Sklaverei in der Neuzeit in Europa

Beim Thema Leibeigenschaft in Russland, unterscheide man aber bitte die Leibeigenschaft in der Zeit Peter I (der petrinischen Autokratie) und der Leibeigenschaft unter den Zaren Alexander III und Nikolaus II.

Die "Befreiung der Leibeigenen" unter Alexander II, dem "Befreierzar", wurde unter den beiden letztgenannten Zaren (und deren Auffassung von Autokratie) relativiert.

Siehe hierzu: Orlando Figes "Die Tragödie eines Volkes - Die Epoche der Russischen Revolution 1891 bis 1924"

Besonders "Teil 1: Der Zar und sein Volk" ist sehr erhellend.
 
Lehnsabhängige hatten doch auch immer irgendein Recht gegenüber dem Lehnsherren. Sklaven hatten das nicht, ein zentrales Unterscheidungsmerkmal, auf das auch Scorpio weiter oben schon hingewiesen hatte.
Was das Nebeneinander beider "Formen" betrifft, so meine ich mich zu erinnern, daß irgendwann siebzehnhundertund die Sklaverei in Preußen (?) verboten wurde. Das Feudalsystem wurde dabei allerdings icht tangiert; man wußte also damals sehr genau zu unterscheiden.
 
Nochmal zurück zur Ausgangsfrage. Wenn man sich über Formen von Leibeigenschaft, Unfreiheit etc. in der frühen Neuzeit unterhält, muss das System der Indentured Servants erwähnt werden. Das war im Grunde genommen eine Art Schuldknechtschaft, die in der Karibik und Nordamerika eine bedeutende Rolle spielte. Viele Einwanderer nach Nordamerika konnten die Schiffspassage nicht bezahlen und verdingten sich für eine gewisse Zeit, meist 7 Jahre als Knechte. Oft hatten die Kapitäne eigene soziale Netze und Interessenten, an die sie Arbeiter vermittelten. auswanderung war in vielen (deutschen) Ländern verboten, und viele Pamphlete aus dieser Zeit warnten vor betrügerischen Kapitänen, die gutgläubige Auswanderer versklavten. Zur Zeit der Jakobitenkriege wurden auch Schotten und Iren, die gegen die Engländer konspirierten, zur Strafe als Indentureds nach Westindien verbannt.

In Nordamerika spielten Indentureds als Arbeitskräfte eine wichtige Rolle und noch im 17. Jahrhundert gab es von ihnen mehr, als schwarze Sklaven. Als durch den Boom von Baumwolle, Tabak und Reis immer mehr unfreie Schwarze ins Land kamen, wurden die Indentureds aus rassistischen Gründen aufgewertet. In der kürzlich wiederholten Familiensaga "Roots" haben der Sklavenhalter Reynolds und der Vorarbeiter Ames einen Disput über das Wesen der Sklaverei, wobei Ames darauf verweist, dass er als Indentured angefangen hat. Im Gegensatz zum Sklaven Kunta Kinte und seinen nachkommen hat er allerdings die richtige Hautfarbe.

Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg vermietete der Kongress Kriegsgefangene "Hessians" als Indentureds an Farmer. Die Mietgebühr von 80 $ war billiger, als schwarze Sklaven, und da viele Kriegsgefangene ein handwerk gelernt hatten oder Bauern waren, erfreuten sie sich gewisser Beliebtheit. Mancher fühlte sich bei den Amerikanern schlechter, als bei den Türken behandelt, und einige dieser Indentureds musste ein hessischer General aus eigener Tasche freikaufen.
 
Danke Scorpio ! Dieses war mir völlig unbekannt. Man lernt nie aus.
 
Außer Frage steht, dass "Sklaverei" einen Zustand beschreibt, in dem Menschen ohne persönliche Freiheit und Selbstbestimmung leben. Freiheit und Selbstbestimmung sind jedoch zentrale Aspekte der Menschenrechte, wer einem Anderen diese verweigert, der "versklavt" ihn.
Demnach wären Haftstrafen also Sklaverei auf Zeit?

Lehnsabhängige hatten doch auch immer irgendein Recht gegenüber dem Lehnsherren.
Eher hatte der Lehnsherr gewisse Verpflichtungen. So waren Leibeigene vom Kriegsdienst befreit (kann Timo besser erklären), während freie Bauern ggf. zur Waffe greifen mussten.
 
Demnach wären Haftstrafen also Sklaverei auf Zeit?

Haftstrafen, die von der "Rechtsprechung" eines Systems verhängt werden, das Leibeigenschaft und / oder Sklaverei praktiziert, könnte man durchaus als "Sklaverei auf Zeit" ansehen. In einem solchen System dürften wohl kaum demokratische und rechtstaatliche Prinzipien gelten, damit wäre prinzipiell an einer freien, unabhängigen und gerechten Rechtsprechung zu zweifeln.

In einem Rechtsstaat, in dem also Demokratie und Menschenrechte geschätzt werden, sähe ich dies aber nicht so.

Ist Deine Frage damit beantwortet ?
 
