die gesamte von Hagen erzählte Vorgeschichte Siegfrieds (viele klammern sich an die paar Verse (14) wie an einen Strohhalm, weil da das einzige mythische überhaupt zu finden ist, geheimnisvoller Schatz, Zwerg, Zauberschwert, Tarnkappe usw.; der Lindwurm kommt bei Hagen nur in 1 Zeile vor:
Noch andre Abenteuer sind mir von ihm bekannt.
Es schlug einen Lindwurm des Helden starke Hand.
Er badete im Blute; fest ist wie Horn sie jetzt.
Man hat es oft erfahren, dass keine Waffe ihn verletzt.

Später erzählt Kriemhild die Geschichte noch einmal Hagen in einer Strophe, dann ein paar Strophen weiter eine Strophe mit dem Lindenblatt. Und was wird da gemutmaßt und spekuliert!) Die paar Strophen in dem riesigen Epos lassen es zu einer Aufbewahrungsstätte uralter Mythen werden. Von "mythischen" Nibelungen ist außer in den paar Versen Hagens nirgends die Rede.
Dabei ist für das Jahr 1200 immer noch die Frage erlaubt, ob nicht der Mythos das Nibelungenlied abgekupfert hat, als er feststellte, dass der Untergang der Helden durch die Eifersucht einer Frau ganz gut übereinstimmte, so dass es nahe lag, die Gjukunge in Verbindung mit den Nibelungen zu bringen. Aber das Motiv kommt öfter vor - am dramatischsten und kunstvollsten in der Laxdæla. In der gesamten nordischen Saga-Literatur ist der Topos weit verbreitet, dass Frauen Männer zu Kämpfen aufstacheln, in denen sie den Tod finden.
 
Um meine Sicht der Dinge zu unterstreichen, möchte ich aus dem 9-bändigen "Lexikon des Mittelalters" zitieren, das 1999 erschien und zu den anerkanntesten Werken seiner Gattung zählt:

"Auf einen historischen Kern in der Völkerwanderungszeit weisen die Namen der Könige Gunther und Giselher (Gundaharius und Gislaharius in der 'Lex Burgundionum') und der Hunnen Etzel = Atli und Bloedel = Bleda hin. Ihr Zusammentreffen und die Verbindung mit Dietrich von Bern (Teil der Dietrichsage um Theoderich den Großen, 471-526) entsprechen kontaminierender Sagenchronologie: 436 Vernichtung des Burgundenreiches unter König Gundahar durch Römer unter Aetius und hunnische Truppen; 453 Tod Attilas . Die merowingische Geschichte des 6. Jh. mit Verwandtenmord und Namen wie Brunichild enthält mögliche Ansätze für die Brunhils-Siegfried-Sage. Rekonstruierbar sind der Sagenbildungsprozss und die Formen der mündlichen Tradition über die Jahrhunderte nicht; zu rechnen ist mit mit ungeformter Weitergabe der Sage und mündlicher Überlieferung."

Dies entspricht exakt der von mir vertretenen Auffassung und du wirst mir verzeihen, Fingalo, wenn ich ihr mehr Gewicht beimesse, als deinen Ausführungen.
 
Dieter schrieb:
Um meine Sicht der Dinge zu unterstreichen, möchte ich aus dem 9-bändigen "Lexikon des Mittelalters" zitieren, das 1999 erschien und zu den anerkanntesten Werken seiner Gattung zählt:


Dies entspricht exakt der von mir vertretenen Auffassung und du wirst mir verzeihen, Fingalo, wenn ich ihr mehr Gewicht beimesse, als deinen Ausführungen.

Aber sicher verzeihe ich das:rofl:. Das LMA steht hinter mir. Allerdings fällt mir das schwerer unter dem Gesichtspunkt, dass Du von den mehrseitigen Ausführungen nur gerade diese Sätze isoliert für maßgeblich hälst.

Die Ausführungen sind viel umfangreicher. Dass die Katastrophe von 436 überhaupt nicht zum Nibelungenlied passt, dass da außer ein paar Namen so gut wie nichts passt, fällt auch dem LMA auf, umschreibt das aber euphemistisch mit dem Ausdruck "kontaminiert". Und auch nach ihm ist der "Sagenbildungsprozess nicht rekonstruierbar".
"Unsicher bleibt auch die Zeit der Verbindung von der Brünhild-Siegfriedssaga und dem Burgundenuntergang durch das Voraussetzungs-Folge-Verhältnis von Mord und Rache."

