Sozialimperialismus

jennj

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Hey leute hier folgende Quelle:

Hans-Ulrich Wehler

"Unter Imperialismus wird ... diejenige direkte-formelle und indirekte-informelle Herrschaft verstanden, welche die okzidentalen Industriestaaten unter dem Druck der Industrialisierung mit ihren spezifischen ökonomischen, sozialen und politischen Problemen und dank ihrer vielseitigen Überlegenheit über die weniger entwickelten Regionen der Erde ausgebreitet haben ...
Was wir ... unter Sozialimperialismus verstehen, der immer auch ökonomische Expansion impliziert, ist vorab knapp zu definieren. Die Industrialisierung und der technologische Fortschritt haben in der weltwirtschaftlichen Krisenphase nach 1873 zuerst die industrie-, dann auch die agrarwirtschaftliche Wachstumsproblematik ungeheuer verschärft. Die Mitlebenden haben intensiv nach Auswegen aus ihrer bedrängten Lage gesucht. Eine Aushilfsmöglichkeit schien die ökonomische Expansion über die nationalen Grenzen hinweg, mithin der Waren- und Kapitalexport zu bieten. Das entsprach vollauf der Motorik des stetig sich ausdehnenden, prinzipiell grenzenlosen Marktes der kapitalistischen Wirtschaft...
Das häufig ausschließlich betonte dynamische Element, das in dem Wachstum der Industrie mit ihrer Überproduktion und der hektischen Suche nach Märkten zutage trat, verschlang sich von Anbeginn an mit einer bewusst sozialdefensiven Haltung, die sich des Imperialismus als gesellschaftspolitischen Integrationsmittels bedienen wollte... Der Sozialimperialismus war die moderne, in entscheidendem Maße sozialökonomisch motivierte Form einer alten, schon von Machiavelli beschriebenen Herrschaftstechnik: um der Bewahrung des sozialen und politischen Status quo willen die inneren Bewegungskräfte und Spannungen nach außen abzulenken.
Ebenso wie die Wachstumsstörungen nach 1873 ein weltweites Phänomen bildeten, ist der Sozialimperialismus eine internationale Erscheinung gewesen."


So nun sollen die Akteure, die Ursachen, sowie die enthaltene Wertung des Autors herausgearbeitet werden.


Also Akteur würde ich sagen die okzidentalen/westlichen Industriestaaten. Allerdings ist mir nicht klar, inwiefern sie die AKteure sind.


Ich habe den Text nicht richtig verstanden. Könnte vielleicht einer kurz und knapp erklären worum es geht, und inwiedern die westlichen INdustriestaaten die AKteure sind?
 
Nun, übersetz Dir den Artikel mal ins Deutsche, also schmeiß die Fremdwörter raus bzw guck bei Herrn Wehler, wie ER welche Wörter definiert.
So ist es stochern im Nebel gesellschaftswissenschaftlicher Volkswirtschaftslehre
 
hmm. wäre zum Beispiel eine Ursache, dass die industrie und die agrarwirtschftliche Wachstumsproblematik ungeheuer verstärkt wurden?

ich verstehe nicht ganz wie ich es ins Deutsche übersetzen soll...
 
Was trieb die europäischen Staaten dazu, vor allem im 19. Jahrhundert einen großen Teil der Welt als Kolonien beherrschen zu wollen? Wehler meint, zwei Triebkräfte ausmachen zu können:

Die kapitalistische Wirtschaft ist auf Gedeih und Verderb auf Wachstum angelegt. Sie braucht Absatzmärkte für ihre Produkte und Anlagemöglichkeiten für Kapital. Im Rahmen der nationalen Grenzen wurde dies immer schwieriger, also schuf man sich Märkte in kolonisierten Regionen der Erde (Waren- und Kapitalexport).

Zum anderen sollten, laut Wehler, durch den Imperialismus soziale Spannungen nach außen abgelenkt werden, z.B. indem Menschen, die mit ihrer sozialen Lage im Heimatland unzufrieden waren, die Möglichkeit zur Auswanderung in eine Kolonie eröffnet wurde, oder indem ihr Nationalstolz angesprochen wurde, Bürger eines Landes mit mächtigem Kolonialreich zu sein (Imperialismus als gesellschaftliches Integrationsmittel).

