Strafrecht im Mittelalter

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stereo96

Gast
Hallo, ich befasse mich gerade mit dem Strafrecht des Mittelalters für ein Referat und hätte dazu die Frage, ob man als eine Art Leitspruch der mittelalterlichen Gerichtsverhandlung "in dubio pro actorem"-im zweifel für den Kläger, nehmen könnte. Allerdings habe ich erahren, dass das mittelalterliche Strafrecht auf der gesetzlichen Beweistheorie beruht, was ja heißt, dass die Schuld des Angeklagten einwandfrei nachgewiesen werden muss. Was micht nun irritiert, ist, dass die mittelalterlichen Geständnisse oft erst nach der Verurteilung durch Folter erzwungen wurden. Deshalb weiß ich jetzt nicht ob dieser Spruch angepasst wäre oder nicht ?
Schon mal vielen Dank im voraus für die Antworten :)
 
Hallo, ich befasse mich gerade mit dem Strafrecht des Mittelalters für ein Referat und hätte dazu die Frage, ob man als eine Art Leitspruch der mittelalterlichen Gerichtsverhandlung "in dubio pro actorem"-im zweifel für den Kläger, nehmen könnte. Allerdings habe ich erahren, dass das mittelalterliche Strafrecht auf der gesetzlichen Beweistheorie beruht, was ja heißt, dass die Schuld des Angeklagten einwandfrei nachgewiesen werden muss. Was micht nun irritiert, ist, dass die mittelalterlichen Geständnisse oft erst nach der Verurteilung durch Folter erzwungen wurden. Deshalb weiß ich jetzt nicht ob dieser Spruch angepasst wäre oder nicht ?
Schon mal vielen Dank im voraus für die Antworten :)


Es gab im Mittelalter weder Indizienprozesse, noch Gefängnisstrafen, noch Polizeipersonal. Mit der Rezeption des römischen Rechts wurde eine Rationalisierung der Rechtsprechung angestrebt und Formen wie Gottesurteile zurückgedrängt. Aus dem Blickwinkel der Neuzeit, erscheint es furchtbar, wenn die Folter als selbstverständliches Mittel der Wahrheitsfindung angewendet wurde. Noch frappierender wird es, wenn die Folter als rationales Beweismittel sogar gewissermaßen fortschrittlich erscheint. Wenn als Mittel der Wahrheitsfindung und Überführung nur Tatzeugen, die extrem selten sind und das Geständnis des Beschuldigten gültig sind, blieb nicht mehr viel an Mitteln zur Wahrheitsfindung übrig.

Namhafte Juristen wie Jean Bodin propagierten noch im 17. Jahrhundert die Folter und erst Kritiker wie Friedrich von Spee und Christian Thomasius bezeichneten die folter nicht nur als grausam, sondern auch als ineffektiv. Friedrich von Spee, der als Jesuitenpater im 30 Jährigen Krieg als Hexen verurteilte Frauen als Seelsorger betreute, behauptete, mit der Folter ließe sich jedes fiktive Verbrechen beweisen. Es gab aber selbst in Hexereifällen Delinquenten, die schließlich freigelassen werden mussten, weil sie die Folter überstanden hatten, ohne ein Geständnis abzulegen.

So z. B. Maria Holl, die "Hexe von Nördlingen". ihr gehörte das renommierte Gasthaus zur Krone. Sie wurde 1578 Bürgerin von Nördlingen, wurde aber als Hexe denunziert und insgesamt 62 mal gefoltert, was rechtswidrig war, denn wer der Folter widerstand,musste freigelassen werden. In Hexenprozessen schlug aber schon Heinrich Kramer oder Institoris, der Verfasser des berüchtigten Hexenhammers Malleus Maleficarum vor, wiederholte Folter einfach als Unterbrechung zu bezeichnen. Maria Holl überlebte alle ihre Peiniger. Da sie auch niemanden denunzierte, war sie eines der letzten Opfer des Hexenwahns in Nördlingen.
Ihr zu Ehren wurde in Nördlingen 1966 ein Brunnen aus Holz gestiftet.

