Themenwoche "El Cid Campeador" – Sonntag | Quellen und Epos – Datierung des Epos

El Cid ist rein quellenmäßig eine gut belegte Gestalt des spanischen Mittelalters. Er tritt als Zeuge in Urkunden Sanchos II. (König von Kastilien) und seines Bruders Alfonsos VI. (León) auf, seine Trauungsurkunde (Carta de Arras) ist überliefert und es existieren einige Dokumente, die auf sein Geheiß in Valencia ausgestellt wurden. Ibn Bassām, der Verfasser der in Reimprosa geschriebenen Dakhīra, einer im 12. Jahrhundert verfassten Literaturgeschichte des al-Andalus' des 11. Jahrhundert nennt ihn als erster Autor in einer historiographischen Quelle:

Er [al-Musta'in Ibn Hūd] hetzte einen der galizischen Hunde los, mit Namen Rodrigo, genannt el Campeador [al-Kambayatur], der eine Fußfessel und eine hartnäckige Krankheit war, auf den in der Halbinsel viele Schlachten zurückgehen und der über ihren Teilreichen in verwerflicher Art und Weise aufstieg und ihnen erschien. Die Hūdiden [...] ließen ihn (wie einen Hund) auf die Regionen der Halbinsel los. [...] Dieser von ihnen [al-Musta'in Ibn Hūd] beschloss, als er den Zusammensturz seines Reiches fürchtete und die Zerstreuung seiner Ordnung wahrnahm, ihn [El Cid] zwischen sich und die Elite der Truppen des Befehlshabers der Muslime [des Almoraviden Ibn Tāšufīn] zu platzieren. Er ebnete ihm die Flanken Valencias, hob für ihn Steuergelder aus und postierte hinter ihm Soldaten. So ließ er [el Cid] sich vor ihr nieder und belagerte sie.
Er – Gott schmähe ihn – trug das Zeichen des Siegers und war Triumphator über die Teilreiche der Barbaren. Er traf mehrfach ihre Führer, wie García Ordóñez "Schiefmaul" und das Oberhaupt der Katalanen Ibn Rūdmīr (Sancho Ramírez), machte die Schwertscheide ihrer Soldaten schartig und tötete mit seiner kleinen Anzahl viele von ihnen.
Zitate nach: Ohlhoff, Ralf: Von der Eintracht zur Zwietracht? Dies Geschichte des islamischen Spaniens bei Ibn Bassām. Hildesheim, Zürich, NY 1999.
Noch eine Anmerkung zum "galizischen Hund": Zwar kannten die arabischen Historiographen natürlich verschiedene Bezeichnungen für ihre Nachbarkönigreiche, aber es darf nicht verwundern, wenn Ibn Bassām den Cid als Galizier bezeichnet, obwohl er aus peninsularer Sicht keiner war: Galicien war für die arabischen Historiographen eine in–cumulo-Bezeichnung für den christlichen Teil der Halbinsel. Wohl auch, weil zunächst Galicien der Teil war, der als erstes die maurische Herrschaft abschüttelte.

Eine weitere erzählende Quelle – nach Ramón Menéndez Pidal als Historia Roderici bezeichnet – wurde vermutlich von einem Mitkämpfer (möglicherweise auch klerikalem Begleiter) von Rodrigo Díaz (El Cid) verfasst, der aber nicht bei jeder Gelegenheit dabei war. Sie ist in einem eher schlechten Latein verfasst. El Cid ist der einzige Spanier, der nicht den Königstitel trug, dem bis zu diesem Zeitpunkt eine historiographische Quelle gewidmet wurde.

Nicht unerwähnt bleiben sollte auch Ibn 'Alqama, dessen Werk durch so unterschiedliche Quellen wie dem Bayān al-muġrib des Ibn 'Idārī, der anonymen Chronik der mulūk at-tawā'if ('Kleinkönige') und der alfonsinischen Primera Crónica General überliefert wurde. Ibn Alqama war Bürger der Stadt Balansiyya (dem römischen Valentia und heutigem Valencia) und erlebte die Schreckensherrschaft des Cid über die Stadt hautnah mit.

Bald beginnt dann auch schon die Literaturproduktion. Das erste literarische Produkt über Ruy Díaz ist das Carmen Campi Doctoris also das 'Gedicht des Feldherren'. Ungleich berühmter und Grundlage einer breiten Rezeption des Cid ist das in drei Cantares altspanische Poema de Mio Cid. Es ist gleichzeitig der älteste erhaltene altspanische Text. Alle älteren altspanischen Zeugnisse sind nur indirekt überliefert, oder es handelt sich um einzelne Worte, z.B. in Glossen.

