Südamerikanischer Rüstungswettlauf vor 1914

silesia

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Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass Russland durch den Krieg in 1905 massiv geschwächt wurde und dass trotz einer überproportionalen Zuweisung von Mitteln in den Wiederaufbau der Marine, weder sie noch die notwendige Infrastruktur im Jahr 1914 im Schwarzen Meer in einem kriegsbereiten Zustand war.

Der zutreffenden Beschreibung der Lage ist für die politischen Optionen anzufügen - ebenfalls wie erfolgt -, dass man mittelfristig im Rüstungswettlauf deutlich überlegen sein würde.

Eine Zuspitzung der Krise im Sommer 1914 durch Sazonow, wegen der Meerengen (McMeekin-These), war also völlig abwegig, und lässt sich auch nicht quellenseitig in Lageanalysen oder Führungsdiskussionen finden.

Der Ablauf hat aber einen weiteren interessanten Aspekt:
die Dynamik dieses Rüstungswettlaufes wurde durch die maritime Rüstung von zweit- und drittrangigen Mächten ausgelöst. Die Kausalkette kann man hier von Südamerika (dreadnought-Käufe, die dann mangels Zahlungskraft "auf den Markt" kamen), über Griechenland/Osmanisches Reich bis perspektivisch hin zu Rumänien, die sich mit dreadnought-Käufen beschäftigten.

Die Kapazitäten dieser "Angebote" von britischen, französischen, deutschen, amerikanischen Firmen entstanden originär aus dem Rüstungswettlauf der Großmächte, und "streuten" nun in die Krisen zwischen nachrangigen Mächten ein.

Die Möglichkeiten des Osmanischen Reiches muss man dabei von den finanziellen Realitäten trennen. Schöllgen gibt da gute Ansätze, das Finanzchaos der Osmanen zu beschreiben, und auch Phantasien von Realitäten zu trennen. 1914 dachte man daran, erhebliche Zahlungsrückstände aus deutschen Waffenlieferungen sowie Neukäufe durch französische Anleihen (am Pariser Kapitalmarkt) bezahlen zu lassen.

Ebenso in die Rubrik "Finanzphantasien" gehört der gemeinsame Aufmarsch von Armstrong/Vickers/Brown 1914, dem Osmanischen Reich zusätzliche drei Super-Dreadnoughts, 2 Kreuzer, 6 Zerstörer zusätzlich anzubieten (visionärer Endzustand der Jungtürken seit 1909: 6 dreadnought!). Argument: Man sei billiger als die Deutschen, 30% schneller im Bau etc. Dazu 2 UBoote und 6 Zerstörer, mit Option auf weitere 12 von französischen Werften. Um das alles hatten sich auch deutsche Rüstungskonzerne beworben, zogen aber den Kürzeren (auch weil die deutsche "Finanzierung" für das Osmanische Reich und seine Waffenkäufe ausgereizt war).

Mir geht es jetzt nicht darum, die "Aktivitäten" der Waffenlobbyisten der europäischen Großmächte moralisch zu werten.

Festzuhalten ist nur, dass dieser "sekundäre" Rüstungswettlauf im weiteren Sinne ein Konsequenz des (primären) maritimen Rüstungswettlaufes zwischen europäischen Großmächten ist, und das diese Ausstrahlwirkung - siehe Russland - "an der Peripherie" der Großmächte wiederum auf das Krisenhandling (und Hysterien) der Großmächte untereinander ausstrahlte.

Ein Teufelskreis.


Siehe auch Stevenson, The Arming of Europe and the Making of the First World War.
sowie speziell hierzu:
Jonathan Grant: The Sword of the Sultan - Ottoman Arms Imports, 1854-1914, JoMH 2002, S. 9-35.
Fotakis: Greek Naval Strategy and Policy 1910-1919
Paul G. Halpern: The Mediterranean Naval Situation, 1908-1914
 
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Der Ablauf hat aber einen weiteren interessanten Aspekt:
die Dynamik dieses Rüstungswettlaufes wurde durch die maritime Rüstung von zweit- und drittrangigen Mächten ausgelöst. Die Kausalkette kann man hier von Südamerika (dreadnought-Käufe, die dann mangels Zahlungskraft "auf den Markt" kamen), über Griechenland/Osmanisches Reich bis perspektivisch hin zu Rumänien, die sich mit dreadnought-Käufen beschäftigten.
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Das war kein Problem der "Kaufkraft." Brasilien hatte 1904 ein sehr umfangreiches Rüstungsprogramm für seine Marine aufgestellt, das nach 1906, mit dem Erscheinen des Dreadnoughts, auf diese umgestellt wurde und drei Schlachtschiffe in GB in Auftrag gab.

Argentinien und Chile hatten dagegen damals gerade, nach einer überstandenen Krise, ein Abkommen für eine Rüstungsbegrenzung eingeführt. Die Ankündigung der Brasilianischen Pläne drohten eine Rüstungsspirale auszulösen. Zeitweilig kam es deswegen sogar zu einer sonst undenkbaren Annäherung zwischen Argentinien und Chile gegen Brasilien.