Im Gegensatz zum modernen Strafrecht gab es keine Indizienurteile. Um einen Straftäter oder Beschuldigten überführen und verurteilen zu können, waren zwei Tatzeugen und nicht etwa Komplizen oder aber ein Geständnis des Beschuldigten erforderlich. Ohne Geständnis, ohne Tatzeugen gab es keine Verurteilung. Es war die Folter im Mittelalter ein Instrumentarium der Wahrheitsfindung, das durchaus auch an gewisse Regeln gebunden war.

Es gab
 
nun, Strafrecht , wie wir es kennen, gab es in langen Zeiten des Mittelalters garnicht.
Es wurden von beiden Parteien "Leumunds" Zeugen benannt, und wer die meisten oder die hochwertigen Zeugen hatte, gewann. In der Lex Caroli einige Official delikte, aber ein Gewaltmonopol oder Gewaltrecht des Staates gab es in unserem Sinne nicht.

Desweiteren kennt z.B. der Sachsenspiegel zwar Mord, Totschlag und ähnliches, aber nicht die Folter. Der Nachweis einer Straftat erfolgt durch rechtsfähige Zeugen.

Also das finstere Mittelalter mit Folterkeller usw ist ausgehendes Mittelalter /Neuzeit .

Wo kein Kläger, da kein Richter. Und der Kläger musste auch einen Schuldigen haben und dies mit Zeugen beweisen, erst dann gabs die Klage und die Verhandlung
 
Um es mal einfacher zu machen zitiere ich mich mal (sinngemäß) selbst:

Ich glaube mich erinnern zu können, dass in "Überwachen und Strafen" von Foucault das mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche - von unserem sehr verschiedene Verständnis von Schuld und Unschuld - ganz gut beschrieben wurde. Kurz gesagt, wenn du denunziert oder verdächtigt wurdest warst du schon ein ganz kleines Bischen schuldig, was wiederum einen ersten juristischen Schritt, wie z. B. ein Verhör, rechtfertigte. Machte sich der Angeklagte hier noch verdächtiger rechtfertigte dies weitere Schritte etc.

Es handelt sich also um eine abgestufte Form der Schuld, was im Gegensatz zu unserem eher binären Schuldverständnis steht. Der Ankläger hatte also allein durch die Anklage dafür gesorgt, dass jemand schuldig war. Vielleicht nicht des Delikts das ihm vorgeworfen wurde aber irgendwie war er zumindest "allgemein" ein wenig schuldig.

Was die Folter angeht; wenn sie tatsächlich eingesetzt wurde - was durchaus nicht willkürlich geschah - dann unterlag sie auch sehr strengen Regeln. Es wurde nicht einfach losgefotert bis ein Geständnis da war. Auch waren bestimmte Personengruppen von der Folter ausgenommen und wenn ich mich nicht irre (bitte verbessert mich wenn dem so ist) musste ein unter Folter abgegebenes Geständnis wiederholt werden ohne, dass danach noch einmal gefoltert werden durfte.
 
nun, Strafrecht , wie wir es kennen, gab es in langen Zeiten des Mittelalters garnicht.
Es wurden von beiden Parteien "Leumunds" Zeugen benannt, und wer die meisten oder die hochwertigen Zeugen hatte, gewann. In der Lex Caroli einige Official delikte, aber ein Gewaltmonopol oder Gewaltrecht des Staates gab es in unserem Sinne nicht.

Desweiteren kennt z.B. der Sachsenspiegel zwar Mord, Totschlag und ähnliches, aber nicht die Folter. Der Nachweis einer Straftat erfolgt durch rechtsfähige Zeugen.

Also das finstere Mittelalter mit Folterkeller usw ist ausgehendes Mittelalter /Neuzeit .

