Ich habe durchaus in Ansätzen eine solche Auffassung vertreten und vertrete sie auch. Also die Position, dass eine Sekretärin eines Lagerkommandanten eine stärkere Position innehatte, als es ihrer Tätigkeit entsprach. Auch in der männerbündischen Welt der SS. Ich habe davon gesprochen, dass ich es durchaus schon erlebt habe, dass Chefsekretärinnen in ihrer Rolle von einer gestanden Belegschaft als weisungskompetent empfunden wurden, dass sie quasi die heimlichen Chefs waren und sind.
Dafür bietet das Urteil des LG allerdings keine Anhaltspunkte.
In den Sachverhaltsfeststellungen heißt es:
Rz 110: „Der ausgehende Schriftverkehr des Kommandanten wurde ebenfalls durch das Geschäftszimmer erledigt: Aufgabe der Angeklagten als Stenotypistin war es, Diktate des Kommandanten in Stenografie aufzunehmen, maschinengeschriebene Reinschriften anzufertigen und die Schreiben – ggf. nach Einarbeitung eventueller Korrekturen – entsprechend der Verfügungen des Kommandanten auf den dafür vorgesehenen Ausgangsweg zu bringen, sei es per Post oder zur Fernmeldestelle, wo die Fernschreiberinnen die Schreiben über die Fernschreibetechnik weitergaben.“
Rz 225: „Die Angeklagte stellte sicher, dass entsprechende Schreiben, die in der Regel H. ihr diktierte, formgerecht und sauber niedergelegt wurden und anschließend an die zuständigen Stellen weitergegeben werden konnten. Sie unterstützte ihn und auch den Adjutanten bei der Erledigung und Abfassung sämtlichen, das Lager betreffenden Schriftverkehrs, was auch die gesamte die dargestellten Haupttaten betreffende Korrespondenz umfasste.“
Rz 226: „Die Kammer geht davon aus, dass die Angeklagte jedenfalls den Großteil der dienstlichen Korrespondenz des Lagerkommandanten nach außen und auch die Kommandantur- und Einsatzbefehle in Stenografie entgegen genommen und mit der Maschine geschrieben hat.“
In der Beweiswürdigung heißt es:
Rz 344: „Auch haben seine belegten und plausiblen Darstellungen zu der zunehmenden Übernahme vormals männlich besetzter Posten, die angesichts des Kriegsverlaufs und der hohen militärischen Verluste aus Sicht des NS-Regimes eingespart werden mussten, zu der Überzeugung der Kammer beigetragen, dass die in den Konzentrationslagern tätigen Frauen zwar in untergeordneter Tätigkeit und nicht als Entscheiderinnen tätig waren, die Sichtweise auf sie und ihre objektive Bedeutung aber mitnichten die dem auch im Zusammenhang mit diesem Verfahren regelmäßig aufgebrachten Klischeebild einer „einfachen Sekretärin“ entsprach.“ (Hier wird also ausgeführt, dass sie zwar nicht bloß „einfache Sekretärin“ gewesen sei, aber eben auch keine „Entscheiderin“.)
Rz 346: „Die umfangreiche Kommunikation zwischen den Lagern untereinander und auch diejenige mit dem für die gesamte Befehlslage maßgeblichen SS-WVHA, welche für die Organisation und die Abläufe des Betriebs der Konzentrationslager einschließlich der zahlreich und stetig stattfindenden Transporte von Gefangenen erforderlich war, wurde nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen – zwar nicht inhaltlich, aber in der praktischen Umsetzung – in großem Umfang von Frauen geleistet.“ (Eine inhaltliche Verantwortung für die Kommunikation gab es also gerade nicht.)
In der rechtlichen Beurteilung heißt es:
Rz 417: „Nach diesen Maßstäben leistete die Angeklagte zu den Taten, bezüglich derer sie tatbezogenen Schriftverkehr bearbeitete – etwa durch Aufnahme von Diktaten ausgehender Nachrichten oder dem Sortieren, Abstempeln, Verteilen eingehender Meldungen – jeweils physisch Beihilfe.“
Davon, dass Frau F. irgendwelche Entscheidungen getroffen und Weisungen erteilt hätte, dass sie die von ihr abgetippten Schriftstücke inhaltlich beeinflusst hätte, ist nirgendwo die Rede.