Sinn des Opferns

... Kartographie des Götterglaubens ...
Ein interessanter Gedanke, so eine Kartierung! Das Problem besteht offenbar darin, dass es - jedenfalls für bestimmte Zeiten - nicht genügend "Vermessungspunkte" gibt. Lässt sich denn z. B. die Rundreise des Nerthus-Wagen, von der weiter unten die Rede ist, irgendwie räumlich eingrenzen? Gibt es Spekulationen über die "Insel", von der Tacitus in diesem Zusammenhang schreibt?

... Antagonismus zwischen den Göttern, der sich auf das menschliche Schicksal auswirkt, ... kenne ich aus Skandinavien nicht.
Was also etwa Loki und andere innerhalb des Götter-Pantheons treiben, wirkt sich nicht auf die Sphäre der Menschen aus, weshalb es sich für letztere auch nicht anbietet, dem einen Gott mehr zu opfern als dem anderen?

Die frühesten Anzeichen für Religion finden sich aus der Zeit um 2000 v. Chr. (was nicht ausschließt, dass es schon früher religiöse Vorstellungen gegeben hat.). Aber damals dürfte die Vorstellung entstanden sein, wozu man opfert.
Ist mit dem letzten Satz gemeint: Das Opfer war früher da als die Erkenntnis über den Zweck desselben?

EDIT: Stolpere gerade über Andersons englische "Norroena"-Ausgabe (Bd. 1/2 Saxo Grammaticus bis Band 15) - hätte nicht gedacht, dass es soviel Material gibt.
 
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Ein interessanter Gedanke, so eine Kartierung! Das Problem besteht offenbar darin, dass es - jedenfalls für bestimmte Zeiten - nicht genügend "Vermessungspunkte" gibt. Lässt sich denn z. B. die Rundreise des Nerthus-Wagen, von der weiter unten die Rede ist, irgendwie räumlich eingrenzen? Gibt es Spekulationen über die "Insel", von der Tacitus in diesem Zusammenhang schreibt?
A. Hultgård schreibt im RGA, dass man aus Tacitus entnehme, dass man den Nerthus-Kultverband irgendwo im südwestlichen Ostseeraum (Jütland, Schlewig-Holstein mit angenzender Nordseeküste, Fünen, Seeland mit vorgelagerten Inseln, Mecklenburg) lokalisiere.

Was also etwa Loki und andere innerhalb des Götter-Pantheons treiben, wirkt sich nicht auf die Sphäre der Menschen aus, weshalb es sich für letztere auch nicht anbietet, dem einen Gott mehr zu opfern als dem anderen?
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Geschichten über Loki im Götterpantheon gelehrte höfische Dichtung der Wikingerzeit darstellen, was allerdings nichts über das Alter der ambivalenten Loki-Figur als solcher aussagt. Die Dichter griffen sicher auf ältere Vorstellungen und Mythen zurück. Wie alt sie aber sind, kann man schlecht sagen. Zum anderen ist die Vorstellung von der Trennung von Gut und Böse für diese Zeit nicht angemessen, sondern entspricht einem anderen Weltbild, wenn auch nicht unbedingt nur einem christlichen. List, Tücke und Betrug zur Erreichung eines Ziels werden auch bei positiv eingeschätzten Helden und Göttern als erfolgbringend durchaus nicht verurteilt. Da er nicht für das Wohlergehen des Menschen zuständig ist, wurde er auch nicht mit Opfern bedacht. Sein Handeln wirkt sich auf die Menschen eigentlich nur durch die Verursachung des Weltuntergangs aus. Ragnarök ist aber sicher keine alte bäuerliche Vorstellung. Die Vorstellung, dass man den Fruchtbarkeitsgöttern opfere, um sie gegen Loki zu stärken, halte ich daher für die Frühzeit für anachronistisch.

Ist mit dem letzten Satz gemeint: Das Opfer war früher da als die Erkenntnis über den Zweck desselben?
Nein, das wäre nun überzogen. Ich denke eher an den Wandel von schamanistischem "Opfer" zu einem dem antropomorph gedachten Götterpantheon gewidmetem Opfer. Ich nehme an, dass da das blót anzusiedeln ist. Denn die schamanistische Praxis geht ja von einer Verbindung von allem mit allem aus, so dass bestimmte Riten geeignet sind, das Kräfteverhältnis in der Natur zu Gunsten gewünschter Ergebnisse unmittelbar zu verschieben.