Wo kein Kläger, da kein Richter. Und der Kläger musste auch einen Schuldigen haben und dies mit Zeugen beweisen, erst dann gabs die Klage und die Verhandlung


Und dann gab es noch das Rechtsmittel der Fehde, die auch in der Gottes- und Landfriedensbewegung akzeptiert wurde, die man aber versuchte einzuhegen, dass man sich nur an bestimmten Tagen befehden durfte, die Fehde vorher ansagen musste und das Mühlen und Klöster geschont werden sollten. Im Übrigen wurden etwa in karolingisher Zeit und in der lex Salica viele Delikte mit Bußgeldern, belegt, wofür man heutzutage in den Knast geht.

im Grunde liegt der Beginn der Kriminalisierung des Strafrechts begründet in einem unterschiedlichen Verständnis eines Delikts. Mit zunehmender Staatlichkeit war ein Kapitaldelikt nicht mehr Eingriff in das Privatrecht eines anderen, das mit Wergeld zu ahnden war, sondern es galt die Tat als Bruch des Rechtsfriedens, der mit Leib- und Lebensstrafen zu ahnden war.
 
Um es mal einfacher zu machen zitiere ich mich mal (sinngemäß) selbst:



Es handelt sich also um eine abgestufte Form der Schuld, was im Gegensatz zu unserem eher binären Schuldverständnis steht. Der Ankläger hatte also allein durch die Anklage dafür gesorgt, dass jemand schuldig war. Vielleicht nicht des Delikts das ihm vorgeworfen wurde aber irgendwie war er zumindest "allgemein" ein wenig schuldig.

Was die Folter angeht; wenn sie tatsächlich eingesetzt wurde - was durchaus nicht willkürlich geschah - dann unterlag sie auch sehr strengen Regeln. Es wurde nicht einfach losgefotert bis ein Geständnis da war. Auch waren bestimmte Personengruppen von der Folter ausgenommen und wenn ich mich nicht irre (bitte verbessert mich wenn dem so ist) musste ein unter Folter abgegebenes Geständnis wiederholt werden ohne, dass danach noch einmal gefoltert werden durfte.

Strafrechtsordnungen des ausgehenden Mittelalters wie die Bamberger Halgerichtsordnung, die auch die Constitutio Criminalis Carolina inspirierte stellten hohe Anforderungen an die Anwendung der Folter, die als Instrumentarium der Wahrheitsfindung auch die Rechte des Beschuldigten schützen sollte.

Verfolgungsfanatikern wie dem Dominikaner Heinrich Institoris waren die gesetzlichen Einschränkungen viel zu lasch, um Superverbrechen wie der Hexerei und Ketzerei, die er als Crimen Exceptum verstand, ahnden zu können, weshalb er dazu riet, wiederholte Folterungen einfach als Unterbrechung und Fortsetzung peinlicher Verhöre zu deklarieren.
 
So, nun mal langsam:

Der Strafprozess des Mittelalters ging keineswegs grundsätzlich von der Schuld des Angeklagten aus; das hätte ja auch zu Massendenunziationen geführt (wer jetzt Hexenverfolgung sagt: die begann erst später und unter anderen Vorzeichen).
Generell ist zu unterscheiden zwischen Akkusationsprozess und Inquisitionsprozess.

Der Akkusationsprozess war bis zum 13. Jahrhundert in allen Bereichen und noch danach in der weltlichen Gerichtsbarkeit verbreitet.
Beim Akkusationsprozess wurde eine Person von einer anderen verklagt; Ankläger und Richter durften dabei generell nicht dieselben sein.
Der Akkusationsprozess gestaltete sich in der Praxis als eine Art Diskussion zwischen den Klageparteien, bei der man versuchte, die Schöffen bzw. den Richter, die das Urteil zu fällen hatten, sowie die eigenen Zeugen von der Richtigkeit seiner eigenen Ansicht zu überzeugen; außerdem die gegnerischen Zeugen zu verunsichern. Dazu versuchte man sicherlich auch, "Beweise" anzuführen, allerdings nicht als primäres Mittel zur Urteilsfindung. Die wichtigsten Waffen der Kontrahenten waren die Zeugen, die unter Eid die Aussagen des Klägers/Beklagten unterstützen sollten (dies war sehr effektiv, da man im Mittelalter große Angst vor der Hölle hatte :devil: und möglichst keinen Meineid begehen wollte). Mit Beweisen der Schuld bzw. Unschuld konnte man sicher die Zeugen auf seine Seite ziehen, aber für die Entscheidung waren sie weniger bedeutsam; da kam es dann doch eher auf die Zahl der aufrichtigen Zeugen an. Beweisgründe waren eher ein indirektes Mittel zum Gewinn des Prozesses.
Den Prozess gewann also im Zweifelsfall nicht der Angeklagte, sondern, der, dem man eher glaubte. Ich gehe aber davon aus, dass wenn der Kläger gar keine oder nur unsinnige Argumente bringt der Angeklagte nicht einfach "auf Verdacht" bestraft wurde. Solch einem Ankläger mangelt es auch an der Glaubwürdigkeit, und normalerweise waren seine Zeugen dann schon vor der Urteilsfindung zu unsicher, um auf die falsche Anklage zu schwören.

