Stellungskrieg im 1. WK: warum?

Eine der Lehren der Sommeschlacht war, das Grabenlinien deutliche und sehr gefährdete Angriffsziele waren. Auf vermeindliche sichere, weil tiefe, Unterstände, in dem die Truppe Sicheheit finden wollte, die sich im Trommelfeuer aber häufig als Menschenfallen erwiesen, sollte künftig ganz verzichtet werden. Das war eine "harte" Forderung an die Truppe, da diese die Auffassung vertrat, die hart erarbeitete Sicherheit aufgeben zu müssen, so dass entsprechende Befehle zur Sprengung ergehen mussten.

Kielmannsegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S.341, Frankfurt 1980
 
Mich würde interessieren, ob es diesen Befehl tatsächlich gab und wenn ja, ob er lange Bestand hatte. Die Realität war (zumindest in dem Frontbereich - Mihiel-Bogen - mit dem ich mich seit Jahren beschäftige) ein andere. Bis Sept. 1918 wurden dort sehr tiefen Stollen/Unterstände gebaut/benutzt.

Gruß

Cisco
 
Es geht vor allem um die ersten Linien. Bei weiter zurückliegenden Stellungen konnte man weiterhin tiefe Stellungen anlegen. Im Verlauf der Materialschlachten stellten die Deutschen fest, dass die vorderen Linien gar nicht so stark besetzt werden brauchten. Einige Soldaten, die das Trommelfeuer überlebt hatten, konnten mit einem intakten MG den Gegner sehr effektiv bekämpfen. Indem man die Verteidigung mehr in die Tiefe staffelte, wurde die Verteidigung effektiver, und der Kampf wurde erst ernst, wenn der Gegner in das deutsche Grabensystem eindrang. Im Gegenangriff konnte dann oft das ganze Gelände zurückerobert werden.

Bei den Materialschlachten machten alle Seiten die Erfahrung, dass das artilleriefeuer dem Drahtverhau nicht viel anhaben konnte. So zeigte sich bei Verdun, dass der von den Franzosen gespannte Stacheldraht durch einschlagende Granaten nur noch verfilzter wurde. Die Briten glaubten an der Somme, dass kein Deutscher das artilleriefeuer überleben würde, doch das einwöchige Trommelfeuer hatte nicht einmal den 50 m breiten Drahtverhau völlig beseitigen können.

Wirklich effektiv konnte Stacheldraht allerdings durch Tanks beseitigt werden. Seit September 1916 setzten die Alliierten immer mehr Tanks ein. In Flandern versagten die Tanks wegen des sumpfigen Geländes, doch am 20. Novembner 1917 entgingen die deutschen bei Cambrai nur knapp einer Katastrophe. Die Briten konnten unbemerkt mehrere Divisionen heranziehen, die von den Deutschen nicht lokalisiert wurden und es zeigte sich, dass die Deutschen allzuviel Vertrauen in die Siegfriedlinie hatten, die bei Cambrai besonders stark war. Die Briten hatten allerdings noch zu wenig Erfahrung mit einem kombinierten Zusammenspiel aus Artillerie, Tanks und Infanterie, und ohne nachfolgende Infanterie waren Tanks im Bourlonwald und im Dorf Bourlon ein leichtes Ziel für Artillerie und Stoßtrupps. Im Gegenangriff konnten die Deutschen Anfang Dezember 1917 fast das ganze Gelände zurückerobern.
 
Es geht vor allem um die ersten Linien
Das beantwortet meine Frage nicht, zudem auch dieses nicht allgemein gültig war.


Zur Veränderung der Taktik.
Aus den Erfahrungen der ersten Kriegsjahre heraus bildete man 1917 Vorfeld- und Hauptkampfzonen
d.h. die vorderen Gräben hatten nur eine schwache Besatzung (Feldwachen) und die ehemaligen Frontgräben wurden bis auf die Zugangsgräben komplett verdrahtet, alte Unterstände unbrauchbar gemacht.. Der eigentliche Widerstand bei einem Angriff fand dann erst bei der so genannten Haupwiderstandslinie statt (die teilweise mehrere Kilometer hinter den vorderen Gräben lag).

Offensichtlich traf dies aber auch nicht auf alle Frontbereiche zu und richtete sich wohl nach den landschaftlichen Begebenheiten und auch danach wie umkämft bestimmte Frontteile waren..
Belege für Vorfeldzonen habe ich bisher an allen hart umkämpften Frontteilen gefunden, während eher „ruhige“ Frontbereiche oder aufgrund der Verhältnisse besonders günstig gelegene Frontbereiche (z.B. Berghänge) dieses nicht umsetzten.