EDIT: Stolpere gerade über Andersons englische "Norroena"-Ausgabe (Bd. 1/2 Saxo Grammaticus bis Band 15) - hätte nicht gedacht, dass es soviel Material gibt.
Für die Mythologie sind die ersten 9 Bücher entscheidend. Deren Übersetzung von Otto Herrmann liegt auf meine Veranlassung auf Wikisource. Ich habe seinen sehr kenntnisreichen Kommentar dazu (das ist Bd. 2) und bin dabei, die dortige OCR-Fassung Korrektur zu lesen. Vielleicht raffe ich mich und scanne den mal und stelle den dazu.
 
Ragnarök ist aber sicher keine alte bäuerliche Vorstellung.
Es gibt ja die These von Dumézil (und anderen), dass ein ausgedehnter eschatologischer Mythos besteht, der die Beziehungen zwischen dem Guten und dem Bösen und die Zerstörung der Welt darstellt, ein Mythos, der schon vor der Zerstreuung der indoeuropäischen Völker bestanden haben muss" (zit. Eliade, Geschichte, d. 2, S. 149).

Im Aufsatz von Mogk (RGA, Bd. 3, S. 366-371), wo auch die feinsinnige Unterscheidung zwischen "Privatopfer" und "Genossenschaftsopfer" gemacht wird, ist Skandinavien breit berücksichtigt. Kann man nicht doch davon ausgehen, dass ein großes Maß an Übereinstimmung zwischen den einzelnen Regionen besteht? Auch der betreffende Artikel im Schrader (S. 596-606) geht - auf noch "höherer" Ebene - in diese Richtung ("Wenn es idg. Götter gab ..., so muß es in irgend einer Form auch idg. Opfer gegeben haben.")

Für die Mythologie sind die ersten 9 Bücher entscheidend. Deren Übersetzung von Otto Herrmann liegt auf meine Veranlassung auf Wikisource. Ich habe seinen sehr kenntnisreichen Kommentar dazu (das ist Bd. 2) und bin dabei, die dortige OCR-Fassung Korrektur zu lesen. Vielleicht raffe ich mich und scanne den mal und stelle den dazu.
Paul Herrmanns Kommentar wäre natürlich sehr hilfreich - Dank im Voraus. :winke: Bis dahin helfe ich mir mit dem ausführlichen Sachverzeichnis von Hermann Jantzens Saxo-Ausgabe. (Herrmann kritisiert den Konkurrenten allerdings heftig ob dessen Übersetzung.)
 
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Es gibt ja die These von Dumézil (und anderen), dass ein ausgedehnter eschatologischer Mythos besteht, der die Beziehungen zwischen dem Guten und dem Bösen und die Zerstörung der Welt darstellt, ein Mythos, der schon vor der Zerstreuung der indoeuropäischen Völker bestanden haben muss" (zit. Eliade, Geschichte, d. 2, S. 149).
Auch hier ist wohl Differenzierung angebracht, nach sozialer Schichtung z.B. oder den konkreten Darstellung. Auch ich glaube nicht, dass die Dichter am Hofe sich Ragnarök aus dem hohlen Bauch ausgedacht haben. Der letzte Teil des Zitats ("vor der Zerstreuung") ist Spekulation reinsten Wassers. Denn es gibt die sogenannte Motivwanderung, und die kann jederzeit stattfinden. Und wenn sie stattfindet, dann stellt sich die Frage, zwischen welchen Schichten sie stattfindet. Also, das ist kein Beleg dafür, dass Ragnarök unter den Bauern in Trøndelag seit jeher heimisch war. Aber dass der Mythos älter ist, als der schriftliche Niederschlag, ist für mich klar. Es gibt ältere Runensteine, die Motive aus Ragnarök abbilden. Aber Runensteine repräsentieren nur die Oberschicht.
Ich halte nichts davon, zu sagen, es ist so gewesen, weil es so gewesen sein muss, und letzteres leite ich aus einem ethnologischen Vergleich ab. Da wird nur suggeriert, dass man etwas wüsste.

Sollen wirklich die Moorleichen und die Versenkung von zerstörten Feindeswaffen indogermanisches Gemeingut sein?

