Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben

Das ist auch eine wichtige Fragestellung.:winke:

Aber ich will etwas anderes betrachten, nämlich

  • die Geeignetheit des mit "Referenzrahmenanalyse" beschriebenen Ansatzes für historiografische Zwecke; siehe Lilis Zusammenfassung in http://www.geschichtsforum.de/575774-post80.html,
  • die generalisierenden Erkenntnisse, die von den Autoren aus dem Material gezogen werden, wie etwa die letzten Sätze (S. 422): "Das Vertrauen der Moderne in ihre Gewaltferne ist illusionär. Menschen töten aus den verschiedensten Gründen. Soldaten töten, weil das ihre Aufgabe ist." - welchen Erklärungswert haben die? (Siehe meinen Bericht in http://www.geschichtsforum.de/584687-post88.html ganz unten.)

Glaubst du denn, dass du diese beiden Punkte alleine anhand der populärwissenschaftlichen Veröffentlichung einer Studie deren wissenschaftliche Ergebnisse bis dato noch nicht vorgelegt wurden wirklich ernsthaft betrachten kannst? Also ich weiß ja nicht...
 
[*]die Geeignetheit des mit "Referenzrahmenanalyse" beschriebenen Ansatzes für historiografische Zwecke; siehe Lilis Zusammenfassung in http://www.geschichtsforum.de/575774-post80.html,

Den halte ich als Nicht-Psychologe eben für problematisch, und zitiere:

1. "das Kriegserleben des "namenlosen" Soldaten im 2. Weltkrieg auf einer breiteren Ebene nachvollziehbar"
-> setzt Erleben voraus, in Abgrenzung zu Fiktionen und Wahrnehmung.

2. "Deutungsrahmen den wir alle nutzen um Vorfälle einzuordnen, Aussagen zu interpretieren".
-> Vorfälle lassen sich verifizieren, die Interpretation von Aussagen ist ein anderes Feld und kann auch auf konstruierten Vorfällen aufbauen. Welche Aussage wird also auf welcher Basis getroffen?

3. "Aussagen der Soldaten in den entsprechenden Geschehenszusammmenhang eingeordnet"
-> das ist unmöglich, ohne Geschehen von Fiktion zu trennen. Die Einordnung in einen Geschehenszusammenhang setzt voraus, dass zunächst das Geschehen einwandfrei feststeht. Sofern bei Fiktionen die Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zu einem anderen Geschehenszusammenhang (als dem Soldaten widerfahren) festgestellt wird, wäre mE nachzuweisen, dass von diesem Zusammenhang überhaupt Kenntnis bestand. Das dürfte in dem Fallmaterial weitestgehend ausgeschlossen sein.

4. "Rekonstruktion der Erlebens- und Wahrnehmenswirklichkeit eines Soldaten im zweiten Weltkrieg"
... die auf Fiktion beruhen kann, Ausdruck von Gewaltphantasien bzw. Aussagen, die als "zweckdienlich" oder "erwartet" im Umfeld des soldatischen Lebens und in der soldatischen Lebensgemeinschaft bis hin zur Gefangenengemeinschaft angesehen wurden.

Der Referenzrahmen ist für mich - natürlich nur laienhaft betrachtet - wertlos, wenn die Wahrnehmungen nicht im oben beschriebenen Sinn sortiert werden.

Die Anmerkungen kann man an den beiden zitierten Fällen auch konkret abarbeiten. Sind die Geschehenszusammenhänge nicht gegeben, bleibt mE nur ein Schluss: die Aussagen weisen allgemein die Brutalisierung der Betroffenen durch die persönlichen Kriegserlebnisse nach. Die Aussage ist wertlos, weil sie selbstverständlich ist und auf die Mehrheit der Kriegsteilnehmer zutreffen würde. Die Alternative zur Brutalisierung wäre der Zusammenbruch der Persönlichkeit - diese Fälle werden aber nicht zitiert und waren vermutlich auch nicht Gegenstand von Abhörungen.

Ich lasse mich aber gern von einer anderen, insbesondere psychologischen Interpretation und Sichtweise überzeugen, die ich möglicherweise noch nicht verstanden habe. Die oben angesetzte Erklärung basiert jedenfalls nach meinem Eindruck auf der Unterscheidung von Fiktion und Wirklichkeit. In der zweiten Stufe - sollten Fiktionen Basis der analysierten Warhnehmungen sein - kann man Ausmaß, Gründe und Motive auf der persönlichen Ebene hinterfragen.