Der Akkusationsprozess hatte zwei entscheidende Nachteile: Dass der Angeklagte sich schon durch ein paar Zeugen von jeglicher Schuld befreien konnte; gleichzeitig aber auch, dass schlecht angesehene Personen eher verurteilt wurden als beliebte, da sich für sie weniger Eidhelfer fanden. Es kam also vor, dass viele Kläger gar nicht erst vor Gericht zogen und zur Selbstjustiz griffen.

Das Inquisitionsverfahren, nach dem auch die päpstliche "Geheimpolizei" benannt wurde, entwickelte sich im 13. Jahrhundert und wurde im Laufe des Spätmittelalters auf allen Rechtsgebieten die standardmäßige Prozessform. Es basiert auf der Identität von Kläger und Richter; ein Beamter der Obrigkeit (Inquisitor) verklagt eine Person im öffentlichen Interesse und befragt Zeugen aus der gesamten Bevölkerung zu dem Fall. Sachbeweise waren zwar keine offiziellen Beweismittel, allerdings konsultierte sie der Richter in seinen Überlegungen. Befand der Inquisitor, dass die beklagte Person wahrscheinlich schuldig war, versuchte man, dem Angeklagten ein Geständnis abzupressen, wenn's nicht anders ging auch unter Folter. Man nahm an, dass Gott dem Gefolterten bei Unschuld die nötige Standhaftigkeit zuerkennen würde, um die Qualen zu ertragen.

Der Inquisitionsprozess war insofern eine Verbesserung, als dass nun versierte Richter an die Stelle von dahergelaufenen Zeugen traten. Andererseits verlieh seine Personalunion von Kläger und Richter dem Inquisitor unglaubliche Macht, und das führte natürlich nicht selten zu Willkür.
 
Zu Heinrich Insistoris kann ich nur sagen, dass er vermutlich so von der Richtigkeit seiner Urteile überzeugt war, dass er es sich gar nicht vorstellen konnte, mit seiner Vermutung falsch zu liegen. So wurde munter und illegal weitergefoltert, denn "es muss ja stimmen, was Heinrich sagt".
 
So, nun mal langsam:

Der Strafprozess des Mittelalters ging keineswegs grundsätzlich von der Schuld des Angeklagten aus; das hätte ja auch zu Massendenunziationen geführt (wer jetzt Hexenverfolgung sagt: die begann erst später und unter anderen Vorzeichen).
Generell ist zu unterscheiden zwischen Akkusationsprozess und Inquisitionsprozess.

Der Akkusationsprozess war bis zum 13. Jahrhundert in allen Bereichen und noch danach in der weltlichen Gerichtsbarkeit verbreitet.
Beim Akkusationsprozess wurde eine Person von einer anderen verklagt; Ankläger und Richter durften dabei generell nicht dieselben sein.
Der Akkusationsprozess gestaltete sich in der Praxis als eine Art Diskussion zwischen den Klageparteien, bei der man versuchte, die Schöffen bzw. den Richter, die das Urteil zu fällen hatten, sowie die eigenen Zeugen von der Richtigkeit seiner eigenen Ansicht zu überzeugen; außerdem die gegnerischen Zeugen zu verunsichern. Dazu versuchte man sicherlich auch, "Beweise" anzuführen, allerdings nicht als primäres Mittel zur Urteilsfindung. Die wichtigsten Waffen der Kontrahenten waren die Zeugen, die unter Eid die Aussagen des Klägers/Beklagten unterstützen sollten (dies war sehr effektiv, da man im Mittelalter große Angst vor der Hölle hatte :devil: und möglichst keinen Meineid begehen wollte). Mit Beweisen der Schuld bzw. Unschuld konnte man sicher die Zeugen auf seine Seite ziehen, aber für die Entscheidung waren sie weniger bedeutsam; da kam es dann doch eher auf die Zahl der aufrichtigen Zeugen an. Beweisgründe waren eher ein indirektes Mittel zum Gewinn des Prozesses.
Den Prozess gewann also im Zweifelsfall nicht der Angeklagte, sondern, der, dem man eher glaubte. Ich gehe aber davon aus, dass wenn der Kläger gar keine oder nur unsinnige Argumente bringt der Angeklagte nicht einfach "auf Verdacht" bestraft wurde. Solch einem Ankläger mangelt es auch an der Glaubwürdigkeit, und normalerweise waren seine Zeugen dann schon vor der Urteilsfindung zu unsicher, um auf die falsche Anklage zu schwören.