Die Veränderungen kann man sehr schön auf den Karten des LIR 25 aus dem Bois Brûlé erkennen. Beide zeigen einen "Höhe 344/Schmittenhöhe" genannten Stellungsbereich im Bois Brûlé.
Karte Juni 1916 – hier sind noch 1. 2. und 3. Grabenlinie zu erkennen. (blau= Niemandsland, oberhalb deutsche Gräben)

1f8w93.jpg


Karte Juni 1918 – nur noch schwach eingezeichnete vordere Gräben, dagegen stark hervorgehoben die H.W.L (Hauptwiderstandslinie)

http://i35.tinypic.com/10fo0mc.jpg

Gruß

Cisco
 
Zuletzt bearbeitet:
Das beantwortet meine Frage nicht, zudem auch dieses nicht allgemein gültig war.


Zur Veränderung der Taktik.
Aus den Erfahrungen der ersten Kriegsjahre heraus bildete man 1917 Vorfeld- und Hauptkampfzonen
d.h. die vorderen Gräben hatten nur eine schwache Besatzung (Feldwachen) und die ehemaligen Frontgräben wurden bis auf die Zugangsgräben komplett verdrahtet, alte Unterstände unbrauchbar gemacht.. Der eigentliche Widerstand bei einem Angriff fand dann erst bei der so genannten Haupwiderstandslinie statt (die teilweise mehrere Kilometer hinter den vorderen Gräben lag).

Offensichtlich traf dies aber auch nicht auf alle Frontbereiche zu und richtete sich wohl nach den landschaftlichen Begebenheiten und auch danach wie umkämft bestimmte Frontteile waren..
Belege für Vorfeldzonen habe ich bisher an allen hart umkämpften Frontteilen gefunden, während eher „ruhige“ Frontbereiche oder aufgrund der Verhältnisse besonders günstig gelegene Frontbereiche (z.B. Berghänge) dieses nicht umsetzten.


Die Veränderungen kann man sehr schön auf den Karten des LIR 25 aus dem Bois Brûlé erkennen. Beide zeigen einen "Höhe 344/Schmittenhöhe" genannten Stellungsbereich im Bois Brûlé.
Karte Juni 1916 – hier sind noch 1. 2. und 3. Grabenlinie zu erkennen. (blau= Niemandsland, oberhalb deutsche Gräben)

1f8w93.jpg


Karte Juni 1918 – nur noch schwach eingezeichnete vordere Gräben, dagegen stark hervorgehoben die H.W.L (Hauptwiderstandslinie)

http://i35.tinypic.com/10fo0mc.jpg

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Cisco


Sicher wurde der Befehl unterschiedlich gehandhabt, und gerade in Frontabschnitten, in denen sich die deutschen häuslich niedergelassen hatten und wo äußere Bedingungen den Stellungsbau ohnehin hemmten, werden sich manche Offiziere gehütet haben, ihre komfortablen Bewohnungen zu sprengen. Die obere Führung machte sich zuweilen Sorgen, dass der Gefechtswert der Einheiten sinken und die Truppe sich zu fest an bestimmten Gräben festbeißen würde. Das behauptet auch Ernst Jünger der in Stahlgewittern solche Überlegungen anstellt und sich dabei auf eigene Erfahrungen als Frontoffizier berufen konnte.

Der Stellungskrieg erforderte eigene Spezialisten wie hydrologische Einheiten, die die Gräben entwässern sollten. Dazu kamen ganz neue medizinische und sanitäre Probleme. Soldaten litten an Rheuma und Athritis. Eine weitverbreitete Krankheit war der "Grabenfuß", wobei die Füße durch das ständige Stehen in Wasser und Matsch anschwollen und schmerzhafte Entzündungen hervorriefen. Dazu kam das problem der Fäkalienbeseitigung und schlimmer noch, die vielen Leichen, die nicht geborgen werden konnten. Bei Großkampftagen lagen Hunderte von Toten in den Gräben. Tote Männer und Pferde wurden bestenfalls mit einer schaufel Chlorkalk bedeckt, und ein infernalischer gestank hing über den Schlachtfeldern. Unter solchen Bedingungen hatten Läuse und ratten ein feines Leben. Mit der Zeit lernten die Soldaten aller Armeen die schlauen Nager fürchten, die sich ungeheuer vermehrten und sich durchaus über noch lebende Soldaten hermachten. Terrier sollten Abhilfe schaffen, und in Gammelabschnitten vertrieben sich die Grabenkrieger damit, Jagd auf Ratten zu machen wie Ernst Jünger beschreibt, und wenn das Gezank der Ratten um eine halbverweste Leiche oder einen toten Gaul zu laut wurde, warf man schon einmal eine Handgranate.