Sorry dafür, dass das möglicherweise sehr laienhaft ausgedrückt ist. Ich hoffe, mein Problem mit der Analyse ist dadurch etwas klarer geworden.:winke:


P.S.: eine banale Konsequenz: der Buchtitel ist irreführend. Sofern nämlich Aussagen auf Fiktionen beruhen, geht es nicht um Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, sondern um Protokolle der Verarbeitung der Perzeption des Krieges, des persönlichen Ausscheidens aus dem Krieg (siehe das Pilotenbeispiel) und der Gefangenschaft. Der abweichend gewählte Titel suggeriert, es ginge (nur) um tatsächliche Geschehensabläufe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Glaubst du denn, dass du diese beiden Punkte alleine anhand der populärwissenschaftlichen Veröffentlichung einer Studie deren wissenschaftliche Ergebnisse bis dato noch nicht vorgelegt wurden wirklich ernsthaft betrachten kannst? Also ich weiß ja nicht...
Ich möchte für den Moment die Diffferenz zwischen "populärwissenschaftlich" und "wissenschaftlich"...
"Soldaten - Protokolle vom Kämpfen Töten und Sterben" ist trotz aller Wissenschaftlichkeit der Vorgehensweise für den psychologischen und historischen Laien geschrieben worden und daher wirklich sehrsehr verständlich.
... etwas vernachlässigen. Aber ich nehme Deine Frage zum Anlass, meinen ersten Punkt neutraler formulieren:

  • die Art und Weise [betrachten], wie Neitzel/Welzer den mit "Referenzrahmenanalyse" beschriebenen Ansatz auf das historische Thema "Krieg der Wehrmacht" anwenden
Den [Ansatz der "Referenzrahmenanalyse"] halte ich als Nicht-Psychologe eben für problematisch, und zitiere:...
Ich finde Deine folgenden vier Punkte sehr interessant und gehe davon aus, dass unsere Argumentationslinien ziemlich rasch zusammenlaufen werden.
 
Nö, du verstehst mich falsch. Du schreibst von einer Methodenbetrachtung, auch nach der Umformulierung. Wie willst du die ohne einschlägige Methodenbegründung machen? Der halbe Absatz im vorliegenden Buch reicht dafür schlicht nicht. Wir haben hier im Forum auch nicht das wissenschaftliche Know-how um die methodische Vorgehensweise zu rekonstruieren. Im Endeffekt wird es also nur Spekulation werden.
 
Ich habe heute Morgen noch kurz die genannten Seiten durchgeblättert und mach auch mit... als advocatus diaboli :devil: Ich habe hier ja sowieso schon damit angefangen :D
 
Oh weh, da bleibt mir nur die äußerst ungewohnte Rolle des advocatus angeli - ein schweres Handicap...:motz:
(Ich habe momentan ein kleines Zeitproblem, sei mir also nicht gram, wenn es etwas langsam vorangeht.)
 
P.S.: eine banale Konsequenz: der Buchtitel ist irreführend. Sofern nämlich Aussagen auf Fiktionen beruhen, geht es nicht um Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, sondern um Protokolle der Verarbeitung der Perzeption des Krieges, des persönlichen Ausscheidens aus dem Krieg (siehe das Pilotenbeispiel) und der Gefangenschaft. Der abweichend gewählte Titel suggeriert, es ginge (nur) um tatsächliche Geschehensabläufe.

Die Tendenz dieser Beurteilung weist in die richtige Richtung, ist meine persönlich Meinung, nachem ich das Buch bei der BpB bestellt hatte (nochmals Dank an Korinther für den Hinweis und den Link!) und punktuell gelesen habe.

Es ist anders als ich es erwartet hätte und die Ankündigung der Berücksichtigung der Referenzrahmenanalyse hatte einen anderen Erwartungshorizont geweckt. Der mehodische Bezug wurde enttäuscht, aber nciht der inhaltliche.

Für mich ist es der bisher beste Versuch, eine sozialpsychologische Erklärung des nationalsozialistischen Krieges vorzunehmen und aus der Sicht der Beteiligten zu beschrieben, was sie da eigentlich gemacht haben und welche Sinndeutung sie subjektiv vorgenommen haben.