Und dann lies mal den nächsten Abschnitt IV.! Da geht's um Deutungsprobleme!
"Das durch die zahlreichen Hss, dokumentierte Interesse am Nibelungelied setzte aber die Möglichkeit zeitgenössischen Verstehens voraus. Sie ergeben sich aus den stoffgeschichtlichen und gestalterischen Spezifika: Nibelungen und Nibelungensage repräsentieren eine durchaus Glaubwürdigkeit beanspruchende besondere Geschichtstradition, in der historische Ereignisse durch epische Erklärungsmuster bewältigt und erinnerbar gemacht sind, sie gingen in adlige Familientraditionen zu heroischer Legitimierung ein und standen für aktuelle Deutungsbezüge offen. Die durchgängige Machtthematik zeigt die historisch-politische Dimension des Nibelungenliedes."

Genau diese politische Dimension des Nibelungenliedes ist sein Erfolgsgeheimnis im Mittelalter, wie auch dem LMA zu entnehmen ist, und du wirst mir verzeihen, Dieter, wenn ich ihm mehr Gewicht beimesse, als deinen Fragestellungen. Für einen Historiker kann es gar nichts wichtigeres geben, als dieser Dimension nachzugehen. Das andere ist Motivgeschichte und von Germanisten und Literaturwissenschaftlern zu leistende vergleichende Arbeit, wer von wem was abgeschrieben hat uw. Allenfalls von literaturgeschichtlichem Interesse.
 
fingalo!

Es ging einzig und allein darum, dass sich im Nibelungenlied historische Wurzeln bzw. historische Kerne aus der Zeit der Völkerwanderung finden, und zwar der Untergang des Burgunderreichs um Worms durch eine hunnische Streifschar. Ferner darum, dass die fränkische Reichsgeschichte ebenfalls Fundamente zum Kreis Siegfried/Brunhild beigetragen haben könnte. Beides hast du wortreich bestritten, wird aber nun von dir widerwillig konzediert, nachdem ich das LMA zur Stützung meiner These angeführt habe.

Dass das Nibelungenlied im übrigen ein hochmittelalterliches Epos ist, dessen Form mit dem frühen Mittealter nicht das mindeste zu schaffen, war und ist unbestritten.

Mehr lässt sich dazu eigentlich nicht sagen!
 
Dieter schrieb:
fingalo!

Es ging einzig und allein darum, dass sich im Nibelungenlied historische Wurzeln bzw. historische Kerne aus der Zeit der Völkerwanderung finden, und zwar der Untergang des Burgunderreichs um Worms durch eine hunnische Streifschar.
Ja, dann nenn mir doch mal die Stellle im Nibelungenlied, wo eine hunnische Streifschar in Burgund auftaucht und irgendetwas bewirkt.

Dieter schrieb:
Ferner darum, dass die fränkische Reichsgeschichte ebenfalls Fundamente zum Kreis Siegfried/Brunhild beigetragen haben könnte. Beides hast du wortreich bestritten,
Wie bitte? Seitenweise mache ich Ausführungen zur Reichsgeschichte, und nun soll ich sie bestritten haben?

Dieter schrieb:
wird aber nun von dir widerwillig konzediert, nachdem ich das LMA zur Stützung meiner These angeführt habe.
keineswegs. Dass da Namen von anderswo hineingekommen sind, dass es einen Etzel = Attila geben hat, wo habe ich das bestritten und dann widerwillig konzidiert?
Ich habe lediglich festgehalten, dass es sich bei diesen von Dir in den Vordergrund gestellten Elementen um Marginalien handelt, die nicht viel mehr als 20 Verse von rund 2400 Versen ausmachen.