Die Frage nach den Akteuren ist etwas tricky: Formal sind die Akteure natürlich die Regierungen der entwickelten Industriestaaten, in Wehlers Interpretation sind sie aber eigentlich Getriebene eines durch kapitalistische Wachstumsdynamik ausgelösten Expansionsdrucks, der zunehmend nationale Rahmen sprengte.
 
So nun sollen die Akteure, die Ursachen, sowie die enthaltene Wertung des Autors herausgearbeitet werden.


Also Akteur würde ich sagen die okzidentalen/westlichen Industriestaaten. Allerdings ist mir nicht klar, inwiefern sie die AKteure sind.


Ich habe den Text nicht richtig verstanden. Könnte vielleicht einer kurz und knapp erklären worum es geht, und inwiedern die westlichen INdustriestaaten die AKteure sind?

hmm. wäre zum Beispiel eine Ursache, dass die industrie und die agrarwirtschftliche Wachstumsproblematik ungeheuer verstärkt wurden?

ich verstehe nicht ganz wie ich es ins Deutsche übersetzen soll...

Natürlich kann man solche Fachtexte auch einfacher formulieren, ob du es dann besser verstehst, hängt von deinem eigenen Hintergrund ab.
Deshalb bringt es dir mE nichts, wenn wir dir den Wehlertext schlicht formulieren.
Mir hilft es meist, wenn ich mir für allgemeine theoretisch formulierte Phänomene praktische Beispiele suche.
Also erstmal einen Akteur z.B. England betrachten und gucken wie sich die Industriealisierung auswirkte. Wo fand das Wachstum statt? Welche Importe waren nötig? Wo konnte England die Industriewaren absetzen?
 
Ich habe den Text nicht richtig verstanden. Könnte vielleicht einer kurz und knapp erklären worum es geht, und inwiedern die westlichen INdustriestaaten die AKteure sind?
An erster Stelle würde ich mich hier informieren, @jennj.
Sozialimperialismus ? Wikipedia

Bezüglich Wehlers z.B. hier.
Hans-Ulrich Wehler ? Wikipedia

Ist zwar nicht allumfassend, aber man kann sich zumindest ein besseres Bild machen. Auch gibt es eine Reihe weiterführender Verweise.
 
Was trieb die europäischen Staaten dazu, vor allem im 19. Jahrhundert einen großen Teil der Welt als Kolonien beherrschen zu wollen? Wehler meint, zwei Triebkräfte ausmachen zu können:

Die kapitalistische Wirtschaft ist auf Gedeih und Verderb auf Wachstum angelegt. Sie braucht Absatzmärkte für ihre Produkte und Anlagemöglichkeiten für Kapital. Im Rahmen der nationalen Grenzen wurde dies immer schwieriger, also schuf man sich Märkte in kolonisierten Regionen der Erde (Waren- und Kapitalexport).

Zum anderen sollten, laut Wehler, durch den Imperialismus soziale Spannungen nach außen abgelenkt werden, z.B. indem Menschen, die mit ihrer sozialen Lage im Heimatland unzufrieden waren, die Möglichkeit zur Auswanderung in eine Kolonie eröffnet wurde, oder indem ihr Nationalstolz angesprochen wurde, Bürger eines Landes mit mächtigem Kolonialreich zu sein (Imperialismus als gesellschaftliches Integrationsmittel).

Die Frage nach den Akteuren ist etwas tricky: Formal sind die Akteure natürlich die Regierungen der entwickelten Industriestaaten, in Wehlers Interpretation sind sie aber eigentlich Getriebene eines durch kapitalistische Wachstumsdynamik ausgelösten Expansionsdrucks, der zunehmend nationale Rahmen sprengte.


Was könnte man denn noch so als Ursachen nennen und welche Haltung hat der Autor?
 
Es gibt Themen, die sprengen aufgrund ihrer Komplexität eigentlich den Rahmen einer Diskussion. Deswegen eher fragmentarisch der Hinweis auf eine Reihe von Rahmenbedingungen, die auf die "Akteure" verweisen und auf einzelne wichtige Motivationsstränge (da es nie die eine monokausale Erklärung für ein gesellschaftliches Ereignis gibt!), die das Handeln angetrieben haben.