Damit entfernen sie sich noch weiter als bei "Abgehört" von einzelnen Protokollen, sondern analysieren die Phänomene des Krieges nicht mehr als individuelles Erleben, sondern systematisieren die Protokolle vor dem Hintergrund unterschiedlicher Themen.

So als erstes Statemen. Und bin natürlich sehr gespannt, was unserer advocatus angeli demnächst schreibt.
 
Zwei zunächst ergänzende Anmerkungen.

1. Im Rahmen der diskursiven Interpreation definierten die WM-Angehörigen die Bandbreite der potentiellen Verhaltensstile. So die generelle These des Buchs.

Nun ist der Mensch, als solcher, das Produkt eines mehrjährigen Sozialisationsprozesses und hat durch die Sozialisationsagenten ein umfangreiches Rahmenwerk an normativen Glaubensüberzeugen (Werte etc.), soziale und rechtliche Normen kennengelernt und nicht zuletzt ist er mit einem umfangreichen (mehr oder minder) Repertoir n moralischen Standards konfrontiert worden.

Die Prädisposition bringt der Soldat 1939 mit in den Krieg. Unterstützt durch die Verhaltens-Normen der bis dahin "Friedens-WM" und eine bis dahin intakte Militärgesetzgebung.

Während des Polenfeldzuges setzt die Konfrontation ein, dass die militärischen Erfordernisse, die die Soldaten situativ erleben einer Konfrontation mit den tradierten Normen ausgesetzt sind. Und in diesem Spannungsverhältnis wird 1939 über die weitere Entwicklung der relevanten individuellen und kollektiven Normen für die WM entschieden.

Für Polen sind bereits Entgleisungen zu erkennen und einzelne Individuen bzw. einzelne kleine Gruppen definieren die "Regeln des Krieges" interaktiv neu.

Der Generalpardon und die Kastration der Militärgerichtsbarkeit bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen am Ende des Polenfeldzuges dürfte zu einer ersten formlen Stabilisierung der neuen, von dem Vorkriegsmuster abweichenden Normeninterpretation, geführt haben.

Aus dieser Darstellung möchte ich ein Argument gewinnen, dass die methodische Anwendung der Rahmenanalyse bestenfalls als Heuristik herangezogen werden kann, aber nicht die eigentlich Dynamik der Interpreation bzw. Reinterpretation herleiten kann. Auch weil die Quellenlage es nicht wirklich hergibt.

2. Ein unbeabsichtigetes Beispiel für die Rahmenanalyse bringt eine Schilderung eines Aufsehers eines Gefangenentransports. Er schildert das Verhalten der russischen Kriegsgefangenen während des Transports.

Durch die extreme Situation, die durch die deutsche Transportleitung verursacht wurde, werden die russischen Gefangenen gezwungen, eine situative Deutung ihrer Situation vorzunehmen, die die bestialistischen Triebe erforderlich macht, um überleben zu können.

Gemeint ist der direkte Kampf gegen den "Fress-Rivalen" und die Kanibalisierung von Mitgefangenen.

es wird aber auch deutlich, wie unterschiedliche die Referenzrahmen sind, unter denen die deutschen Soldaten und die russischen Gefangenen agiert haben. Unterlagen die Deutschen noch dem komplexen soziokulturellen Rahmen, inklusive ideologischer Indoktrination, handelten die Russen aus dem primären Überlebenswillen heraus.

Und unfreiwillig wird an diesen Punkten ein Hinweis geliefert, dass der Mensch, entsprechend den extremen und unterschiedlichen Rahmenbedingungen, auch zu sehr extremen Reaktionsmustern fähig ist und in Zukunft vermutlich jederzeit wieder fähig sein wird!

Das bringt mich zu dem typischen Beispiel im Rahmen früherer Verhandlungen für Wehrdienstverweigerer und der beliebten Frage, was man tun würde, wenn man nachts mit seiner Freundin durch den Wald geht und überfallen wird.

Die Antwort war. Ich geh nachts nicht in den Wald. Übertragen auf das Beispiel von Neitzel ist dieses Buch ein hervorragendes Plädoyer, dass Prävention zur Verringerung von extremen sozialen und politischen Situationen, eine Eskalation verhindert.

