Sprache als Identifikationsfaktor im Mittelalter/Frühe Neuzeit?

Simon

Mitglied
Waren die Menschen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit eher bereit einem Herrscher treu ergeben zu sein, wenn dieser die gleiche Sprache spricht?
Oder war es in der Regel egal, ob es sich um eine "Fremdherrschaft" handelte?


grüße
Simon
 
Mit dem Begriff der "Fremdherrschaft" in Bezug auf die Sprache wäre ich etwas vorsichtig.
Dazu ein Beispiel: Der preußische König Friedrich der Große war der legitime Landesherr seines Staates, aber bei Hofe wurde damals fast ausschließlich französisch gesprochen. Friedrich konnte wahrscheinlich gar kein Deutsch in unserem Sinne.

Ansonsten aber ist es ein ganz natürlicher Vorgang in der menschlichen Psyche, daß man einem Menschen, der die eigene Sprache spricht, eher zugeneigt ist als einem Fremdsprachler. Sogar dann, wenn dieser nur ein paar wenige Worte in unserer Sprache beherrscht. Ein bekanntes Beispiel dazu wäre Präsident Kennedy mit dem Spruch "Ich bin ein Berliner."
Solche Beispiele ließen sich endlos fortsetzen, aber ich bin mir nicht ganz schlüssig, worauf Du mit dieser Fragestellung eigentlich hinaus willst.

Etwas unschlüssige Grüße vom Mino.
 
Was du vermutlich unter Herrscher verstehst, nämlich Kaiser und Könige, war für die meisten Leute damals ziemlich irrelevant. Für die war wichtig, wer in ihrem Dorf, ihrer Stadt das Sagen hatte, also Ritter, Grafen, Patrizier. Die waren aber selten fremdsprachig. Außerdem waren die Herrscher so gut wie gar nicht und die örtlichen Machthaber nur sehr begrenzt von der freiwilligen Loyalität ihrer Untertanen abhängig.
1519 konkurrierten um die deutsche Königswürde Heinrich VIII. von England, Franz I. von Frankreich, Karl I. von Spanien und Friedrich der Weise von Sachsen. Der einzige, der sicher deutsch sprach, war Friedrich.
Dass es dann Karl wurde, lag nicht daran, dass er vermutlich auch einigermaßen deutsch sprach, sondern, dass er den Kurfürsten genehm war. Und das hatte wiederum nichts mit Sprache, sondern mehr mit Geld zu tun.
 
Gerade das Mittelalter kannte sehr viele Multiethnische Herrschaften, in denen verschiedene Sprachen gesprochen wurden. Die noch kirchlich dominierten Kanzleien des frühen Mittelalters dürften überwiegend Latein in Mittel- & Westeuropa verwendet haben, war es doch auch die Kirchensprache. Und mit der Bibel lernte man Lesen und Schreiben. Wenn jemand "theodisc" (also in weiterem Sinne "Deutsch") schrieb, dann war das häufig vom örtlich dominierenden "Dialekt" abhängig. Dabei verstand man unter theodisc im frühen Mittelalter keineswegs nur die Vorläufersprachen von Deutsch, sondern auch Niederländisch und sogar Englisch... manchmal auch schlicht nur die "Volkssprache", denn genau das bedeutet das Wörtchen ja - im Gegensatz zum Latein- & Abkömmlingen eben.

Kurz: Sprache war in jener Zeit kein Kennzeichen, das für Herrschaftsbildung oder Festigung von großem Wert war. Vererbt wurde innerhalb des Adels nach Blutlinien und so konnte ein Spross einer Dynastie ohne jede Kenntnis der Landessprache eine weit entfernte Herrschaft übernehmen. Als Ansprechpersonen der „normalen“ Menschen waren die Könige, mit dem sie umgebenden Hof eher fern. Für sie galt der lokale Feudalherr als Bezugsperson in fast allen Belangen des Lebens – und seine Vertreter. Es ist ja gerade das Kennzeichen des Feudalismus, das alles in kleine, überschaubare Personenverbände gegliedert ist. Hier ist für den Adeligen die Kenntnis der regionalen Sprache sehr von Nutzen. Für die Entwicklung einer Landesherrschaft aber eher nicht.

Sprache als Identifikationsfaktor lässt sich in einer Ständegesellschaft schwer fassen. Gewiss hat sie eine Rolle gespielt, trat aber hinter dem gesellschaftlichen Stand und der „kleinen, regionalen Welt“ meist zurück.
 
Eike von Repkow behauptet in seinem "Sachsenspiegel", der König von Böhmen habe als Kurfürst bei der Kaiserkür kein Wahlrecht, weil er kein Deutscher sei.
Tatsächlich stammten die Könige Böhmen zu jener Zeit noch aus dem slawischen Geschlecht der Premysliden.
Soweit die Meinung Eikes.

atsächlich gab es im Osten des Heiligen Römischen Reiches und natürlich auch im Deutsch-Ordens-Staat weite Gebiete mit slawischer oder baltischer Bevölkerung aber einem deutschsprachigen Adel.
Konflikte scheinen aus dem sprachlichen Gegensatz eher selten erwachsen zu sein. Die Slawenaufstände im frühen Mittelalter scheinen eher gegen die Missionierung und die Einbindung ins Reich an sich und als unterste Stufe einer feudalen Gesellschaft Steine des Anstoßes gewesen sein. Bei den Hussiten-Aufständen in Böhmen des ausgehenden Mittelalters spielte die tschechische Sprache auch eine Rolle. Ihnen ging es aber weniger um die Sprache des ihres Königs, sondern viel mehr um die Sprache ihrer Kirche.

Wie immer ein Kuriosum: Preußen
Der Deutschen-Herren-Meister Albrecht, aus dem Hause Hohenzollern, wird Protestant und verwandelt den Ordensstaat zu einem Herzogtum unter Lehnsabhängigkeit des Herzogtums Polen. Dem Deutschtum des Adels tut dies aber keinen Abbruch, ebenso wenig wie die Tatsache, dass seine peußischen Untertanen mehrheitlich pruzzisch und nicht deutsch sprachen.
 
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