Dieter schrieb:
Dass das Nibelungenlied im übrigen ein hochmittelalterliches Epos ist, dessen Form mit dem frühen Mittealter nicht das mindeste zu schaffen, war und ist unbestritten.
Form? Inhalt! Oder wo gab es die Hofämter, die gleich am Anfang aufgezählt werden, im frühen Mittelalter, Küchenmeister, Marschall, Truchsess, Mundschenk und Kämmerer? Volker von Alzey? Die ganzen Ritter und Knappen? Oder gehören die zur Form? Und die immer wieder beschriebene Kleidung, wo gab's die im frühen Mittelalter? Oder gehören die zur Form? Gehört Bischof Pilgrim, der Onkel Kriemhilds in Baiern zur Form? Und der ganze Hof zu Worms, was war denn in Worms im 5. Jh. kurz nach der römischen Herrschaft? Wo waren da 3 Könige (Vers 8)? Alles Formalien? Dann schnurrt so ziemlich alles zur Form zusammen.

Dieter schrieb:
Mehr lässt sich dazu eigentlich nicht sagen!

Da gebe ich Dir allerdings recht.
 
Da hier immer wieder auf die zeitaktuellen Bezüge im Nibelungenlied hingewiesen wird, wie eben auf die Hofämter: Das würde ich auch noch nicht als Anhaltspunkt dafür nehmen, dass die Geschichte der Nibelungen sich auf ein hochmittelalterliches Ereignis bezieht. Viel geringer als heute waren die Möglichkeiten mittelalterlicher Schreiber, die Lebenswelten spätantiker Fürsten etc. nachzuvollziehen. Da nahm halt schon mal an, es habe einen Marschall auch schon vor langer Zeit bei den fränksichen Königen gegeben. Letztlich zieht sich das auch durch die mittelalterliche und sogar neuzeitliche Kunst: wo immer auch Szenen aus der Bibel oder andere aus der Antike zu sehen sind, immer tragen die Menschen z.B. zeitgenössische und sogar regional identifizierbare Gewandung.
 
Ashigaru schrieb:
Da hier immer wieder auf die zeitaktuellen Bezüge im Nibelungenlied hingewiesen wird, wie eben auf die Hofämter: Das würde ich auch noch nicht als Anhaltspunkt dafür nehmen, dass die Geschichte der Nibelungen sich auf ein hochmittelalterliches Ereignis bezieht. Viel geringer als heute waren die Möglichkeiten mittelalterlicher Schreiber, die Lebenswelten spätantiker Fürsten etc. nachzuvollziehen. Da nahm halt schon mal an, es habe einen Marschall auch schon vor langer Zeit bei den fränksichen Königen gegeben. Letztlich zieht sich das auch durch die mittelalterliche und sogar neuzeitliche Kunst: wo immer auch Szenen aus der Bibel oder andere aus der Antike zu sehen sind, immer tragen die Menschen z.B. zeitgenössische und sogar regional identifizierbare Gewandung.
Mit Nichten:).
Das Amt des Küchenmeisters, das besonders hervorgehoben wird, gab es um 1200 erst ganz frisch!
Zum anderen war man um 1200 sehr wohl über frühere Zustände informiert. Die Geschichtsschreibung hatte bereits lange vorher eingesetzt (Gregor v. Tours, Fredegar usw.). Hofämter waren fest in der Hand bestimmter Adelsgeschlechter. Die wussten genau, wann und wie ihr Geschlecht an das Hofamt gekommen waren. Die Leute um 1200 wussten in vielen Dingen besser Bescheid als wir heute, weil viele Urkunden und Dokumente, die damals noch in den Archiven vorhanden waren, inzwischen verloren sind.
Zum Dritten sind es ja nicht die Hofämter allein. Es ist ja nicht so, dass das Nibelungenlied archaische Zustände und Begebenheiten schildert und mitten drin erratisch eine völlig anachronistische Information über Hofämter steht. Alle Assesoires der Ereignisse sind zeitgenössisch. Die Kleidung sogar fast "futuristisch", indem um 1200 Kleider beschrieben werden, die der Verfasser erst 1194 erstmals gesehen haben kann. Dass diese nicht Jahrhunderte früher zu haben waren, hat er mit absoluter Sicherheit gewusst.
Hinzukommen die mannigfachen Hinweise auf das normannische Reichsschwert und die Reichskrone, die es zur Völkerwanderungszeit ja noch gar nicht gab. Die Beschreibung des Nibelungenschatzes ist gespickt mit Anspielungen auf die Reichsinsignien.
 
