Steuern der Sumerer

tuum_quoque

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Mein kleiner Bruder behandelt gerade im Geschichtsunterricht die Hochkulturen Mesopotamiens.
In seinem Geschichtsbuch steht folgendes (S.49):
Für die Sumerer waren Ackerland, Herden und Gewässer, die zu ihrer Stadt gehörten, der Besitz ihrer Schutzgottheit. So lagerte alles, was die Menschen erwirtschafteten im Tempel [...] Die Priester verwalteten diese Erträge. Einen Teil der Produkte gaben sie zurück an die Stadtbewohner. Die übrigen waren für den Handel mit anderen Städten bestimmt.
Sowie weiter unten auf der selben Seite:
Für die Organisation [...] setzte er [der König] Schreiber ein. Anstelle des Königs planten sie die Arbeit und beaufsichtigten die Arbeit und trieben Steuern ein.
Nun zu meiner Frage: Wie bzw. von wem wollen die Schreiber Steuern eintreiben, wenn sämtliche Feldfrüchte als Besitz der Schutzgottheit im Tempel gebunkert wurden? Von der Schutzgottheit?:confused:
 
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Wenn mich nicht alles täuscht, waren die Sumerer sogar die Erfinder der Steuern und wahrscheinlich wurde auch nur dafür die Schrift erfunden, denn die sumerische Schriftkultur stand in erster Linie der Tempelverwaltung zur Verfügung, die Keilschrifttäfelchen zum Beispiel für die Erhebung von Steuern, Ernteabgaben und Tempelquittungen nutzte.

Das Kernland des Reiches war in Provinzen unterteilt welche zentral verwaltet wurden. Ein Abgaben-System (Bala-System), bestimmte wieviel welche Provinz zu zahlen hatte, wobei jede Provinz auf die Erzeugung bestimmter Produkte spezialisiert war. Lagasch war als Getreideprovinz bekannt, und Umma als Zentrum handwerklicher Verarbeitung.
Perepherie-Gebiete waren einen anderen Abgabe-System unterworfen.
 
Bei der Suche nach einem geeigneten Thread über die verschiedenen Organisationsformen im frühen Mesopotamien bin ich auf dieses Thema gestossen.
Zur Zeit beschäftigt mich http://www.geschichtsforum.de/f22/handel-der-fr-hzeit-austausch-oder-fernreisende-38578/ dabei kam es immer wieder zu langen Exkursen in die spätere mesopotamische Geschichte und die Entstehung der Schrift.
Die frühe Schriftlichkeit in Sumer suggerierte möglicherweise eine allgemeine Gültigkeit von Verhältnissen, die sich dann in Schulbucheinträgen niederschlagen und auch bei mir zu der oberflächlichen Einordnung Sumer = Tempelwirtschaft führten.
Diese Einordnung als Zentralverwaltungswirtschaft mit religiöser Ideologie mag auf Phasen und einige der sumerischen Stadtstaaten zutreffen, soweit sie sich auf Schriftquellen stützen.
Gilt das aber allgemein für Mesopotamien und auch für die schriftlose Frühzeit?