Haftstrafen, die von der "Rechtsprechung" eines Systems verhängt werden, das Leibeigenschaft und / oder Sklaverei praktiziert, könnte man durchaus als "Sklaverei auf Zeit" ansehen. In einem solchen System dürften wohl kaum demokratische und rechtstaatliche Prinzipien gelten, damit wäre prinzipiell an einer freien, unabhängigen und gerechten Rechtsprechung zu zweifeln.
[offtopic]

Ein Dieb ist ein Dieb, unabhängig von dem System, in dem er stielt.

Oder nicht?

[/offtopic]
 
"In einer blockierten Gesellschaft, wo jeder schuldig ist, ist es das einzige Verbrechen, sich erwischen zu lassen. In einer Welt der Diebe ist Dummheit die einzige unverzeihliche Sünde."
- Hunter S. Thompson

"Ich bin angeklagt, zu 30 Millionen Franzosen, Proletarier wie ich, gesagt zu haben, daß sie das Recht auf Leben hätten. Wenn das ein Verbrechen ist, so scheint es mir wenigstens, dann sollte ich mich dafür nur vor Menschen verantworten, die in dieser Sache weder Richter noch Parteien sind."
- Louis-Auguste Blanqui
 
In einem Rechtsstaat, in dem also Demokratie und Menschenrechte geschätzt werden, sähe ich dies aber nicht so.

Ist Deine Frage damit beantwortet ?
Die Idee einer Haftstrafe ist doch, jemand durch Entzug von Freiheitsrechten zu bestrafen. Auch in unserem Rechtsstaat, oder? Das ist doch aber nach deiner Definition Sklaverei.
Mir geht es darum, dass Sklaverei nicht nur diese Unfreiheit umfasst (wenngleich sie sich darin von Leibeigenschaft oder Lohnarbeit wesentlich unterscheidet), sondern auch ein Arbeitsverhältnis umschreibt, was aber in deiner Definition fehlt.
 
Nein Themistokles ... nicht nach meiner Definition ... nach der Definition die Du aus meinen Worten (anscheinend) gerne herauslesen möchtest.

Zu "Lohnarbeit" hatte ich schon etwas geschrieben.
 
Sklaverei geht weit über die Einschränkung von Freiheit und Selbstbestimmung hinaus. Ein Strafhäftling ist immer noch eine Person, die Träger von Rechten und Pflichten ist. Der Sklave war aber nach dem Verständnis der Sklavenhalter eine bloße Sache, die deren Eigentum war und die verkauft werden konnte wie jede andere Sache.
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat zwar vor kurzem zur Arbeitstätigkeit eines Häftlings geurteilt
Bei der vom Kläger damit ausgeübten Beschäftigung während seiner Strafhaft handelt es sich nicht um ein freiwillig eingegangenes Beschäftigungsverhältnis
Deshalb ist er aber immer noch kein Sklave. Mal ganz abgesehen von den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen.
 
Meine Ausführungen und Gedanken bezogen sich auf den Zustand "leibeigen" und "versklavt". Wie Scorpio aber anschaulich verdeutlichte, gibt / gab es auch andere Zustände, welche in ihrem Sinne der Sklaverei / Leibeigenschaft ähneln.

Freiheitsentzug als Strafe, im Sinne von "Schuld und Sühne", entspricht - meiner Auffassung nach - nicht einem Freiheitsentzug im Sinne von wirtschaftlicher Ausbeutung und dem Ausbeuten menschlicher Arbeitskraft, sofern diese Strafe aus einem rechtstaatlichen Verfahren resultiert.
(...)

