Sigmund Freud und das Kokain

Scorpio

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Kokain wurde zum erstenmal 1860 in Göttingen aus der Cocapflanze extrahiert. Es wurde bald ein beliebtes Mittel. Es wurde vor allem als Lokalanästhetikum in der Augen- und Zahnmedizin genutzt. Es gab damals weder Konsumverbote, noch Rezeptpflicht und Kokain war Bestandteil einerUnmenge von Präparaten.sehr beliebt war ein kokainhaltiges Tonikum, Vin Mariani, das ein Korse namens Angelo Mariani erfunden hatte. Queen Victoria benutzte es und Papst Leo XIII., der Mariani ein Dankschreiben zuschickte. Sherlock Holmes kurbelte seine grauen Zellen damit an und braucht in "The Sign of the Four" vier Inektionen am Tag. Robert Louis Stevenson bekam es wegen einer Stirnhöhlenentzündung und verfaßte in erstaunlich kurzer Zeit seinen Thriller Doktor Jekyll and Mr. Hyde. In Atlanta erfand ein findiger Drogist namens ohn s. Pemberton eine kokshaltige Brause aus Auszügen der Cocapflanze und der Kolanuß. um die Jahrhundertwende sollten die amerikanischen Gewerkschaften Coca Cola für die vielen Überstunden verantwortlich machen, die den arbeitern abverlangt wurden. In einigen europäischen Armeen machte man bei anstrengenden Nachtmärschen Versuche mit Kokain und war davon begeistert.

Siegmund Freud las in einer medizinischen Zeitschrift darüber und ließ sich von Merck Kokain für Selbstversuche kommen. seiner Verlobten Martha Bernay empfahl er sich als "wilder Mann mit Kokain im Leib".
Man muß allerdings sagen, daß seine eigenen Experimente damit von der Dosierung wirklich maßvoll waren und Freud niemals Probleme damit hatte. das einzige Suchtmittel, dem er verfallen war, waren seine Brasilzigarren.
Freud unterschätzte das neue Wundermittel und verschrieb es seinen Patienten, drängte es manchen förmlich auf. Einer seiner bekannten ein gewisser von Fleischl- Marxow war schwer morphinsüchtig. Freud empfahl ihm Kokain, um damit das Morphium zu entziehen, mit dem Resultat, daß dieser sich zwar vom Morphium befreien konnte, sich allerdings unglaubliche Mengen Kokain injizierte und schließlich an einer Kokainüberdosis verstarb.
In diesem Zusammenhang muß man allerdings anmerken, daß zu dieser Zeit das Phänomen Sucht bestenfalls theoretisch in der Medizin wahrgenommen wurde, vor allem wurde durch die Extraktion von Alkaloiden wie Morphin und Kokain eine unglaubliche Konzentration erreicht. Gegen Schmerzen, Husten, Durchfall wurde seit der Antike Opium verabreicht. Die technisierten Kriege des 19. Jahrhunderts stellten das Sanitätspersonal vor enorme Herausforderungen und als schmerzstillende Präparate sind Opiate auch heute noch unentbehrlich. Man erfand um diese Zeit die Injektionsspritze, vorher verwendete man blasenziehende Pflaster und applizierte das Morphium über die Haut. man gab wegen der Belastung des Pflegepersonals Verwundeten Morphium damit sie es sich selbst inizieren konnten.
Damit wuchs natürlich die Suchtgefahr und es gab viele Verwundete, die als Morphinisten die Lazarette verließen. Morphinismus war damals keineswegs mit solchen elementen der Tabuisierung und Verdrängung befrachtet wie heute, und man betrachtete Opiumsüchtige mit weit mehr Toleranz als Alkoholiker. Morphium war die Droge der Schauspieler, der Literaten, der Ärzte, der Frauen und der Juden. Nach der Jahrhundertwende gab es Leute, die sagten, erst wenn Das Judenproblem gelöst sei, könne man auch das Drogenproblem lösen.

Kokain schien der Weisheit letzter Schluß zu sein, die Pharmadroge gegen die Nebenwirkungen der Pharmadroge Morphium. Man kann sich das durchaus ähnlich vorstellen, wie heutzutage die Pharmadroge Methadon als Substitut für Heroin eingesetzt wird, adas llerdings noch ein bißchen süchtiger macht als Heroin.