Der Akkusationsprozess hatte zwei entscheidende Nachteile: Dass der Angeklagte sich schon durch ein paar Zeugen von jeglicher Schuld befreien konnte; gleichzeitig aber auch, dass schlecht angesehene Personen eher verurteilt wurden als beliebte, da sich für sie weniger Eidhelfer fanden. Es kam also vor, dass viele Kläger gar nicht erst vor Gericht zogen und zur Selbstjustiz griffen.

Das Inquisitionsverfahren, nach dem auch die päpstliche "Geheimpolizei" benannt wurde, entwickelte sich im 13. Jahrhundert und wurde im Laufe des Spätmittelalters auf allen Rechtsgebieten die standardmäßige Prozessform. Es basiert auf der Identität von Kläger und Richter; ein Beamter der Obrigkeit (Inquisitor) verklagt eine Person im öffentlichen Interesse und befragt Zeugen aus der gesamten Bevölkerung zu dem Fall. Sachbeweise waren zwar keine offiziellen Beweismittel, allerdings konsultierte sie der Richter in seinen Überlegungen. Befand der Inquisitor, dass die beklagte Person wahrscheinlich schuldig war, versuchte man, dem Angeklagten ein Geständnis abzupressen, wenn's nicht anders ging auch unter Folter. Man nahm an, dass Gott dem Gefolterten bei Unschuld die nötige Standhaftigkeit zuerkennen würde, um die Qualen zu ertragen.

Der Inquisitionsprozess war insofern eine Verbesserung, als dass nun versierte Richter an die Stelle von dahergelaufenen Zeugen traten. Andererseits verlieh seine Personalunion von Kläger und Richter dem Inquisitor unglaubliche Macht, und das führte natürlich nicht selten zu Willkür.


Guter, fundierter Beitrag. Nur ein paar Anmerkungen dazu:
Vielfach handelte es sich bei den Inquirenten eher um Untersuchungsrichter. Den oder diejenigen, die letzlich über den Inquisiten urteilten, bekam dieser meistens gar nicht zu Gesicht. Es wurde in der frühen Neuzeit dem Beschuldigten ein Anwalt zur Verteidigung gestellt, doch waren die Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.
Ein Verteidiger konnte weder Entlastungszeugen ernennen oder Belastungszeugen verhören. Erst mit Abschluss der Ermittlungen konnte der Verteidiger Akteneinsicht nehmen, und eine Verteidigung war nur in interpretativer Form möglich. Mancher Delinquent saß Jahre unter unmenschlichen Bedingungen gefangen, und einige verstarben dabei, ehe ein Urteil über sie gesprochen wurde.

Schläge und Misshandlungen, die ein Inquirent als "Lügenstrafen" verhängen konnte, zählten überhaupt nicht als Folter.
Mancher Gefangene wurde halbtot geschlagen oder bei lebendigem Leib von Ungeziefer angeknabbert wie der Bandit Krummfingers Balthasar.

Andererseits gab es ausgekochte Ganoven, die eine unglaubliche Verhör- und Folterresistenz zeigten. Der Bandit Nickel List besaß laut Zeugenaussagen Folterinstrumente in seinem Haus, die er an sich selbst erprobte. Ein Komplize von List, der 1699 die Güldene Tafel, einen Reliquienschrein raubte, soll mit Opiumtinktur die Schmerzen bekämpft haben.