Es gab umfangreiche diplomatische Bemühungen Brasilien von seinen Plänen abzubringen. Als diese jedoch nichts fruchteten, hat man eben ein eigenes Rüstungsprogramm in Auftrag gegeben und einen Admiral nach London geschickt der dort ein Büro einrichtet um Angebote einzuholen. Der Rücklauf war gewaltig, es kamen Angebote von Dutzenden von Werften aus aller Welt, die anscheinend hunderte von Plänen und Modellen vorlegten.

Die Argentinische Entscheidung fiel für eine US-Werft, Fore River Shipbuilding Co, der man zwei Schlachtschiffe in Auftrag gab (ARA Moreno und ARA Rivadavia) die 1914-15 ausgeliefert wurden. Die Artillerie kam von der Bethlehem Steel Co.

In Brasilien kam es jedoch 1910 zu einem Aufstand in der Marine (Novemberaufstand) bei dem, verursacht durch die miserable Behandlung der Besatzungen und der häufigen Anwendung von körperlichen Strafen, die Matrosen meuterten, die Schlachtflotte übernahmen und die Rote Flagge setzten. Es kam zu Artillerieduellen zwischen den Schiffen und den Küstenforts um Rio, mit Toten und Verletzten an Land.

Die Regierung drohte mit der Anwendung der treugebliebenen Zerstörer gegen die Großkampfschiffe, diese drohten Rio zu beschiessen. Am Ende verhandelte man eine Amnestie und die Abschaffung der Mißstände. Der Aufstand wurde aufgegeben, das Vertrauen der Brasilianer in ihre Flotte war jedoch stark erschüttert.

Diese Gelegenheit wurde diplomatisch genutzt und in einem (vertraulichen und privaten) Abkommen zwischen den Presidenten Brasiliens und Argentiniens, kam man nun zu einer Übereinkunft zur Rüstungsbegrenzung. Argentinien verzichtete auf die Beauftragung eines geplanten dritten Schlachtschiffes und Brasilien verkaufte dafür den dritten bereits im Bau befindlichen Dreadnought (Rio de Janeiro) an das Osmanische Reich, das es mit dem Namen Osman I übernahm. Das Schiff lief 1913 vom Stapel, war zu Kriegsbeginn jedoch nocht nicht fertig ausgerüstet und übergeben worden und wurde von der RN als HMS Agincourt übernommen.

Argentinien erwog danach, angesichts der verminderten Bedrohung und der schlechten Wirtschaftslage, die beiden im Bau befindlichen Schiffe weiter zu verkaufen. Die USA hatten sich vertraglich ein Vorkaufsrecht gesichert, wollten sie jedoch nicht selber haben und auch nicht weiter verkauft wissen, so dass sie erheblichen Druck ausübten, dass die Schiffe in Argentinien verblieben.
Die Schiffe wurden eine zeitlang sogar zurück gehalten, was der US-Marineattache sehr kritisierte da es ein schlechtes Licht auf die USA als verlässlichen Lieferanten warf. Auch die Briten mischten sich ein und verlangten von den USA eine Garantie, dass diese Schiffe nicht eventuell an Deutschland verkauft wurden (angeblich über ein Balkanland als Mittler). Das argentinische Parlament beschloss jedoch, unabhängig von diesem Druck, die beiden Schlachtschiffe zu behalten.

Ganz konkret entstanden aus diesen Ereignissen der Verkauf der Rio de Janeiro und die zeitweilige Diskussion über den Verkauf der Moreno und Rivadavia. Für diese beiden hatten sich anscheinend Russland, Österreich, Italien, das Osmanische Reich und Griechenland interessiert, letzteres als Gegenstück zur Rio de Janeiro /Osman I. Einzelne Angebote wurden sogar konkret und überstiegen den Auftragspreis, so das Argentinien sogar einen deutlichen Gewinn gemacht hätte.

Zwei chilenische Aufträge, Almirante Latorre und Cochrane wurden vor Kriegsausbruch nicht fertig und sind von der RN übernommen worden. Eines davon wurde dann 1920 schliesslich doch an Chile ausgeliefert.
 
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Bei Wiki ist ein umfangreicher Artikel dazu (en.wikipedia.org/wiki/South_American_dreadnought_race), der in einigen Punkten unwesentlich von dem von mir geschriebenen abweicht. ich hatte darüber in einem Artikel von Jorge Bóveda gelesen.

Anscheinend hatte auch Griechenland versucht Chile eines deren im Bau befindlichen Dreadnoughts abzukaufen, um den Erwerb durch das OR der Osman I zu kontern. Das ist jedoch nicht zustande gekommen.
 
Interessante Aspekte!

Ich kannte das bislang iW so, wie am Ende des Artikels angedeutet: die Beschaffungs- und Folgekosten der Flotten haben umfangreiche Diskussionen ausgelöst, zumal die Beträge beachtlich im Verhältnis zu den Staatshaushalten gewesen sind.

Aber noch interessanter ist die Thematik des Navalismus der ABC Staaten, der beginn, der maritimen Rüstung, schon zeitgleich mit dem in Europa einherging, somit schon nach dem 1860iger Jahren.

Aber nicht gemessen an der Rüstungsanstrengungen in Europa oder ab dem 20 Jahrhundert in Nordamerika, sondern untereinander der Staaten in Südamerika. Praktisch wie eine eigene Liga.
 
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