Das Präparat war noch nicht lange auf dem Markt und das Zeitalter der Belle Epoque besaß einen fatalen Glauben an die Wirksamkeit der Pharmazie. Über Kokainismus lagen überhaupt keine Forschungsergebnisse vor. Es war damals auch noch völlig üblich, daß Ärzte neue Präparate zuvor an sich selbst austesteten, bevor sie sie verschrieben. Und dann bewirkt Kokain durchaus auf kurze Zeit eine gewisse Leistungssteigerung, wirkt euphorisierend, ist ein schleichendes Seelengift. Ob man daher Freud einen Vorwurf daraus machen kann, daß er anfangs an das neue Wundermittel geglaubt hat, halte ich daher für fraglich. Er war ganz sicher kein Drogenfreak, bei seiner späteren Krebserkrankung wollte er selbst auf Morphium verzichten. Er hat sich danach von Kokain distanziert und sehr kritisch dazu geäußert.

Kokain aber blieb überaus erfolgreich, französische und deutsche Jagdflieger pulverten sich damit auf, bevor sie zum Feindflug starteten. Bis nach dem Ersten Weltkrieg war Kokain legal frei verkäuflich, dann wurden die meisten Pharmadrogen verboten oder immer schärferen Kontrollen unterworfen. Es wird legal noch zuweilen in der Zahn- und Augenmedizin verwendet, ansonsten kursiert Kokain heute als illegales Plagiat. Seine Herstellung vergiftet das Grundwasser und die Wälder, denn zur Herstellung von einem Kilo Kokain werden nicht nur 300kg Cocablätter benötigt, sondern vor allem Unmengen an Kerosin und Schwefelsäure. Der Drogenkrieg der USA seit Ende des vorigen Jahrhunderts hat die illegalen Labors nur tiefer in den Dschungel getrieben und vor allem die traditionellen Cocabauern getroffen.
In Bolivien hat vor kurzem Präsident Morales beschlossen, den traditionellen Cocaanbau zu legalisieren, den Kokainhandel und die Kokainproduktion aber strikt zu bekämpfen.
 
Noch ein paar Literaturempfehlungen: H.G. Behr, Weltmacht Droge, Jürgen vom Scheidt Kokain, in G. Völger7Karin von welck Hrsg. Rausch und Realität S.682-692. J. vom Scheidt/ W. Schmidtbauer, Rausch und Realität. G. Benn provoziertes Leben. William S. Burroughs, Naked Lunch
 
Ergänzend zu Scorpios guten Bericht möchte ich noch ein paar Anmerkungen zu den Andenstaaten machen:

In den Hochlandgebieten, die sich heute von Peru nach Bolivien erstrecken, wurde seit alters her Koka konsumiert. Kokasträucher wachsen ohne große Pflege, mehrmals im Jahr können die Blätter geerntet werden. Die Funktion der Kokablätter ist vielfältig, es beginnt bei religiöse-kultischem Gebrauch (der bis in die Inka-Zeit zurückreicht) , hin zu medizinischen Zwecken und als Genussmittel, ähnlich wie bei uns der Kaffee.

Ich habe lange Zeit in Bolivien gelebt und mich dort sehr umfassend mit der Vielfalt der Anwendung der Kokablätter befasst. Gerade in medizinischer Hinsicht gibt es viele Anwendungsformen:

Als Tee getrunken hilft es gegen Magen-Darm-Probleme.

Blätter mit heißem Wasser versehen werden als Umschläge genutzt bei Verletzungen, Schmerzen, sogar Knochenbrüchen.

Gerade auf dem Land, wo die medizinische Versorgung nicht so umfassend ist wie in den Städten, behelfen sich die Campesinos mit diesen alten Hausmitteln.

Als man festgestellt hat, das Koka-Kauer ein sehr gutes Zahnfleisch besitzen, konnte auch medizinisches nachgewiesen werden, dass die beim Kauen freiwerdenden Substanzen der Parodontose vorbeugen. Um 1990 hat man in Bolivien eine Zahnpasta mit Kokablatt-Extrakt ("Ko-Dent") herausgebracht, diese jedoch auf ausländischen Druck hin wieder vom Markt genommen.

Übrigens ist der kontrollierte Koka-Anbau sowohl in Peru als auch in Bolivien gestattet. Der Grund ist der traditionelle Konsum. Ein Verbot des Anbaus wäre so, als würde man in Bayern den Hopfen oder in Weingebieten die Weintraube verbieten wollen.
Jedoch gibt es Anbau-Obergrenzen, die von staatlicher Seite überwacht werden. In der Theorie. Denn daneben gibt es auch den illegalen Anbau, der für die Kokainproduktion genutzt wird.

Daneben hilft der überall erhältliche Kokatee, die Beschwerden der Höhenkrankheit zu mildern (La Paz liegt knapp 4.000 m hoch). Der Tee schmeckt gar nicht mal so übel. Übrigens ist es kein Rauschgift, die Gefährlichkeit und Suchtgefahr des Kokatees entspricht in etwa dem des Kaffees oder Schwarztees. (Allerdings sollte man sich hüten, Kokatee auszuführen. In anderen Ländern könnte man dafür als Drogenschmuggler angezeigt werden...)