@ Fingalo: mag sein - aber dass ihnen bewusst war, dass sie ganz moderne Versatzstücke in die alten Geschichten einbauten, heißt im Umkehrschluss noch nicht, dass sie wussten, wie die Leute zur Völkerwanderungszeit gekleidet waren oder welche Ämter es gab etc. Es gab nahezu keine Möglichkeiten, sich darüber zu informieren, also ließen die Dichter viel aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz einfließen. Bei den Artus-Dichtungen, die sich ohne Zweifel auf spätantike/frühmittelalterliche Wurzeln zurückführen lassen, war es nicht anders.
 
Ashigaru schrieb:
@ Fingalo: mag sein - aber dass ihnen bewusst war, dass sie ganz moderne Versatzstücke in die alten Geschichten einbauten, heißt im Umkehrschluss noch nicht, dass sie wussten, wie die Leute zur Völkerwanderungszeit gekleidet waren oder welche Ämter es gab etc. Es gab nahezu keine Möglichkeiten, sich darüber zu informieren, also ließen die Dichter viel aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz einfließen. Bei den Artus-Dichtungen, die sich ohne Zweifel auf spätantike/frühmittelalterliche Wurzeln zurückführen lassen, war es nicht anders.

Eine Anmerkung: auch auf alten Gemälden wurden Römer in Ritterrüstungen dargestellt. Oder auch Hannibal? Er wird als mittelalterlicher Ritter dargestellt. Sie entsprechen somit nicht dem Original, sondern wurden von den Malern in ihre Vorstellungen versetzt. Die Leute müssen damals wenig Wissen über die Bekleidung von vergangenen Jahrhunderten besessen haben. Daher kann sich ein Schreiberling aus dem 12Jh. auch nicht einen Menschen der Völkerwanderungszeit vorstellen. Er wird ihn in seiner zeitgenössischen Darstellung wiedergeben.

Und daß der Schreiberling der Nibelungensage verschiedene Ereignisse mit eingeflochten hat, das dürfte auch klar sein.
 
Ashigaru schrieb:
@ Fingalo: mag sein - aber dass ihnen bewusst war, dass sie ganz moderne Versatzstücke in die alten Geschichten einbauten, heißt im Umkehrschluss noch nicht, dass sie wussten, wie die Leute zur Völkerwanderungszeit gekleidet waren oder welche Ämter es gab etc.
Für den Fortgang der Handlung ist die Kleidung in ihren Details völlig unerheblich. Es genügt, dass sie "vornehm" gekleidet sind, wie immer das ausgesehen haben mag. Wenn also detaillierte Beschreibungen von Stoffen angeführt werden, von denen für den Dichter bereits feststeht, dass es sie früher nicht gegeben hat, dann lässt sich das auf diese Weise nicht erklären.
Ashigaru schrieb:
Es gab nahezu keine Möglichkeiten, sich darüber zu informieren,
Woher Du wissen? Es gab bereits bildliche Darstellungen aus früheren Zeiten, aus denen man entnehmen konnte, wie die Leute angezogen waren.
Ashigaru schrieb:
also ließen die Dichter viel aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz einfließen. Bei den Artus-Dichtungen, die sich ohne Zweifel auf spätantike/frühmittelalterliche Wurzeln zurückführen lassen, war es nicht anders.
Ohne Zweifel? Na ja. Natürlich: Es treten Menschen auf. Irgendwas wird man auch da finden, dass es schon immer gegeben hat, wahrscheinlich sogar indische "Wurzeln". Man muss nur genau genug suchen, und man wird irgendwas finden, was es auch da schon gegeben hat - und schwupp, hat man eine "Wurzel". Aber die Artus-Sage ist hier nicht Thema.
 
Cherusker schrieb:
Eine Anmerkung: auch auf alten Gemälden wurden Römer in Ritterrüstungen dargestellt. Oder auch Hannibal? Er wird als mittelalterlicher Ritter dargestellt. Sie entsprechen somit nicht dem Original, sondern wurden von den Malern in ihre Vorstellungen versetzt. Die Leute müssen damals wenig Wissen über die Bekleidung von vergangenen Jahrhunderten besessen haben. Daher kann sich ein Schreiberling aus dem 12Jh. auch nicht einen Menschen der Völkerwanderungszeit vorstellen. Er wird ihn in seiner zeitgenössischen Darstellung wiedergeben.