Durch die kapitalistische Produktion, zunächst in GB, und die entsprechende Bereitstellung von Beschaffungs- und Absatzmärkten wird die Geschwindigkeit der Industriealisierung im Zuge der "Reallokation" von Ressourcen optimiert (vgl. dazu z.B. Milward & Saul: The Economic Development of Continental Europe, 1780-1870).

Eine der Auswirkungen der Industriealisierung ist das Anwachsen der Beschäftigen in den Industrien, wie es Thompson (The making of the English working class beschrieben hat) oder auch beispielsweise in der Darstellung bei Kuhn (Die deutsche Arbeiterbewegung).

Parallel zur "Entfesselung" des Kapitalismus und der bis dahin nicht gekannten quantitativen Bereitstellung von Waren, auch als Dynamik von Angebot und Nachfrage respektive Verstärkung von Konjunkturzyklenzu beschreiben, tritt die politische Frage der politischen Beteiligung der bis dato politisch rechtlosen Arbeiterschaft.

(Beschreibung des imperialen Zeitalter von 1975 bis 1914 )
Das imperiale Zeitalter, 1875-1914 - Eric John Hobsbawm - Google Bücher

Die parallele Entwicklung des Potentials der Industriearbeiter und entsprechender philosophischer Weltbilder, die die zentralen Ideen der Französischen Revolution, also vor allem auch die Brüderlichkeit sprich soziale Gerechtigkeit, in den Vordergrund stellten. Es wurde somit die soziale Frage mit der politischen Frage bzw. Forderung nach einer angemessen politischen Repräsentation im staatlichen Kontext verbunden.

(Situation der Gesellschaft im imperialen Zeitalter bis 1914 bei Mayer: )
The persistence of the old regime: Europe to the Great War - Arno J. Mayer - Google Bücher

Die Schwierigkeit einer genauen Positionsbestimmung der organisierten Arbeiter zum Staat, kommt in der Arbeit von Könke zum Ausdruck.

Organisierter Kapitalismus, Sozialdemokratie und Staat - Günter Könke - Google Bücher

Vermutlich war sich Bismarck bewußt, dass die Konflikte zwischen einem autokratisch, monarchistisch regiertem Staat und der zunehmend selbstbewußter auftretenden Arbeitschaft mittelfristig auf ein Legitimationsdefizit der monarchistischen Herrschaft hinauslaufen würden (vgl. auch die Rolle der preußischen Armee als loyale, adelsbasierte Stütze der Monarchie)

In einer sich abzeichnenden Situation zunehmender bzw. antizipierter (durch Bismarck) innenpolitischer Legitimatiosndefizite, ist die Inszenierung einer externen politischen Bedrohung bzw. nationalen patriotischen Aufgabe eine Instrument zur Disziplinierung, wie auch Schumpeter in seinen Aufsätzen zum Imperialismus konstatiert.

Diese Kombination politischer und ökonomischer Zielsetzungen Bismarcks beschreibt Wehler im Rahmen seiner Analyse. In dieser Strategie kommt zum Ausruck, dass die Arbeiterschaft im Rahmen des Kaiserreichs kooptiert werden soll, ohne jedoch an der politischen Macht beteiligt zu werden.

Es stellte somit den Versuch Bismarcks dar, die gesellschaftliche und ökonomische Modernisierung, die beispielsweise in GB auch die politische Integration der Arbeiterschaft beinhaltete, ohne eine paralle Modernisierung der politischen Institutionen des Kaiserreichs zu erreichen.

Wehler / Quelle: Der ideologische Konsens: Exportoffensive und Sozialimperailismus als Konjunktur und Gesellschaftspoltik, S. 112 ff
Bismarck und der Imperialismus - Hans-Ulrich Wehler - Google Bücher

Wehler auch auch in: Sozialimperialismus, S. 83 ff
Imperialismus - Google Bücher

Wehler ähnlich auch in: Industrial Growth and Early German Imperialism
Studies in the theory of imperialism - Edward Roger John Owen, Roger Owen, Robert B. Sutcliffe - Google Bücher
 
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