Gruß

Jacobum
 
Danke, Jacobum für deinen Beitrag. Coca und Kokain verhält sich wie ein Packesel zur Concorde. Es wirkt nur leicht euphorisierend und aufputschend. Beim Kauen wird das Kokain in ein Spaltprodukt verwandelt. Der Drogenkrieg der USA hat etliche Cocabauern nicht nur die Ernten, sondern das Leben gekostet. Und die können wirklich nichts dafür, daß Nordamerika und Europa Andenschnee haben wollen. Inzwischen ist der Preis auf dem Schwarzmarkt so verfallen, daß man es sich zum selben Preis von Merck kommen lassen könnte. Kokain ist zwar illegal, aber leistungssteigernd und daher eine "ethische" Droge, die sich größter Beliebtheit in Sport und Politik erfreut. Sie predigen Wasser und...Ein Drogenscreening in irgendeinem europäischen Parlament, das wäre interessant, vermutlich ist man sich da parteiübergreifend einig, daß das Volk wieder Werte und eine "klare Linie" braucht.
 
Sie predigen Wasser und...Ein Drogenscreening in irgendeinem europäischen Parlament, das wäre interessant, vermutlich ist man sich da parteiübergreifend einig, daß das Volk wieder Werte und eine "klare Linie" braucht.

Tja diese Politiker, scheinen eine "Nase" für so etwas zu besitzen.
 
Sorry, hatte wohl trotz weiterschreiben einmal zwischendurch abgeschickt. Da anderer Beitrag von mir so fertig, habe ich diesen einfachhalber geschlöscht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Siegmund Freud las in einer medizinischen Zeitschrift darüber und ließ sich von Merck Kokain für Selbstversuche kommen. seiner Verlobten Martha Bernay empfahl er sich als "wilder Mann mit Kokain im Leib".
Man muß allerdings sagen, daß seine eigenen Experimente damit von der Dosierung wirklich maßvoll waren und Freud niemals Probleme damit hatte. das einzige Suchtmittel, dem er verfallen war, waren seine Brasilzigarren.

Warum betonst du den Kokain-Gebrauch S. Freuds als "maßvoll" und wieso minst du, er hatte nie "Probleme damit"?
Ich lese einmal bei Albrecht Hirschmüller nach: Freud war seit 1884 Assistenzartzt und arbeitete seit Anfang des Jahres auf der neurologischen Station. Schon in einem Brief vom 21. April berichtet Freud, daß er sich das Kokain - über das er gelesen habe, es mache "wunderbar kräftig und leistungsfähig" - kommen lasse wolle "und auf Grund naheliegender Erwägungen es bei Herzkrankheiten, ferner bei nervösen Schwächzustände, insbesondere bei dem elenden Zustande bei der Morphiumentziehung (wie bei Dr. Fleischl) versuchen". Erst wenige Tage zuvor war er von einer Herzschwächepatienten in Anspruch genommen worden. Bereits am 3. Mai berichtete von den ersten Erfahrungen aus seinen Selbstversuchen und nahm über sechs Wochen insgesamt 12 mal die Droge. Allerdings nicht nur allegemeinen Versuchszwecken, sondern auch um seine eigenen Krankheiten zu behandeln, denn sie ihm bei der Selbstbehandlung gegen depressive Verstimmungen, Magenbeschwerden und Kopfschmerzen. Außerdem ist bekannt, daß er selbst an Herzbeschwerden litt - die psychisch bedingt waren oder die möglicherweise auch durch das Kokain ausgelöst wurden - und weshalb er regelmäßig mit seinem eigenen, baldigen Tod rechnete; er war halt, wie er sich damals wohl auch selbst diagnostizierte: Neurastheniker. Es heißt zwar, daß er nur bis ins Jahr 1886 - das Jahr seiner Heirat - mehr oder weniger regelmäßig Kokain zielgerichtet bei sich selbst einsetzte. Allerdings nahm er später erneut Kakain, mutmaßlich bis zum Ende seiner Selbstanalyse bzw. dem Tod seines Vaters (1896), angeblich auf "Empfehlung" seines intimen Brieffreundes Wilhelm Fließ, der regelmäßige Kokainisierungen der Nase für erfoderlich hielt.

Freud unterschätzte das neue Wundermittel und verschrieb es seinen Patienten, drängte es manchen förmlich auf.
Einer seiner bekannten ein gewisser von Fleischl- Marxow war schwer morphinsüchtig. Freud empfahl ihm Kokain, um damit das Morphium zu entziehen, mit dem Resultat, daß dieser sich zwar vom Morphium befreien konnte, sich allerdings unglaubliche Mengen Kokain injizierte und schließlich an einer Kokainüberdosis verstarb.