Und daß der Schreiberling der Nibelungensage verschiedene Ereignisse mit eingeflochten hat, das dürfte auch klar sein.
Typisches Beispiel sind die Geißelungs- und Kreuzigungsszenen.
Aber sogar in der Renaissance-Zeit, wo man über die Kleidung bereits Bescheid wusste, wurde so verfahren. Es wäre ja immerhin denkbar, dass das nicht aus Unwissenheit geschah, sondern mit einer Aussageabsicht verbunden war, so, wie wenn heute Shakespeare in Jeans aufgeführt. Geschieht ja auch nicht, weil man nicht weiß, was man damals getragen hat.

Es geht ja ausschließlich um einen Perspektivenwechsel: Ist das Nibelungenlied eine frühmittelalterliche Geschichte, in die der Dichter (aus Unkenntnis?) zeitgenössische Elemente verwendet hat (so die klassische deutsche Theorie des 19. Jh.), oder handelt es sich um eine zeitgenössische Geschichte, in die der Dichter frühmittelalterliche Elemente zur Verfremdung der dargestellten Ereignisse verwendet hat (so die französische Forschung und einige deutsche Nibelungenforscher, die ich teilweise schon zitiert habe und die auch im einschlägigen Artikel des LMA berücksichtigt wurden). Die erste Auffassung leugnet den politischen Gegenwartsbezug, die zweite betont ihn. Und ich befürworte die zweite Auffassung; denn die erste Auffassung muss das Nibelungenlied für eine reine Unterhaltungspoesie halten. Dann aber ist mir die Verbindung zwischen der Beschreibung des Nibelungenschatzes mit den Reichsinsignien in mannigfacher Zahlensymbolik nicht recht verständlich. Für die reine Unterhaltung ist weder die detaillierte Beschreibung der Kleider (bis hin zur Erwähnung der Herstellungsorte der Stoffe) und die Verbindung der Reichsinsignien mit dem Nibelungenschatz irgendwie von Bedeutung. Da genügt Action. In dem "Lancelot und Ginover" und "Lancelot und der Gral" kommen solche Beschreibungen nicht vor.

Es fällt immerhin auf, dass der Dichter umso unbedarfter sein muss, je mehr Bezüge zu seiner Gegenwart festgestellt werden. Was der alles nicht gewusst haben darf, wächst sozusagen permanent an.
 
Woher Du wissen? Es gab bereits bildliche Darstellungen aus früheren Zeiten, aus denen man entnehmen konnte, wie die Leute angezogen waren.

Woher Du denn wissen? Mir fällt auf jeden Fall kein zeitgenössisches Kunstwerk aus dem 5./6. Jahrhundert ein, dass einen Burgunden (oder Franken oder Alemannen oder Hunnen) zeigt. Abgesehen davon, war es für einen mittelalterlichen Menschen ungleich schwerer, antike Bau- oder Kunstwerke einzuordnen.

Ohne Zweifel? Na ja. Natürlich: Es treten Menschen auf. Irgendwas wird man auch da finden, dass es schon immer gegeben hat, wahrscheinlich sogar indische "Wurzeln". Man muss nur genau genug suchen, und man wird irgendwas finden, was es auch da schon gegeben hat - und schwupp, hat man eine "Wurzel". Aber die Artus-Sage ist hier nicht Thema.

Schade, bis zu diesem Post fand ich die Diskussion noch ganz vernünftig und sachlich. Da es ja nur darum geht, dass "Menschen auftreten", erspare ich mir anzumerken, dass der Artus-Stoff in walisischen Werken des Frühmittelalters vermutl. vorweg genommen wurde und ein Artus darin auch mehrfach auftaucht und datiere eigenmächtig die Nibelungen in die Altsteinzeit. Basta, da lasse ich nicht mit mir diskutieren, die Höhlenmalereien zeigen es deutlich.
 