Die Abschaffung der Miltärgerichtsbarkeit zur Verfolgung von Kriegsverbrechen am Ende des Polenfeldzuges war vermutlich der entscheidende Dammbruch. Und die notwendige Voraussetzung für den "Kommisarbefehl". Und mündete ein in die wahllose Selektion von "normalen" Deutschen als "willige" Teilnehmer an einer unmenschlichen Vernichtungsmaschinerie.
 
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Gegen Ende plädiert R. dafür, den Begriff "Naziverbrechen" nicht mehr zu verwenden. Experimente wie das von Milgram haben gezeigt, dass buchstäblich jedermann bereit und in der Lage ist, schwerste Verbrechen zu begehen
Sollte die Bewertung in dieser Form erfolgt sein, was ich persönlich für unwahrscheinlich halte, dann würde Neitzel gegen die Bedeutung des „Referenzrahmen zweiter Ordnung“ (vgl. S. 19) verstoßen. Nimmt man beispielsweise Bracher (Die deutsche Diktatur) als Beschreibung diese Referenzrahmen (oder auch die Arbeiten von Neuman, Kershaw oder Broszat) dann wird das spezifische in Abgrenzung zu den Bezugsrahmen anderer Länder in anderen Epochen deutlich. Die wert- und normbildende Kraft des NS-Staates ist m.E. singulär in seiner Auswirkung auf die betroffene Population, in diesem Fall auf die Angehörigen der WM und der SS. Und hat zur Konsequenz, dass der Begründungszusammenhang für das Begehen von Verbrechen ebenfalls singulär ist.

Dass es unter anderen bzw. ähnlichen Voraussetzungen jederzeit zu einem ähnlichen Einstellungssyndrom kommen kann, belegt nicht nur die Arbeit von Milgram. Diese Haltung kann man vermutlich bei den meisten Soldaten im Rahmen von Bürgerkriegen (Afrika etc.) in einer ähnlichen Konstellation rekonstruieren.


In diesem Sinne sind sicherlich anthropologische und soziologische Konstanten vorhanden, die „abweichendes Verhalten“ in Kriegszeiten extrem fördern (wie ja auch am Beispiel von Vietnam oder Irak dargestellt wird).


Dennoch ist der Begriff der "Naziverbrechen", im analytischen und nicht moralisierenden Sinne, gerade auch wegen der Rekonstruktion im Rahmen der Referenzrahmen-Analyse geradezu zwingend notwendig, wollte man nicht das NS-Regime zu einer xbeliebigen politischen System degenerieren lassen


Wenn es zur "Arbeitsplatzbeschreibung" gehört, dass Soldaten in "entgrenzten" Situationen Menschen ermorden - trifft dann der umstrittene Satz "Soldaten sind Mörder" zu?

Die Frage der Legitimation von Gewalt im Rahmen eines Krieges zerfällt in ein völkerrechtliches Problem und in ein subjektives, individuelles Problem.


Abgeleitet aus politischen bzw. auch ideologischen Zielen bzw. Rechtfertigungen, ergänzt durch eine formale völkerrechtliche Absicherung (einen offiziellen Kombattantenstatus zu genießen), wird jeder Soldat persönlich und als Teil seiner militärischen Referenzgruppe eine Begründung für sein "tödliches Handwerk" zu Recht legen (wie auch im Buch beschrieben).

Eine zusätzliche Rechtfertigung bedarf Töten ja nur insofern als es den "klassischen", tradierten Rahmen der Tätigkeit von Soldaten verlässt. Und an diesem Punkt erkennt man die Umwidmung von Werten (wie es auch teilweise sehr gut in den Beiträgen in Müller&Volkmann: Die Wehrmacht beschrieben ist), die in der Rassentheorie, dem Antikommunismus und dem Sozialdarwinismus des NS-Staates angelegt ist.


Und es erklärt auch das "Funktionieren" der Soldaten, trotz des angewidert sein vieler Soldaten, weil das vermeintliche professionelle Berufsbild, angeleitet durch die protestantische Ethik, den Erfolg verlangte (beispielweise so die Argumentation des GQM Wagner).

Viele Historiker meinen, dass man sich moralischer Urteile enthalten muss; wenn überhaupt, muss eine historische Person "aus seiner Zeit heraus" beurteilt werden - ist der "Referenzrahmen" im Grunde ein Ansatz, der auf das Gleiche hinausläuft?
Antwort: Das kann man so sehen; die Arbeit am "Soldaten"-Projekt hat allein das Ziel, Verhalten zu erklären.
Durch die Wahl seines Erkenntnisobjekts und der damit verbundenen Fragestellung nimmt man bereits eine moralische Wertung vor.