Ob er es unterschätzte oder nicht - die Drogenwirkungen waren damals eh noch nicht ausreichend bekannt und Freud hatte dabei auch noch die Gelegenheit verpaßt, die anästhetische Wirkung des Kokains zu erforschen -, klar ist die Empfehlung dem genannten Patienten und einer weiteren Patienten; ansonsten mag er sich auch darum bemüht haben, auch Kollegen und Angehörige zum Konsum aufgefordert zu haben.
Ob Ernst Fleischl von Marxow tatasächlich an einer Kokainüberdosis gestorben ist? Zu erwarten waäre das doch eher von einer Morphimdosis und überhauptz ist nur bekannt, daß er letztendlich an einer doppelten Drogensucht litt.
 
Es könnte vielleicht auch die Kombination von beidem gewesen sein. ein erfahrener Morphinist kennt in der Regel seine Dosis, vor allem bekam von Fleischl Stoff dessen Qualität erabschätzen konnte. Die Kombination Kokain/Morphium verursacht eine enorme Euphorie, einen Cocktail nennt man das im Szenejargon. Kokain verursacht eine enorme Gier nach Reizsteigerung, die Kombination eines atemlähmenden, mit einem Präparat, das auf das zentrale Nervensystem und das Herz wirkt mußte daher eine tödliche sein. Konsum als "maßvoll" zu bezeichnen, ist natürlich sehr relativ. Soweit ich weiß, verwendete Freud eine wäßrige Lösung die er trank, gemessen an der wesenlich schnelleren Resorbtion beim Schnupfen oder gar einer Inektion. Innerhalb von sechs Wochen insgesamt 12 mal Kokain zu nehmen, zweimal wöchentlich oral, erscheint mir allerdings tatsächlich relativ maßvoll. Jedenfalls konnte er es problemlos wieder absetzen

Rückblickend ist es natürlich leicht zu urteilen. Freud war ein experimentierfreudiger junger Arzt. Am Kokain interessierten ihn wohl vor allem seine psychologischen Eigenschaften. Es heißt, daß er es, während er an seiner Traumdeutung arbeitete einnahm. Bei dem verbreiteten Glauben an ein Wundermittel, denke ich tatsächlich ein bißchen an die Methadondiskussion in der BRD in den 80er und 90er Jahren. Das war damals in der BRD verboten, die Niederlande und die Schweiz experimentierten damit. Liberale forderten die Versorgung, die Konservativen blockten ab. Es wurden durchaus beeindruckende Resultate erzielt und das Zeug galt als der Weisheit letzter Schluß. Etliche Ärzte, die das damals substituiert haben, sagen heute, daß eine langjährige Behandlung damit eigentlich unverantwortlich sei, da es wesentlich giftiger als Heroin ist und einen Patienten jahrelang in der Sucht festhält.

Natürlich kann man das nicht miteinander vergleichen, aber zumindest der Glaube an ein Wundermittel, das anfangs alles zu halten scheint, was man sich davon verspricht, das erscheint mir zumindest sehr ähnlich zu sein.

Über Siegmund Freud und Sherlock Holmes gibt es einen schönen Kriminalroman: Kein Koks für Sherlock Holmes. Der fiktive Kokainist Sherlock Holmes läßt sich von Dr. Watson, sehr unfreiwillig überzeugen, eine Psychoanalyse bei Dr. Freud zu machen, um sich vom Kokainismus zu befreien. Das Wien der k.k Epoche und der Orientexpress sind die Schauplätze. Es wurde auch verfilmt, ich hab den Film zuletzt bei einem ARTe Themenabend über de Orientexpress gesehen, der Autor heißt glaube ich Meyer, ich bin jetzt zu faul zu googlen.

Es hat Spaß gemacht, das Thema noch mal aufzugreifen.
 
Freud war ein experimentierfreudiger junger Arzt. Am Kokain interessierten ihn wohl vor allem seine psychologischen Eigenschaften. Es heißt, daß er es, während er an seiner Traumdeutung arbeitete einnahm.

In der Zeit, als er das Zeug auszuprobieren begann, war er noch gar nicht so sehr an Psychologie interessiert. Und er nahm das Kokain eigentlich weniger, als er an der Traumdeutung schrieb, sondern eher als er die Erfahrung seiner Selbstanalyse (um 1896) machte, die er in seiner Traumdeutung (1900) verwertete.

Über Siegmund Freud und Sherlock Holmes gibt es einen schönen Kriminalroman: Kein Koks für Sherlock Holmes.
Den habe ich zufällig mal im TV gesehen. War ganz nett.
 
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