Der Verfasser des Nibelungenliedes hat, wie ihr richtig bemerkt habt, seine Welt des 12. Jhds in sein Werk einfließen lassen. Es ist auch nicht ganz unwahrscheinlich, daß er eine politische Situation des 12. Jhds ins 5. Jhd verlegt hat und miteinander verschmelzen ließ. Wahrscheinlicher ist aber doch, daß er eine alte Sage des 5. Jhds erzählte.
1) Zudem möchte ich daraufhin weisen, daß von Etzel die Rede ist, nicht von Attila. Es erscheint mir wahrscheinlich, daß die Erinnerung an Aetius mit der Zeit verblasste und man ihn deshalb mit Attila gleichsetzte.
2) Fingalo, du schreibst selbst von Schilbung und Nibelung. Sie sind die Nibelungen, nicht die Burgunderdynastie. Daher können auch die Niflungen von Nivelles nicht die eigentlichen (burgundischen) Nibelungennachfahren sein. wer die Nibelungen waren, historische Personen oder märchenhafte Gestalten, muß wohl vorerst unbeantwortet bleiben.
 
beorna schrieb:
1) Zudem möchte ich daraufhin weisen, daß von Etzel die Rede ist, nicht von Attila. Es erscheint mir wahrscheinlich, daß die Erinnerung an Aetius mit der Zeit verblasste und man ihn deshalb mit Attila gleichsetzte.

Könntest Du bitte erklären, wie jetzt Aetius in die Figur Etzel mit einfließt? Falls Du das klangliche Etz/Ätz meinst, welches in der lateinischen Schreibung -tiu- seinen Ausdruck findet - nur so kann ich mir Deine Vermutung über die Figurenmischung erklären - dann muss ich Dir mitteilen, dass Etzel(a) die logische Konsequenz aus Attila nach der Zweiten germanischen bzw. Hochdeutschen Lautverschiebung ist. Es hätte demnach dann keine Mischung der Antagonisten gegeben. Solltest Du aber nicht phonologisch argumentiert haben, neige ich meinen Kopf in Demut und harre der Antwort, die da kommen wird ;)
 
beorna schrieb:
Der Verfasser des Nibelungenliedes hat, wie ihr richtig bemerkt habt, seine Welt des 12. Jhds in sein Werk einfließen lassen. Es ist auch nicht ganz unwahrscheinlich, daß er eine politische Situation des 12. Jhds ins 5. Jhd verlegt hat und miteinander verschmelzen ließ. Wahrscheinlicher ist aber doch, daß er eine alte Sage des 5. Jhds erzählte.
Und warum sollte er das tun? Wir wissen von einer "alten Sage des 5. Jh." nichts. Es gibt keine Überlieferungen, die aus dieser Zeit stammen. Es handelt sich hierbei um Vermutungen aus dem 19. Jh., die "eine Erzähltradition über mehrere Jahrhunderte" postuliert haben.

beorna schrieb:
1) Zudem möchte ich daraufhin weisen, daß von Etzel die Rede ist, nicht von Attila. Es erscheint mir wahrscheinlich, daß die Erinnerung an Aetius mit der Zeit verblasste und man ihn deshalb mit Attila gleichsetzte.
Das könnte durchaus sein. Allerdings waren die Leute nicht auf Erinnerungen angewiesen. Es gab ja schon Geschichtsschreibung, aus der wir beispielsweise von Aetius wissen (aber nicht von den mythischen Nibelungen)

beorna schrieb:
2) Fingalo, du schreibst selbst von Schilbung und Nibelung. Sie sind die Nibelungen, nicht die Burgunderdynastie. Daher können auch die Niflungen von Nivelles nicht die eigentlichen (burgundischen) Nibelungennachfahren sein.
Schilbung und Nibelung kommen ausschließlich in der Erzählung Hagens vor und haben mit den Nibelungen nichts zu tun, die an Etzels Hof zogen. In den Nibelung können durchaus mehrere Figuren verschmolzen sein, auch ein Mythos.
Der Wechsel tritt in der 8. Aventiure ein. Da fährt Sigfried ins Nibelungenland und bringt 1000 Kämpfer mit nach Worms. Die verschmelzen mit den Burgunden, und Kriemhild erwartet in der 27. Aventiure an Etzels Hof die Nibelungen als ihre Leute.
Die letzte Zeile des Liedes: "Hier hat die Mär ein Ende: Das ist der Nibelungen Not." bezieht sich nicht auf Schilbung und Nibelung, sondern auf die Kämpfer. Und das sind eindeutig die Burgunden.
Auch die Namen der mitwirkenden Einzelpersonen stammen nicht aus dem 5. Jh., sondern aus späteren Zeiten, und ihre Geschlechter sind am kaiserlichen Hof um 1200 oder in anderen Adelsfamilien dieser Zeit vertreten.