Die Autoren haben den Referenzrahmen erster Ordnung aus der Betrachtung ausgeblendet und somit die Brüche, die im Rahmen der Durchsetzung der NS-Ideologie, auch auf individueller Ebene, auftraten.


In diesem Sinne hätte im Zuge der Analyse des Refenzrahmens diese Brüche zwischen den Werten aus der Periode vor der Machtergreifung und danach deutlich machen können. Diese Konfrontation alleine hätte gereicht, um deutlich zu machen, dass es durchaus auch „anständige“ und „normale“ Referenzrahmen gegeben hat.


Und bereits vor diesem Hintergrund wäre die Amoralität des neuen NS-geprägten Referenzrahmens bereits deutlich geworden.


Insgesamt würde ich mir häufiger eine immanente Rekonstruktion von Referenzrahmen wünschen, da diese Tätigkeit eine sehr intensive Beschäftigung mit Quellen zwingend erforderlich macht, und damit den Prozess des „Verstehens“ einer Periode erleichtert.


Aus dieser Vorgehensweise wird sich eine „neutrale“ und „objektive“ Rekonstruktion ergeben und jeder mag sich sein Urteil bilden, wie viel Apologie oder Anti-Apologie für eine historische Studie erforderlich sind.


Wenn das Referenzsystem das Verhalten von Soldaten in derart hohem Maße beeinflusst - wird es dann nicht sehr schwierig, jemanden für seine Taten verantwortlich zu machen bzw. zu bestrafen?

Dieses Argument greift ein Problem auf, das beispielweise A. Schütz (Über die mannigfachen Wirklichkeiten, Gesammelte Aufsätze, Bd. 1., 1971, S. 237) thematisiert. Die Antwort ist relativ einfach, da sie auf den Referenzrahmen erster Ordnung verweist und darauf hinweist, dass es tradierte Werte innerhalb einer Gesellschaft gibt, die als „framing conventions“ das Verhalten generell steuern.



In diesem Sinne kann sich zwar eine kleine Gruppe von Soldaten temporär auf einen extrem abweichenden Set von Glaubensüberzeugungen stützen, und somit den Referenzrahmen für Handlungen bilden, dennoch steht diese partielle Rivalität in einem deutlichen Kontrast zu den framing conventions. Die letztlich durch die Nürnberger Prozesse aus der latenten Bedeutung in eine manifeste Bedeutung überführt wurden.



Zu welchem Ergebnis würde man kommen, wenn das Konstrukt "Referenzsystem" auf die SS-Mannschaft in einem KZ angewendet würde?

Dass es in diesem Kontext ebenfalls Prozesse gab, die das Verhalten erklären. In diesem Sinne ist der Referenzrahmen ja lediglich ein Analyseinstrument, um zu verstehen.

Und es ist ebenfalls ein Instrument, die Brüche aus dem Referenzrahmen erster Ordnung hin zu den Vorstellungen der zweiten oder dritten Ordnung.


Ein Teilnehmer fasste so zusammen: Er habe den Eindruck, dass die Erkenntnisse der "Soldaten"-Studie im Wesentlichen darauf hinausliefen, Kriegsverbrechen zu relativieren. Dieser Ansicht schlossen sich beim anschließenden Smalltalk weitere Zuhörer an.


Ein Psychologe, der sich mit der Motivation und dem Begründungszusammenhang der Handlungen eines Psychopathen beschäftigt, versucht zu verstehen und nicht zu rechtfertigen.


Vielmehr ist die Qualität der Studie eher so, dass sie erklärt, wieso so viele anständige Männer, so lange bei diesem Krieg mit gemacht haben.


Und warum es für diese Generation so schwer war, über das Erlebte zu sprechen, da die „jüngeren“ Zuhörer den Kontext für das Handeln der Soldaten schwer nachvollziehen konnten. Und sie somit eigentlich kein Verständnis für ihre Handlungen erwarten konnten.


Die publizistische Verarbeitung der individuellen Probleme der Einzelnen erfolgte dann

nicht durch eine kritische Diskussion des Erlebten, sondern durch ein kollektives Verdrängen und der Schuldzuweisung auf die Person von Hitler.