Maschkan-Schapir ist eine Stadt, die nicht mehrfach überbaut wurde und deren städtebauliche Gliederung durch eine Oberflächenuntersuchung bestimmt wurde. In dieser Stadt soll der Tempel nicht im Zentrum der Stadt gelegen haben.
Aus Korn, Mesopotamien:
Mittels der Surveyfunde und der Hilfe einer Stadtplansoftware konnten die Wissenschaftler (Stone, Zimansky) ein genaues Bild der Stadt entwerfen. Die grossen Kanäle teilten Maschkan-Schapir in fünf Stadtbezirke auf. Der dem Todesgott Nergal geweihte Tempelbezirk befand sich im Südbezirk. Die Zikkurat bildete sicherlich ein Symbol der Macht, das die ganze Stadt überstrahlte - aber sie lag nicht im Zentrum. Auch die Verwaltung - identifiziert durch die Häufung von Siegeln und Modellstreitwagen- lag nicht in der Mitte, sondern im Westbezirk der Stadt. Aus dieser Aufteilung ziehen Stone und Zimansky weitreichende Konsequenzen:" Wenn Bürger während der altbabylonischen Epoche, der Blütezeit Machkan-S., in einem System ohne extreme lokale Machtzentrierung gelebt haben, ist es höchst unwahrscheinlich, dass zuvor die Autorität über das Gemeinwesen stärker in den Händen einer kleinen Oberschicht gelegen haben soll"
Die innere Organisation einer mesopotamischen Stadt - Spektrum der Wissenschaft DER SPIEGEL*17/1995 - Scherben im Sand
Ich kann das noch nicht einordnen, frage mich auch, ob es überhaupt ein Zentrum gab und was dann dort stand. Hat jemand mehr Informationen?
 
Die These der „Tempelwirtschaft“ fußt in erster Linie auf Funden von „Reformtexten“ in Girsu, dem heutigen Tello. Hinzukommen Tontafelfunde in Uruks Tempelbezirk. Die Schlüsse, die aus diesen Funden gezogen wurden, waren jedoch stark verallgemeinernd und werden heute angezweifelt. Insbesondere, dass es während der gesamten Frühzeit in ganz Mesopotamien eine einheitliche Staats- und Wirtschaftsform, eine Theokratie, gegeben habe. Die Kritiker berufen sich dabei im Wesentlichen auf archäologische Untersuchungen, die „grundlegende Veränderungen in der Besiedlungsweise“ belegen.

Du hast den Forschungsstand nach Nissen in Deinem Beitrag also ziemlich gut zusammengefasst.:yes:

EDIT: Besonders wichtig auch Dein Hinweis auf die Schriftlichkeit. Bei den "Reformtexten" aus Girsu handelt es sich um die ersten "echten" Schriftquellen, nicht nur um Wirtschaftsdaten wie in Uruk. Nissen spricht daher von einem fehlenden "Korrektiv", da man sich für die Zeit vor Girsu nicht auf ähnliche schriftliche Belege stützen könnte.


Hans J. Nissen: Geschichte Altvorderasiens, Oldenbourg Verlag, 1999
 
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Soweit ich weiss kann man schon davon ausgehen, dass die meisten oder auch alle sumerischen Stadtstaaten vorrangig von einer "Tempelregierung" betrieben wurden. Die Regierungsteilnehmer werden in einigen oder allen Stadtstatten Teil von Räten gewesen sein. Ergo keine reine Theokratie. (Die Räte findet man in Mythen z.B. um Gilgamesh aber auch als Rat der Götter etc.)
Erkennen kann man das vor allem daran, dass ein Großteil der Siegel etc. in Gebäuden gefunden wurden, die dem Tempel angeschlossen bzw. Teil der Tempelanlagen waren.
Später (Lagash, Ur-III etc.) hat man auch Texte, die den Handel beschreiben und die eine sehr zentrale Rolle der Tempel aufzeigen.
ABER eine reine Tempelwirtschaft kann man nicht einmal für die Stadtstaaten von den man viele Texte hat (Lagash z.B.) ableiten - Schwarz/Weiß war das sicher nicht.

Recht früh entstanden schon "Paläste" für die "Könige", die sicher eine weitere Spitze der polit. Führung bildeten und zum Teil die religiösen Führer ersetzten. Die mystischen Texte lassen vermuten, dass es "Könige" erst später gab und vorher die Tempel die Macht hatten, aber es ist schwer aus "Geschichten" belastbare Fakten abzuleiten. Wichtig ist dabei zu beachten, dass das was man gerne als "König" übersetzt nicht unbedingt "König" meint. Ggf. wäre "Meister" eine besser Übersetzung. (große oder großartige Person wäre die wörtliche Bedeutung)
Es gab auch "Könige" (Lagash/Gudea), die sich nur "Bürgermeister" (Ensi) nannten, aber soweit man das heute weiß, die gleiche Macht hatten wie die "Könige".
(vermutlich sind sie aber auch deswegen nicht in den Königslisten?!)