Es bleibt aber festzuhalten, dass die Form des Inquisitionsprozesses wie sie im Mittelalter entwickelt wurde, mit Modernisierungen gut 400 Jahre Bestand hatte und erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Justizreformen in napoleonischer Zeit abgeschafft wurde.
 
Da hast du wohl recht, im Inquisitionsprozess hatte der Angeklagte so gut wie überhaupt nichts zu melden.
 
Zu melden hat der Angeklagte auch in demokratisch verfeinerter Rechtskultur bisweilen recht wenig. Es musste der Europäische Gerichtshof dem Recht eines Angeklagten, auch ohne Rechtsbeistand Akteneinsicht nehmen zu können, in der BRD auf die Sprünge helfen, und wenn ich mich recht besinne, hatte erst 1999 ein Landgericht sich dem verweigert.

Was Räuber und Gauner betraf, so mochte das französische Rechtssystem das bei weitem modernere sein, mit Geschworenengerichten, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Schutz vor Folter und Misshandlungen, aber eben auch einer größeren Wahrscheinlichkeit, auf Indizien verurteilt und dann innerhalb kurzer Zeit exekutiert zu werden, und zwar mit dem "Rasiermesse der Nation", der "Madame Guilliotine" wie es 1803 mit Johann Bückler, alias Schinderhannes geschah.

Um eben dieses zu vermeiden, bezichtigte sich der Bandit Abraham Picard selbst der Teilnahme an einem Coup in Kurhessen, bei dem Bückler als Gehilfe mit von der Partie war und eines frei erfundenen Raubes nahe Kassel, nur um im Kurfürstentum Hessen nach Inquisitionsprozess angeklagt zu werden. Im übrigen verlegte sich Picard auf striktes Leugnen seiner Identität. Die Untersuchungen zogen sich über zwei Jahre hin.

Anton Keil, der Generalprokurator des Roerdepartements in Köln verzichtete auf ein Auslieferungsgesuch seines Kollegen vom Kriminalgericht Marburg. Vielleicht hätte man ihn sogar freilassen müssen, doch verstarb Picard nach 2 Jahren im Hexenturm des Marburger Schlosses. Sein Pflichtverteidiger erreichte aber, dass Picard exhumiert werden musste und durch ein Mitglied des Kriminalgerichts für ehrlich erklärt werden musste, worauf der Leichnam auf Kosten der jüdischen Gemeinde auf dem Judenfriedhof bestattet wurde, statt unterm Galgen begraben zu werden, wie ein Komplize namens Abraham Meyer, der 1805 in Marburg gehängt wurde.

Es beweisen diese Beispiele wie langlebig die aus dem Spätmittelalter stammende Rechtskultur gewesen ist, was kaum der Fall gewesen wäre, wenn diese nur dem finsteren Ruf entsprochen hätte, das sich die Aufkläung vom Mittelalter machte.

Es waren mittelalterliche Strafrituale, ohne Zweifel, nach modernen Maßstäben grausam, sie mussten sogar grausam sein, denn sonst hätten sie den Sinn verloren. Sie waren grausam, aber im Kontext des Mittelalters nicht willkürlich- die Strafe spiegelte das Vergehen.

Es bedurfte das peinliche Gericht das "Theater des Schreckens" wie Richard van Dülmen es nannte, das "Fest der Martern". Dennoch gehörte auch Mitleid mit dem "armen Sünder" zur mittelalterlichen Rechtspflege und es wurden viele Urteile gar nicht vollstreckt- das nicht zuletzt auch deshalb, dass Exekutionen teuer waren, weil jeder die Hand aufhielt: Richter und Schöffen mussten bezahlt werden, ebenso natürlich der Scharfrichter, der Barbier, der Totengräber, wie die Handwerker, die den Galgen bauten. Dazu Kosten für Brennholz, Kosten für alkoholische Getränke, die an Hinrichtungstagen in Strömen flossen, Henkersmahlzeit.

Es dürfte in beträchtlichem Maße nicht nur dem Einfluss der Aufklärung sondern auch Kosten- Nutzen- Erwägungen zu verdanken gewesen sein, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts Exekutionen deutlich abnahmen.
 
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