Mein eigenes Unbehagen formuliere ich so: Dieser Abend hat mich noch nicht überzeugt, dass das Konstrukt des "Referenzrahmens", wenn man es auf Kriegsverbrechen anwendet, zu wirklich neuen Einsichten führt. Denn wenn z.B. festgestellt wird, dass - bei entsprechendem Refererenzrahmen - jedermann jederzeit zum Verbrecher werden kann, das dann kommt man irgendwann auf den Satz:
"Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden". Der hat freilich keinen Neuigkeitswert, sondern stammt von Immanuel Kant

So trivial ist der Ansatz der Studie nicht. Es wird der spezifische Referenzrahmen des 3. Reichs rekonstruiert. Und nur dieser befähigte die WM und die SS zu der Art von Kriegsführung im Osten, wie sie in der Realität praktiziert wurde.


[FONT=&quot]Insofern liefert die Studie eine aus meiner Sicht sehr wertvolle Innenansicht der Normen und Wertvorstellungen der damals beteiligten Personen. Das macht die Täter deswegen nicht weniger schuldig, aber es ermöglicht uns den Blick des Analytikers auf die pathologische Deformation des NS-Regimes.
[/FONT]
 
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Gewöhnliche Verrohung?

Zweiter Weltkrieg: Deutsche Soldaten waren nicht brutaler als andere - Nachrichten Kultur - Geschichte - WELT ONLINE

"Nein, deutsche Soldaten unterschieden sich selbst im Zweiten Weltkrieg nicht wesentlich von anderen. Die Suche nach dem speziell deutschen Gewaltätigen ist einzustellen, die Fahndung nach dem faschistischen Typus oder dem im Körperpanzer gefangenen Mann à la Theweleit ist eine Sackgasse. Es gibt, was die Kriegsführung betrifft, keinen deutschen Sonderweg, keine spezielle Barbarei, die man dem "preußischen Militarismus" zuschreiben könnte."

Das Urteil würde vergleichende Kenntnisse voraussetzen. Diese vermisst man völlig, sortiert nach Kriegsschauplätzen und Waffengattungen.
 
Der Artikel ist ahistorisch. Natürlich sind deutsche Soldaten nicht brutaler als andere Soldaten, und zwar im Sinne persönlicher Neigung zur Gewaltausübung.

Die deutschen Soldaten ließen sich in der Zeit des Nationalsozialismus auf ein verbrcherisches Regime ein und dienten ihm und wurden so Teil dieses verbrecherischen Regimes. Diese Kontextualisierung läßt dieser Artikel einfach mal außen vor. Das deutsche Soldaten im II. WK sowjetische Offiziere (Kommissare) erschossen haben, lag nicht an einem irgendwie gearteten Furor Teutonicus, sondern daran, daß sich diese Soldaten zum Werkzeug eines Regimes haben machen lassen, welchers verbrecherische Ziele verfolgte.

So einen ahistorischen Nonsens habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Dazu kommt die bedeutungsschwangere Zwischenüberschrift: "Frauen können auch töten", so so, eine Neuigkeit die die Welt erschüttern wird.

M. :winke:
 
So einen ahistorischen Nonsens habe ich schon lange nicht mehr gelesen.

Der Artikel wimmelt von Plattheiten. Die Autorin hat sich wohl schon etwas mit einem "journalistischen" Werk zum Wesen des Krieges beschäftigt.

Leider ist eben auch großer Müll durch Meinungsfreiheit gedeckt, und leider wird wohl Wasser auf die Mühlen einiger Apologeten geschüttet.
 
Ich lese gerade das Buch. Bin noch am Anfang (ca Seite 60) über den Referenzrahmen des "Dritten Reiches". Gibt interessante Einblicke in die menschliche Psyche.
 
Nur mal so ein Einwurf, aber hat irgendjemand Erfahrungen mit realen Kriegsbedingungen, vor allem als Soldat.
Die Autoren dieser Bücher und Artikel sicher nicht. Haben wir im GF einen User mit diesen Erfahrungen?

Das wäre doch mal interessant, zu hören, was ein Mensch erzählt, den das Blei um die Ohren geflogen ist!

Was sagen Phychologen zu Soldaten, die aus einen Krieg wiederkehrten?
Ich sage nur Posttraumatischen Störungen.
Sind die Verhaltensmuster als psychische Krankheit historisch gleich, also damit meine ich die Psyche eines Soldaten des 1.WK über den 2.WK, lokale Kriege des Kalten Krieges bis heute (Ja, Tagespolitik bitte ausvorlassen, aber es geht um die Bewertung von Menschen, da eine Grenze zu ziehen ist schwer...)?