Ich lehne jegliche Form der Sklaverei, Leibeigenschaft, Zwangsarbeit ... ab ... alle Erscheinungsformen - und deren jeweilige Benennung - entsprechen, meiner Auffassung nach, einer jeweils anderweitig lackierten Form von Sklaverei.
(...)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Freiheitsentzug als Strafe, im Sinne von "Schuld und Sühne", entspricht - meiner Auffassung nach - nicht einem Freiheitsentzug im Sinne von wirtschaftlicher Ausbeutung und dem Ausbeuten menschlicher Arbeitskraft, sofern diese Strafe aus einem rechtstaatlichen Verfahren resultiert.
Du machst Sklaverei also auch an wirtschaftlicher Motivation des Versklavenden fest?! Das war alles worum es mir ging. In dem von mir zitierten deinem Satz fehlte dieser Gedanke, was mir als eine verfälschende Verkürzung schien.
(...)
Ich lehne jegliche Form der Sklaverei, Leibeigenschaft, Zwangsarbeit ... ab ... alle Erscheinungsformen - und deren jeweilige Benennung - entsprechen, meiner Auffassung nach, einer jeweils anderweitig lackierten Form von Sklaverei.
(...)
also scheint Sklaverei für dich ein Oberbegriff zu sein, der die eigentliche Sklaverei, Leibeigenschaft, Zwangsarbeit,... umfasst.
Finde ich persönlich unpraktisch, wenn etwas sowohl Kategorie als auch ein Element dieser Menge bezeichnet.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sehe, ich habe hier eine heiße Diskussion darüber entfacht, was Sklaverei denn nun ist.:winke: Nun ja, ich kann jedenfalls feststellen, dass einige es so sehen wie ich, die sagen, auch Leibeigenschaft ist eine Form der Sklaverei und andere sagen: "Nein, nicht nur die wirtschaftliche Ausbeutung, sondern auch der vollkommene Entzug von Rechtsstaatlichkeit, von dem Status "Mensch" bedeutet Sklaverei." Ich stimme dem insofern nicht ganz zu, da ich denke, wenn man wirtschaftlich von jemand anderem abhängig ist, ist der Weg zum Verlust der Freiheit auch nicht mehr weit. Ein Bauer, der sich "freiwillig" (wir wollen uns nichts vormachen) in die Abhängigkeit eines Lehnsherren begibt, mag vielleicht einige Rechte besitzen, nichts desto trotz wird er kaum als "Mensch" betrachtet und besitzt auch nur Rechte, wenn er bestimmte Abgaben dafür leistet. Er könnte zwar rein theoretisch, wenn ihm dieser Zwang bzw. sein Herr nicht gefällt, einfach weggehen, doch wird er dies kaum tun, schließlich muss er auch von etwas leben und sich von irgendetwas ernähren. Er wird sein geliehenes Land wohl kaum einfach so aufgeben, das käme einem "Selbstmord" (konnte kein besseres Wort dafür finden) gleich. Deswegen denke ich schon, dass er sich auch vieles gefallen lässt, um sein Land nicht zu verlieren und irgendwann konnte es ja sogar geschehen, dass er Leibeigener, also Rechtloser, also Sklave wurde. Und wenn er dann das Land verließ, war er "vogelfrei", also absolut wertlos und keiner kümmerte sich einen "Dreck" darum, was aus ihm geschah. Insofern kann man schon von einer Form der Sklaverei sprechen, aber da sich die Sklaverei sowieso im Laufe der Zeit verändert hat und in den gesamten rund 4000 Jahren, seitdem sie existiert, nur einige gemeinsame Elemente (wie z.B. Freiheitsentzug, wirtschaftlich und/oder soziale Abhängigkeit,...) aufweist, ist es schwierig eine genaue Definition für "Sklaverei" zu finden.:grübel:
Doch ich sprach eigentlich nicht von dem Feudalsystem. Ich wollte etwas zur vorindustriellen Entwicklung, den Manufakturen erfahren, ob jemand vielleicht darüber genauer Bescheid weiß (meinen Geschichtsunterricht habe ich schon durchforstet, finde allerdings nur Elemente zum Merkantilismus unter Colberts Leitung, zum Absolutismus und wie sich das ganze entwickelte, aber über die Situation der Arbeiter kann ich kaum Dinge finden). Na ja, falls jemandem etwas dazu einfällt, kann er ja was sagen....sorry, schreiben :winke:.
 
Zumindest die Leibeigenschaft in Russland kann man durchaus der Sklaverei gleichstellen. Diese Leibeigenen gehörten auch zur "lebenden Habe" des Gutsbesitzers und erhöhten den Wert des Gutes.
Auch die Schuldknechtschaft in Indien und Teilen Afrikas kommt der Sklaverei sehr nahe.
Trotzdem sollte man nicht einfach alles in einen Topf werfen, sondern durchaus auch die unterschiedlichen Ausprägungen im Auge behalten und die jeweiligen Benennungen beibehalten.
 
Gehörten die Leibeigenen zum Gut und konnten nur zusammen mit ihm erworben werden oder konnten sie auch einzeln gekauft und verkauft werden?
Für das Individuum sind die Unterschiede relativ gering, aber im Gesamtkontext könnte dies ein wichtiger Unterschied zu sein.
 
Gehörten die Leibeigenen zum Gut und konnten nur zusammen mit ihm erworben werden oder konnten sie auch einzeln gekauft und verkauft werden?

Dies ist eine Frage, die sich ein Gutsherr - zu dieser Zeit und in diesem Land - nie gestellt hätte. Wozu auch ? Man tut Dinge nicht weil man sie tun darf, man tut sie weil man sie tun kann.

Kennst Du das Sprichwort ... Russland ist groß und der Zar ist weit ... ?

(...)
Das ist doch das Schöne an einer Autokratie.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
(...)
Es ist durchaus interessant, welche Frage er sich gestellt hätte. Konnte er einfach mehr Leibeigene bekommen, wenn er mehr brauchte oder musste er dafür zusätzliche Ländereien erwerben?
(...)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
(...)

Es ist durchaus interessant, welche Frage er sich gestellt hätte. Konnte er einfach mehr Leibeigene bekommen, wenn er mehr brauchte oder musste er dafür zusätzliche Ländereien erwerben?
Er konnte sie sich kaufen, er konnte sie am Spieltisch gewinnen, er konnte sie "erheiraten" ... wie das Pferd im Stall oder die Kuh auf der Weide.

(...)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zurück
Oben