Im Aufsatz von Mogk (RGA, Bd. 3, S. 366-371), wo auch die feinsinnige Unterscheidung zwischen "Privatopfer" und "Genossenschaftsopfer" gemacht wird, ist Skandinavien breit berücksichtigt. Kann man nicht doch davon ausgehen, dass ein großes Maß an Übereinstimmung zwischen den einzelnen Regionen besteht? Auch der betreffende Artikel im Schrader (S. 596-606) geht - auf noch "höherer" Ebene - in diese Richtung ("Wenn es idg. Götter gab ..., so muß es in irgend einer Form auch idg. Opfer gegeben haben.")
Wird gar nicht bezweifelt. Aber das ist ja nicht die Frage, sondern die Frage geht nach Ritus, Intention und Entwicklung. So stellt sich mir die Frage, ob diese Opfer bereits zur Bronzezeit üblich waren, oder ob es einen schamanistischen Vorlauf gegeben hat (auch mit Opfern, aber anderem Inhalt) und die Individual- und Genossenschaftsopfer ein späterer Import gewesen sind, aus Jütland etwa und etwas mit der Ausbildung einer Krieger- und Herrenschicht zu tun haben, die sich in den großen Hügelgräbern für die Häuptlinge niederschlägt.
 
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Immer schön diese Diskussion über die Nordische Mythologie und Religion. Es gibt wenige Quellen und alle sind zweifelhaft. Dann überlegt man wohin die Reise gehen soll und sucht sich die Quelle heraus, die am besten zur eigenen Meinung passt.:autsch:
@Fingalo, du hast Saxos Bericht über die "Verbannung Odins" herausgesucht zur Stützung des von der favorisierten Sinn des Opfers, das ganze garniert mit der unvermeidbaren etymologischen Deutung.
Diese Geschichte ist allerdings stark euhemeristisch und Saxo Grammaticus Gesta Danorum stammt aus dem 12. Jahrhundert.
So jetzt habe ich deine Quelle auch diskreditiert.=)
 
Immer schön diese Diskussion über die Nordische Mythologie und Religion. Es gibt wenige Quellen und alle sind zweifelhaft. Dann überlegt man wohin die Reise gehen soll und sucht sich die Quelle heraus, die am besten zur eigenen Meinung passt
Sie sind keineswegs zweifelhaft. Es gibt keinen Fälschungsverdacht in Bezug auf seine Dänische Geschichte. Dass die zitierte Geschichte nicht historisch ist, liegt auf der Hand. Aber das Erzählelement "Vernichtung durch Vergessenwerden" ist ebensowenig als dort vorhanden zu bezweifeln.
Ich freue mich immer wieder, wenn ich auf kritisches Befragen von Quellen treffe. Aber die wenigsten können das: Das Märchen von Hänsel und Gretel ist eine sichere Quelle dafür, dass es zur Zeit der Entstehung der uns bekannten Fassung Lebkuchen gab.

@Fingalo, du hast Saxos Bericht über die "Verbannung Odins" herausgesucht zur Stützung des von der favorisierten Sinn des Opfers, das ganze garniert mit der unvermeidbaren etymologischen Deutung.
Diese Geschichte ist allerdings stark euhemeristisch und Saxo Grammaticus Gesta Danorum stammt aus dem 12. Jahrhundert.
So jetzt habe ich deine Quelle auch diskreditiert.=)[/quote]
Keineswegs, denn es kommt ja nicht auf irgendeine Historizität einer Mythendarstellung an (übrigens war auch Snorri euhemeristisch), sondern darauf, welche Erzählelemente verwendet werden. Und das Erzählelement "Angst vor Vernichtung durch Vergessenwerden" steht unabhängig vom euhemeristischen Zusammenhang da und speist sich aus der Vorstellung, dass es sich so verhält. Denn genaugenommen passt dieses Erzählelement nicht in einen euhemeristischen Zusammenhang, wo die Götter als Vorzeitkönige vorgestellt werden. Ein König, den man vergisst, löst sich ja nicht in Nichts auf. Er verliert seine Macht - aber das war's dann auch. Also umgekehrt wird ein Schuh draus: Gerade weil Saxo dieses Erzählelement in seinen euhemeristischen Zusammenhang einbaut, wodurch die Geschichte auf der Metaebene widersprüchlich wird, zeigt, dass er eine Überlieferung, die ihm vorliegt, nicht mit Rücksicht auf die euhemeristische Logik über Bord werfen will. Mit anderen Worten, diese Vorstellung, das Vergessen vernichte die Götter, lag ihm bereits vor und ist daher älter.
 
Ich hab auch von einem Blutaar (?) gehört.
 
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Guck mal bei Wiki unter blóðörn
Ja, eine ziemlich brutale Methode dieser "Blutadler",
der von den Wikingern angewandt wurde.
Unvorstellbar, dass der Rücken aufgeschnitten wird
und die Rippen von der Wirbelsäule getrennt werden.
Dann wurden der Rippen so "ausgebreitet",
dass sie wie Flügel aussahen.
Die Lungen wurden dann noch aus dem inneren rausgeholt
und auf den Rücken abgelegt.
(Wikipedia)
 
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