Die Schrift hat sich sicherlich aus der Notwendigkeit für die Verwaltung aus den Siegeln etc. entwickelt, für Jahrhunderte waren die ersten Schriften reine Buchungssachen usw.

Sumer war nicht in Provinzen o.ä. unterteilt, sondern im besten Fall in Herrschaftsgebiete der einzelnen Stadtstaaten. Zum Teil wird es Allianzen u.ä. gegeben haben, aber Sumer als "Nation" gab es so nie. Zum Teil wird der Titel "König von Kish" mit einer Art Führungsanspruch verbunden, aber inwieweit der entsprechende "König" wirklich mehr Macht hatte ist nicht klar. Man kann allerdings durchaus erkennen, dass dieser Titel im Allgemeinen anerkannt war und nicht bestritten wurde.

Erst als Sumer unter Fremdherrschaft (Akkad. Reich oder Babylon) kam, kann man sich einer Einteilung in Gebiete vorstellen - ich kenne allerdings keine solchen Texte.
 
Maschkan-Schapir etc.
Die (Haupt)Tempel wurden in der Regel so errichtet, dass sie möglichst hoch standen, so dass sie auch von außerhalb der Stadt gut sichtbar waren.
Dafür mussten die Tempel aber nicht notwendigerweise in der Mitte stehen (wie hier früher die Kirchen).
Auch kann eine Stadt sicherlich anders organisiert gewesen sein als eine andere.
Ganz ohne soziale Differenzierung und Organisationsstrukturen dürfte eine Stadt allerdings auch damals nicht funktioniert haben, daher kann es auch sein, dass man diese Strukturrierung halt nicht unbedingt am Grundriss eines Gebäudes erkennen kann?!
Für Eridu, Uruk u.a. kann man eine bedeutende Rolle der Tempel deutlich erkennen, aber sicherlich bedeutet das noch lange nicht, dass es auch in jeder anderen Stadt so war.

[FONT=Verdana,Tahoma,Arial,Helvetica,Sans-serif,sans-serif][SIZE=-1]Maschkan-schapir hatte also keinen zentralen Bereich an dem sich der Tempel und der Palast befanden. Diese beiden Bereiche waren hier räumlich getrennt in verschiedenen Stadtteilen.[/SIZE][/FONT]
http://www.meinebibliothek.de/Texte/html/mesopotamien4.html

Wenn dem so ist, so widerspricht das keine "zentralen" Führungsstruktur .. den die muss ja nicht in der "Mitte" sein, oder?
 
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Nun zu meiner Frage: Wie bzw. von wem wollen die Schreiber Steuern eintreiben, wenn sämtliche Feldfrüchte als Besitz der Schutzgottheit im Tempel gebunkert wurden? Von der Schutzgottheit?:confused:
Also ich waage mich mal ein wenig aus dem Fenster ...

Die Texte, die ich kenne, legen es nahe, dass in den Stadtstaaten wo eine Tempelwirtschaftähnliche Struktur herrschte folgendes galt:

Die Einwohner mussten eine gewissen Menge an Waaren in einem gewissen Zeitraum produzieren z.B. einige Quadratmeter Leinen pro Tag. Diese Waren gehörten dann dem Tempel. Dafür erhielt man den Schutz der Stadt und Anspruch auf andere Waren z.B. 3l Bier/Tag. Wenn man mehr produzierte, so konnte man damit handlen, wenn man weniger produzierte so hatte man Schulden. Entweder verzichtete man dann auf Waren oder Arbeitete die Schulden ab (oder liess abarbeiten) - Stichwort Schuldsklaverei.
Diese Texte bezogen sich auf Uruk wenn ich mich recht erinnere.

Ob man das jetzt "Steuern" oder "Miete" nennen will?!
 
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