Die Ratten von Verdun oder ihre Kollegen im Houtholster wald erlangten eine traurige Berühmtheit.
 
In einem anderen Forum, das ich wegen Widerspenstigkeit verlassen musste, habe ich das schon einmal zu diskutieren versucht:

Wieso "mussten" die Franzosen das? Wieso war diese Konstellation unausweichlich? Rein militärisch hätte ihnen eine Verkürzung der Front Hunderttausende an Verlusten ersparen können! Bleibt also das ideologische Argument - aber worin bestand das denn, und wieso war es so zwingend, wie oft behauptet wird?


Ende 1915 war die Front eine ruhige bei Verdun geworden. Zahlreiche Geschütze waren aus den Forts demontiert und an andere Fronten verlegt worden, und wie du sehr richtig schreibst, war durch den Fall Verduns nicht zwangsläufig die Hauptstadt Paris bedroht. Dennoch hatte Falkenhayn durchaus richtig vorausgesehen, dass sich die Franzosen dort stellen würden. Ich denke, man darf auf Seiten der Alliierten den Faktor der öffentlichen Meinung nicht unterschätzen. Verdun war die stärkste französische Festung und für den Bau waren Millionen von Steuergeldern verwendet worden. Auf den Wänden jeder französischen Festung stand geschrieben, "man läßt sich eher unter Trümmern begraben, als sich zu ergeben". Diese Verteidigungsanlagen durften nicht kampflos preisgeben werden, das konnte sich die französische Armee schon aus Prestigegründen nicht leisten, und den Deutschen die Iniative zu überlassen, hielten die französischen Militärs für gefährlich. Das Halten von Grabenstücken aus Prestigegründen spielte bei beiden Seiten eine große Rolle vor Verdun, und bald schon verboten die Franzosen jeglichen Rückzugsbefehl und stellten Offiziere, die sich zurückzogen, vors Kriegsgericht.
 
Ich denke, man darf auf Seiten der Alliierten den Faktor der öffentlichen Meinung nicht unterschätzen. Verdun war die stärkste französische Festung und für den Bau waren Millionen von Steuergeldern verwendet worden. Auf den Wänden jeder französischen Festung stand geschrieben, "man läßt sich eher unter Trümmern begraben, als sich zu ergeben". Diese Verteidigungsanlagen durften nicht kampflos preisgeben werden, das konnte sich die französische Armee schon aus Prestigegründen nicht leisten, und den Deutschen die Iniative zu überlassen, hielten die französischen Militärs für gefährlich.

Ich zögere ein wenig, mir diese Erklärung ganz zu eigen zu machen, weil sie im Grunde darauf hinausläuft, dass es zum strategischen und taktischen Handeln der französischen Seite keine Alternative gab.

Wie ich am Beispiel Pétains gezeigt habe (#51), hat dieser die Siituation recht leidenschaftslos betrachtet, während der Zivilist sie dramatisierte ("Katastrophe"). Bunkerinschriften (oder Schwüre oder Ehrenworte) oder "Rentabilitätsapekte" (wenn eine Festung x Millionen gekostet hat, dann muss sie auch y Tage gehalten werden) mögen tatsächlich eine Rolle gespielt haben, aber keine mE entscheidende - jedenfalls finde ich dazu in der Literatur zu wenig.

Der Prestige-Gedanke musste sich am Anfang des Krieges, insbesondere beim französischen Rückzug im August/September 1914, offenkundig anderen, zwingenderen Erwägungen unterordnen; Joffre rettete Frankreich, spitz formuliert, indem er das "fachlich Notwendige" tat. Worin lag insoweit der Unterschied zu 1916 bzw. was war das Besondere an Verdun?

Ich insistiere ein wenig auf diesem Punkt auch wegen der Rezeptionsgeschichte: Falkenhayn galt hernach als Blutsäufer und Versager, weil er de Blutmühle Verdun in Gang setzte - Pétain hingegen, der die Blutmühle sogar noch stärker fütterte (füttern musste), galt als "Soldatenvater" und Held.
 
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