Die Datierung des Poema de Mio Cid hat scharfe Diskussionen ausgelöst – obwohl das Poema mit einer Datierung endet. So heißt es "Per Abbat le escrivió en el mes de mayo,
en era de mill e dozientos e cuarenta e çinco años
- 'Per Abbat schrieb es im Monat Mai der hispanischen Ära 1245'". 38 Jahre abgezogen – die hispanische Ära ist eine kryptochristliche Zeitrechnung, landet man bei 1207. Bis hierher gibt es in der fachwissenschaftlichen Diskussion Konsens. Der Streit entzündete sich an dem Wort escrivio – 'schrieb'. Schrieb Per Abbat nur etwas auf, was schon oral tradiert wurde, wie die von Ramón Menéndez Pidal angeführten Oralisten meinten? Oder war Per Abbat der Verfasser des Cid-Epos? Der Kampf der Oralisten wurde mit einiger Erbitterung geführt, denn solange man die anderen Quellen zum Cid noch nicht entdeckt und ausgewertet hatte, bedeutete ein frühes Entstehen des spanischen Nationalepos auch historische Authentizität (Bernard F. Reilly kritisiert: "Menéndez Pidal exaggerated both: the literal historicity of the Spanish epics and the early dates of their origins."
In: The Kingdom of León-Castilla Under King Alfonso VI, 1065-1109. Princeton University Press, 1988, S. XVI.) - und obwohl diese mit dem Auffinden anderer Texte immer weiter aufgelöst wurde, blieben die Oralisten ihrem Cid-Epos treu: Der Cid war demnach ein aufrechter Katholik und Kämpfer der Reconquista, der Epos wäre um 1140 entstanden, also knapp 40 Jahre nach dem Tod seines Helden. Die Grundlage der orientalistischen Argumentation und damit ihr terminus ante quem bietet eine dunkle Zeile in einem lateinischen Gedicht auf Alfons VII., das 1147 verfasste Poema de Almería, in der es heißt: "Ipse Rodericus, Meo Cidi saepe vocatus, / de quo cantatur quod ab hostibus haud superatur, / qui domuit Mauros, comites domuit quoque nostros [...] Meo Cidi primus fuit, Alvarus atque secundus. Morte Roderici Valentia plangit amici nec valuit Christi famulus ea plus retinere. - Selbst Rodrigo, der oft Mein Cid genannt wird, von dem gesungen wird, wie er die Mauren und auch unsere Grafen bezwang [...] Mein Cid war der erste und Álvar der zweite. Über den Tod ihres Freundes Rodrigo weint Valencia und der Diener Christi vermochte die Stadt nicht länger zu halten."
Die Formel Meo Cidi verweise, so die argumentieren die Oralisten nicht unbegründet, auf das Cid-Epos, das Poema de Mio Cid.
Und obwohl es inzwischen verschiedene Arbeiten spanischer Historiker und Philologen gibt, welche zwar nicht belegen, dass Per Abbat den Epos 1207 erst verfasste, aber dass der Epos nicht vor dem Ende des 12. Jahrhunderts entstanden sein kann, was Per Abbat als Verfasser und 1207 als Entstehungsjahr wahrscheinlich macht, hält sich weiterhin hartnäckig die These der Oralisten. Klar, jeder greift auf die Koryphäe der spanischen Historikerzunft Ramón Menéndez Pidal zurück und sein 1400seitiges Mammutwerk La España del Cid (1929, letzte Aktualisierung 1948), aber niemand beachtet die Zeitschriftenbeiträge weniger bekannter Forscher.
Antonio Ubieto Arteta – auch nicht irgendwer in der spanischen Geschichtswissenschaft, hat sich einen Namen als Herausgeber von kastilischen und aragonesischen Königsdiplomen gemacht - interveniert in die Diskussion mit seinem Vorschlag, dass der Cantar de Mio Cid nicht vor dem Jahr 1188 geschrieben worden sei. Sein Argument: die spanischen Ständeversammlungen der Jahre 1169 – 1188, die genau in der Reihenfolge wie die des Cantar stattgefunden hätten, dagegen habe es zu Zeiten Alfonso VI. noch keine Ständeversammlung gegeben. In: Otro dato sobre la cronología del "Cantar de Mio Cid", in: En la España Medieval, III 1982. Auch via Online-Zugriff: http://www.ucm.es/BUCM/revistasBUC/...as/ghi/02143038/articulos/ELEM8282220673A.PDF
Marjorie Ratcliffe rekapituliert einige von Philologen und Historikern zusammengetragene Daten und kommt zu dem Schluss, dass das PMC nach 1202 entstanden sein muss und Per Abbat daher mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht ein Kopist, sondern der Autor gewesen sei. So habe der Versöhnungsakt zwischen Alfonso und Rodrigo Díaz getreu den Leyes de Benavente, 1202 niedergelegt, stattgefunden, was den terminus post quem auf dieses Datum verlegt. Von 1202 bis 1207 ist es nicht weit. In:Diego, el hijo del Cid, y la fecha de composición del Cantar de Mio Cid. In: DICENDA. Cuadernos de Filología Hispánica, N. 9, S. 163-169. Madrid, 1990. Auch via Online-Zugriff:
http://www.ucm.es/BUCM/revistas/fll/02122952/articulos/DICE9090110163A.PDF
 
Zurück
Oben