beorna schrieb:
wer die Nibelungen waren, historische Personen oder märchenhafte Gestalten, muß wohl vorerst unbeantwortet bleiben.
Das mag für die 1000 Ritter gelten, muss aber nicht für Hagen, Gunter Pilgrim usw. gelten. Im übrigen ist die Forschung ja gerade dabei, sich dieser Frage zu widmen. Die Aussage, das seien alles Gestalten, die über lange Erzähltradition aus dem 5. Jh. herübergerettet worden seien, versucht nur die Aufhellung der Gegenwartsbezüge als von vornherein auf einem falschen Gleis zu blockieren.
Sie ist selber durch nichts belegt. Jedenfalls können die Gjukunge nicht herangezogen werden.
 
Ashigaru schrieb:
@ Fingalo: mag sein - aber dass ihnen bewusst war, dass sie ganz moderne Versatzstücke in die alten Geschichten einbauten, heißt im Umkehrschluss noch nicht, dass sie wussten, wie die Leute zur Völkerwanderungszeit gekleidet waren oder welche Ämter es gab etc. Es gab nahezu keine Möglichkeiten, sich darüber zu informieren, also ließen die Dichter viel aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz einfließen. Bei den Artus-Dichtungen, die sich ohne Zweifel auf spätantike/frühmittelalterliche Wurzeln zurückführen lassen, war es nicht anders.
Ich bin gewiss kein Fachmann und kann hier nur meine Meinung und Gedanken äußern. (Ich weiß, die haben in einer Sachdiskussion eigentlich nichts verloren.)

Dass Anachronismen von Dichtern bewusst eingeführt wurden und nicht aus Unwissenheit, halte ich für durchaus wahrscheinlich. Zum einen möchte ich nicht den Fehler begehen, Menschen aus vergangenen Zeiten in ihren Professionen weniger Können zuzusprechen, als ihren neuzeitlichen Kollegen. Die dichterische Kunst des Nibelungenliedes legt nahe, dass der Verfasser über die gewählten Worte und Formulierungen nachdachte, also ein Könner seines Fachs war. Dann lässt sich auch davon ausgehen, dass die Inhalte seines Werkes ebenso bewusst gewählt sind.

Angenommen, der Verfasser hätte mit dem Niebelungenlied Begebenheiten aus vergangenen Zeiten wiedergeben wollen, hätte er dies vermutlich korrekt tun wollen. Wissenslücken hätte ein gekonnter Dichter dabei mit weniger detailreichen Umschreibungen gefüllt, um Fehler zu vermeiden. Wie Gewänder exakt beschaffen waren und woraus Schätze genau bestanden, hätte für die Handlung keinerlei Bedeutung gehabt und für die Erzählung somit keine Aussagekraft.

Bei den aufgeschriebenen Versionen der Artussagen kenne ich mich nicht so aus, bin aber bisher davon ausgegangen, dass die Autoren die Geschichte mit voller Absicht in ihre Zeit transportierten, um der höfischen Gesellschaft ein zeitgenössisches Ideal von Ritterlichkeit vor Augen zu führen.

Im Beowulf ist ein Anachronismus jedenfalls deutlich mit einer Intention eingeführt worden. Der Verfasser hätte seinem Publikum niemals einen Heiden als Ideal und Helden zumuten können, weshalb er einen Christen aus Beowulf machte. Zu der Zeit, als Beowulf aufgeschrieben wurde, war England noch nicht lange christianisiert, weshalb sowohl Autor wie Publikum bewusst gewesen sein dürfte, dass die Ahnen heidnisch gewesen waren.

Ich denke, dass Wissenslücken zu Lücken in Erzählungen wurden. Dort, wo Anachronismen eingefügt wurden, geschah es mit anderer Absicht, als der bloßen Verlegenheit, Lücken schließen zu müssen.
 
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