Posttraumatische Belastungsstörung ? Wikipedia
 
Gewöhnliche Verrohung?

Zweiter Weltkrieg: Deutsche Soldaten waren nicht brutaler als andere - Nachrichten Kultur - Geschichte - WELT ONLINE [...]

Das Urteil würde vergleichende Kenntnisse voraussetzen. Diese vermisst man völlig, sortiert nach Kriegsschauplätzen und Waffengattungen.

Der Artikel ist ahistorisch.


Meine volle Zustimmung!

Jemand, der versucht, den sozialen Bedingungen des Phänomens der "Massengewalt im 20. Jahrhundert" nachzugehen und dabei offenbar auch vergleichend arbeitet, ist Christian Gerlach, auf dessen neuestes Buch ich in diesem Zusammenhang hinweisen möchte:

Christian Gerlach: Extrem gewalttätige Gesellschaften - Massengewalt im 20. Jahrhundert, DVA, München 2011, 575 Seiten.

Rezensionen:

Christian Gerlach - Extrem gewalttätige Gesellschaften

Massenmorde und ihre Gründe - Christian Gerlach Extrem gewalttätige | Kritik | Deutschlandradio Kultur

Interview mit dem Autor:

Historiker Christian Gerlach über Völkermord: "Die Regierung zu stürzen reicht nicht" - taz.de
 
In Anbetracht deines menschenverachtenden Beitrags ist "dummes Gewäsch" noch harmlos formuliert.
Sagen wir es mal so; Es geht nicht um mein dummes Gewäsch, sondern um jenes derer, die dort abgehört wurden.
Ich habe meinen Nachbarn auch über die Hecke sagen hören... Katzen schmecken gut und Rache ist Leberwurst.

Das alles ist zutiefst unehrlich!
 
Das alles ist zutiefst unehrlich!

Wenn Du ein fachliches Urteil zu diesem Vorgang hast und eine sehr pauschale Kritik vornimmst, dann wird man bei der Bedeutung dieses Themas, eine fundierte Begründung von Deiner Seite erwarten können.

1. Wieso ist die methodische Begründung von Neitzel, die ausführlicher in "Abgehört" begründet wird, falsch?
2. Wie hätten diese Protokolle denn stattdessen ausgewertet werden sollen?

"Gesunder Menschenverstand" ersetzt kein methodisches Wissen!
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein Seiteneinwurf um Thema: interessant wäre bzgl. des Referenzrahmens und der empirischen Auswertung der Gespräche der direkte Vergleich mit alliierten Kriegsgefangenen.

Mir schwebt hier speziell - Abweichungen im Vergleich bzgl. der Bedingungen sind eine weitere Fragestellung - der Vergleich zum "DULAG Luft" der Wehrmacht vor.
 
Nur mal so ein Einwurf, aber hat irgendjemand Erfahrungen mit realen Kriegsbedingungen, vor allem als Soldat.
Die Autoren dieser Bücher und Artikel sicher nicht. Haben wir im GF einen User mit diesen Erfahrungen?

Das wäre doch mal interessant, zu hören, was ein Mensch erzählt, den das Blei um die Ohren geflogen ist!

Was sagen Phychologen zu Soldaten, die aus einen Krieg wiederkehrten?
Ich sage nur Posttraumatischen Störungen.
Sind die Verhaltensmuster als psychische Krankheit historisch gleich, also damit meine ich die Psyche eines Soldaten des 1.WK über den 2.WK, lokale Kriege des Kalten Krieges bis heute (Ja, Tagespolitik bitte ausvorlassen, aber es geht um die Bewertung von Menschen, da eine Grenze zu ziehen ist schwer...)?

Posttraumatische Belastungsstörung ? Wikipedia


Remarque hat dies mehrfach in seinen Romanen versucht aufzuarbeiten.
Der Weg zurück. zb
"Ich habe doch schon auf viele Menschen geschossen" sagt Albert zum Richter.

Interessant ist aber, dass dieser Literaturkomplex, zumindest deutschsprachig, nach 45 völlig fehlt.
Ähnlich wie die "Kriegszitterer"
 
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